Tichys Einblick
Faesers Appeasement

Wie sich Nancy Faeser bei Demokratiefeinden und Autokraten anbiedert

Erst verliert die Innenministerin überhaupt kein Wort über die antisemitischen Aufmärsche in Berlin. Dann ringt sie sich eine verlogene Worthülse ab. Das ist nicht nur ein Merkmal dieser Politikerin – sondern ihrer Partei, die sich zu gerne bei Mächtigen anbiedert.

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In Berlin und anderswo marschierten tausende Israelhasser durch die Straßen, sie skandierten „from the river tot he sea, palestine will be free“, also nichts anderes als die Forderung, Israel habe von der Landkarte zu verschwinden. Und sie ließen es nicht bei Sprechchören. Sie bewarfen Polizisten mit Flaschen und Steinen und pöbelten berichtende Journalisten mit dem Spruch „Zionistenpresse“ an.

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Die erste Kundgebung dieser Art fand am 19. April in Berlin statt, am Wochenende folgten weitere Machtdemonstrationen der gleichen Art. In keinem Fall löste die Polizei den Zug auf oder ging mit Methoden dagegen vor, die sie noch ein paar Monate vorher gegen Demonstranten für angemessen hielt, die staatliche Corona-Maßnahmen kritisierten. Dafür schlossen die Beamten einen Journalisten aus – als angeblicher Störer, obwohl er das Geschehen nur mit seiner Kamera festhielt.

Innenministerin Nancy Faeser, die sich bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen noch sehr meinungsfreudig zeigte und damals sogar empfahl, Bürger sollten lieber nicht von der Versammlungsfreiheit Gebrauch machen, hielt diesmal tagelang ihre Twitter-Finger still. Auch ihr Ministerium gab keinen Ton von sich. Eine Anfrage von TE in der vergangenen Woche nach den Gründen für ihr Schweigen ließ die SPD-Vertreterin unbeantwortet. Erst am Sonntag, nach weiteren Ausschreitungen und „Scheiß Juden“-Rufen auf Berliner Straßen, rang sie sich einen Tweet ab, der bei ihr und ähnlich ausgerichteten Politikern das Minimalprogramm für solche Fälle markiert:

„Für Judenfeindlichkeit gibt es in unserer Gesellschaft keinen Platz. Hier muss der Rechtsstaat konsequent handeln. An antisemitische Beschimpfungen dürfen wir uns niemals gewöhnen – egal von wo oder von wem sie kommen.“

Egal woher sie kommen – bei dieser Formulierung weiß der geschulte Leser schon sehr genau, woher der Antisemitismus kommt. Für ihn gibt es in der Gesellschaft offenkundig auch reichlich Platz. Mitten in der Hauptstadt, praktisch vor der Haustür einer Innenministerin, die noch nicht einmal aussprechen will, wer diese demonstrierenden Antisemiten sind.

Selbst Gutgläubige im linksliberalen Lager müssten jetzt begreifen, dass Antisemitismus und überhaupt politischer Extremismus für Faeser nur dann eine Rolle spielen, wenn sie in ihr Narrativ vom Kampf gegen rechts passen. Die Bedrohung durch den Rechtsextremismus sei die größte Gefahr für die innere Sicherheit, behauptet Faeser monoton – wobei sie dann gern ‚Rechtsextremismus‘ per Hütchenspielertrick durch die Chiffre ‚rechts‘ ersetzt. Natürlich soll der Staat den Rechtsextremismus bekämpfen – wie jeden anderen politischen Extremismus auch. Es spricht nur nichts für Faesers Behauptung, bei dem Extremismus von rechts handle es sich um die größte aller Bedrohungen.

Die Bundesanwaltschaft leitete 2021 bis Ende Oktober insgesamt 210 Ermittlungsverfahren mit Bezug zum islamistischen Terrorismus neu ein. Gegen Linksextremisten brachte sie zehn Verfahren in Gang. Gegen Rechtsextremisten fünf.

Wenn Juden sich in bestimmten Stadtteilen Berlins nicht mehr öffentlich mit Kippa zeigen können, dann liegt das nicht an Neonazis. Das weiß auch die Innenministerin.

Es ist ja nicht so, dass sie das Lagebild nicht kennen würde. Als Innenministerin könnte sie beispielsweise den Hamas-nahen Samidoun-Verein verbieten, der den Aufmarsch vom 19. April in Berlin organisierte, wenn sie es mit dem „konsequenten Handeln“ tatsächlich ernst meinen würde.

Vieles an ihrem Verhalten und dem anderer Politiker lässt sich mit dem Kalkül erklären, unbedingt die Wählerstimmen arabischer und türkischer Migranten zu ergattern. Aber eben nicht alles. Vor allem bei der SPD lässt sich eine lange Spur der Anbiederungspolitik erkennen. Sie führt von der Weigerung des damaligen Außenministers Frank-Walter Steinmeier, den türkischen Massenmord an Armeniern als Genozid zu bezeichnen, weil das die türkische Seite verärgern könnte, über seine Männerfreundschaft mit dem russischen Außenminister Lawrow und der Entscheidung der früheren Bundesfamilienministerin, dem türkisch gelenkten Moscheenverband Ditib auch noch deutsches Steuergeld zuzuschanzen, bis zu Faesers Praxis, bei türkisch-arabischen Antisemitismusmanifestationen nur die kleinste aller möglichen Worthülsen abzuwerfen.

Immer lautet die verlogene Begründung, man dürfe den berühmten Gesprächsfaden nicht abreißen lassen, kein Wasser auf die falschen Mühlen gießen, man müsse die gemäßigten Kräfte innerhalb totalitärer Bewegungen und Staaten stärken. So begründete Giffey seinerzeit die Fortzahlung von Bundesgeldern, nachdem öffentlich würde, dass Ditib-Funktionäre antisemitisch hetzten und in einer Ditib-Moschee Kinder mit Gewehrattrappen paradierten ließen. So begründet die SPD-Jugendorganisation bis heute ihre Partnerschaft der Jugendorganisation der Fatah.

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Und so rechtfertigt es wahrscheinlich auch Faeser, warum sie kürzlich den Hamza-Kurtović-Preis entgegennahm, benannt nach einem Anschlagsopfer von Hanau. Bei der Preisverleihung stand sie neben dem Rapper Massiv, der mit Agitation gegen Israel aufgefallen war, und der öffentlich Bilal Gümüs lobt, einen der prominentesten Salafisten in Deutschland. In der Preis-Jury arbeitete auch Tarek Baé, Aktivist der AKP-nahen Stiftung „Seta“.

Durch die neuere Geschichte der SPD zieht sich die unheimliche Neigung ihrer führenden Funktionäre zum Totalitären, dass sie immerzu glauben mildern zu können und zu müssen. Diese Tradition begann schon vor Jahrzehnten, und zwar in den Achtzigern mit dem gemeinsamen SPD-SED-Papier, das nichts mehr mit der früheren Entspannungspolitik eines Willy Brandt und Egon Bahr zu tun hatte. Die suchten das Gespräch – sie kannten aus eigener Erfahrung den Unterschied zwischen Demokratie und Totalitarismus.

Faeser steht nur am vorläufigen Ende einer langen Erosion der immer wieder beschworenen, aber längt ausgehöhlten SPD-Grundwerte. Ihr feiger Satz „egal woher sie kommen“ wird ihre Schande bleiben.

Auch Linksliberale sollten erkennen: Eine Verteidigung der Freiheit, ein tatsächlicher Schutz von Minderheiten ist von dieser Partei nicht zu erwarten. Alles spricht dafür, dass Faeser im kommenden Jahr in Hessen als SPD-Spitzenkandidatin zur Landtagswahl antreten will.

Dort haben es die Bürger in der Hand, ihr die Stimme zu verweigern. Egal, woher sie kommen.

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