Tichys Einblick
Corona-Politik

Die Ampel hat Angst vor dem Regieren – und die FDP hat die Flagge schon gestrichen

Die Corona-Politik wäre die ideale Chance für einen guten Ampel-Start gewesen – mit diesem Thema, das außerhalb der klassischen politischen Richtungskämpfe verläuft, hätte man sich profilieren können. Stattdessen endet die Woche der Entscheidung im Desaster.

IMAGO / Future Image

Eine Ministerpräsidentenkonferenz spät in die Nacht sollte es nicht werden. Am frühen Abend lud Angela Merkel schon zur Pressekonferenz und verlas gemeinsam mit Bald-Kanzler Scholz, NRW-Ministerpräsident Wüst und dem Noch-Bürgermeister Berlins Müller die Beschlüsse des illegitimen Gremiums. Lange, nicht-öffentliche Kungelrunden mit anschließend huldvoller Verlesung der Ergebnisse. Das ganze Procedere wirkt wie ein Flashback von vor einem Jahr. Die Regierenden feilschen untereinander – das Parlament ist nicht eingebunden, die Ansichten des Durchschnittsbürgers schon gar nicht. Der Bundestag leistete sich zwar eine Parlamentarismus-Parade (das ist der „neue, frische Wind“ der Ampel) – die tatsächlichen Entscheidungen wurden dann ein paar Stunden später von Merkel, Söder, Müller und Co. per digitaler Liveschalte ausgehandelt.

Corona-Gipfel im Überblick
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Und mit dem Verlauf dieser Liveschalte zeigte sich die Noch-Kanzlerin hochzufrieden. „Wir haben sehr, sehr gute Beschlüsse gefasst“, erklärte Merkel – euphorisch wie selten nach einem Coronagipfel. Booster-Impf-Offensive, flächendeckend Lockdown für Ungeimpfte (euphemistisch „2G“) und eine direkte Impfpflicht für über fünf Millionen Bürger. Dazu dank neuem Index „Hospitalisierungsrate“ die Möglichkeit, auch Geimpfte neuen Beschränkungen zu unterwerfen. Richtige Kontroversen über diese Inhalte scheint es nicht gegeben zu haben – Merkel und Wüst merken in der PK kurz an, dass sie gerne noch die epidemische Notlage hätten, werden von Scholz aber ganz im Kanzlerin-Stil wegignoriert. Der größte „Eklat“ des Gipfels: Winfried Kretschmann echauffiert sich darüber, dass die Bild seine herablassenden Äußerungen über Ärzte (sie sollten „halt einfach mehr impfen“) zitiert. Sonst scheint auch er hochzufrieden mit den Ergebnissen des Gipfels.

Bereits wenige Stunden nach dem Gipfel macht Kretschmann die Lockdown-Ansage: Baden-Württemberg setzt umgehend 2GPlus ein und droht sogar Ausgangssperren für Ungeimpfte an. Ausgangssperren, die es dank des großen Ampel-Projektes doch gar nicht mehr geben sollte.

Geschlagen wird er in puncto Schnelligkeit nur von seinem südlichen Amtskollegen Markus Söder, der noch am gleichen Abend des Gipfels in seiner eigenen Pressekonferenz ankündigt, er setze den „de-facto Lockdown für Ungeimpfte“ um – selbst Geimpfte schränkt München wieder ein, sagt Großevents wie Weihnachtsmärkte ab. Passend dazu ein Satz, den Berlins noch-regierender Michael Müller während der Pressekonferenz ganz beiläufig fallen ließ: „Auch mit einer Impfung wird es wichtig bleiben, auf Abstand, Hygiene, auf Masketragen, auf all diese Regeln weiter zu achten.“ Mit einem Mal ist auch das Narrativ der letzten 20 Monate, dass das Impfen das Ende der Corona-Maßnahmen bedeuten würde, vollständig abgeräumt. Selbst für Geimpfte wird es ein Winter ohne die Normalität werden, die die Spritzen doch bringen sollten.

Verkehrsregelung an der Corona-Kreuzung 

Die Ampel-Illusion vom Donnerstagmittag hielt keine 12 Stunden – schon wieder machen die Corona-Fürsten, was sie wollen. Die SPD? Fällt stumm hinter Scholz ins Glied, der lieber doch nochmal Merkel und die Unions-Länderchefs machen lässt. Die Grünen? Sind froh, wenn möglichst hart durchgegriffen wird, ohne dass sie selbst zu sehr dafür aus der Deckung kommen und es sich mit einem Gros ihrer anthroposophischen Wähler verscherzen müssten. Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt hatte mit der Formulierung, dass es von ihr aus auch regionale Lockdowns geben dürfe, ja sowieso noch aus dem Parlament heraus den Freifahrtschein an die Länder erteilt. Und die FDP? Fällt um, bevor sie überhaupt wirklich regiert. Was hatten die Freien Demokraten nicht gegen Ausgangssperren gewettert. Sogar vor das Verfassungsgericht waren sie gezogen, hatten die Kritik an der Regelung zum Zentrum (und über weite Strecken auch einzig wahrnehmbaren Bestandteil) der magentafarbenen Lockdown-Kritik gemacht. In einer E-Mail an Parteimitglieder preist das Genscher-Haus am Freitag noch die Ampel-Regelung, wegen der auf „weitgehende Grundrechtseingriffe wie Ausgangsbeschränkungen“ künftig verzichtet werden solle – zeitgleich setzt Kretschmann genau das um.

Keine Antwort ist auch eine Antwort
Die FDP lehnt eine Corona-Impfpflicht für bestimmte Gruppen nicht mehr eindeutig ab
 Zwischen direkten und indirekten Impfpflichten ist das überraschendste Ergebnis des Gipfeltages: Trotz all des rotgelbgrünen Geredes über „Macht zurück in den Händen des Parlaments“ ist die wahre Corona-Macht weiterhin nicht im Bundestag, sondern in Merkels Videochat zuhause. Eine Bundeskanzlerin und ihre Partei, die abgewählt wurde, machen genau so weiter wie bisher. Selbst eine verlorene Wahl kann Merkel nicht davon abhalten, ihren Corona-Kurs durchzusetzen. Ist die Ampel zu willensschwach? Oder will sie es insgeheim doch genau so wie die Kanzlerin?

Die Antwort auf diese Fragen kennen wir nicht. Was wir wissen: Impfpflicht, Lockdown für Ungeimpfte und sogar die Möglichkeit von Geimpften-Beschränkungen sind nun offiziell auf dem Tisch. Und die Ampel ist ausgeschaltet – für die Verkehrsregelung an der Corona-Kreuzung sind weiterhin die Kommissare Merkel, Söder und Kretschmann zuständig.

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