Tichys Einblick
Vor der Alleinherrschaft

Saudi-Arabien: Was Muhamad bin Salman vorhaben könnte

Unterstellt, der Kronprinz plant beides: Modernisierung nach Innen und Hegemonialmacht nach Außen. Dann braucht er wichtige Verbündete.

© Ibrahim Chalhoub/AFP/Getty Images

„Eine ganze Region wird derzeit destabilisiert“, meinte Außenamtsdarsteller Sigmar Gabriel jüngst und meinte damit die Aktivitäten Trumps und des saudischen Kronprinzen Muhamad bin Salman. Yemen, Syrien, Irak, Iran. Jetzt auch noch der Libanon – man könnte geneigt sein, Gabriel recht zu geben. Tatsächlich scheint es im Nahen Osten drunter und drüber zu gehen. Aber ist das wirklich neu? Wird diese Region erst jetzt „destabilisiert“, wie Gabriel mit Blick auf Trump und Muhamad meint?

Man muss nicht in die Antike blicken, um zu erkennen, dass Stabilität (was immer das bedeutet) in der Region nur dann gegeben war, wenn mächtige Hegemonialmächte den Daumen drauf hatten. Zuletzt waren es die Osmanen, die bis 1918 eine aus westlicher Sicht halbwegs stabile Region garantierten. Allerdings für den im Nahen Osten üblichen Preis einer Despotie, in der Menschenrechte nicht zählten und die Stämme an den Sultan zahlten, um sich das Gefühl eigener Autonomie zu sichern.

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Als die Türkei in ihrer islamischen Tradition im 19. Jahrhundert den Anschluss an die Weltentwicklung verlor und vom Kolonialstaat selbst zur Kolonie zu werden drohte, kam die Destabilisierung. Während die Deutschen mit Bau der Bagdadbahn und Neuorganisation des Militärs noch den Versuch unternahmen, den türkischen Stabilitätsanker zu festigen, arbeiteten Franzosen und Briten kräftig daran, die Hegemonialmacht zu Fall zu bringen. Mit dem Ende der ersten heißen Phase des 75-jährigen Krieges der europäischen Imperien war es dann so weit. 1920 wurde das Osmanische Reich abschließend zu Grabe getragen und die Claims neu verteilt. Dabei wurden im Krieg gemachte Zusagen an Zionisten wie an Kurden und arabische Verbündete schnell wieder einkassiert – die beiden Siegermächte von Gnaden der USA hatten nun plötzlich kein Interesse mehr daran, einen arabischen Nationalstaat unter der Führung des liberalen Sherifen von Mekka einzurichten, einen Staat der Juden zu schaffen oder die Kurden über ihre Autonomie abstimmen zu lassen. Stattdessen ließ man es zu, dass die islam-fundamentalistischen Saud die scheinbar uninteressante Wüstenhalbinsel übernahmen und nebenbei die Ölvorräte am Persischen Golf unter ihre Kontrolle brachten.

Dann richtete man zahlreiche Klientelstaaten ein – ohne Rücksicht auf gewachsene Traditionen, Glaubensgrenzen, ökonomische Zusammenhänge. Und so wurde die Region destabilisiert, weil der einzige Stabilisationsfaktor nur noch die Macht der freundlich als Mandatsmächte bezeichneten Imperialisten gewesen ist.

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Als 1945 die zweite heiße Phase des Krieges der Imperien endete, verhinderten die USA in Persien eine weltlich-demokratisches System, verstrickten sich im Libanon in regionale Streitigkeiten und setzten in Ägypten auf die falschen Pferde. Zwei Golfkriege gegen den Irak, eine Intervention in Libyen und halbherzige Unterstützung der Revolutionäre in Syrien – allesamt nicht zum logischen Ende gedacht und durchgeführt – schufen weitere Elemente der Destabilisierung. Als Obama dann im jungen 21. Jahrhundert meinte, die USA gänzlich aus der Region zurückziehen zu müssen, machte er – und nicht Trump – die Destabilisierung komplett. Denn nun fehlte die letzte Führungsmacht, die in der Lage gewesen wäre, mit militärischer Kraft die totalitäre Tradition der Region einerseits fortzuführen, andererseits mit den demokratischen Brückenköpfen in Israel und möglicherweise auch in Kurdistan die Leuchttürme zu schaffen, die langfristig tatsächlich zu einer Stabilisierung hätten führen können.

In dieses von Obama hinterlassene Chaos drangen Russen und Iraner in Syrien wie im Irak, Saudi-Arabien mit dem Versuch ein, die Schiiten aus dem Jemen ebenso wie aus den arabischen Gebieten der syrischen Halbwüste zu vertreiben, und die Türken, die jedoch insgesamt konzeptionslos zwischen Süderweiterung, Kurdenvernichtung und Kampf an der Seite der kämpfenden Muslimbruderschaft gegen die wahabitischen AlQaida-Ableger schwanken. Nun war die Destabilisierung der Region perfekt – und als neue Stabilisatoren brachten sich ausgerechnet Russland und der Iran ins Gespräch. Obama hatte ihnen den Weg bereitet.

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Dann plötzlich der Hammerschlag des Muhamad bin Salman. Mal auf die Schnelle 800 und mehr „Verwandte“ und Kumpels abräumen und Milliardendeals mit Trumps USA abschließen. Vieles deutet darauf hin, dass der künftige Chef der Saudi mit seinem Groß-Reinemachen sozusagen eine Ein-Mann-Diktatur vorbereiten möchte. Auch wenn dieses westlichen Demokraten nicht gefällt – aus saudischer Sicht ist es der einzig sinnvolle Weg, um Stabilität und Übergang abzusichern. Denn dass das Reich der Söhne Sauds unter Ölpreisverfall und Luxusleben der zahllosen Clanmitglieder leidet, ist nicht neu – und müsste über kurz oder lang den Zusammenbruch des im 18. Jahrhundert verharrenden Systems mit sich bringen.

Also scheint Kronprinz Muhamad nun anzusetzen, die Voraussetzungen zu schaffen, die sein Königreich im Spagat zwischen Mittelalter und Moderne unter harter Führung voranbringen sollen. Der Reaktionismus des wahabitischen Islam droht dabei zu einer der Hauptgefahren im Inneren zu werden. Das Königreich kann es sich nicht mehr leisten, innen strikt nach den frühmittelalterlichen Regeln Mohammeds zu leben und gleichzeitig sich in der Gegenwart behaupten zu wollen. Dass allein schon das hochgerüstete Militär bislang nicht in der Lage gewesen ist, gegen die schiitischen Gegner im Yemen den Kampf zum Erfolg zu führen, dürfte Muhamad bin Salman die Augen darüber geöffnet haben, wozu das saudische Privilegiensystem tatsächlich in der Lage ist: zu wenig bis nichts.

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Unterstellt, der Kronprinz plant beides: Modernisierung nach Innen und Hegemonialmacht nach Außen. Dann braucht er wichtige Verbündete. Die könnte er in Trumps USA finden – und es spricht einiges dafür, dass diese Achse bereits steht. Und er müsste sie in Israel finden: Machtpragmatismus vor islamisch-arabischem Fundamentalismus. Ein dritter Anker könnte ein demokratisch geführtes, unabhängiges Kurdistan werden, welches aus diesen Gründen sich bereits der Unterstützung durch Israel erfreut.

Diese Triangel, die gleichzeitig die Ägypter, Jordanien und die sunnitischen Araber des Irak mit im Boot haben könnte, sollte in der Lage sein, trotz der zu erwartenden Widerstände aus Iran und Türkei an die hegemoniale Stabilität der vor-europäischen Zeit anzuknüpfen. Vorausgesetzt, sie hat die Verbündeten im Westen, die ihm diplomatisch den Rücken gegen Russland freihalten. Das genau scheint gegenwärtig das Konzept von Trump und bin Salman zu sein: Das Königreich der Araber zukunftsfähig machen und dabei das frühere Mächtegleichgewicht zwischen Arabern, Türken und Persern sorgsam auspendeln. Gelänge dieses, so könnten die regionalen Konflikte kontrollierbar werden – und tatsächlich Stabilität einkehren. Und so könnte es sein, dass Gabriel einmal mehr ein totes Pferd reitet, wenn er nun der Trump’schen Politik die Destabilisierung anlastet, die dessen Vorgänger verursacht hat.