„Eine ganze Region wird derzeit destabilisiert“, meinte Außenamtsdarsteller Sigmar Gabriel jüngst und meinte damit die Aktivitäten Trumps und des saudischen Kronprinzen Muhamad bin Salman. Yemen, Syrien, Irak, Iran. Jetzt auch noch der Libanon – man könnte geneigt sein, Gabriel recht zu geben. Tatsächlich scheint es im Nahen Osten drunter und drüber zu gehen. Aber ist das wirklich neu? Wird diese Region erst jetzt „destabilisiert“, wie Gabriel mit Blick auf Trump und Muhamad meint?
Man muss nicht in die Antike blicken, um zu erkennen, dass Stabilität (was immer das bedeutet) in der Region nur dann gegeben war, wenn mächtige Hegemonialmächte den Daumen drauf hatten. Zuletzt waren es die Osmanen, die bis 1918 eine aus westlicher Sicht halbwegs stabile Region garantierten. Allerdings für den im Nahen Osten üblichen Preis einer Despotie, in der Menschenrechte nicht zählten und die Stämme an den Sultan zahlten, um sich das Gefühl eigener Autonomie zu sichern.
Dann richtete man zahlreiche Klientelstaaten ein – ohne Rücksicht auf gewachsene Traditionen, Glaubensgrenzen, ökonomische Zusammenhänge. Und so wurde die Region destabilisiert, weil der einzige Stabilisationsfaktor nur noch die Macht der freundlich als Mandatsmächte bezeichneten Imperialisten gewesen ist.
In dieses von Obama hinterlassene Chaos drangen Russen und Iraner in Syrien wie im Irak, Saudi-Arabien mit dem Versuch ein, die Schiiten aus dem Jemen ebenso wie aus den arabischen Gebieten der syrischen Halbwüste zu vertreiben, und die Türken, die jedoch insgesamt konzeptionslos zwischen Süderweiterung, Kurdenvernichtung und Kampf an der Seite der kämpfenden Muslimbruderschaft gegen die wahabitischen AlQaida-Ableger schwanken. Nun war die Destabilisierung der Region perfekt – und als neue Stabilisatoren brachten sich ausgerechnet Russland und der Iran ins Gespräch. Obama hatte ihnen den Weg bereitet.
Also scheint Kronprinz Muhamad nun anzusetzen, die Voraussetzungen zu schaffen, die sein Königreich im Spagat zwischen Mittelalter und Moderne unter harter Führung voranbringen sollen. Der Reaktionismus des wahabitischen Islam droht dabei zu einer der Hauptgefahren im Inneren zu werden. Das Königreich kann es sich nicht mehr leisten, innen strikt nach den frühmittelalterlichen Regeln Mohammeds zu leben und gleichzeitig sich in der Gegenwart behaupten zu wollen. Dass allein schon das hochgerüstete Militär bislang nicht in der Lage gewesen ist, gegen die schiitischen Gegner im Yemen den Kampf zum Erfolg zu führen, dürfte Muhamad bin Salman die Augen darüber geöffnet haben, wozu das saudische Privilegiensystem tatsächlich in der Lage ist: zu wenig bis nichts.
Diese Triangel, die gleichzeitig die Ägypter, Jordanien und die sunnitischen Araber des Irak mit im Boot haben könnte, sollte in der Lage sein, trotz der zu erwartenden Widerstände aus Iran und Türkei an die hegemoniale Stabilität der vor-europäischen Zeit anzuknüpfen. Vorausgesetzt, sie hat die Verbündeten im Westen, die ihm diplomatisch den Rücken gegen Russland freihalten. Das genau scheint gegenwärtig das Konzept von Trump und bin Salman zu sein: Das Königreich der Araber zukunftsfähig machen und dabei das frühere Mächtegleichgewicht zwischen Arabern, Türken und Persern sorgsam auspendeln. Gelänge dieses, so könnten die regionalen Konflikte kontrollierbar werden – und tatsächlich Stabilität einkehren. Und so könnte es sein, dass Gabriel einmal mehr ein totes Pferd reitet, wenn er nun der Trump’schen Politik die Destabilisierung anlastet, die dessen Vorgänger verursacht hat.