Tichys Einblick
Risikoreiche Aktionen

Russland bringt US-Drohne zum Absturz – Washington deeskaliert

Der Drohnen-Zwischenfall über dem Schwarzen Meer war eine neue Stufe der Eskalation durch Russland. Nun versuchen beide, USA und Russland, mit Worten zu deeskalieren. Die tatsächlichen Hintergründe des russischen Vorgehens hat Russlands Botschafter in Washington deutlich gemacht.

MQ-9 Reaper – eine amerikanische Drohne dieses Typs wurde von einem russischen Flugzeug zum Absturz gebracht

IMAGO / agefotostock

Sie starten von NATO-Stützpunkten in Italien oder Spanien, überfliegen das halbe Mittelmeer, biegen über Griechenland ab Richtung Nordost, umfliegen das Territorium der Türkei, um am vorläufigen Ende ihrer Reise südlich der Krim über dem Schwarzen Meer in einer großen Ellipse stundenlang Patrouille zu fliegen. Sie ergänzen so jene Awacs-Aufklärer, die zumeist über dem Norden Rumäniens den NATO-Luftraum sichern und dabei von Lufttankern, die in England gestartet sind, unterstützt werden.

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Das Aufklärungssystem, dass seine Fortsetzung im Baltikum und über Ost- und Nordsee findet, soll sicherstellen, dass Russland keine Überraschungsangriffe auf NATO-Staaten durchführt. Es soll rechtzeitig warnen, wenn russische Kampfjets wieder einmal austesten, ob und wie weit sie sich in NATO-Luftraum wagen können. Das tun sie vor allem über der Ostsee regelmäßig – und nicht erst seit dem 24. Februar 2022, dem Tag des russischen Überfalls auf sein Nachbarland Ukraine. Stellen die Aufklärer fest, dass sich russische Maschinen nähern, heben NATO-Jäger ab, um den Eindringlingen rechtzeitig aufzuzeigen, wo deren Grenzen sind. Zu heiklen Situationen soll es dabei regelmäßig kommen – offenbar haben die russischen Kampfpiloten den Befehl, die NATO-Gegner bis auf das Letzte auszureizen. Was jedoch bislang beide Seiten sorgfältig vermieden haben, war eine Konfrontation, die die Fluggeräte hätte beschädigen oder gar Menschenleben kosten können.
Eine neue Stufe der russischen Eskalation …

Das ist seit dem Dienstag, 14. März 2023, anders. Erstmals rammten russische Jets einen NATO-Flugkörper bei seinem Einsatz derart gezielt, dass das Gerät für die NATO verloren ging.

Es handelte sich dabei um eine MQ-9 Reaper („Schnitter, Sensenmann“) des US-Herstellers General Atomics Aeronautical Systems. Diese unbemannte Drohne hat eine Länge von elf und eine Spannweite von 20 Metern. Sie wird über dem Schwarzen Meer als Aufklärungsdrohne eingesetzt, ersetzt dort bemannte Awacs-Einsätze. Der Stückpreis dieses leistungsfähigen Fluggeräts, das mittlerweile NATO-Standard ist, soll 2013 bei rund 17 Millionen Euro gelegen haben.

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Ein solch teures Stück wurde nach US-Darstellung nun im internationalen Luftraum über dem Schwarzen Meer von Russland gezielt zum Absturz gebracht. Das US Air Forces Commando in Ramstein teilte mit: Zwei SU-27 hätten mehrfach gezielt Treibstoff vor der Drohne abgelassen. Als dieses nicht den offenbar gewünschten Erfolg zeitigte, habe eine der SU-27 den Propellerantrieb der Drohne im Direktflug angesteuert. „Um circa 7.03 Uhr (MEZ) kollidierte eine der russischen Su-27 mit dem Propeller der MQ-9, woraufhin die US-Streitkräfte die MQ-9 in internationalen Gewässern zum Absturz bringen mussten.“

James B. Hecker, zuständiger US-General für die US-Luftstreitkräfte in Europa und Afrika, erläuterte: „Unser MQ-9-Flugzeug führte Routineoperationen im internationalen Luftraum durch, als es von einem russischen Flugzeug abgefangen und getroffen wurde, was zu einem Absturz und dem vollständigen Verlust der MQ-9 führte. Dieses unsichere und unprofessionelle Vorgehen der Russen hat beinahe zum Absturz beider Flugzeuge geführt. Die Flugzeuge der USA und ihrer Verbündeten werden weiterhin im internationalen Luftraum operieren, und wir fordern die Russen auf, sich professionell und sicher zu verhalten.“

… und US-Deeskalation

Hecker versucht mit diesen Sätzen, den Vorfall diplomatisch herunterzuspielen. Denn selbstverständlich handelte es sich bei dem russischen Vorgehen nicht um „unprofessionelles Vorgehen“, sondern um einen von oberster Stelle abgesegneten Angriff auf ein NATO-Flugzeug. Kein russischer Soldat wird ohne Befehl aus seinem Kommandostab ein als „feindlich“ eingestuftes Fluggerät vorsätzlich rammen und dabei sogar seine eigene Maschine und sein eigenes Leben gefährden. Es ist offensichtlich: Die Russen wollten mit diesem Vorgehen der NATO eine neue Grenze über dem Schwarzen Meer aufzeigen – eine Grenze, die sie im Widerspruch zu geltendem Völkerrecht willkürlich selbst gezogen haben und bei der sie nicht nur ihren rechtswidrigen Anspruch auf die ukrainische Krim zugrunde legen, sondern zudem die international anerkannten Seegrenzen einseitig erweitern.

Auch Russland deeskaliert

Die russische Militärführung wiederum weist aus guten Gründen jegliche Verantwortung von sich: „Die russischen Kampfflugzeuge haben keine Bordwaffen eingesetzt, sind nicht in Kontakt mit dem unbemannten Flugapparat geraten und kehrten sicher zu ihrem Heimatflughafen zurück.“ Nach russischer Darstellung aus Moskau sei die Drohne in russischen Luftraum, sprich in von Russland beanspruchtes, ukrainisches Hoheitsgebiet, eingedrungen und bei einem „Ausweichmanöver“ abgestürzt.

Diese Darstellung allerdings setzt nicht nur voraus, dass die US-Drohne tatsächlich in den widerrechtlich von Russland beanspruchten Luftraum eingedrungen ist, sondern dass sie dort auch Kampfeinsatz-ähnliche Manöver geflogen habe. Selbst Laien können allerdings bei flightradar24 problemlos die Flugbahn der US-Drohnen nachvollziehen. Aus guten Gründen arbeiten die US-Luftstreitkräfte bei ihren Einsätzen über dem Schwarzen Meer mit Transpondern, die die tatsächliche Flugbahn der Drohnen jederzeit nachvollziehbar machen. Die USA wollen so den kontinuierlichen Nachweis führen, dass sich ihre Lufteinsätze in den kritischen Gebieten innerhalb internationalen Luftraums abspielen, und damit gleichzeitig sicherstellen, dass genau derartige Husarenritte, wie sie Russland nun gestartet hat, unterbleiben.

Russlands US-Botschafter widerlegt Moskau

Das Vorgehen der Russen reiht sich ein in eine Serie russischer Übergriffe gegen NATO-Militäreinsätze im und über dem Schwarzen Meer. Als bislang gefährlichste Konfrontation gilt ein Vorfall, der sich bereits im Juni 2021, also vor dem russischen Überfall, im Schwarzen Meer abgespielt hatte. Damals fuhr die britische HMS „Defender“ von Odessa kommend zwölf Meilen vor der Krim Richtung Georgien. Russland setzte daraufhin über 20 Kampfjets und zwei Küstenschutzboote gegen den Zerstörer der Royal Navy ein, um ihn – so die russische Darstellung – mit gezielten Warnschüssen dazu zu bringen, die als russisch behaupteten Gewässer zu verlassen. Ähnlich wie die USA im Fall der MQ-9 spielte die britische Admiralität den Vorgang diplomatisch herunter. Man habe sich in internationalen Gewässern vor ukrainischem Hoheitsgebiet befunden, weshalb die „Defender“ ihre Fahrt unbeeindruckt fortgesetzt habe. Tatsächlich habe man jedoch russische Einheiten beobachten können, die offensichtlich einige Gefechtsübungen durchgeführt hätten, welche jedoch nicht gegen die „Defender“ gerichtet gewesen seien.

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Die tatsächlichen Hintergründe des russischen Vorgehens gegen die NATO, die sich bislang zum Leidwesen auch der Rumänen und Bulgaren mit maritimen Einstätzen im Schwarzen Meer zurückhält – die US-Carriergroup der „USS Georg H. W. Bush“ hat Position in der Ägäis bezogen –, hat jedoch nun einmal mehr der russische Botschafter in den USA, Anatoli Antonow, deutlich gemacht. Er sprach davon, dass „die inakzeptablen Aktionen des US-Militärs in unmittelbarer Nähe unserer Grenzen Anlass zur Sorge“ gäben – räumt dabei jedoch bewusst oder undiplomatisch unbedacht ein, dass die US-Drohne eben nicht, wie von Moskau behauptet, in von Russland beanspruchten Luftraum eingedrungen ist und es deshalb keinen völkerrechtlich relevanten Anlass für ein russisches Vorgehen gegen die Drohne gegeben habe.

Russland, so Antonow, sei sich jedoch „der Aufgaben, für die solche Aufklärungs- und Kampfdrohnen eingesetzt werden, sehr bewusst“. So habe die MQ-9 Informationen gesammelt, die später „vom Kiewer Regime“ genutzt würden, um „unsere Streitkräfte und Territorien anzugreifen“.

Es ist die übliche Tatsachenumkehr, mit der Russland seinen Terror gegen die Ukraine zu begründen versucht: Nicht Russland, das 2014 entgegen vertraglicher Verpflichtungen und Zusagen, die es der souveränen Ukraine gegeben hatte, widerrechtlich in die Ukraine eingefallen ist und aus einem sogenannten „frozen conflict“ ab Februar 2022 einen heißen Angriffskrieg gemacht hatte, sei der Aggressor – es sei die Ukraine, die es wagt, dem imperialen Großmachtanspruch Russlands zu widerstehen und die deshalb zum behaupteten Verursacher des russischen Terrors wird.

Im Übrigen – auch das soll hier nicht unerwähnt bleiben – ist es das selbstverständliche Recht der USA und der NATO, einem befreundeten Land auch mit geheimdienstlichen Erkenntnissen zur Seite zu stehen. Dass dieses Russland nicht gefällt, liegt angesichts des festgefahrenen Eroberungsfeldzugs zwar ebenso auf der Hand – nur hat Moskau keine völkerrechtliche Handhabe, diese Unterstützung zu unterbinden.

Russlands Spiel mit dem Feuer

Der Vorfall mit der Drohne wird deshalb nun von beiden Seiten heruntergespielt. Gäbe Russland zu, dass es das NATO-Fluggerät vorsätzlich zum Absturz gebracht hat, könnte dieses als aktiver Angriff auf die NATO gewertet werden und sogar Anlass geben, den kollektiven Verteidigungsfall auszulösen. Das ist zumindest der politischen Führung in Moskau offenbar bewusst, weshalb eine unmittelbare Mitwirkung der SU-27 nun abgestritten und die „Eindringensthese“ verbreitet wird.

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Gleichzeitig verfolgt die NATO unter Führung der USA weiterhin ihre bisherige Linie, sich von Russland nicht unmittelbar als Kriegspartei in den Konflikt verwickeln zu lassen. Dennoch sind die Reaktionen der USA deutlich und unmissverständlich. Die NATO wird weiterhin ihr selbstverständliches Recht beanspruchen, über und auf dem Schwarzen Meer, dessen Küsten nur zu einem überaus kleinen Teil im Nordosten zu Russland gehören, aktiv zu sein. Es ist und bleibt ein Kräftemessen zwischen einem totalitären Regime, welches das internationale Recht außer Kraft zu setzen sucht, und einer Verteidigungsallianz, die für sich, ihre Mitglieder und künftigen Partner das selbstverständliche Recht beansprucht, zum Schutz seiner Territorien auch Luftaufklärung über die Grenzen der Allianz hinaus zu betreiben, soweit damit keine Hoheitsrechte eines potentiellen Angreifers berührt werden.

Russland, das in der Vergangenheit regelmäßig vor allem in der Ostsee und vor Norwegen die Konfrontation gesucht hat, wäre daher gut beraten, derartige Manöver künftig zu unterlassen. Ob die USA bei einem weiteren, ähnlichen Vorfall den Verlust eines Millionen-teuren Fluggeräts ebenso stoisch hinnehmen werden, darf bezweifelt werden. Die „USS Georg H. W. Bush“ steht aus guten Gründen zwar nicht im Schwarzen Meer – doch ihre Kampfjets sind im Zweifel schnell aus der Ägäis einsetzbar.

Russische Angriffe auf amerikanische Luftaufklärer, die sich über internationalen Gewässern befinden, können nach internationalem Recht von den USA jederzeit auch mit gezielter Verteidigung abgewehrt werden. „Spielchen“, wie sie die Russen in ihrer offensichtlichen Verzweiflung über einen festgefahrenen Eroberungsfeldzug derzeit betreiben, bergen so immer auch das Risiko einer von beiden Seiten gegenwärtig nicht gewünschten Eskalation.

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