Tichys Einblick
Anti-Atomkraft-Bewegung

Die Herrschaft der grünen Minderheit – und die FDP auf dünnem Eis

Lieber in den Abgrund springen als über den Schatten der eigenen Dummheit, die ein grünes Parteimitglied aus einem Berliner Ökoschicki-Stadtteil mit dem Satz „Man kann ja auch mal weniger verbrauchen“ so wunderbar auf den Punkt gebracht hat.

IMAGO / photothek

Laut einer Civey-Umfrage vom 6. September sprechen sich 72 Prozent der Befragten dafür aus, dass die deutschen Kernkraftwerke länger am Netz bleiben sollen. Das entspräche einer satten Zweidrittelmehrheit, die im Parlament eine verfassungsändernde Mehrheit stellen würde. Lediglich 24 Prozent sind gegen den Weiterbetrieb – nicht einmal jeder vierte Deutsche.

Von den im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien sprechen sich Union, FDP und AfD uneingeschränkt für einen Weiterbetrieb der aktiven Kraftwerke aus. Zudem sei zu prüfen, ob kürzlich vom Netz genommene Anlagen reaktiviert werden sollten.

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Die Partei Bündnis 90/Die Grünen, die aktuell den Wirtschaftsminister stellt, wurde bei den Bundestagswahlen 2021 mit 6.852.206 Zweitstimmen gewählt. Das entspricht bei 61.181.072 Wahlberechtigten genau einem Anteil von 11,2 Prozent.

Am 5. September 2022 teilte Robert Habeck in seiner aktuellen Funktion als Bundeswirtschaftsminister mit, dass das KKW im Emsland zum 31. Dezember abgeschaltet werden wird. Die zwei dann noch verbleibenden Kraftwerke sollen in die „Notreserve“ gehen, das heißt, sie sollen beispielsweise dann, wenn europäische Nachbarländer Energie aus dem deutschen Netz „absaugen“ (O-Ton Habeck), möglicherweise erneut angeworfen werden. Ein solcher Vorgang bedarf jedoch einer Vorlaufzeit von einer Woche.

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Sagen wir es, wie es ist: Habeck und seine mit grünen Parteigängern durchsetzte Ebene der entsprechenden Entscheidungsträger haben sich zu dem durchgerungen, was man einen faulen Kompromiss nennt. Nach dem beliebten Politiker-Motto des „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ haben sie ihren 11,2 Prozent Wählern die finale Abschaltung der Kernkraftwerke zugesprochen. Die berechtigten Interessen der breiten Mehrheit – und nicht einmal nur die jener 72 Prozent, die sich eindeutig für den Weiterbetrieb, und nicht nur für den vorübergehenden, ausgesprochen haben, werden im Namen einer kleinen Minderheit unterdrückt und um ihre Energiesicherheit gebracht.

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Der Kampf gegen die atomare Stromerzeugung gehöre, so ist allenthalben zu hören, zur Genealogie der Grünen, also müssen die Atomkraftwerke weg, koste es, was es wolle. Deshalb also müssen knapp 90 Prozent der Bürger höhere Strompreise zahlen, vermutlich sogar zeitweise ohne Strom im Dunkeln sitzen. Hauptsache, die Atomkraftgegner sind mit sich selbst im Reinen und können der breiten Mehrheit ihren Willen aufzwingen.

Dennoch steht der als Minister agierende Kinderbuchautor vor einem Dilemma. Zwischen den Zeilen ist zu hören, dass bei der Energieversorgung bereits fest mit „stundenweise kritischen Situationen“ zu rechnen sei. Das ist eine hübsche Umschreibung dafür, dass die Republik im Winter mit Blackouts zu rechnen hat. Vor allem dann, wenn die sogenannten „Erneuerbaren“, die faktisch nichts erneuern, sondern lediglich Wind- und Sonnenenergie in Strom umwandeln, bei Flaute und fahler Wintersonne ihren Dienst versagen werden.

Da in einem solchen Fall damit zu rechnen sein wird, dass der grüne Erklärbär Robert Habeck im Mittelpunkt der Kritik steht, bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als auch über den 31. Dezember hinaus auf Kernenergie zu setzen. Unterstellen wir insofern, dass die sogenannte „Notreserve“ nichts anderes ist als ein vorübergehendes Placebo, um halbwegs unbeschadet über die anstehenden Landtagswahlen in Niedersachsen zu kommen – dort, wo nun eines der modernsten KKW für das Wohlbefinden der Grünen abgeschaltet werden soll. Die Basis der Grünen soll befriedigt werden, damit sie in Niedersachsen nicht von der Fahne geht.

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Deshalb könnte im Spätherbst, wenn dann in Hannover die Grünen die Schwarzen als Koalitionspartner der SPD abgelöst haben, sogar noch festgestellt werden, dass auch dieses dritte KKW noch ein wenig am Netz bleiben muss, will man im Winter das Gröbste vermeiden. Das allerdings wird dann kaum noch möglich sein, denn das KKW im Emsland benötigt neue Brennstäbe, die zur Versorgungssicherheit jetzt bestellt werden müssen.

Und was die KKW betrifft, die von einer grün durchwirkten Unions-Regierungschefin vorschnell ausgeschaltet wurden und angesichts der akuten Energiekrise reaktiviert werden könnten?

Lieber in den Abgrund springen als über den Schatten der eigenen Dummheit, die ein grünes Parteimitglied aus einem Berliner Ökoschicki-Stadtteil mit dem Satz „Man kann ja auch mal weniger verbrauchen“ so wunderbar auf den Punkt gebracht hat. Klar, kann man! Ein oder zweimal weniger duschen im Monat, und schon verbraucht der Obergrüne im Ministerium ein wenig weniger und sein Grünwähler plappert es ihm nach.

Das allerdings wird dem Arbeitnehmer, der sein Geld nicht vom Staat oder von irgendwelchen NGO-Spendern erhält, wenig nützen, wenn dann im Winter die stromintensiven Industrien die Pforten schließen müssen, weil die belastete Seele der ewig gequälten Klima-Ideologen es so will.

Und die FDP spitzt wieder nur den Mund

Womit wir nun zum Abschluss noch auf die Dauerschwätzpartei mit dem F zu sprechen kommen. Die FDP des Bundesfinanzministers Christian Lindner macht einmal mehr auf ein wenig koalitionsinterne Opposition. Die drei voll funktionsfähigen Kraftwerke sollten am Netz bleiben, über die Nutzung der anderen KKW angesichts des Gas-Stopps durch Russland nachgedacht werden.
„Wunderbar, dann macht es einfach!“, möchte man da ausrufen.

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Im Bundestag verfügt die FDP über 92 Sitze. Die Union, die ebenfalls für den Weiterbetrieb ist, bringt 197 Stimmen auf die Waagschale. Und dann ist da noch die AfD, die ebenfalls für den KKW-Weiterbetrieb ist. Zusammen sind das 372 Stimmen, die im Bundestag für ein Mehr an Energiesicherheit stimmen könnten.

Dagegen stehen die 118 Abgeordneten der Grünen. Vielleicht noch die 206 der ehemaligen Arbeiterpartei SPD, die ihrer früheren Klientel im Ernstfall wird erklären müssen, warum sie für grüne Ideologie wertvolle Arbeitsplätze und Deutschlands Zukunft als Industriestandort geopfert hat. Das sind zusammen 324 Stimmen. Selbst wenn man jene Abgeordneten der SED-PdL, die durch die Mauscheleien in Berlin durchaus parlamentarisch delegitimiert sein könnten, in die Anti-KKW-Front rechnet, werden es im Bundestag nicht mehr als 363 Stimmen, die für das Energiedesaster stimmen können. Vielleicht aber besinnen sich die Kommunisten sogar eines Besseren und knüpfen an ihre DDR-Tradition an, die durchaus auf eine Nutzung der Kernenergie ausgerichtet war.

So oder so steht fest: Will die FDP nicht nur dummschwätzen, sondern meint sie es ernst, dann hat sie jederzeit die Möglichkeit, mit mindestens zwei Oppositionsparteien der grünen Herrschaft ein Ende zu setzen. Also ist nun Lindner gefordert: Will seine Partei noch ernstgenommen werden, muss sie am besten morgen den entsprechenden Antrag in den Bundestag einbringen und mit der Mehrheit der gewählten Abgeordneten zum Wohle Deutschlands den Weiterbetrieb der Kernenergie durchsetzen.

Tut sie dieses aber nicht, soll sie einfach nur schweigen und sich von dem Wahnbild einer zukunftsfähigen, mittelstands- und industriefreundlichen Partei abschließend verabschieden. Denn es wäre nun tatsächlich ganz einfach, dem grünen Ökoterror ein Ende zu setzen.

Aber jede Wette: Lindner und seine Truppe der Machtverliebten werden auch dieses Mal nur wieder das Schnütchen spitzen. Wenn’s Pfeifen angesagt ist, werden sie sich blitzschnell verschlucken sich abermals vom Acker machen. So wie sonst auch immer, wenn es ernst wird und die Entscheidung für das Wohl der Republik das eigene Wohl auf den Ministersesseln gefährden könnte.

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