Tichys Einblick
Hinter den Parolen

Erdüberlastungstag (WOD) – grusel-erotischer Reiz für die Endzeitparty

Fällt der aktuelle WOD auf den 29. Juli, liegt der Menschenmengengrenzwert der weltweiten Ökoverbände bei 4,27 Milliarden Personen.

Klimakonferenz 2018 in Kattowitz

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Erdüberlastungstag – welch ein hübsches Wortkonstrukt! Am Montag, den 29. Juli, war es wieder so weit. Alle Medien berichteten darüber, dass die Menschheit ab sofort „auf Pump“ lebe. Will sagen: Ab Ende Juli sind alle Ressourcen, die die Erde für die Menschheit in einem Jahr produziert, verbraucht. Spätestens ab dem 30. Juli leben „wir“ wie seit dem 21. Dezember 1971 regelmäßig über unsere Verhältnisse, sind im klassisch-marxistischen Sinne sozialschädliche Ausbeuter unseres Planeten.

Von NEF, HPI und FoE

Doch erst einmal zurück auf Anfang. Zur Frage: Wer beschließt oder ermittelt eigentlich den „Erdüberlastungstag“? Seinen Ursprung hat er bei einer britischen Denkfabrik mit der Bezeichnung „New Economics Foundation“ (NEF), die 1986 als Nichtregierungsorganisation (NGO) gegründet wurde. Diese NEF erfand 2006 den „Happy Planet Index“ (HPI). Der nun soll Auskunft darüber geben, wie glücklich die Menschen auf unserem Planeten ihre Existenz verleben – einschließlich des Glücks, durch Minimierung der individuellen Ökobilanz zum weltweiten Gemeinwohl beizutragen.

Dieser HPI, der gemeinsam mit den „Friends of the Earth“ (FoE), einem 1971 gegründeten, weltweiten Zusammenschluss unterschiedlichster Umwelt-NGO, aus der Taufe gehoben wurde, fungiert seitdem als gleichsam umweltbedenkende Alternative zum marktorientierten Inlands- oder Weltprodukt. Oder anders formuliert: Der HPI versucht, als ökosozialistische Variante gegen den sogenannten Neoliberalismus das kapitalistische Denken zu überwinden. Dafür gab es dann beispielsweise im Jahr 2006 von der EU sogar Fördermittel in Höhe von 635.000 Euro.

Der dauermahnende Ökozeigefinger

Der HPI mit seiner Ökokomponente, das liegt in der Natur der Sache, ist notwendig dort besonders hoch, wo es den Menschen vergleichsweise schlecht geht.  Denn auch an dieser Erkenntnis führt kein Weg vorbei: Hochentwickelte Gesellschaften, deren Mitglieder über einen höheren Wohlstand verfügen, hinterlassen notgedrungen einen tieferen, „ökologischen Fußabdruck“ – will sagen: Der um die Welt jettende Manager oder Wohlstandsöko vernichtet durch sein Tun mehr Natur als der indigene Andamenenbewohner, der noch nie Kontakt zur Außenwelt hatte.

Der HPI ist insofern als Mahnung an die verwöhnten und verzogenen Wohlstandskinder der überwiegend nördlichen Hemisphäre gedacht. Der ständig mahnend erhobene Zeigefinger: Seid doch bitte so „vernünftig“, auf eigenen Wohlstand zu verzichten, um damit nicht nur die Natur zu schonen, sondern auch zu etwas mehr Weltgerechtigkeit beizutragen und den Armen dieser Welt ein Mehr an Wohlstand zu gönnen.

WOD und Flugscham

Werbewirksam wird in diesem Zusammenhang nun auch alljährlich eben jener „Erdüberlastungstag“ – englisch „World Overshoot Day“ (WOD) bekannt gegeben und selbstverständlich von allen Medien ohne weitere Recherche der Hintergründe verbreitet. Denn – siehe oben – er ist ja vor allem Mahnung nicht nur zum Maßhalten, sondern zum freiwilligen Verzicht. Was selbstverständlich besonders dann gut kommt, wenn kurz vor Beginn der Sommerferien ein paar FfF-Kids vorm Stuttgarter Flughafen ihre „Flugscham“ (auch so eine wunderbare Wortneuschöpfung der Selbstkasteiung!) ausleben, um dann anschließend mit Mum und Dad in die Sommerfrische zu jetten.

Dieser WOD (deutsch müsste er EÜT abgekürzt werden – also bleiben wir besser beim Englischen) lag nun eben auf dem 29. Juli. Und alle gehen in sich, denken jetzt ein paar Tage lang über ein wenig Verzicht nach. Und über neue Staatseinnahmen, denn selbstverständlich ist auch die von den Linksökologen geforderte CO2-Steuer erst einmal kein Instrument, um den entsprechenden Ausstoß zu verringern, sondern um wieder ein wenig mehr Pecunia in die sozialistische Staatskasse zu spülen. Auf dass – als des Steuerzahlers privater WOD von einer NGO namens Bund der Steuerzahler (BdS) erfunden – der Steuerzahlergedenktag (SGT) als jenes Datum, ab dem der Werktätige sein Einkommen nicht mehr zu 100 Prozent an den Staat abtreten muss, in immer weitere Ferne rücken möge.

Auch andere, nützliche Funktionen sind dem WOD zuzuschreiben. So konnte beispielsweise passgenau ein kommunistischer Systemüberwinder namens Bernd Riexinger flugschamgerecht die Verstaatlichung sämtlicher Fluggesellschaften fordern – nachdem er ähnliches bereits vor wenigen Monaten hinsichtlich Wohnungsgesellschaften öffentlich tat und offenbar die Auffassung vertritt, dass das 1989 untergegangene DDR-System oköfußabdrucksmäßig jeglichem kapitalistischen System um Äonen überlegen ist – was ihm nicht nur die Bürger von Bitterfeld und Halle, soweit sie sich noch an jene Zeiten erinnern können, jederzeit unbesehen bestätigen werden.

Die andere Konsequenz des WOD

Der WOD als Konsequenz des HPI im Auftrag von FoE und NEF ist folglich vor allem als Mahnung an die Wohlstandskinder zu verstehen, nachhaltigen Verzicht zu üben. Oder könnte er nicht auch eine andere Konsequenz haben – vielleicht haben müssen?

Im Grundsatz wirklich neu ist die Idee nämlich nicht. Schon 1981 beschäftigte ich mich im Rahmen einer universitären Seminararbeit mit ähnlichen Problematiken – ich schrieb davon vor ein paar Jahren im Essay „A Torrent of Faces“. Seinerzeit erstellte ich einige mathematische Formeln, die unter Berücksichtigung von Verbrauch und Bedarf bei Flächen und Ressourcen beispielsweise ermitteln ließen, wie viel Anbauflächen zur Ernährung von Populationen notwendig sind oder auch, wie viele Menschen dieser Planet Erde erträgt.

Unter den damals bekannten Zahlen ergaben sich sodann zwei grundsätzliche Erkenntnisse:

  1. Auf Grundlage der Effizienz bei der Nahrungsmittelproduktion lag der „Menschenmengengrenzwert“ bei recht exakt acht Milliarden Menschen. Was ausdrücken sollte: Über dieser Zahl würde es entweder zu weltweiten Verteilungskämpfen kommen – oder aber die nicht mehr ernährbaren Menschen müssten schlicht verhungern.
  2. Auf Grundlage des damals geltenden Standards für die Wohlstandsnation USA ist der Planet in der Lage, 3,6 Milliarden Menschen zu (er)tragen.
Wie viel Mensch erträgt die Erde?

Nun mögen sich die Basiszahlen ein wenig verändert haben, weil beispielsweise in der Landwirtschaft eine höhere Effizienz ermöglicht wurde – welche dann allerdings unvermeidbar mit einer größeren Umweltvernichtung nicht nur durch Massenrodung, sondern auch durch den dann unverzichtbaren Einsatz solcher Hilfsmittel wie Glyphosat ebenso wie dem umstrittenen Anbau von genveränderten Pflanzen einhergeht. An der Grundprämisse allerdings ändert das nichts: Soll die Menschheit nach US- oder EU-Standards leben, ist irgendwo um 4 Milliarden Schluss. Allerdings gilt das in der Konsequenz auch, wenn die gesamte Menschheit nach den Standards beispielsweise von Zimbabwe leben würde. Denn – und da beißt sich die Ökobewegung letztlich in den unverdaulichen Schwanz: Die hohen Mengenzahlen sind nur und ausschließlich deshalb möglich, weil die Menschen mit verfügbar hohem Standard in der Lage sind, Möglichkeiten zu entwickeln, auch die Menschen mit geringerem Standard weitgehend zu ernähren und dabei sogar noch in vielen Regionen den Lebensstandard anzuheben. Das wiederum aber hat dann den unvermeidbaren Nebeneffekt, dass eben jene „unterentwickelten“ mit ehedem kleinem Ökofußabdruck auch ständig größere Spuren hinterlassen.

Tabus verhindern das Nachdenken

Doch diese Themen sind Tabu. Weil sie an der Irrationalität jener als Religion bezeichneten Welterklärungsmodelle aus der Antike und dem Frühmittelalter scheitern, welche zu Zeiten entstanden, in denen über Ökofußabdruck und Menschenhöchstmengen noch nicht nachgedacht wurde. Obgleich es auch damals nicht hätte schaden können, denn manch archäologische Forschung hat zu Tage gebracht, dass zu allen Zeiten Menschen in Kultursiedlungen den Hang hatten, sich über kurz oder lang selbst die Wurzeln ihres Wohlstands abzugraben mit der Folge, dass selbst Hochkulturen sang- und klanglos verschwanden. Nicht selten ging – auch das ist heute bekannt – ein solcher Niedergang mit einem Wandel der klimatischen Verhältnisse einher, und es gingen ihm gewalttätige und äußerst brutal geführte Verteilungskämpfe voran.

Die Grundprinzipien menschlicher Existenz und Selbstvernichtung sind folglich deutlich länger bekannt als WOD und HPI. Würden sich deren Erfinder nun ehrlich machen und nicht im Auftrag einer professionell agierenden Ökolobby nur ständig das schlechte Gewissen der Flugscham-belasteten Wohlstandskinder am Leben erhalten wollen, dann müssten sie das Problem von der reinen Öko-Fixierung lösen und auf die Kernfrage zu sprechen kommen. Und die lautet nun einmal: Wie viel Mensch verträgt dieser Planet – und wie kann es auf humanem Wege gelingen, diesen Grenzwert zu erreichen und dauerhaft zu stabilisieren?

Auch der WOD sagt: 4 Milliarden Menschen, nicht mehr

Tatsächlich ist es aber auch so, dass HPI und WOD nur den Anschein erwecken, als hätte diese Frage mit ihren Zahlen nichts zu tun. Wenn wir genau hinschauen, dann ist jedoch der WOD nichts anderes als eine jener Zahlen, die ich 1981 ermittelt hatte. Denn er besagt in seiner logischen Konsequenz: Je weniger Menschen existieren, desto später setzt der WOD ein. Eine auch ökologisch ausgeglichene Bilanz wäre nach der WOD-Logik dann erreicht, wenn dieser Tag auf den ersten Januar des Folgejahres fällt. Und eine richtig schöne, zukunftsweisende Ökobilanz hätten wir beispielsweise dann, wenn der WOD 2019 auf den 30. Juni 2020 fällt. Denn dann hätte Mensch es der Natur ermöglicht, sich tatsächlich zu erholen. Doch lassen wir solche irrealen Träume und schauen wir stattdessen auf die Menschenmengengrenzwerte, die dem WOD zugrunde liegen.

Wenn der aktuelle WOD auf den 29. Juli fällt – also die Menschheit an diesem Tag die von der Erde bereitgestellten Ressourcen aufgebraucht hat – dann ist die Rechnung recht simpel.

Laut SGO UN leben aktuell rund 7,8 Milliarden Menschen auf unserem Planeten. Diese 7,8 Milliarden haben alle Ressourcen am 29. Juli verbraucht. Bei einer Jahreslänge von 365 Tagen entsprechen die exakt 200 Tage vom 1. Januar bis zum 29. Juli einem Anteil von 54,8 %.  Nehmen wir diesen Wert, so liegt der Menschenmengengrenzwert der weltweiten Ökoverbände bei 4,27 Milliarden Menschen.

Wir sehen: Wirklich viel geändert hat sich seit 1981 nicht. Will die Menschheit, dass sie auf diesem Planeten ökologisch ausgeglichen und mit hohem Lebensstandard existieren kann, würde sie sich darum bemühen müssen, die Menge Mensch bei einer Zahl um die 4 Milliarden zu deckeln  und diesen Wert dauerhaft zu halten. Da das jedoch nicht funktionieren wird, weil allein schon das bloße Nachdenken über Möglichkeiten der Begrenzung der Weltbevölkerung sakrosankt ist; weil auch kaum jemand in der Lage sein wird, humane Wege einer solchen globalen Deckelung zu suchen und gar zu finden, und weil nicht zuletzt die Glaubenstriebtäter jeglicher Couleur lieber Amok laufen als über Geburtenkontrolle nachzudenken, sind dann auch solche Zahlenspiele wie der WOD nur Spielerei und gänzlich unnötig. Wenn sie überhaupt in realita etwas bewirken sollten, dann bestenfalls die Lebensstandardverschlechterung der Wohlstandnationen.

Tatsächlich aber – und das können wir angesichts der Unlösbarkeit des humanogordischen Knotens mit auf den Weg nehmen – verfolgen WOD-Erfinder nur ein Ziel: Das Geld der durch Ablasshandel ihr schlechtes Gewissen beruhigenden Wohlstandskinder in die Spendenkassen der zumeist gemeinnützigen Umwelt-NGO fließen zu lassen, wo es dann erst einmal über die Geschäftsführergehälter den persönlichen Wohlstand deren Hauptnutznießer mehrt. Das notfalls auch ganz ohne individuelles, schlechtes Gewissen – denn schließlich reicht es ja, alljährlich mit WOD, HPI und sonstigen Mahninstrumentarien gegen die fortschreitende Erdvernichtung durch den sich unaufhaltsam mehrenden Menschen vorzugehen. Da – wie offensichtlich die Umwelt-NGO längst erkannt haben – ihr Handeln ohnehin am Ende wirkungslos sein wird, kann man sich auf diesem Wege zumindest bis dahin bei ruhigem Gewissen einen schönen Lenz machen.  Außerdem haben morbide Feiern auf manche Menschen schon immer einen grusel-erotischen Reiz ausgeübt – die Rechnung wird ja erst gestellt, wenn die Party mangels Teilnehmern vorbei ist …

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