Tichys Einblick
Maas der Dinge

Alternativlos im UN-Sicherheitsrat: Deutschlands Führung

Spätestens zu Weihnachten wissen wir, ob wir noch eine Überlebenschance haben oder alle dem unvermeidlichen Untergang geweiht sind. Immerhin wissen wir dann auch, wem wir den Untergang zu verdanken haben: All jenen, die sich der deutschen Führung verweigerten.

imago Images/photothek

Gönnen wir Heiko Maas das Gefühl, er sei „Diplomat und Politiker“. Spannender ist das, was der Außenminister sonst noch gesagt hat, nachdem er am 24. Juli seine Video-Rede für den Sicherheitsrat der UN mit dem Satz begonnen hatte: „Als Diplomaten und Politiker neigen wir dazu, alles für verhandelbar zu halten.“

Nun wissen wir spätestens seit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, dass für Maas eben nicht „alles verhandelbar“ ist. Zum Beispiel im Internet nicht seine schräge Meinung äußern zu dürfen, ist nicht verhandelbar. Nicht „links“ und nicht Antifa zu sein, ist auch nicht verhandelbar. Als israelische Regierung nicht für die sogenannte Zweistaatenlösung zu sein – ebenfalls nicht verhandelbar. Faschistoide Islamkämpfer nicht ins Auswärtige Amt zu holen – schien nicht verhandelbar und wurde es dann doch. Autoritären Regimes hinterher zu schleimen – auch nicht verhandelbar. Die Reihe ließe sich fortsetzen – und sie belegt ein ums andere Mal: Maas folgt grundsätzlich seiner Neigung, vieles nicht für verhandelbar zu halten. Und genau das wollte er am 24. Juli nun auch den Mitgliedern des Sicherheitsrates darlegen.

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Zum Einstieg stellte Maas nach der rhetorisch unvermeidbaren Erklärung, dass der Sicherheitsrat eigentlich alles verhandele, um zu internationalen Konsensen zu kommen, deshalb fest: „Mit der Natur jedoch lässt sich nicht verhandeln. Und die physikalischen, chemischen und geografischen Fakten der Erderwärmung werden mit uns keine Kompromisse machen.“

Wir könnten nun die etwas ketzerische Frage stellen, wer oder was diese „Natur“ ist, und ob Maas möglicherweise die auf Grundlage gelegentlich durchaus fragwürdiger Statistiken beruhenden Behauptungen zum Klimawandel – Maas spricht hier im Sinne der Klimareligion von „Erderwärmung“, ist damit noch nicht ganz auf dem Stand der Grünen, die nur noch von „Erderhitzung“ erzählen – tatsächlich „physikalische, chemische und geografische Fakten“ sind, oder ob diese nicht doch besser als „Erwartungen auf Grundlage von Hochrechnungen“ bezeichnet werden sollten – aber auch das lassen wir an dieser Stelle. Begnügen wir uns mit der Annahme, dass für Maas „Natur“ all das ist, was sich dem menschlichen Zugriff und der menschlichen Einflussnahme entzieht. Was allerdings auch nur begrenzt zutreffen kann, denn wäre es so, müssten Maas und der Sicherheitsrat sich mit der Thematik nicht beschäftigen, weil Natur eben unbeeinflussbar ist und sich nicht darum kümmern würde, was Mensch zu ihrem Wohl und Wehe beschließt.

Wie auch immer: Wenn Maas schon mit der Natur nicht verhandeln kann, so möchte er nun zumindest den anderen Vertretern im Sicherheitsrat erklären, dass auch dort nicht mehr verhandelt werden soll. Jedenfalls nicht über Klima, Klimawandel und Erderwärmung. Weshalb nach der Feststellung, dass „der Klimawandel sich auf fast jeden der Konflikte, mit denen wir es zu tun haben, verschärfend auswirken“ wird, er zu drei Maßnahmen kommt, die „wir“ (pluralis majestatis?) heute vorschlagen, und die sich nach Auffassung des „wir“ sofort umsetzen lassen.

Der Sicherheitsrat muss besser über „klimabedingte Sicherheitsrisiken“ informiert werden. „Dies“ so Maas, „sollte Frühwarnindikatoren einschließen, die uns erlauben zu handeln, bevor es zu spät ist.“ Um dieses zu gewährleisten, hätten „wir in Berlin im vergangenen Monat auf einer internationalen Konferenz ein ‚Global Climate Security Risk and Foresight Assessment‘ auf den Weg gebracht“. Das wiederum könne dazu dienen, „die Bemühungen der VN [Vereinte Nationen] im Bereich der Mediation und präventiver Diplomatie insgesamt zu stärken.“ Deutschland sei bereits mit gutem Beispiel vorangegangen und „finanziert zum Beispiel einen Experten, der das UN-Länderteam in Somalia in Bezug auf klimawandelbedingte Sicherheitsrisiken berät. Dies sollte in allen VN-Operationen gängige Praxis werden.“ Wir erinnern uns: Somalia ist das Land, in dem seit Jahrzehnten ein Dauerkrieg zwischen radikalen Islambanden, Warlords und dem verzweifelten Versuch, eine halbwegs funktionsfähige Regierung auf die Beine zu stellen, tobt.

Maas stellt fest, dass es an der Zeit sei, „dem Nexus von Klima und Sicherheit ein Gesicht zu geben.“ Dafür fordern „wir“ (alternativ: Maas im P.M. oder als Vertreter der Bundesregierung) „den Generalsekretär auf, so bald wie möglich einen Sonderbeauftragten für Klima und Sicherheit zu ernennen“. Der ohnehin längst überdehnte Apparat der SupraGovernmental Organization soll also einen weiteren, hochdotierten Posten schaffen für jemanden, der ausschließlich sein Auge auf den Klimawandel wirft, um so „hier, im Sicherheitsrat, der die Aufgabe hat, den Weltfrieden und die internationale Sicherheit im 21. Jahrhundert zu wahren,“ die „Erderwärmung“ ständig zu thematisieren.

Die UN müssten uneingeschränkt „handlungsfähig sein, wenn klimawandelbezogene Risiken eintreten. Solche Risiken müssen deshalb in allen Mandaten und Konfliktverhütungsstrategien berücksichtigt werden.“ Wie allerdings diese „Handlungsfähigkeit“ aussehen, soll – beispielsweise über eine weltweit agierende Umweltpolizei, die überall zum Einsatz kommt, wenn Maas Umweltverbrechen wittert, haben „wir“ nicht verraten. Doch nach dem klassischen Motto des „wenn Du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis,“ würden „wir mit unseren Partnern so rasch wie möglich eine Informelle Sachverständigengruppe des Sicherheitsrates zu Klima und Sicherheit“ einberufen. Wer nun diese „Partner“ sind, verrät Maas allerdings auch nicht. Die USA? China? Russland? Nach den bisherigen Erfahrungen mit Trump ist zumindest nicht davon auszugehen, dass der ohne weiteres einem Unterrat des Sicherheitsrats seine Zustimmung geben wird, wenn dieser weltumspannende Handlungsfähigkeit in Sachen Klimawandel beweisen soll. Und ob Putin mit seinen brennenden Wäldern und Öllecks in Sibirien oder China mit seiner Industrieverschmutzung es für eine gute Idee hält, ist ebenfalls fraglich.

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Tatsächlich scheint es mit diesem Partnerkreis auch noch nicht wirklich umfassend bestellt zu sein, denn Maas – nun ganz persönlich als „ich“ – schließt seine Einladung an „Sie alle“ (also alle Vertreter des Sicherheitsrats) an, sich dieser bislang nicht definierten Gruppe anzuschließen. Das wirkt ein wenig so, als handele es sich hier gegenwärtig ausschließlich um eine Maas- oder „wir“-Idee, deren Unterstützer erst noch gefunden werden müssen. Um mögliche Widerstände abzufangen, greift er deshalb auch auf ein Muster zurück, das das „wir“ – also Maas und die Bundesregierung und die regierungskonformen Parteien – in Deutschland mit großem medialen Erfolg anwenden: „Der Kampf gegen den Klimawandel sollte uns nicht spalten.“

Wir lernen: Sollte sich irgendein Mitglied des Sicherheitsrats gegen die „wir“-Idee aussprechen, ist er ein „Spalter“! Dass es jedoch nicht verhandelbar und alternativlos ist, kein Spalter zu sein, erklärt Maas konsequent nach bundesdeutschem Regierungsmuster: „Wir führen ihn [den Kampf gegen die Natur bzw. den Klimawandel] letztlich, um uns selbst zu retten. Und wir führen ihn für die Menschen weltweit, die bereits jetzt unter Gewalt und Vertreibung als Folgen des Klimawandels leiden. Abwarten ist für sie keine Option.“

Auch wenn die These, wonach Gewalt und Vertreibung „bereits“ heute eine Folge von Klimawandel ist, zumindest als steil zu bezeichnen wäre, so hat Maas selbstverständlich mit seinem letzten Satz recht – zumindest dann, wenn wir der selbsternannten Degrowth-Expertin Tonny Nowshin folgen, die bereits am 25. Juni in der Taz unter Berufung auf einen ungenannten „Energieexperten“ festgestellt hatte, die Menschheit habe ohnehin „nur noch sechs Monate Zeit, um den Verlauf des Klimas zu ändern“. Da ist selbstverständlich Eile angesagt – sind Maas‘ Vorstellungen nicht bis Weihnachten Wirklichkeit geworden, kann er das Banner des Klimawandels wieder einrollen. Dann ist ohnehin nichts mehr zu retten.

So ist es mehr als nachvollziehbar, dass Maas zum Abschluss seiner kurzen Rede noch einmal richtig alternativlosen Druck aufbaut: „Und deshalb, meine Damen und Herren, ist die Zeit der diplomatischen Geduld abgelaufen. Auch der Sicherheitsrat kann nicht mit den Kräften der Natur verhandeln. Allein die Taten zählen.“

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Also: Kein diplomatisches Geschwätz mehr – Deutschland in seiner unendlichen Weisheit folgen! Da erfahrungsgemäß die Staaten und Völker dieser Welt sich schon immer gern einer deutschen Führung anvertraut haben, kann nun ja nichts mehr schiefgehen. Unser Außenminister hat dem Sicherheitsrat den einzig möglichen Weg gewiesen, den dieser zu gehen hat. Bei dieser alternativlosen Eindringlichkeit sind „wir“ sicher: Alle werden gern und bedingungslos folgen.

Oder vielleicht doch nicht? Das vermögen wir uns überhaupt nicht auszudenken! Wie sollte Maas das seiner Frau Bundeskanzler – und schlimmer noch: wie sich selbst – erklären? Die letzte Chance, den unvermeidbaren kollektiven Selbstmord der Menschheit zu vermeiden, verspielt?

Nun, wie auch immer: Spätestens zu Weihnachten wissen wir, ob wir noch eine Überlebenschance haben oder alle dem unvermeidlichen Untergang geweiht sind. Immerhin aber wissen wir dann auch, wem wir diesen Untergang zu verdanken haben: All jenen, die sich geweigert haben, sich der deutschen Führung anzuvertrauen.

Dann geschieht es ihnen auch recht! Das „wir“, also die Deutschen oder vielleicht auch nur unsere Regierung, können dann unserem unvermeidlichen Schicksal offenen Herzens gegenübertreten in der absoluten Gewissheit, dass es an uns nicht gelegen hat, wenn nun die Welt untergeht. Das ist zumindest sehr beruhigend, denn wir werden in dem Bewusstsein sterben, dass wir die Guten sind, die immer wieder an den Bösen scheitern. Und das war den Deutschen – oder vielleicht doch nur dem maasschen „wir“? – schon immer wichtiger, als das Richtige in einer pragmatischen Politik des Machbaren zu tun, statt die Staaten der Welt davon überzeugen zu wollen, sich bedingungslos einer neuen religiösen Bewegung des Weltuntergangs unter deutscher Führung anzuschließen. Da können wir Deutschen doch nur dankbar sein, dass wir einen solchen Außenminister haben, der uns in einer widrigen Welt zumindest die moralische Überlegenheit sichert.

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