Tichys Einblick
Innovationen brauchen Wachstum

Strukturenwechsel 2: Das Technium

Im Technium würde ein Steuersystem zur Finanzierung staatlicher Aufgaben vor allem die Profite belasten, die die vollautomatisierten Fertigungsanlagen ihren Besitzern bescheren: eine Robotersteuer.

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Nichts von dem, was wir auf diesem Planeten vorfinden, ist in seiner ursprünglichen Form verwendbar. So beruht unsere Ernährung auf Pflanzen und Tieren, die ihre Existenz allein menschlichen Eingriffen verdanken und die auf dem Weg der natürlichen Evolution niemals entstanden wären. Gezüchtet, gehegt und gepflegt werden sie zudem in rein artifiziellen Umgebungen, oder zumindest in solchen, die ohne den dauerhaften Eingriff des Menschen keinerlei Bestand hätten. Manch ein Lebensmittel ist mittlerweile sogar vollkommen künstlich, entsprungen der Imagination unserer Chemiker und hergestellt in abgeschotteten Fabriken.

Auch die Rohstoffe, die für Herstellung, Betrieb und Wartung von Gütern oder Infrastrukturen aller Art benötigt werden, liegen nicht einfach in der Gegend herum.

Rohöl ist unbrauchbar, bevor man es nicht auf chemisch/physikalischem Weg in Treibstoffe, Schmiermittel oder Bitumen verwandelt. Metalle kommen fast ausschließlich als Erze vor, die man als solche nicht einsetzen kann. Selbst ein Baum ist völlig nutzlos, solange ihn niemand fällt und in Bretter zersägt. Einen Wert erhalten natürliche Ressourcen nur, wenn der Mensch sie veredelt. Dies geschieht mittels unüberschaubar vielfältiger Eingriffe und Maßnahmen, denen durchaus nicht immer ein Aspekt der physischen Umwandlung innewohnt. Man kann dem Baum auch ein Schild mit der Aufschrift „Hier erfand Roland Tichy während einer Wanderung den Einblick“ anheften, eine Würstchenbude aufstellen und auf Spaziergänger warten. Überhaupt verdient das, was viele Menschen als „Natur“ genießen, zumindest hierzulande die in dieser Bezeichnung mitschwingende Etikettierung „ursprünglich“ nicht. Es gibt keinen Quadratmeter Boden in Deutschland, der nicht vom Menschen gestaltet wäre. Oder besser ausgedrückt: Es gibt keinen Quadratmeter, der nicht so ist, wie er ist, weil der Mensch das so will oder akzeptiert. Wir leben nicht in einer Wildnis, sondern in Kulturlandschaften, und das stellt einen bedeutenden Unterschied dar.

Steuerung durch Besteuerung
Strukturenwechsel 1: Der ökosoziale Staat
Gero Jenners Ansatz, wer Ressourcen der Umwelt entnehme, entziehe diese der Allgemeinheit und sei daher zu einer materiellen Kompensation in Form einer „Erstverbrauchssteuer“ verpflichtet, ist daher falsch. Tatsächlich nimmt, wer Unnützes in Gebrauchsfähiges verwandelt, nicht nur niemandem etwas weg, er öffnet dadurch erst Wege zum Wohlergehen für Viele. Ihn dafür zu bestrafen, wäre also höchst kontraproduktiv. Gleiches gilt für die von Jenner als Säule seiner hier beim Einblick vorgestellten „ökosozialen Steuerreform“ empfohlene „Endverbrauchssteuer“, die den privaten Endverbraucher zu einer Begrenzung seines Konsums zwingen soll. In ihrem Zusammenwirken würden beide Maßnahmen vor allem den technischen Fortschritt bremsen. Der schöpferische Akt des Unternehmers, durch den Ressourcen zu Rohstoffen für neuartige Produkte mutieren, setzt die Fähigkeit und den Willen zur Investition voraus. Die nur erfolgt, wenn Aussichten auf Gewinne durch zahlende Kunden bestehen. Ein Steuersystem, das an beiden Ende der Wertschöpfungskette ansetzt, ahndet sowohl die Herstellung, als auch die Verwendung von Innovationen, die neue Optionen zur Bedarfsbefriedigung bieten. Denn gerade solche sind zum Zeitpunkt ihres erstmaligen Markteintrittes in der Regel teuer und ineffizient, bedürfen eines hohen Materialeinsatzes, verbrauchen viel Energie und erzeugen große Abfallmengen, wodurch sie nach Jenners Auffassung besonders viel Schaden anrichten und besonders hoch zu belasten wären. Man fragt sich, ob unter einer solchen Prämisse Automobile oder Smartphones jemals zu Massenprodukten gereift wären. Eine „ökosoziale“ Wende in der Steuerpolitik hätte jedenfalls eine umfassende Selbstbeschränkung der Wirtschaft auf die Optimierung des Bestehenden zur Folge, wodurch uns der Weg in eine bessere Zukunft versperrt würde.

Der Weg in die Kreislaufwirtschaft

Mag auch eine unberührte und ungenutzte Wildnis jenseits emotionaler Faktoren für die Zukunft der Menschheit irrelevant sein, verbleibt die Frage nach den Rest- und Schadstoffen, die wir aufgrund unserer Wirtschafts- und Lebensweise in die Umwelt abgeben. Obwohl von der steigenden Lebenserwartung über die sinkende Kindersterblichkeit bis hin zum Rückgang von Armut und Hunger alle verfügbaren Daten zeigen, wie sehr die positiven Wirkungen von Globalisierung und Massenproduktion ihre negativen Folgen übertreffen, müssen wir immer mehr Müll trotzdem nicht als notwendiges Übel akzeptieren. Das Aufbrechen der Koppelung von Konsum und Abfall kann durch neue Technologien gelingen, die es aber nur geben wird, wenn wir mehr verbrauchen statt weniger. Das Interesse an der stofflichen oder energetischen Verwertung unseres Mülls wird gegenwärtig allein durch ein Regime staatlicher Regulierungen induziert. Damit es solcher Rahmensetzungen nicht mehr bedarf, damit absolut alles, was wir wegwerfen, wegschütten oder emittieren, als werthaltig angesehen werden kann, sind die Abfallmengen weiter zu steigern. Denn erst dann lohnen sich die Entwicklung und der Einsatz komplizierter und energieaufwendiger Recycling-Technologien wirklich.

Man stelle sich eine Welt vor, in der die Müllabfuhr nichts kostet, sondern darum bittet, vielleicht sogar dafür zahlt, Abfälle übernehmen zu dürfen. Man stelle sich eine Welt vor, in der Auto- oder Elektronikhändler es nicht als Belastung empfinden, Produkte zum Ende ihrer Nutzungs- oder Lebensdauer zurückzunehmen, sondern als zusätzliche Wertschöpfungsoption. Man stelle sich eine Welt vor, in der Atommüll, toxische Chemikalien oder gesundheitsgefährdende Emissionen bereits an ihren Quellen abgeschieden und vollständig vernichtet beziehungsweise den Stoffkreisläufen der Industriegesellschaft wieder zugeführt werden. Viele dieser noch fiktionalen Möglichkeiten sind bereits im Ansatz vorhanden, sie reichen von neuartigen Kernreaktoren bis hin zu Mikroben, die sich von Kunststoffen ernähren.

Manch Recyclingkette, etwa bei Glas, Papier oder Metallen, ist bereits sehr gut ausgebaut. Da Roboter Automobile, Haushaltsgeräte, Fernseher und andere komplexe Systeme zusammenbauen, warum sollten sie sie nicht auch wieder zerlegen können, um die einzelnen Bestandteile einer jeweils idealen Verwertung zuzuführen? Wenn wir aber weiterhin dem Mantra des Konsumverzichts zur Abfallminimierung folgen, werden wir am Ende nur auf prinzipiell unvermeidbarem Müll sitzenbleiben.

Mehr Fleisch für mehr Naturschutz

Gleiches gilt für die Landwirtschaft. Wer Massentierhaltung, Monokulturen, großräumige Weidewirtschaft und den Einsatz von Düngemitteln oder Pestiziden skeptisch betrachtet, darf nicht den Fehler begehen, Biogemüse anzubeten und sich dem Vegetarismus oder gar Veganismus hinzugeben. Produktivitätsfortschritte, die den Flächen- und Ressourcenbedarf deutlich senken, versprechen vor allem neue Technologien, die den idealen Energieträger für die Maschine Mensch betreffen: Fleisch.

Es bedarf nämlich keines aufwendig gehaltenen Rindes für ein Steak, das Filet kann ebenso auf biotechnischem Weg aus einer Muskelzelle entstehen. Natürlich, der erste Burger aus künstlichem Hackfleisch hatte einen stolzen Preis, man spricht von einer Viertelmillion Dollar. Aber mehrere Startup-Unternehmen rund um den Globus widmen sich der Thematik und berichten von großen Fortschritten. Prinzipiell spricht nichts gegen künstlich hergestellte, im Bioreaktor produzierte und von konventionellen Angeboten optisch, texturell und geschmacklich ununterscheidbare Fleischprodukte, für die kein Tier mehr gemästet und geschlachtet werden muss. Bis zur Marktreife unterstützen die Geldgeber solche Ideen allerdings nur, wenn der Fleischmarkt weiter wächst und dadurch Renditen auf das eingesetzte Kapital verspricht. Der Lust auf Hackbraten und Schnitzel nachzugeben wird der Umwelt am Ende weit mehr helfen, als die Sanktionierung des Konsums mittels ökologistisch motivierter Verbrauchssteuern.

Es bedarf übrigens auch keines Ackers für Getreide, dieses vermag ebenso wie Obst und Gemüse in Fabriken unter optimalen Lichtverhältnissen in einer optimierten Nährlösung effektiver und effizienter zu gedeihen. Die Technofarm des japanischen Unternehmens SPREAD zeigt diesen Weg, obwohl dort bislang nur Salat hergestellt wird.

Null Grenzkosten: Das Technium

Ich erwähne diese Ansätze vor allem, weil sie den Pfad zu einer Lebensmittelherstellung bahnen, aus der der Mensch als kostentreibender Faktor vollständig verschwindet. Automatisierung gelingt mit Produktionsverfahren, die auf die Fähigkeiten robotischer Systeme ausgerichtet werden, besonders schnell und einfach.

Fiktionen à la Star Trek
Robotersteuer und bedingungsloses Grundeinkommen
Maschinen sind unschlagbar darin, in einer definierten und kontrollierten Umgebung immer wiederkehrende, zyklische Tätigkeiten mit hoher Präzision und Geschwindigkeit auszuführen, ohne dabei jemals zu ermüden. Technofarmen und Bioreaktoren verdeutlichen Optionen, die Lebensmittelproduktion robotergerecht zu gestalten. Dies ist bei vielen anderen Bedarfsgütern ebenso möglich und entlang mancher Wertschöpfungsketten bereits in großem Umfang realisiert. Was würden Salatköpfe oder Steaks, Zahnbürsten oder Kaffeetassen, Fernseher oder Smartphones bewirken, die ohne jedes menschliche Zutun aus Fabriken wie der Technofarm hervorkommen um von autonomen Drohnen direkt zum Supermarkt, eventuell gar direkt zum Verbraucher, transportiert zu werden? Aus Fabriken, die mit Rohstoffen aus dem Abfallrecyclingversorgt werden? Aus Fabriken, deren Systeme wiederum von Robotern gebaut und auch noch gewartet und repariert werden? Richtig, solche Produkte könnten extrem preiswert sein.

Dies ist die Vision, die ich dem von Gero Jenner skizzierten Modell, in dem der Staat über Steuern auf Verbräuche statt über solche auf Arbeit eine ökologische Regelungswirkung erzielt, entgegenstellen möchte. Eine Welt, ich nenne sie nach einem von Kevin Kelly, einem der Gründer des Wired-Magazins, geprägten Begriff das „Technium“, in der Maschinen soziale und ökologische Fragen gleichermaßen lösen, weil sie uns zu verschwindenden Grenzkosten mit allem Notwendigen versorgen, ohne dabei die Umwelt übermäßig zu belasten. Eine Welt jenseits der Knappheit, in der Armut ihren Schrecken verliert, weil sie nicht mit Hunger und Mangel verbunden ist, sondern lediglich mit einem freiwilligen Verzicht auf zusätzlichen Luxus.

Es wird in dieser Welt weiterhin Erwerbsmöglichkeiten geben, denn Tätigkeiten, in denen Empathie, Kreativität und Flexibilität gefragt sind, ob im Dienstleistungsbereich, in Kunst und Kultur oder in der Wissenschaft, bleiben die Domäne des Menschen. Aber der Zwang, zur Absicherung eines Mindestmaßes an Versorgung auch langweilige, von stetig wiederkehrenden Routinen und möglicherweise erheblichen körperlichen Belastungen geprägte Jobs suchen und annehmen zu müssen, entfällt. Wohnraum (aus großen 3D-Druckern) und jegliche für ein würdiges Leben als notwendig erachteten Verbrauchs- und Gebrauchsgüter stehen billig genug allen Bürgern zur Verfügung, um über ein „bedingungsloses Grundeinkommen“ finanzierbar zu sein.

Das Technium beantwortet alle sozialen und ökologischen Fragen. Gero Jenners Konzept ist nicht nur heute überflüssig, weil es von falschen Prämissen ausgeht, es ist nicht nur hinderlich, weil es die Bewältigung bestehender Herausforderungen erschwert, es wäre in der skizzierten Zukunft auch völlig sinnlos. Im Technium würde ein Steuersystem zur Finanzierung staatlicher Aufgaben vor allem die Profite belasten, die die vollautomatisierten Fertigungsanlagen ihren Besitzern bescheren. Eine Robotersteuer schafft umso größere Freiheiten, je mehr Verpflichtungen wir auf Maschinen abwälzen. Verbrauchssteuern mit „ökosozialer“ Lenkungswirkung hingegen basieren auf Kontrolle und Gängelung. Sie verpflichten nur den Menschen, und zwar zu anhaltendem Verzicht.