Tichys Einblick
Stimmen verloren, Mandate eingebüßt – na und?

Bei der CDU hat Schönfärberei Hochkonjunktur

Auch wenn die CDU sich nicht ernsthaft mit Zahlen beschäftigt, ist sie nach Kräften bemüht, das wenig schmeichelhafte Ergebnis vom 24. September schönzureden.

© Tobias Schwaz/AFP/Getty Images

Gut fünf Wochen nach der Bundestagswahl haben die Spitzengremien der CDU noch keine Zeit für eine gründliche Wahlanalyse gefunden. Das ist bei CSU und SPD nicht anders – und völlig normal. Bei guten Ergebnissen glaubt man keine Analyse nötig zu haben, bei schlechten verzichtet man liebend gerne darauf. Warum auch in noch schwärenden Wunden herumstochern?

Auch wenn die CDU sich nicht ernsthaft mit Zahlen beschäftigt, ist sie nach Kräften bemüht, das wenig schmeichelhafte Ergebnis vom 24. September schönzureden. Die CDU ist (außerhalb Bayerns) bei den Zweitstimmen um 7,4 Punkte auf 26,8 Prozent abgesackt. Sie hat trotz der Aufblähung des Bundestags 55 ihrer bisher 255 Mandate verloren. Sieger sehen so sicher nicht aus. Dennoch handelt die CDU-Spitze, allen voran die Parteivorsitzende und Kanzlerin, nach dem Motto „Nicht das Erreichte zählt, uns reicht das Erzählte.“ Folglich verkündete Angela Merkel noch in der Wahlnacht, sie wisse nicht, was sie hätte anders machen können. Also alles paletti?

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Der Offenbarungseid der CDU
Die Selbstzufriedenheit der CDU – teils gespielt, teils ernst gemeint – steht auf den ersten Blick im Widerspruch zu der Tatsache, dass mit der AfD rechts von ihr eine neue Partei entstanden ist – nicht durch einen Putsch, sondern von 5,9 Millionen Bürgern gewählt. Doch auf den zweiten Blick wird deutlich, dass der CDU die Rechtsaußen-Partei sogar recht willkommen zu sein scheint. Im Konrad-Adenauer-Haus sieht mancher das „machttechnisch“ oder zynisch: Eine starke AfD verhindert im Bund schon rechnerisch eine rot-rot-grüne Mehrheit. Folglich bleibt die CDU Kanzlerin-Partei. Was will man also mehr?

Selbst CDU-Generalsekretär Peter Tauber müsste es inzwischen gedämmert haben, dass seine Prognose von 2014, die AfD werde so schnell wieder verschwinden wie einst die Piraten, nicht gerade von großer Weisheit geprägt war. Inzwischen vermitteln die führenden Köpfe der CDU jedoch den Eindruck, sich mit der Existenz der rechten Konkurrenz abgefunden zu haben. Motto: „Wenn die da sind, dann sind sie halt da.“ Nebenbei: Sich mit der Existenz der AfD abzufinden, ist für Parteimanager recht bequem. Wenn man die neue Partei wie ein Naturereignis betrachtet und nicht auch als Ergebnis eigener Fehler, dann lebt es sich viel leichter.

Alle Wahlanalysen der Meinungsforscher zeigen: Keine Partei hat so viele Stimmen an die AfD abgegeben wie die Union. Wenn aber vereinzelte CDU-Politiker laut darüber nachdenken, wie man diese enttäuschten Konservativen wieder zurückgewinnen könnte, stoßen sie auf Gleichgültigkeit oder Ablehnung. Stört unsere Jamaika-Kreise nicht, lautet implizit die Botschaft.

Von wegen „Verschwinden wie die Piraten“
Die CDU wollte die AfD aussitzen – und ist krachend gescheitert
Der Merkel-Flügel der CDU behauptet unverdrossen, das Ergebnis habe nichts mit der „Flüchtlingspolitik” zu tun gehabt, nichts mit dem Kontrollverlust im Herbst 2015, nichts mit „Köln“ und nichts mit der Angst vor als Flüchtlingen getarnten Gewalttätern. Das passt nicht so recht zu der Wahlkampfaussage Merkels, „2015 soll, kann und darf sich nicht wiederholen.“ Das passt vor allem nicht zu den demoskopischen Befunden. In den im September 2015 veröffentlichten Ergebnissen der „Sonntagsfrage“ von Allensbach kam die CDU/CSU auf 42 Prozent, um schon im Oktober – nach der Grenzöffnung – auf 38 Prozent zu fallen. Von da an ging’s, von einem Zwischenhoch im Sommer 2017 abgesehen, stetig bergab. Wer oder was, wenn nicht die „Flüchtlingspolitik”, soll diesen Einbruch in der Wählergunst eigentlich bewirkt haben?

Weil der Zusammenhang zwischen weit geöffneten Grenzen und immer schlechter werdenden CDU-Werten nicht zu übersehen ist, hat die Merkel-Fraktion in der CDU eine zweite Verteidigungslinie aufgemacht: Die 32,9 Prozent für die CDU/CSU seien ein „normales“ Ergebnis – auf einer Linie mit den 35,2 Prozent von 2005 und den 33,8 Prozent von 2009. Demgegenüber seien die 41,5 Prozent von 2013 ein „Ausreißer“ gewesen, mithin keine seriöse Vergleichsgröße.

Was sind schon Fakten
Es geht um die Flüchtlingspolitik - nicht um Breitbandnetze
Nun ist es eigentlich kein Komplement für die Kanzlerin, wenn die Union ihre Ergebnisse auf und unter dem Niveau der 35,1 Prozent von Kohls Abwahl im Jahr 1998 für „normal“ hält. Jedoch empfiehlt es sich, Ergebnisse einer Partei nicht isoliert zu betrachten. Den Kohl‘schen 35,1 Prozent von 1998 standen 52,7 Prozent des rot-rot-grünen Lagers gegenüber, Merkels 32,9 Prozent vom 24. September aber nur noch 38,6 Prozent für SPD/Grüne/Linke. Fazit: Von den Wählern, die sich vor allem von der SPD abgewendet haben, können unter dem Strich keine bei der CDU gelandet sein. Der Modernisierungskurs der Merkel-Tauber-CDU wurde immer damit begründet, die CDU könne links der Mitte mehr Wähler gewinnen, als rechts von der Mitte verlieren. Aber das war reine Theorie oder bloßes Wunschdenken. In der Praxis sprechen die Stimmergebnisse eine andere Sprache.

Die Chancen für „Jamaika“ stehen 50:50. Sollte es dazu kommen, wird die CDU diese Koalition als Ausdruck ihrer Modernität interpretieren. Es bedarf freilich einer sehr großen Portion Phantasie, sich bei „Jamaika“ eine „Flüchtlingspolitik” oder Familienpolitik vorzustellen, die nach Rechts(außen) abgewanderte CDU-Wähler wieder mit „ihrer“ Union versöhnen könnte. Aber darum geht es der CDU-Führung auch gar nicht. Sollen die ungeliebten und unbequemen „Konservativen“ doch die AfD wählen. Solange die CDU die Kanzlerin stellt, ist dies aus der Perspektive des Adenauer-Hauses ein leicht zu verschmerzender Kollateralschaden. Übrigens: Adenauer wurde 1949 mit 31,0 Prozent der Stimmen Kanzler. Es ist also noch Luft nach unten.