Tichys Einblick
Städtetag

Kanzler Olaf Scholz drückt sich vor seiner Verantwortung in der Flüchtlingskrise

Der Kanzler ist wie seine Vorgängerin Meister im Verschleiern seiner Verantwortung. Er will die Kommunen zwingen zu tun, was er selbst scheut: die Asylmigration zu bremsen. Stattdessen schiebt er den Städten und Gemeinden die Verantwortung für die Folgen zu.

Bundeskanzler Olaf Scholz beim Städtetag in Köln, 24.05.2023

IMAGO / NurPhoto
Olaf Scholz hat in seiner Rede vor dem Städtetag ein schönes Beispiel für „Scholzing“ abgeliefert. Darunter versteht man laut einer Definition, die der Historiker Timothy Garton Ash zwar nicht erfunden, aber doch bekannt gemacht hat: „gute Absichten mitteilen, nur um dann jeden erdenklichen Grund zu nutzen/finden/erfinden, um sie zu verzögern und/oder zu verhindern“.

Allgemeiner könnte man Scholz einfach als einen Meister der politischen Vernebelung bezeichnen, dem in Deutschland in dieser Disziplin vielleicht nur seine Vorgängerin und ehemalige Chefin Angela Merkel nahekommt. Das eigentliche Ziel solcher Politik und ihrer Kommunikation (beides ist so gut wie dasselbe) ist die Vermeidung jeglicher Verantwortungsübernahme bei gleichzeitiger unbedingter Machtsicherung.

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In seiner Städtetag-Rede zeigte er dies etwa, indem er seinen Dank an alle möglichen Menschen in den Kommunen, die mit der Bewältigung der Migrationsbelastungen befasst sind und „außerordentliches leisten“, nur auf die aus der Ukraine gekommenen Flüchtlinge bezog. Wie seine Genossin Innenministerin Nancy Faeser lenkt er damit davon ab, dass Ukrainer schon längst nicht mehr das Gros der Asyl-Zuwanderer ausmachen. Es sind wie vor dem Krieg vor allem Menschen aus Afrika und Westasien. Aber Scholz weiß natürlich, dass unter deutschen Steuerzahlern, die letztlich die Last der Versorgung und Unterbringung all dieser Menschen tragen, die Bereitschaft dazu viel größer ist, wenn es um Ukrainer geht, als etwa um Nordafrikaner, die nicht unmittelbar vor einem Krieg fliehen. 

Es wird noch vernebelter. Für die ihm zuhörenden Kommunalpolitiker kommt dann – nach einer Auflistung der Unterstützungsleistungen durch den Bund – eine hinter Moral versteckte Abfuhr bezüglich deren Wunsch nach mehr Geld: „Wir dürfen unseren Umgang mit Fluchtmigration nicht auf finanzielle Fragen reduzieren.“ Sonst würde man jenen in die Hände spielen, „die mit dem Feuer des Ressentiments zündeln“. Es ist eine in Watte gepackte N-Keule: Über die finanzielle Last der Armutszuwanderung hat man nicht zu laut zu klagen, das ist unmanierlich. 

Wer ein wenig Fantasie hat und gerne ausgreifend interpretiert, kann darin vielleicht aber nicht nur eine Drohung erkennen, sondern eine versteckte Aufforderung: Die Kommunen sollen eben an der Versorgung der Asyl-Zuwanderer sparen. Schließlich ist diese der entscheidende Pull-Faktor für Armutsmigranten, auch im Vergleich zu anderen potenziellen Zielländern. Wer Armutsmigranten weniger bietet, wird weniger von ihnen aufnehmen müssen. Das ist banal – aber es zu ignorieren, ist auch die zentrale Lebenslüge der bisherigen deutschen Zuwanderungspolitik. 

Kein Sozialdemokrat und Koalitionspartner der Grünen kann das offen zugeben. Die eigene Klientel in Partei und „Zivilgesellschaft“ will sich lieber weiter in den selbstgeschaffenen Lebenslügen suhlen – und nicht über schnöde Kosten reden. Aber letztlich ist die unmissverständliche Konsequenz aus der Verweigerung des Bundes, deutlich mehr Geld für die Migration locker zu machen, für die unter dem Phrasen-Motto „gemeinsam“ versammelten Bürgermeister tatsächlich: Sie müssen an der Versorgung der Migranten sparen (und die eigenen Bürger mit höheren Abgaben und Kommunalsteuern noch mehr schröpfen). Allerdings ist das für die Kommunen schwieriger, als es für den Bund wäre, denn die entscheidenden Stellschrauben wie das Asylbewerberleistungsgesetz werden eben in Berlin und nicht in den Kommunen gedreht.

Auch die weiteren Scholz-Aussagen sind entsprechend vernebelt: Man müsse Migration „steuern und ordnen“, und „nur wenn das gelingt, entlasten wir unsere Kommunen dauerhaft und nachhaltig“. Von „begrenzen“ spricht er nicht. Wohl aus demselben Grund: Für die ideologisierte „Zivilgesellschaft“ ist jedes Wort, in dem „Grenze“ vorkommt, verwerflich (außer Grenzwerten für Emissionen). Wieso aber die kommunalen Kassen entlastet werden, wenn wir, wie Scholz sagt, „vorankommen bei der Digitalisierung der Ausländerbehörden“ und der „Beschleunigung von Asylverfahren“, bleibt sein Geheimnis. Nicht die „Aktenberge“, die Scholz beklagt, sind die größte Belastung der Kommunen, sondern die Versorgungsleistungen für Asylzuwanderer.

Solche Worte lassen nur den Schluss zu, dass vom Bund unter seiner Führung kein offenes Handeln zur Begrenzung der Migration zu erwarten ist – sondern allenfalls verschleiertes, ver„scholz“tes eben. Scholz drückt sich, wie schon seine Vorgängerin Merkel 2015/16 (und im Grunde die gesamte politische Klasse dieses Landes) mit endlos wiederholten Forderungsphrasen an die öffentliche Moral („nicht zündeln“) und Verwaltung („Digitalisierung“) vor der eigentlichen Aufgabe der deutschen Politik im Zeitalter der Massenmigration, nämlich deren Begrenzung zur Verhinderung der Überlastung.

Jetzt will er diese Aufgabe eben auf die Kommunen abwälzen, da er sich davon keine politische Macht-Rendite verspricht. Indirekt gibt er das sogar zu, wenn er den einwanderungspolitischen Dauerbrenner-Satz „Wer hier kein Bleiberecht hat, der muss Deutschland wieder verlassen“, verkündet, aber zu den „Hürden“ sagt: „Der Bund tut seinen Teil, zum Beispiel indem wir den Ausreisegewahrsam verlängern.“ Mit anderen, weniger verscholzten Worten heißt das: Sorgt ihr Bürgermeister doch selbst dafür, dass die Unerwünschten abgeschoben werden, oder macht euren Landesregierungen Druck. 

Scholz hat vermutlich erkannt, dass Deutschland unbedingt auch in der Migrationspolitik eine Zeitenwende braucht, weg von der Gesinnungsethik des unbegrenzten Willkommens hin zur Verantwortungsethik der begrenzten Möglichkeiten und eigenen Interessen. Aber was eigentlich nötig wäre, ist für real existierende Politiker oft nur sekundär handlungsleitend. Primär wichtig ist ihnen stets die Frage, die die frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis einmal in sympathischer Offenheit ausformulierte: Und was wird aus mir?

Scholz will sich migrationspolitisch die Hände nicht schmutzig machen, um in seiner immer wokeren Partei und beim noch wokeren grünen Koalitionspartner nicht angreifbar zu werden. Also sollen die Kommunen die Drecksarbeit machen. Und die EU-Länder mit Außengrenzen, zu deren „physischer Sicherung“ er sich immerhin bei dieser Gelegenheit bekennt. Das kann man durchaus feige und perfide nennen. Scholz und die Bundesregierung drücken sich vor ihrer Verantwortung. Denn die Einwanderung liegt ganz eindeutig in nationaler, bundespolitischer Zuständigkeit, nicht in kommunaler und de facto auch nicht in europäischer. 

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