Tichys Einblick
Die Farce geht weiter

Ibrahim Miri und der fatale Konstruktionsfehler des Asylrechts

Ibrahim Miri schlägt noch einen Haken - die deutsche Gerichtsbarkeit muss mitspringen. Wir lernen: Ein Einreiseverbot ist kein wirkliches Verbot. Und: Ein Antragsrecht auf staatliche Leistungen kann nicht funktionieren, wenn der Staat die Nachweislast trägt.

© Getty Images

Immerhin für Eines muss man Ibrahim Miri vielleicht wirklich dankbar sein. Der berüchtigte Clan-Chef führt der deutschen Öffentlichkeit unübersehbar das ganze Ausmaß der Absurdität des deutschen Asyl- und Aufenthaltsrechtes vor.

Sollte man nicht eigentlich meinen, dass ein „Einreiseverbot“ bedeutet, dass derjenige, gegen den es verhängt wurde, wirklich nicht einreisen darf? Und sollte daraus nicht eigentlich auch logischerweise folgen, dass Handlungen, die aufgrund der Übertretung dieses Verbotes geschehen, rechtlich unwirksam sind? So wie Beweise, die auf illegalem Wege beschafft wurden, vor Gericht unwirksam sind. Offensichtlich ist das in der deutschen Wirklichkeit nicht der Fall, wie Miri vorführt. 

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Der Mann durfte zwar nach seiner Abschiebung (nach einer 31-jährigen Vorgeschichte seit dem ersten Ausweisungsbescheid, einem Leben voller Straftaten und einer mehrere Zehntausend Euro kostenden Abschiebe-Aktion im Charterflugzeug) eigentlich nicht einreisen. Aber er durfte, nachdem er trotzdem ungehindert wieder eingereist war, einen erneuten Asylantrag stellen. Statt dem Mann schlicht die Tür zu weisen, nahm das Bundesamt für Asyl und Flüchtlinge in Bremen seinen Antrag entgegen. Der wurde zwar nach wenigen Tagen abgelehnt (was Innenminister Horst Seehofer eine eigene Pressekonferenz wert war), aber Miri kann gegen diesen Entscheid wieder klagen und hat das wohl auch getan. Weil in dem Bescheid die Rechtsbehelfsbelehrung (also den Hinweis, welche rechtlichen Wege Miri jetzt noch offen stehen) fehlte, hat er sogar noch zwei Tage mehr Zeit für die Klage.

Immerhin wurde Miri sofort in Abschiebehaft genommen. Allerdings heißt das eben nicht, dass der Mann sofort ins nächste Flugzeug nach Beirut gesetzt wurde. 31 Jahre nach dem ersten Ausweisungsbescheid und angesichts all dessen, was seither geschehen ist, sollte man eigentlich davon ausgehen, dass nun wirklich alle Fragen in der Angelegenheit Miri geklärt sind. 

Ist aber offenbar nicht so. Miris Anwalt konnte auch eine Beschwerde gegen die Haft beim Amtsgericht einlegen. Die wurde abgelehnt. 

Also ist wenigstens das geklärt? Nein. Über die Beschwerde muss nun das Landgericht Bremen noch entscheiden. Ein Sprecher bestätigte gegenüber Focus-Online, dass die Akten zum Fall Miri an diesem Donnerstag beim Landgericht eingegangen seien. Und es werde wohl frühestens am Montag entschieden. 

Nochmal die Fakten in Kürze: Ein Mann, der abgeschoben wurde, dem es verboten wurde, den Boden dieses Landes zu betreten, der zudem überhaupt nur auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen worden war, bricht dieses Verbot, stellt daraufhin einen erneuten Asylantrag und beschwert sich nun, dass er in Abschiebehaft sitzt. 

Erstaunlich ist nicht, dass Miri das alles tut. Er ist eben, wie er in den vergangenen Jahren zur Genüge belegt hat, ein Mann, der ohne jegliche Skrupel seinen persönlichen Vorteil verfolgt. Schwer erträglich ist dagegen, dass die Institutionen dieses Staates – offenbar durch Verfahrensrecht gebunden – all diese Unverfrorenheiten des Miri mitmachen. Dass Mitarbeiter des BAMF ernsthaft einen solchen Asyl-Antrag bearbeiten, und dass Richter in zwei Instanzen eine solche Haftbeschwerde prüfen müssen – von einem Mann, dem eigentlich verboten ist, hier zu sein. 

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Miri ist ein außergewöhnlich prominenter Fall, weil der Mann ein mittlerweile deutschlandweit bekannter Krimineller ist. Aber man muss doch wohl annehmen, dass jeder abgeschobene und mit Einreiseverbot versehene Ex-Asylbewerber es ganz genauso macht (oder zumindest machen kann) wie Miri. Und was passiert eigentlich, wenn Miri nach seiner zweiten Abschiebung einfach noch ein weiteres Mal kommt. Könnte er dann noch einmal einen Asylantrag stellen? Und noch einmal klagen und noch einmal Beschwerde einlegen gegen seine Abschiebehaft? Vermutlich.
Umgekehrte Nachweislast

Der Verfassungsrechtler und frühere Verteidigungsminister Rupert Scholz hat kürzlich auf den Kern des Problems hingewiesen: Der deutsche Staat hat sich durch seine asylrechtliche Praxis in eine fatale Lage gebracht, indem er de facto die Beweislast sich selbst auflud. Das Asylrecht gewährt nicht nur das Recht auf Aufenthalt in Deutschland, sondern einen Rechtsanspruch auf staatliche Leistungen (Unterbringung und Versorgung). Zum Wesen eines Leistungsrechts gehört eigentlich, dass der Antragsteller die antragsbegründenden Tatsachen belegen muss. Jeder Hartz-IV-Empfänger muss das. Bei Asylbewerbern ist es faktisch umgekehrt: Der Staat muss dem Antragsteller, selbst wenn dieser nicht einmal seine eigene Identität unzweifelhaft belegt, nachweisen, dass er nicht nur kein Recht auf Asyl hat, sondern auch in sein Herkunftsland zurückgebracht werden kann. Sofern das den Behörden nicht gelingt, erreicht de facto der Antragsteller sein Ziel (Duldung und soziale Versorgung durch den Staat). 

Wenn es aber dem Staat schon bei einem himmelschreienden Einzelfall wie Miri nur mit größtem finanziellem, zeitlichem und personellem Aufwand gelingt, einen Antragsteller loszuwerden, und er nach Zuwiderhandlung sich erneut auf ein Gerichtsprozedere einlässt, statt einen ganz offensichtlichen Missbrauch im Keim zu ersticken, wie soll das bei Hunderttausenden Antragstellern gelingen?

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