Tichys Einblick
Mit der EU kann man es ja machen

„Geht durch. Geht.“, sagt Lukaschenko zu Migranten an der polnischen Grenze

Im Logistiklager bei Brusgi hatte der weißrussische Präsident seinen ersten Propagandaauftritt zusammen mit Migranten. Er versprach ihnen die tätige Hilfe seines Staates. Derweil war der polnische Premier in Berlin und traf eine deutsche Kanzlerin in Abschiedslaune. Morawiecki fordert mehr Entschlossenheit von ihrem Nachfolger.

Lukashenko addresses migrants by the Bruzgi Transport and Logistics Centre, some 1.5 km northeast of Kuznica Bialostocka-Bruzgi border crossing on the Belarusian-Polish border, 26.11.2021

IMAGO / ITAR-TASS

Im Nachhinein lässt sich sagen, dass die Verfrachtung der 2.000 Migranten vom Grenzübergang Brusgi–Kuznica in die nahegelegene Logistikhalle sicher kein zufälliges Manöver war. Was man in Polen schon frühzeitig ahnte, traf nun ein. Der Migranten-Stützpunkt bei Brusgi ist ein symbolischer Ort, eben weil er in der Nähe des umkämpften Grenzübergangs liegt. Er eignet sich also ausgezeichnet für Propagandainszenierungen.

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Nun traf auch tatsächlich Präsident Lukaschenko zu einem Besuch in dem Lager ein, offenbar um seine Auffassung der Migrationskrise in seinem Land kundzutun. Inszeniert wurde die ja irgendwie erwartbare Aussage eines irakischen Teenagers: Sie könne nicht in ihr Heimatland zurückkehren, sagte sie laut Reuters, und hoffte, »nach Europa« – also wohl in die EU – weiterzureisen. Lukaschenko erwiderte umgehend in seiner gutherzig-altväterlichen Art: »Wir werden nicht allein hoffen, wir werden zusammen an deinem Traum arbeiten.«

Niemand solle zu etwas gezwungen werden, sagte Lukaschenko in einer kleinen Ansprache. »Wenn ihr Richtung Westen ziehen wollt, werden wir euch nicht festnehmen, unterdrücken oder schlagen. Es ist eure Wahl. Geht durch. Geht.« Man werde die Migranten auch nicht mit gefesselten Händen in Flugzeuge verladen, wenn sie das nicht wollten.

Einige hundert Migranten wurden inzwischen zurück in den Irak geflogen. Inzwischen zeigt sich aber eine gewisser Zögerlichkeit in den Aussagen der weißrussischen Führung. Man wartet anscheinend darauf, dass Berlin das Versprechen einer Übernahme der 2.000 von Brusgi wahrmacht.

Polen drängt zu politischem und wirtschaftlichem Druck gegen Weißrussland

Warschau sieht in all dem eher eine neue Taktik als ein Entspannungssignal. In Berlin forderte Mateusz Morawiecki die Bereitschaft der westlichen Partner, sich gegen die hybride Taktik Weißrusslands zu verteidigen. Der Premier sprach gar von »staatsgesteuertem Terror«. Doch Polen will sich keiner Erpressung fügen. Als Antwort erwägt man neben der Schließung von Grenzübergängen für Autos und Bahnen auch Sanktionen.

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Beim Treffen mit Morawiecki sprach Merkel wiederum davon, die Migranten in Weißrussland »menschenwürdig zu versorgen«, sie womöglich sogar »wieder in ihre Heimat zurückzuführen«, bedauerte aber vor allem, dass es in der Endphase ihrer Kanzlerschaft nicht noch einmal zu einem Treffen im Normandie-Format gekommen war. Morawiecki betonte demgegenüber, wie wichtig die deutsch-polnischen Beziehungen für eine Bewältigung dieser Krise seien – Beziehungen, die für Deutschland vielleicht nicht immer an erster Stelle standen, wenn etwa die Kanzlerin im Grunde unabgesprochen mit Putin und Lukaschenko telephonierte. Merkel behauptete freilich, sie habe Morawiecki informiert. Sie habe die Polen »versichert«, mit ihnen einig zu sein, was die Lösungswege in der Krise angeht. Das ist so unterkomplex wie nur etwas: Merkel war also der Meinung, dass sie mit den Polen einer Meinung sei… Was die Polen selbst dazu dachten, kommt nicht vor. Und ebenso wurschtig geht es weiter: Um die Aufwertung Lukaschenkos durch ihr Gespräch mit ihm zu entkräften, führt sie ihr Gespräch mit der weißrussischen Exilantin Tichanowskaja an. Auch mit Lukaschenko habe sie vor allem aus »humanitären« Gründen gesprochen, weil er der richtige Ansprechpartner in diesen Dingen sei.
Morawiecki: Keine Ersatzthemen suchen

Natürlich, und das darf man gern als Parteilichkeit sehen, wies Morawiecki bald darauf hin, dass viele der aktuellen Krisen im östlichen Europa an Fäden hingen, die in Moskau zusammengehalten werden, also neben Weißrussland die Krisen in der Ukraine oder in Moldawien, die beide von Russland mittels einer »Energieschlinge« (mit dem Risiko des Blackouts) erpresst würden, daneben Krisen »an anderen Orten« und auf dem Westbalkan, der zügiger in die EU integriert werden müsse. Das ist die polnische Sicht auf die Lage, die vielleicht nicht ganz unbedeutend ist, wenn es um die Sicherheit im östlichen Europa geht, zumal den Polen – im Gegensatz zur Kanzlerin – wirklich eine Abstimmung mit ihren Nachbarn zuzutrauen ist.

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Morawiecki stellte fest, dass sein Land heute »auch Deutschland vor einer großen Welle von Migranten« verteidigt. So habe man auch die »Welle« der Destabilisierung aufgehalten, auf die es Lukaschenko – und hinter ihm Putin – abgesehen hätten. Man habe gemeinsam mit der EU Flüge gestoppt und natürlich die Grenzen dicht gehalten. Aber der polnische Premier befürchtet weitere »Einladungen« durch Lukaschenko, beispielsweise aus Afghanistan. Bedeutsam scheint ein abschließender Satz des polnischen Premierministers: »Wir sollten uns auf diese großen Risiken konzentrieren und keine Ersatzthemen suchen.« Kurz danach wollte er auch mit Kanzler in spe Olaf Scholz sprechen – in dessen Koalitionsvertrag kann man einige dieser Ersatzthemen finden, zum Beispiel die Ermutigung »regulärer Migration«, die nach rot-grün-gelbem Wunschdenken offenbar ihre irreguläre Schwester aufsaugen soll.

Von dieser – bleibenden – Ausrichtung des westlichen Nachbarn dürfte auch Morawiecki wissen. Insofern blieb ihm nichts weiter übrig, als die Einheit der EU als Mittel gegen alle äußeren Versuchungen zu empfehlen. Am Tag des Treffens von Merkel und Morawiecki kam es übrigens zu einem Ausbruchsversuch im polnischen Ausländerzentrum Wędrzyn. 600 dort festgehaltene Männer – mehrheitlich aus dem Irak – versuchten, den Lagerzaun zu durchbrechen. Die Situation konnte von Grenzschutzbeamten und anderen Diensten unter Kontrolle gebracht werden. Wędrzyn liegt etwa 50 Kilometer östlich von Frankfurt an der Oder.

Im selben Moment haben nicht nur die Polen – notgedrungen – praktisch ihren gesamten Grenzschutz an die Grenze zu Weißrussland geworfen. Auch diesseits von Oder und Neiße, in Brandenburg und Sachsen, findet praktisch kein Grenzschutz mehr statt, obwohl die Bundespolizei darauf brennt, ihn zu leisten. Doch ohne Notifikation der zuständigen EU-Behörden geht da in diesen Zeiten nichts mehr. Und diese EU-Notifikation hat der scheidende Innenminister bekanntlich nicht vorgenommen.

Litauen: Aufgriff verschleppter Migranten?

Am Dienstag läuft der Frontex-Einsatz an der litauisch-weißrussischen Grenze aus. Doch das Land hat sich mit Frontex-Direktor Fabrice Leggeri auf eine lückenlose Verlängerung der Operation geeinigt: »Die Mission wird enden, aber Frontex wird in Litauen bleiben.« An der Grenze des Landes steht bereits ein vier Meter hoher Sicherheitszaun mit Hochtechnologie. So sind Kabel mit Sensoren im Boden verlegt, die den Mitarbeitern im Kontrollraum sagen, ob ein Mensch, ein Tier oder ein Fahrzeug einen bestimmten Punkt passiert hat. Der Zaun schütze »unsere Traditionen und die Demokratie« gegen die Feinde der freien Welt, sagte der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im litauischen Parlament, Laurynas Kasčiūnas, gegenüber Medienvertretern.

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Auch an der litauischen Grenze werden immer wieder kleinere Gruppen an der Grenze aufgegriffen, so 35 Menschen in einer Nacht vor einigen Tagen. Die Migranten gaben an, dass sie eigentlich in ihre Heimat zurückkehren wollten, aber von weißrussischen Kräften an die litauische Grenze verschleppt worden seien: »Die Menschen haben uns gesagt, dass sie von der polnischen Grenze hierher gebracht wurden. Und dann wurden sie brutal von belarussischen Sicherheitskräften zu uns gedrängt. Sie wollten gar nicht nach Litauen, sondern nach Minsk und dann wieder nach Hause fliegen.«

Insgesamt wurden laut dem litauischen Grenzschutz sieben Mal so viele Menschenschmuggler festgenommen wie in anderen Jahren. Zuletzt scheint die Einschleusung per LKW ein Problem geworden zu sein. Am Freitag drohte das Land damit, seine Grenzübergänge mit Weißrussland zu schließen, wenn noch mehr Einschleusungsversuche mit LKWs festgestellt werden.

Die polnischen Grenzschützer berichten täglich von mehreren Durchbrüchen: Am Freitag gab es etwa zwei Gruppen von 100 und 200 Mann, darunter Schleuser aus Georgien und Russland. Bei einer Verteidigungsaktion bei Białowieża wurden zwei polnische Soldaten leicht verwundet. die weißrussischen Einheiten hatten erneut Laser und Stroboskoplicht eingesetzt.

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