Tichys Einblick
Spanien

Rajoy kommt nur mit dem Kopf aus seinem Schützengraben

Während die politischen Beobachter und viele Spanier nach dem absurden Auftritt des katalanischen Regierungschefs immer unruhiger werden, was nun geschieht, überlegt sich Premier Mariano Rajoy jeden einzelnen Schritt, vor allem, um seine eigene Zukunft nicht zu gefährden.

Spanish Prime Minister Mariano Rajoy speaks at a press conference following a crisis cabinet meeting over the Catalonian independence issue on October 11, 2017 in Madrid

© Pablo Blazquez Dominguez/Getty Images

Mariano Rajoy ist kein Charismatiker. Er ist Galizier und das bedeutet für die Spanier: Er zögert. Und das ist, was den spanischen Premier während seiner sechs Jahre im Amt auch hauptsächlich charakterisiert – ein vielleicht. Es ist auch die gröβte Kritik an ihm von seiten der Opposition und vieler Wähler seiner Partei, dem Partido Popular (PP). Einige Konservative sind bereits zu der etwas moderneren Version „Ciudadanos“ und dem Klartext redenden Albert Rivera übergewechselt. Und auch in diesem zuspitzenden Konflikt mit Katalonien zeichnet Rajoy sich vor allem durch Abwarten aus: Ja, aber nein. Im Parlament hat er sich bisher noch nicht mit den Fragen der Opposition auseinandergesetzt und auch sein Team zeigt sich vor allem bockig. Aber gerade der katalanische Sympathieträger Albert Rivera fordert Handlung, er will Neuwahlen in Katalonien. Rajoy sagt ihm erstmal „nein“.

Abwarten und Tee trinken

Katalonien
Spanien-Krise: Kein Weg führt am Dialog vorbei
Für viele hat Rajoy schon viel zu lange gewartet, in all den Jahren, in denen er sich nicht eingemischt hat in den radikalen Separatismus in Katalonien und in ihre linguistisch einseitige Erziehungspolitik. Und auch jetzt ist er wieder zögerlich und wirft den Ball erst einmal dem Regionalchef Carles Puigdemont zu, der gestern erst die Unabhängigkeit im katalonischen Parlament deklariert und dann wieder suspendiert hat. Auβerhalb des Regionalparlaments wurde jedoch ein Dokument von verschiedenen separatistischen Parteien unterschrieben, in dem Puigdemont das Mandat zur Unabhängigkeit gegeben wird, womit nicht klar ist, was der überzeugte Separatist eigentlich will: „Wir werden verschiedene Maβnahmen einleiten, die Reaktion auf diese entscheiden unsere nächsten Schritte,“ sagt Rajoy in einer Stellungnahme von seinem Amtssitz am heutigen Mittag.

Aber seine kurze Ansprache war genauso unverständlich wie das gestrige Handeln von Puigdemont, von dem er nun erst einmal verlangt, dass er klar äuβert, wie er zu Unabhängigkeit Kataloniens steht und ob er sie nun gestern deklariert hat oder nicht. Einige spanische Medien interpretieren, dass Rajoy den roten Knopf der spanischen Verfassung, den Artikel 155 aktiviert hat, aber noch nicht angewendet. Puigdemont bleibt also erstmal im Amt und wird nicht ins Gefängnis geschickt, wie es sich viele Spanier gewünscht hätten.

Wirtschaftlichen Folgen sind für Spanien katastrophal

Derweil wird aus Kreisen der katalanischen Banken bekannt, dass Tausende von Kunden, auch nach der Verlegung der Geschäftsstellen wie im Fall von Caixabank und Banco Sabadell, ihr Geld aus Katalonien rausschaffen. „Der soziale Konflikt und der wirtschaftliche Schaden ist da und wird uns leider noch viele Monate beschäftigen,“ sagt die katalanische Unternehmerin Cristina Sorli. Während es gestern weder in Barcleona noch in Madrid zu Gewaltausschreitungen kam, werden für den kommenden 12. Oktober, den spanischen Nationalfeiertag, mit dem die Entdeckung Lateinamerikas durch Kolumbus gefeiert wird, Mobilisierungen von seiten der Separatisten in Katalonien erwartet.

Gewaltausbruch in Barcelona
Katalonien Referendum - Spanische Parallelwelten
Das alles versunsichert die Unternehmer und Finanzmärkte. Heute hat auch das französische Versicherungsunternehmen AXA die Verlegung seines Hauptsitzes nach Bilbao entschieden. Gestern fiel der Ibex wie auch schon in den vergangenen Wochen. „Nichts mag der Investor weniger als Unsicherheit, auch wenn er immer irgendwie auch davon profitiert,“ glaubt Albert Peters, Chef des Kreis der deutschen Führungskräfte in Barcelona (KdF).
Spanien treibt auf eine Verfassungsreform zu

Die gröβte Oppositionspartei im spanischen Parlament PSOE könnte von dieser institutionellen Krise profitieren. Miguel Iceta, Chef der katalanischen PSOE, lieβ gestern bereits durchblicken, dass auch er jetzt Dialog mit Katalonien fordert. „Die pure Anwendung der Gesetze ist nicht die Lösung,“ stellt auch PSOE-Chef, Pedro Sánchez, heute in einer Presseerklärung fest. Der junge und moderne Sánchez hat sich immer offen gezeigt, die aktuelle spanische Verfassung zu reformieren und dort auch die besonderen Eigenheiten der Katalanen festzuhalten. Aus Kreisen von spanischen Regierungs-Journalisten ist auch zu hören, dass nun auch der störrische Rajoy über diesen Weg nachdenkt, vor allem, um nicht sein eigenes Grab zu schaufeln. Das würde zunächst bedeuten, dass Puigdemont nicht festgenommen oder verurteilt wird, was viele gestern erwartet hatten.

Das Land hat ein Kommunikationsproblem und lernt aus Fehlern nicht

Der Umgang mit dieser Krise und mit vielen anderen macht ein grundsätzliches Problem der spanischen Gesellschaft deutlich: Wahrheit ist relativ. Das erklärt das absurde Auftreten Puigdemonts gestern und auch das Rajoys. Niemand legt die Karten offen auf den Tisch, es wird gemauschelt und hinter dem Rücken geredet. Es wird immer um den heiβen Brei geredet, schon in den Familien. Auch die Kommunikationsabteilungen der spanischen Firmen funktionieren so: Alles tun, aber bloβ keine Info rausgeben.

Konfrontation
Katalanische Regierung verliert die Beherrschung
Hinzukomme ein Problem mit dem Umgang mit der Geschichte, aus der weder die Katalanen, noch der Rest der Spanier lernen, wie der Vize der spanischen in Barcelona ansässigen Zeitung La Vanguardia in einer Diskussionsrunde bemerkt: „In den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts haben wir ähnliches erlebt, es wurde eine katalanische Republik ausgerufen, dann wieder suspendiert. Damals hatte das auch mit der spanischen und militärischen Unterdrückung zu tun, aber wer diese Situation auf heute überträgt, der hat nicht verstanden, dass wir heute in 2017 leben, in einer Demokratie und innerhalb der Europäischen Nation, wo Nationalismus eine andere Bedeutung hat,“ sagt Enric Juliana.

Das historische Missverständis bedauern vor allem die vielen katalanischen Unternehmer, die jetzt unter dem Boykott katalanischer Produkte leiden wie die Kosmetikerin-Schule Cristina Sorli in Barcelona. Die gleichnamige Gründerin hält nicht nur den Konflikt für sinnlos, weil zugespìtzt und polarisiert, sondern fürchtet die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkung einer fehlerhaften Kommunikation: „Die Entscheidungen der aktuellen Regierung in Katalonien und Spanien schaden dem Image unseres Wirtschaftsstandorts enorm.“ Die 73jährige fordert deswegen auch zum Dialog auf: „Ansonsten wird dieser sinnlose Kampf, der Hass der einen gegen alles, was Spanisch ist, sich komplett gegen uns Katalanen wenden.“


Stefanie Claudia Müller ist Korrespondentin für Deutsche Medien in Madrid und Autorin des Buches „Menorca, die Insel des Gleichgewichts“.