Tichys Einblick
Ferguson zu Merkel, EU & Greta

Niall Ferguson: Merkel hat keine großen Leistungen vorzuweisen – dafür viele Fehler

Niall Ferguson hat in einem Interview auf teils brave Fragen aufregende Antworten gegeben. Die Kanzlerin sei in drei Punkten gescheitert und die EU nicht den Nobelpreis wert, den sie bekam. Am Ende würden die Menschen gegen die grüne Ideologie aufbegehren.

IMAGO / Agencia EFE

Ferguson hat in einem Gespräch mit dem Portal t-online drei fundamentale Kritikpunkte an Merkel genannt: Erstens, sie hat das Land eingefroren und eingelullt. »Alles ist super!«, das ist das Motto der Merkel-Jahre und vor allem der Merkel-Wahlkämpfe im Schlafwagen der asymmetrischen Demobilisierung. Auf Deutsch heißt das: »Sie kennen mich.«

Olaf Scholz ist für Ferguson »eine männliche Ausgabe von Angela Merkel«. Auch er wird, wie die Vorgängerin, keinerlei Lust auf konstruktive Veränderung verströmen. Das Wirtschaftsmodell Deutschlands (Automobil- und Maschinenbau) datiert Ferguson auf das 20. Jahrhundert. Leider lebten wir im 21. Und diese Kritik stimmt mit einer kleinen Einschränkung: Autos und Maschinen wird die Welt vermutlich auch weiterhin brauchen. Sie sind nur eben kein genuiner Wachstumsmarkt wie das Digitale.

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Zweitens, Merkel hat nicht geführt, sondern sich in wichtigen Fragen treiben lassen. Zum Beispiel beim Brexit, der ebenso wie viele andere Verhängnisse durch die Tatenlosigkeit der Kanzlerin befeuert wurde: »Merkel hat keine großen Leistungen vorzuweisen, dafür aber viele Fehlentscheidungen.« Die Migrationskrise von 2015 erwähnt Ferguson nur im Vorbeigehen, wobei vor allem Deutschland als Erdulder der damaligen Entscheidungen, weniger Merkel als Schuldige dasteht.

Drittens, sie hat Putin gedient, nicht nur mit dem Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2, das sie von ihrem Vorgänger Schröder übernommen und zu Ende geführt hat, auch in Fragen der Ukraine, so Ferguson.

Überhaupt: In seiner Verteidigungsstrategie sei Deutschland »vollkommen abhängig von den Vereinigten Staaten, zugleich werden die USA aber von vielen Deutschen verachtet«. Wenn Trump 2024 nochmals Präsident würde – was Ferguson für durchaus möglich hält –, könnte er sich stärker aus der Nato zurückziehen als bisher. Ferguson spricht gar von einem Nato-Austritt, den auch ein anderer populistischer Präsident hinlegen könnte. Wer würde Deutschland dann beschützen? Frankreich? Wohl kaum, zumindest würde das für Deutschland sehr teuer, meint Ferguson. Teurer als der Euro und die EU bis dato?

Doch leider gilt: »In keiner Disziplin ist Deutschland so gut wie im Selbstbetrug. Ihr Deutschen könnt nur so unbeschwert leben, weil die USA euch eine permanente militärische Sicherheitsgarantie gegeben haben.« Ständig werde behauptet, dass die Europäische Union seit Jahrzehnten den Frieden in Europa bewahre: »Das ist vollkommener Quatsch! Die EU ist militärisch ein Lämmchen. Nur die USA und die Nato können Europas Schutz garantieren.« Man hat das lange nicht mehr so deutlich aus berufenem Munde gehört. Die Wahrheit reinigt.

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Was außerdem aus Fergusons Worten hervorzugehen scheint: Corona war nur das Planspiel für kommende Seuchen, seien sie natürlichen oder künstlichen Ursprungs. Er nennt das eine »überaus bedrohliche Schlussfolgerung«. An die Ausrottung der Menschheit durch einen neuen »Schwarzen Tod« glaubt er trotzdem nicht: »Als Spezies sind wir unglaublich schwer zu töten.« Was die Menschheit nicht schon alles überlebt hat, nachdem sie ein Flaschenhalsereignis in ihrer frühen Geschichte überstanden hatte … Seuchen, Krisen und Kriege. Trotzdem habe man sich stets weiter vermehrt. Die Fixierung der Umweltbewegung auf den Tod der Gattung Mensch hält er für ein Erbe der Religionen.

In Sachen Corona-Krise wundert sich Ferguson im Grunde nur über die anhaltende Maskentragerei, auch im Freien, obwohl doch die »Impfstoffe« da seien. Da könne man doch zumindest die nun »nutzlosen Maßnahmen« beenden. Sie seien nur Zeitverschwendung angesichts der überragenden Bedeutung der »Impfung«, für die man mit allen Mitteln werben müsse. Ferguson sagt nicht »zwingen«. In jedem Fall wirkt Ferguson nicht wie einer, der die Fälle aus seinem neuen Buch Doom (englisch für »Untergang, Verderben«) als Abziehbilder auf die Gegenwart kleben will.

Aber ein bisschen wird er dann doch zum naiven Schulmeister, der versucht, zu einfache Lehren aus den Dingen zu ziehen: »Unsere Zivilisation hat die Biodiversität dieses Planeten erheblich beeinträchtigt. Dadurch bekamen wir es mit SARS-CoV-2 zu tun. Corona sollte uns eine deutliche Warnung sein.« Der behauptete Zusammenhang ist aber einfach nicht zu erkennen, und zwar egal, an welche These zum Virus-Ursprung man sich hält: Nimmt man an, dass Fledermäuse zunächst ein Wirtstier (wie das Tannenzapfentier Pangolin) infizierten, das dann als menschliche Nahrung den Menschen infizierte, dann wäre das Auftreten von SARS-CoV-2 als menschlicher Krankheitserreger das Ergebnis einer unglücklichen Kette von Zufällen. Wenn man hingegen der Meinung ist, dass dieser Virenstamm dem Wuhaner Institut für Virologie entspringt, dann war entweder die zufällige Infektion eines Labormitarbeiters der Beginn der Verbreitung oder ein anderes verhängnisvolles Geschehen.

»Die Menschen werden gegen die grüne Politik rebellieren«

Bei der Klimaerwärmung hat Ferguson zwar keinen fundamental anderen Standpunkt, aber er sieht Greta Thunberg und ihresgleichen im Wolkenkuckucksheim zu Hause, wenn sie die Emissionen sofort abstellen will: »Was dann nämlich passieren würde, haben wir während der Corona-Krise gesehen: Viele Millionen Menschen werden arbeitslos.«

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Die Energiekrise sieht Ferguson als Hauptargument sowohl für die Wahl Donald Trumps wie für die Gelbwestenproteste in Frankreich. Und er sieht mehr davon voraus: »Die Menschen werden gegen die grüne Politik rebellieren.« Und all das nur, weil viele Politiker »sich in eine apokalyptische Traumwelt begeben« haben. Und unzählige Medienleute folgen ihnen. Warum tut man so etwas? Wenn man schon träumt, sollte es doch zumindest kein Alptraum sein.

Doch auch Ferguson sieht einen »gewaltigen Flüchtlingsstrom« nach Europa voraus, weil Teile Afrikas und der Nahe Osten irgendwann nicht mehr bewohnbar seien. Ist das nicht auch so ein apokalyptisches Szenario? Das heißt natürlich nicht, dass es nicht eintreten kann. Ferguson plädiert für Erdgas und Kernkraft, um die Klimaerwärmung zumindest abzumildern.

Am Ende verlangt Ferguson nochmals das, was er vorher in vielen Variationen gefordert hat: Etwas mehr Sinn für Realismus von Deutschland. Denn die »nächste Katastrophe« warte sowieso schon. Aber das ist genau der Stil, von dem wir vielleicht schon zu viel haben. Besser wäre wohl: die nächste Herausforderung – solange man sie dann auch ernst nimmt. So sagt ja auch Ferguson über die Massenmigration, sie sei »nicht das Ergebnis von Naturkatastrophen, wie es oft geglaubt wird«. Vielmehr versage der Westen vollkommen dabei, »mit den politischen Veränderungen in der arabischen Welt umzugehen«. Da ist wieder diese Mischung aus kristalliner Wahrheit und aufgepumpter Halbwahrheit. Denn dem europäischen Westen könnte Arabien eigentlich vollkommen egal sein, wenn man nur die eigene Tür zu bekommt.