Tichys Einblick
Italien: Regierung wackelt

Neuwahlen in Italien? Salvini möchte wohl aufs Ganze gehen

Conte schätzt Di Maio und Salvini - sie sind angetreten, um Italien zu verändern nach Jahren der Stagnation. Die Bürger dürfen noch hoffen, dass die Parteien wieder zueinander finden.

© ANDREAS SOLARO/AFP/Getty Images

Zu beneiden ist Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte jedenfalls nicht. Als parteiloser Chef der 65. Regierung, einer Koalition der Cinque-Stelle (Fünfsterne-Bewegung) und der Lega, auch als Mitte-Rechts-Bündnis bekannt, muss Conte wohl demnächst das Ende dieses Kabinetts bekannt geben. Wenn sich die Leader beider Parteien nicht doch noch einmal zusammenraufen.

Es war von Beginn an die Verlobung eines ungleichen Paares (von Hochzeit hätte man gegebenenfalls zur Hälfte der Regierungszeit von fünf Jahren reden können), das nur zusammenfand, weil beide Partner von der Romantik der Macht zu regieren angetan waren. Und nun, nach knapp über einem Jahr, zerren beide dermaßen an den Enden der gemeinsamen Bettdecke, dass einer sicher frieren wird: wahrscheinlich die Bewegung der Gelben Sterne von Gründer Beppe Grillo und Vize-Premier Luigi di Maio.

Das macht ihn zum Feind
Salvini will beweisen: Politikwechsel ist möglich
Obwohl die Fünfsterne einst bei der Wahl 2018 mehr Prozente holten und die Lega der Juniorpartner wurde, überholte eben Salvinis Lega binnen eines Jahres den Hausherrn. Matteo Salvini profilierte sich über das Amt des Innenministers und galt von Beginn als der starke Mann dieser (plötzlich unheilvollen?) Allianz. Ja, Salvini avancierte zum Gesicht dieser Regierung, auch weil er mit seinen Themen und Forderungen europaweit im Fokus stand, während es die Gelben von Luigi Di Maio nicht schafften, trotz ebenso wichtiger Ministerien Kontur zu gewinnen.

Immerhin, in Fragen der Wirtschaft und Ökonomie, bei der Vereinfachung der Steuerberechnungen für die Haushalte (mit einer Art Flat-Tax; um eine Einigung debattiert man noch), einer Umstrukturierung und Beschleunigung der Justiz mit ihren Urteilsverkündungen, war man meist mit der Lega einig. Zumindest Di Maio. Aber bei der Fünfsterne-Bewegung brodelte es intern dennoch zu oft, weil, so die Meinung, man Salvini gegenüber zu viele Zugeständnisse mache, ihm das Flüchtlings- und Sicherheitsthema komplett überlasse.

Nach Salvinis Meinung kämen vom Koalitionspartner zu viele Bedenken und Bremsen, zu viel „No“. So könne die Lega und Salvini jedoch nicht arbeiten. Dass Salvini von der linken Opposition angegriffen werde, nun, das sei normal, es würde ihn eher wundern, wäre es nicht so. Aber vom eigenen Partner ständig attackiert zu werden, das schlauche schon, gab Salvini zuletzt auf überfüllten Plätzen immer wieder offenherzig von sich.

Nun, woran also genau hat sich diese abermalige Krise entzündet? Wir erinnern, dass Giuseppe Conte bereits vor gut acht Wochen in einer Fernsehansprache beide Parteiführer zur Geschlossenheit mahnte, mehr zu arbeiten an den Projekten – und mehr miteinander statt übereinander zu reden.

Italien gegen ausländische Fremdbestimmung
Salvinis Niederlage, Salvinis Sieg
Jetzt wurde kolportiert, die Stimmung sei zwischen den Alpha-Koalitionären Salvini und Di Maio am Mittwoch so richtig eisig und auf dem Tiefpunkt gewesen. Es ist kein Geheimnis – und war auch das große Wahlkampfthema vor einem Jahr – , dass die TAV, Schnellbahnstrecke Turin-Lyon weiter gebaut werden müsse. Erst neulich bestätigte Premier Conte, dass die Kosten eines Baustopps um ein vielfaches höher ausfallen würden als die Vollendung des Bahnprojekts. Salvini und die Lega sprachen sich stets für das Hochgeschwindigkeits-Schienennetz aus.

Italien müsse wieder wirtschaftlich die Binnenkonjunktur ankurbeln, Arbeitsplätze garantieren und noch mehr Infrastruktur schaffen: vor allem schnellere und sicherere. Luigi Di Maio verhielt sich oft zu unbestimmt, während seine Partei sich mehrheitlich auf die Seite der Gegner stellte: besonders Danilo Toninelli, der Verkehrsminister.

Ergo war der Auslöser für die Krise in der ohnehin angespannten Koalition das Votum der Fünf Sterne vorgestern im Senat gegen das Bahnprojekt, das die Lega von Salvini befürwortet: ein Affront in Salvinis Augen und ein Zeichen von Schwäche einerseits, aber andererseits auch ein Angriff auf Salvini.

Es folgten viele Gespräche im Nachgang, Matteo Salvini konsultierte Conte und teilte ihm wohl mit, so könne es in der Regierung kaum weiter gehen. Das Vertrauen sei zerstört. Regierungschef Giuseppe Conte kam auch mit Staatspräsident Sergio Mattarella zusammen. Beratungen gab es außerdem mit Sterne-Chef Luigi Di Maio. Alle warteten auf eine Entscheidung Salvinis, hieß es in Rom.

Der Legachef wiederholte, dass es nichts bringen würde, mit Verlängerungen der Diskussionen und täglichen Angriffen so weiterzumachen. Allerdings, Salvini berät sich noch, Forderungen an Conte, gar seine Minister abzuberufen, waren übereilte Meldungen in der erhitzten Sommerzeit, der heiße und eiserne 15. August, Ferragosto, ist der italienische Feiertag im Urlaub.

Italien: Contes Ultimatum
Salvini und die Lega fürchten keine Neuwahlen
Im Urlaubsferienort Sabaudia südlich von Rom hatte Salvinis Auftritt wieder ein paar Tausende zur Kundgebung auf die Piazza gelockt. Szenenapplaus brandete auf. Offen und leutselig wie immer sprach Salvini zu den Leuten, „wenigstens 10, 11 Monate haben wir gearbeitet und Italien neue Gesetze beschert, auf die die Italiener seit so vielen Jahren gewartet haben“, sagte er auf der Piazza vor dem ehemaligen Kino von Sabaudia. Jedoch, fügte er nachdenklich hinzu, habe sich „in den letzten 2, 3 Monaten etwas verändert – und es ist etwas kaputtgegangen.“ Als bereite er seine Anhänger bereits aufs Schlimmste vor. Wäre es tatsächlich so schlimm? Die Umfragewerte sprechen eindeutig für die Lega des Innenminisrers. Schade wäre es aber schon, denn, wer kann den Ausgang von Neuwahlen schon auf den Punkt genau vorhersehen?

Sicher ist jedoch auch, Salvini kann nicht allein über Neuwahlen entscheiden. Wollen beide Partner nicht mehr zusammen, ist der Staatspräsident gefragt. Der könnte alle Möglichkeiten sondieren, ob eine andere Mehrheit im Parlament zustande käme. Im Parlament haben die Fünf Sterne immer noch die Mehrheit der Abgeordneten.

Hinzu kommt, beide Koalitionäre, die Lega auch mit dem Rückenwind der Umfragen und des hervorragenden Europawahl-Ergebnis, sollten im Herbst zudem den Haushaltsentwurf präsentieren. Ob es dazu noch kommt? Salvini habe Conte wohl gesagt, es sei an der Zeit, anzuerkennen, dass die Bürger eben zur Neuwahl wollen. Giuseppe Conte wiederum, stets umsichtig, meinte, Salvini solle doch dem Senat erklären, weshalb er die Regierungsarbeit aussetzen wolle.

Eines scheint auch klar zu sein, Conte schätzt Di Maio und Salvini – sie waren angetreten, um Italien zu verändern nach Jahren der Stagnation. Die Bürger dürfen noch hoffen, dass die Parteien zueinander finden. Schließlich, so rief Salvini den Leuten zu, „Ihr bezahlt mich dafür, dass ich meinen Job mache …“. Ob alleine oder mit den anderen, ließ Salvini jedoch offen.

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