Tichys Einblick
Übergang zur Tagesordnung

Schweden in der Nato und die Ukraine allein zu Haus

Der Übergang von der Hurra-Unterstützung der Ampel-Regierung für die Selenskyj-Regierung zu nüchterneren Tönen hat eingesetzt. Einerseits militärisch, weil die Ukraine nicht verlieren, aber auch nicht siegen darf – andererseits wegen der vielen anderen ganz eigenen Probleme, die alle Regierungen der Welt voll beschäftigen.

Screenprint ORF 2

Vor ein paar Tagen schrieb ich Im Osten nichts Neues. Beim Zustand des Ukraine-Krieges dürfte sich wohl auf absehbare Zeit nichts Grundlegendes ändern, so dass es korrekter wäre, vom Krieg in der Ukraine zu sprechen. Zum Ende des Nato-Gipfels in Vilnius gingen die Fernseh-Nachrichten der Frage nach, was dabei rausgekommen ist. Der Weg frei für Schweden als neues Nato-Mitglied lautet die Antwort – und die Ostsee damit ein Nato-Meer. Mehr und neue Waffen für die Ukraine – sonst war für die Ukraine nicht drin.

Ob Ukraine-Präsident Selenskyj mit dem Ergebnis in Litauens Haupstadt zufrieden sein kann, wollte die Moderatorin des ORF von dessen Korrespondenten Christian Wehrschütz wissen. Seine Antwort habe ich hier übertragen, weil ich Wehrschütz zwar in der Sache immer eigenständig und kompetent erlebte, aber noch nie so kompakt und pointiert auf den Kern der Lage der Ukraine wie hier (Hervorhebungen von mir).

Wehrschütz: Enttäuschung ist bekanntlich die Schnittmenge zwischen falschen Erwartungen und der Realität. Und die Realität ist so, dass Nato in dem Fall Amerika heißt. Die USA waren nie bereit, irgendwelche Sicherheitsgarantien im Sinne Artikel 50 Nato-Vertrag einer Beistandspflicht abzugeben. Das weiß die Ukraine seit dem Jahre 1994, als sie auf Druck der USA alle Atomwaffen abgeben musste und auch da keine amerikanischen Sicherheitsgarantien bekommen hat. Die Ukraine hat bekommen, was sie bekommen konnte, und damit wird sie leben müssen, und damit auch in eine Situation kommen, wo sie sagen muss, na ja wir können auf den Westen bauen, aber eben nur eingeschränkt und nicht hundertprozentig. Und das ist das Ergebnis des Gipfels von Vilnius, das zu erwarten war.

Nachfrage Moderatorin: Wäre nach zwei Monaten nicht erfolgreicher Gegenoffensive nicht längst der Zeitpunkt für Friedensgespräche gekommen?

Wehrschütz: Dieser Zeitpunkt ist sicherlich schon längst gekommen und da gibt es eine sehr lebendige Debatte in den USA beispielsweise in einem Artikel der Fachzeitschrift Foreign Affairs der jüngsten Ausgabe, die den Ukraine-Krieg mit dem Korea-Krieg vergleicht, wo ja auch Supermächte und Atommächte involviert waren, und alleine die Friedensverhandlungen, die bis zum Waffenstillstand im Korea-Krieg führten, haben zwei Jahre gedauert. Es geht in der Ukraine ja nicht darum, dass man aufhört zu schießen, sondern dass man beginnt, eine politische Lösung zu suchen, die in irgendeiner Form dann implementiert werden kann, und wenn man das nicht tut, hat dieses Land überhaupt keine Friedensperspektive und auch die Unterstützung in Europa nicht. Also Verhandlungen sind sicher sehr wichtig und werden sehr wichtig, denn selbst wenn das Clausewitz-Diktum gilt, dass Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, dann ist auch die Politik gefordert, diesem Krieg irgendwie ein Ende zu setzen.

Der Blick zur ARD-Tagesschau lieferte mir dann sowohl vom Sender wie von seinem Korrespondenten Markus Preiss her unerwartet in Ton und Sache Übereinstimmung an einem kritischen Punkt, der in den meisten Medien sonst nicht vorkommt:

Preiss: Was auffällt beim Nato-Gipfel, ist der nüchterne Blick auf die Ukraine, man hat nur sehr vorsichtig die Hand Richtung Beitritt ausgestreckt, zum einen, weil man keinen Krieg riskieren will, und zum anderen auch, weil man keinen Blankoscheck ausstellen will. Niemand weiß, in welchem Zustand die Ukraine – auch politisch – ist, wenn der Krieg irgend eines Tages mal vorbei ist.

Wenn ich nicht irre, hat der Übergang von der Hurra-Unterstützung der Ampel-Regierung für die Selenskyj-Regierung zu nüchterneren Tönen eingesetzt. Einerseits strategisch und militärisch, wie es Tomas Spahn in seiner Formulierung auf den Punkt brachte: Eine Ukraine, die nicht verlieren, aber auch nicht siegen darf – andererseits wegen der vielen anderen ganz eigenen Probleme, die alle Regierungen der Welt voll beschäftigen.

Da findet sich die Ukraine als ein Land mehr in der Welt sich selbst überlassen zurück, in denen ein regionaler militärischer Konflikt Alltag geworden ist, in dem man sich einrichtet: jene Ukrainer, die das nötige Kleingeld besitzen, mit häufigem oder permanentem Ortswechsel ins Ausland, die Masse der Ukrainer daheim mit dem täglichen Management ihres Lebens unter ihren bescheidenen Möglichkeiten.

Im Osten nichts Neues. Im Geo-Schach der Großmächte auch nicht, denn sie gehorchen den Interessen globaler Industrien. Im Gefolge der Satrapen sowie nie.

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