Tichys Einblick
Debatte der Vize-Kandidaten

Mansplaining mit Mike Pence, leere Posen mit Kamala Harris

Die Debatte zwischen Pence und Kamala Harris war eigentlich so zivilisiert und höflich, wie ein Dialog unter Konkurrenten nur sein kann. Doch die wenigen Momente echter Debatte entsetzten linke Kommentatoren.

imago Images/UPI Photo

Es war, als ob die beiden Amerikas zur Sprache kämen, die sich auch bei den Wahlen in weniger als einem Monat gegenüberstehen werden. Mit Vizepräsident Mike Pence aus der Kleinstadt Columbus im Bundesstaat Indiana und der kalifornischen Senatorin Kamala Harris saßen sich zwei Juristen gegenüber. Aber daneben könnten die beiden Konkurrenten um das Amt des Vizepräsidenten nicht unterschiedlicher sein. Es war die ruhigere Debatte, die derart einen sinnigen Kontrast zu dem mittleren Tumult bildete, der sich letzte Woche zwischen Donald Trump und seinem Widersacher Joe Biden abspielte.

Man hatte sich an der Universität von Salt Lake City im Bundesstaat Utah getroffen, quasi zwischen Salzseewüste und Ski-Resort. Kamala Harris trat als Formwandlerin auf, mal gab sie die harte Staatsanwältin, die ihren Fall mit Strichlisten darlegte, mal drückte sie emotional auf die Tränendrüse (nicht dass Anwälte das nicht täten), bald malte sie die Zukunft Amerikas düster, dann wieder schien sie durch ihr Lächeln Hoffnung ausdrücken zu wollen. Ein bisschen viel Kamerablicke waren das. Mike Pence ging sehr viel sparsamer damit um.

Und auch einige einstudierte Gesten von Harris waren zu erleben – zum Beispiel die gegen Pence erhobene Innenhand, zu den Worten: »Ich spreche noch, Herr Vizepräsident!« An einer Stelle erwiderte Pence auf solch eine Bemerkung: »Das wäre von Bedeutung, wenn Sie dabei die Wahrheit sagen würden.« Das Signal einer solchen Geste nach draußen ist klar: Hier will mir jemand mein fernsehverbrieftes Rederecht nehmen. Ben Shapiro sprach zu Recht von »womansplaining« (zu deutsch: eine Frau erklärt Männern die Welt). Dabei war Harris’ Zeit ohnehin gleich vorbei. Und ihr Argument konnte sie so auch nicht mehr wirkungsvoll präsentieren.

Man könnte also sagen: Glücklicherweise nutzen einstudierte Posen nichts auf dieser Bühne. Denn die Kamera ist ein unbarmherziger Beobachter. Zumindest müsste man es geschickter machen. Aber im Grunde funktioniert so etwas nur, wenn man meint, was man tut und sagt, also wirklich daran glaubt.

Mike Pence erinnert an die »Pandemie« der Obama-Jahre

Ein erster Höhepunkt wurde erreicht, als Harris der Trump-Regierung vorwarf, die Gefahren der Pandemie vor dem amerikanischen Volk verheimlicht zu haben. Damit spielte sie vermutlich auf die jüngsten Enthüllungen aus einem Trump-Interview vom März an. Aber Trump hatte nur davon gesprochen, dass er das Virus lieber kleiner als größer machen wollte. Und das dürfte zum einen mit seinem Führungsstil zusammenhängen, der durch positive Motivation, nicht durch Verbote wirkt, zum anderen mit seiner Ablehnung einschneidender Maßnahmen im chinesischen Stil. Eigenvorsorge steht hier gegen eine sehr weitgehende Staatsvorsorge. Die klang dagegen bei Harris an, wenn sie sagte, Trump überfordere die Amerikaner.

Bidens Corona-Plan sei nur ein Plagiat, abgeschrieben von der täglich geleisteten Problembewältigung durch das Weiße Haus, erwiderte Pence im wesentlichen auf Kamala Harris’ emotionale Pandemie-Predigt. Kurz darauf schockierte Harris mit der Aussage, dass sie einen von Trump empfohlenen Impfstoff auf keinen Fall nehmen würde. Das war so offensichtlich kleine parteipolitische Münze, dass es Pence leicht fiel, ihr ein unverantwortliches, ja skrupelloses Verhalten vorzuwerfen und damit eine nationale Anstrengung in Frage zu stellen. Harris spiele ein politisches Spiel mit dem Leben von Menschen. Das klang auch später noch mal so, als Harris verschiedenen Zuschauergruppen (zum Beispiel solchen mit Vorerkrankungen) mit schrecklicher Intensität nahebringen wollte, dass Trump/Pence »sie sich holen« würden (»they’re coming for you«), was Pence natürlich verneinte.

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Daneben erinnerte Pence an die unsichere Öffentlichkeitsarbeit und die zweifelhafte Bilanz der Obama-Regierung im Fall der Schweinegrippe. Man schätzt, dass sich damals 60 Millionen Amerikaner infiziert hatten, also fast neunmal so viele wie heute durch das Coronavirus. Offiziell bestätigt waren freilich nur gut 100.000 Fälle. Tatsächlich hatte sich Biden damals durch extrem vorsichtige Kommentare zu der relativ harmlosen Erkrankung hervorgetan, unter anderem: »Ich würde derzeit keine geschlossenen Räume aufsuchen«. Auch vor U-Bahn und Flugzeugen hatte der Vizepräsident etwas panisch gewarnt, nachdem sich ein Regierungsmitglied auf einem Flug nach Mexiko infiziert hatte.

Bidens Nachfolger besitzt das Talent, scharfe Kritik zu üben, dieselbe aber bald wieder fruchtbar für das eigene Handeln zu machen: Man habe aus den Fehlern der Obama-Regierung gelernt. Trotz der H1N1-Panik von 2009 habe man die Lager für medizinisches Material weitgehend »leer« vorgefunden. Das ist auch ein bisschen Selbstrechtfertigung, deutet aber auf die allgemeine Nachlässigkeit des Westens im Hinblick auf die einst erstellten Pandemie-Pläne hin.

Umgangene Fragen zur Gesundheit der Kandidaten

Es folgten einige Punkte, die man unter die Überschrift »mutige Nachfragen« stellen könnte. Was passiert, wenn Biden amtsunfähig werden sollte? Keine Antwort von Kamala Harris außer einem langen Vortrag über ihr eigenes Leben und das von Biden und darüber, wie sehr sich die beiden gleichen.

Wie steht es überhaupt mit der Gesundheit der beiden Präsidentschaftskandidaten? Hat die Öffentlichkeit ein Recht, darüber Bescheid zu wissen? Pence dankte für die allgemeine Anteilnahme an den jüngsten Geschicken des Präsidenten und bekannte sich zur bisher gezeigten Transparenz. In der Tat gab es ein gewisses kritisches Interesse an Trumps Gesundheitszustand, aber es wäre übertrieben zu sagen, man wüsste gar nichts darüber. Und ging es überhaupt um Trumps Amtsfähigkeit oder vielmehr darum, ihm Vorwürfe machen zu können?

Harris versuchte die Frage bezüglich Bidens erst wegzulächeln und sagte dann den gleisnerischen Satz: »Absolut, und ich finde, Joe Biden war unglaublich transparent, im Gegensatz zu Donald Trump …« Doch hier folgte ein Exkurs zu Trumps angeblich geringen, im übrigen aber schlicht unbekannten Steuerzahlungen. Auf diesen Vorwurf hatte Trump in seiner Debatte mit Biden erwidert, er habe Millionen an Einkommensteuer gezahlt. Pence verwies nun auf die Lohn- und Immobiliensteuer, die Trump mit Sicherheit gezahlt habe. Daneben habe Trump als Unternehmer zehntausende Arbeitsplätze geschaffen.

Green New Deal und Fracking

Um das Kapitel zur Umweltpolitik zu verstehen, muss man bedenken, dass die Demokratische Partei praktisch das gesamte Spektrum links der Mitte abdeckt, also von Liberalen im eigentlichen Sinne über solide Sozialisten wie Bernie Sanders bis hin zu Öko- und sonstigen Radikalen wie Alexandra Ocasio-Cortez reicht. Im Zentrum dieser linkeren Gruppen steht die Resolution für einen Green New Deal, die eben Ocasio-Cortez letztes Jahr initiiert hatte.

Biden und Harris versuchen derzeit eifrig, ihre eigenen Pläne vom Programm dieses Green New Deals abzugrenzen und so für die Mitte wählbar zu werden. Doch Pence setzte nach und fand die Worte, die vielleicht in Erinnerung bleiben werden: »Sie haben ein Recht auf Ihre eigene Meinung, aber nicht auf Ihre eigenen Fakten.« Biden habe sich einst für ein Fracking-Verbot und gegen fossile Brennstoffe im allgemeinen ausgesprochen. Für Pence ist das eine Beschreibung für wirtschaftlichen Niedergang. Und eben diese Biden-Worte konnte man in der Tat einer Primaries-Debatte aus dem Jahr 2019 entnehmen.

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Der Green New Deal ist dabei weit mehr als nur ein Programm für die ökologische Erneuerung der Vereinigten Staaten. Es handelt sich praktisch um eine Enzyklopädie demokratischer Sozialpolitik, obwohl beides eigentlich nicht zueinander passt. Denn wie sich höhere Löhne aus einer Politik ergeben sollen, die sehr, sehr viel Geld – angeblich Billionen Dollar – in eine fragwürdige Energiewende und ähnliche Experimente investieren will, bleibt das Geheimnis der Resolution und ihrer Verfechter. Dasselbe gilt für alle anderen Wohlfahrtsversprechen des Plans.

Der Green New Deal darf als überteuertes Steckenpferd entfesselter Ökologisten gelten. Auf seiner Kampagnen-Website hat Biden sich bereits von den unrealistischsten Annahmen des Plans verabschiedet. Auch Kamala Harris gab zu Protokoll, dass man Fracking keineswegs verbieten würde. Ohne den Kongress kann ein Präsident das ohnehin nicht. Pence trug die republikanische Botschaft von Wandel durch Innovation bei Erhaltung der freien Marktwirtschaft meisterhaft vor. Zum Klimawandel sagte er: »Das Klima verändert sich. Die Frage ist: Was ist der Grund? Und was können wir tun?« Klar ist für ihn, die amerikanische Energiepolitik darf nicht aufgehalten werden. Dabei setzte sich die Vermeidung von CO2 in den USA auch 2019 fort (–2,9%), vor allem wegen des Umstiegs auf Erdgas.

Wahrheit und Bedeutung

Beim Thema Steuern können die Republikaner in ähnlicher Weise von der Unschärfe des demokratischen Wahlprogramms profitieren, die sich wohl auch hier dem Trump-Derangement- Syndrom verdankt, das vielleicht wirklich als »charakteristische Verbindung von Auffassungen, Emotionen und Verhalten« existiert.

Als Harris ankündigt, dass ein Präsident Biden an seinem ersten Amtstag die umfangreichen Steuersenkungen Trumps zurücknehmen will, folgerte Pence glasklar, dass dann offenbar Millionen von Amerikanern mit höheren Steuern rechnen müssten. Harris begann eine Replik mit dem antitrumpistischen Mantra, man müsse doch auf »Wahrheit und Fakten« achten beim Debattieren, doch da fuhr ihr Pence mit seinem eigenen Satz von der Bedeutung der Wahrheit (siehe oben) dazwischen. Denn die sah er hier verletzt oder zumindest in Zweifel gezogen. Und hatte Biden nicht erst vor kurzem selbst wiederholt, dass die Steuersenkungen Trumps der Vergangenheit angehören sollten? Was folgte, war vielleicht der beste Moment des Abends, als Harris sich, breit grinsend, Pence’ Ausführungen folgen musste und zum ersten Mal ein Gefühl wie Spontaneität in dieser »Debatte« aufkam (etwa ab Minute 30 im Video).

Supreme Court und Packing

Interessant wurde es, als die ehemalige kalifornische Generalstaatsanwältin sich zum »packing« des Supreme Court äußern sollte, der Möglichkeit, dass die Demokraten nach der Wahl die Jury des höchsten Gerichts hoffnungslos überbesetzen, um die Mehrheitsverhältnisse zu ihren Gunsten zu verschieben. Das wäre wieder einmal ein klassischer Fall von »Kannst du nicht nach den Regeln gewinnen, dann ändere die Regeln«, sagte Pence dazu. Doch Harris gab keine Antwort auf die Frage. Die Demokraten behalten sich dieses Mittel offenbar vor. Ein entsprechendes Gesetz war 1937 von Franklin Delano Roosevelt ins Werk gesetzt worden. Bis vor kurzem wollte auch Kamala Harris die Vermehrung der Richterposten noch diskutieren. Für Pence war Harris’ Schweigen die Gelegenheit zu einer wirksamen Attacke. Er sagte: »Sie haben eine Nicht-Antwort gegeben, genauso wie Joe Biden. Das amerikanische Volk verdient eine offene Auskunft, und falls Sie es noch nicht verstanden haben sollten, die ehrliche Antwort ist, dass die Demokraten den Supreme Court erweitern wollen.«

China und einige konservative Vorhaben

Für Pence trägt das kommunistisch regierte China einen Großteil der Verantwortung für die weltweite Verbreitung des Virus. Wie er die Beziehungen zu China gleichzeitig »verbessern« will und die Führung des Landes für das neue Virus verantwortlich machen will, sagte Pence freilich nicht. Man versteht die Verbindung der beiden Elemente besser, wenn man an Trumps »Art of the Deal« denkt. Denn so betreibt der Präsident in der Tat Politik: hart in der Sache, doch mit freundlichem Gesicht, wenn es nötig ist. Das ist vielleicht das Geheimnis hier.

Preisträgerin tat, was die Politik nicht will
Nobelpreis für eine Gentechnik, die Europa nicht will
Härter war Pence’ Aufschlag in Sachen Handelskrieg. China habe die USA nun seit Jahrzehnten ausgenutzt, während Biden sich als »Cheerleader« der Volksrepublik gerierte. Harris behauptete faktenwidrig, Trump habe den Handelskrieg mit China verloren, die eingebüßten Arbeitsplätze in den USA zeigten das. Doch die Jobs gingen ja erst durch die Lockdowns und das Virus verloren. Sieht Harris es etwa als taktische Waffe der Chinesen? Pence erwiderte im Brustton der Überzeugung: »Den Handelskrieg gegen China verloren? Joe Biden hat ihn nie gekämpft.«

Pence machte keine genauen Aussagen zum weiteren Rückbau von Obamacare und zu einer eventuellen Reform der Abtreibungsgesetzgebung. Das sind also die konservativen Vorhaben, für die er noch keine sichere Mehrheit zu haben glaubt oder die er zumindest im Interesse des Wahlkampfs hintanstellt.

Gewinner Pence und »gender politics« in Salt Lake City

Für den Analysten Frank Luntz steht fest, dass Pence der Gewinner des Abends war. Nicht so sehr, weil seine Antworten besser oder weniger ausweichend gewesen wären. Aber er gab die sympathischere Figur ab. Dagegen wirkte Harris oft herablassend und arrogant. Wiederum saßen sich Gegensätze gegenüber: auf der einen Seite der personifizierte Mangel an Authentizität in Gestalt einer Frau, die ihr Fähnchen regelmäßig in den Wind hängt, egal ob der innerparteilich gerade von rechts oder links weht. Auf der anderen Seite ein Mann, der quasi aus der Tiefe des eigenen Wesens sprechen kann und dabei seine christlichen Überzeugungen im Land der Freien (noch) nicht verstecken muss.

TE-Talk mit Fritz Vahrenholt
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Tatsächlich machte Pence einen deutlich souveräneren Eindruck. Die Vorwürfe, die man ihm im Nachhinein machte – er sei Harris zu oft ins Wort gefallen –, wurden dem ruhigen Mann nicht wirklich gerecht. Und da außerdem der Umstand hinzu kam, dass Pence mit einer Kandidatin debattierte, waren die »gender politics« nicht mehr fern. Mit Kamala Harris hat das Thema Gender-Gerechtigkeit Einzug in die oberste Liga der politischen Berichterstattung in den USA gehalten.

Der Vorwurf an Pence nahm so flugs den Namen des »mansplaining« an (zu Deutsch: ein Mann erklärt Frauen die Welt). Dieses angebliche Faktum wurde sogleich als negatives Signal für die weiblichen Wähler interpretiert, die dem Trump-Lager damit verloren gingen. Aber daran sieht man vor allem, wie hypersensibel die amerikanischen Medien inzwischen in diesen Fragen geworden sind. Das ganze Thema ist wohl eher eine Frage medialer Repräsentation als der Lage im Lande selbst. Auf ABC, wo der »Mansplaining«-Vorwurf geäußert wurde, widersprachen jedenfalls mehrere Frauen der Annahme, man dürfe eine Frau nicht widersprechen oder sie aggressiv angehen. Vor allem hatten viele solches auch gar nicht bemerkt. Auch der Vorwurf des Regelverstoßes gehört natürlich zum weiteren Symptomkreis des Trump-Derangement-Syndroms. Er soll die Legitimität von Positionen in Zweifel ziehen, die anders nicht angreifbar sind.

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