Tichys Einblick
Von der Leyen in Warschau

EU-Politik à la polonaise: Freiwillige Versklavung

Kommissionsvordere von der Leyen verkündete dieser Tage die Freigabe von EU-Mitteln für Polen. Uneigennützig war ihr Warschau-Besuch nicht, wo sie doch nach der EU-Wahl ihren Posten behalten will. Die Unterstützung der Tusk-Regierung, die ungeniert deutschen Politikansätzen folgt, ist ihr jedenfalls gewiss.

Donald Tusk und Ursula von der Leyen, Warschau, Polen, 23. Februar 2024

IMAGO / ZUMA Wire
Es ist ein offenes Geheimnis, dass der schlechte Ruf der polnischen Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit dem in der EU vorherrschenden Medientenor zusammenhängt. Gerade in Deutschland scheint das medial gezeichnete Polenbild stark von einem journalistisch geführten Kulturkampf gegen christlich-konservative Politikvorstellungen geprägt zu sein, die für Jarosław Kaczyńskis Lager nun einmal kennzeichnend sind. Die Verfertigung eines mit den Tatsachen übereinstimmenden Befundes der politischen Stimmungslage an der Weichsel wird für manch einen deutschen Redakteur zu einer nicht gerade kleinen Herausforderung. Die Berichte über die Debatten im Sejm scheinen nicht als einfache Widerspiegelung der dortigen Realität entstanden zu sein. Eher verdanken sie sich festgefahrenen Routinen journalistischer Interpretationspraxis sowie der normativen Selbstvergewisserung in den eigenen (eher links ausgerichteten) Reihen.

Auch die EU-Kommission hat sich im Gehäuse ihrer Vorurteile eingesperrt. Jahrelang wurde die konservative Regierung von Mateusz Morawiecki ungerechtfertigten Anfeindungen ausgesetzt. Spätestens heute wissen wir, dass die aktuellen Vertreter der Brüsseler Behörde den Begriff „Rechtsstaatlichkeitsverstoß“ nur solange verwendeten, wie er ihnen in die eigenen Denkmuster und Argumentationswünsche passte.

Kommissionschefin Ursula von der Leyen hält der seit dem 13. Dezember regierenden Bürgerplattform hartnäckig die Stange, ungeachtet der Tatsache, dass das teilweise mit linksextremem Personal gespickte Kabinett von Donald Tusk seit Wochen mit rechtlich umstrittenen Mitteln in die Justiz und Medien eingreift. Gerade eine deutsche EU-Kommissionspräsidentin, die – von ihrer eigenen Geschichte belehrt – in derlei Fragen überaus sensibel sein will, sollte so etwas nicht auf sich beruhen lassen. Oder sollte sie es doch? Die umrissenen Vorwürfe an die Adresse der polnischen Konservativen wurden bekanntlich nicht nur als Teil der Fraktionsfehden im Straßburger Politikbetrieb verwendet, sondern ebenso als Munition im innerdeutschen „Kampf gegen den Faschismus“. Vielleicht sollte der jüngste Warschau-Besuch von der Leyens auch aus diesem Blickwinkel betrachtet werden.

Die CDU-Politikerin hatte am vergangenen Freitag die Freigabe zurückgehaltener EU-Mittel für Polen angekündigt. Die anstehenden Entscheidungen der Kommission würden bis zu 137 Milliarden Euro für Polen freisetzen, versprach von der Leyen. Sie fügte hinzu, dass sie von den „energischen Bemühungen“ der polnischen Regierung um die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit „aufrichtig beeindruckt“ sei. Freilich war der Polen-Besuch von der Leyens nicht uneigennützig. Es ist kein Zufall, dass sie erst jetzt medienwirksam die Milliardenmittel für Polen freigegeben hatte. Zwar hatte Tusk einst versprochen, dass dies gleich nach den Parlamentswahlen im Oktober geschähe, sein Einfluss in Brüssel schien indes – trotz der Laufbahn als EU-Ratspräsident und EVP-Vorsitzender – recht begrenzt. Er konnte nichts beschleunigen, weil der CDU-Bundesvorstand Ursula von der Leyen erst unlängst für eine zweite Amtszeit an der Spitze der EU-Kommission vorschlug. Ihre erst jetzt geplante Warschau-Reise sollte als effektvoller Wahlkampfauftritt herhalten, den Tusk energisch mitmoderieren musste.

Nachdem er selbst sowie mehrere CDU- und CSU-Politiker im arroganten Tonfall ihre Herablassung gegenüber den Konservativen aus anderen Mitliedstaaten zum Ausdruck gebracht hatten, die ungarische Regierungspartei Fidesz gar als „Fremdkörper“ bezeichneten und zum Austritt aus der EVP zwangen, ist von der Leyen nun auf die Unterstützung einer stark nach links gerückten Fraktion angewiesen. Der Hilfe Tusks kann sie jedenfalls gewiss sein, wo doch dessen gesamte politische Karriere dem Entwurf einer EU im Sinne Altiero Spinellis geschuldet ist. Polens Ministerpräsident wird kaum die europäischen Institutionen kritisieren, geschweige denn der dort lancierten Klima- und Migrationspolitik durch rechtlich zulässige Blockadeversuche entgegenwirken wollen.

Viele Polen können es sich immer noch nicht erklären, wie es dazu kommen konnte, dass in einem mehrheitlich christlich-konservativ geprägten Land linksextreme Verfechter der Vulgärsprache (die Empfindlichkeit der Mikrophone hinterlässt keine Zweifel) die Macht an sich reißen konnten. Sogar die ansonsten unbekümmerten Kinder müssen plötzlich miterleben, wie ihr Schulalltag von der Politik beeinflusst wird. Das von der linksradikalen Koalitionspartei Inicjatywa Polska geführte Bildungsministerium strich zuletzt einige der wichtigsten Werke der polnischen Literatur aus dem Lehrplan, darunter vorzügliche Texte von Juliusz Słowacki, Bolesław Prus und Józef Mackiewicz. Oppositionsführer Kaczyński kritisierte den Revolutionseifer des neu besetzten Ressorts zurecht als einen Versuch der „Entwurzelung und Entnationalisierung“ der polnischen Kultur, ganz im Sinne des in der EU herrschenden Meinungsklimas.

Sicherlich sind die Wirkungsketten zwischen der medialen Berichterstattung zu einzelnen Sachverhalten und ihrer individuellen Beurteilung nicht kurz oder einfach. Aber eine EU, wie sie den Verantwortlichen in den Berliner und Brüsseler Behörden vorschwebt, lässt sich nur mit einem zentralistisch regierten, föderativen Vielvölker- und Einparteienstaat vergleichen, der schon einmal die Menschheit an den Rand einer Katastrophe gebracht hat – der UdSSR. Zwanzig Jahre nach dem EU-Beitritt Polens, das sich dadurch vor allem eine beschleunigte Internationalisierung seines Wirtschafts- und Finanzwesens erhoffte, bewirkt Brüssel keinen Ansehensgewinn mehr. Die dortigen Bürokraten halten sich nicht an das vertraglich Vereinbarte, werfen stattdessen kleineren Staaten nach Belieben „Regelverstöße“ vor, wenn diese darauf bestehen, ihre Migrations-, Klima- und Wirtschaftspolitik von den eigenen Interessen leiten zu lassen und das außenpolitische Handeln pragmatisch zu betreiben.

Im Fall der konfliktträchtigen Migrationspolitik sah sich die PiS daher einst völlig zu Unrecht kritisiert, denn sie hatte ihre Pflichten vorbildlich erfüllt und die EU-Außengrenze gesichert. Morawieckis Regierung versuchte, die Sicherheit des Landes zu wahren und es entlang gemeinsamer Interessen fest in der EU zu verankern. Aber dies funktioniert nicht in einem Europa, das weniger von intelligenten Machern und kreativen Genies geführt wird, denn von blinden Beamten, die trotz ihrer Talentlosigkeit alles und jeden bevormunden wollen.

Zur Wahrung der nationalen Souveränität gehört ebenfalls die Hinterfragung der klimapolitischen Zuständigkeiten der EU. Die polnischen Bauern haben es rasch begriffen und protestieren in diesen Tagen gegen die in Brüssel forcierten Umweltauflagen. Der Green Deal sei für die ökologische Umgestaltung der Landwirtschaft zu drastisch, so die Streikenden. Die Haltung der Bauern, aus polnischer Perspektive klar und konsequent, befremdet den polnischen Regierungschef, der bisher nicht den Mut aufbringen konnte, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Aus der Warte Donald Tusks wirken die Proteste widersprüchlich, weil sie sich den „normativen“ Argumenten der EU verschließen. Die Reaktion des ehemaligen Präsidenten des Europäischen Rates ist bezeichnend.

Es ist eine Frage der Mentalität: Bereits in der UdSSR erwies sich die Einschätzung des Wertes von nationaler Souveränität in den einzelnen Republiken und Satellitenstaaten als zentraler Konfliktpunkt. Und auch damals wurde sie von den Marionetten der Zentrale als ein lästiges Überbleibsel aus zu überwindenden Zeiten betrachtet.

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