Tichys Einblick
Europäischer Green Deal

Landwirte stellen die grüne Agenda der EU infrage

Die EU will mit ihrer Politik erreichen, dass die Landwirtschaft in Europa ab 2023 ökologischer und nachhaltiger wird. Doch die Bauern stellen sich quer. Für viele Landwirte ist der Protest gegen die bevorstehende Transformation eine Frage des Überlebens.

Bauernprotest am 3.3.23 in Brüssel

IMAGO / Belga

Mit dem „Europäischen Green Deal“ will Brüssel den Übergang zu einer modernen, ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft schaffen. Darunter fällt auch die Landwirtschaft, also die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP). Dadurch soll die Landwirtschaft in Europa ab 2023 ökologischer und nachhaltiger werden. Unter den vielen Richtlinien und Produktionseinschränkungen geht es auch um die Stilllegung von vier Prozent der Agrarflächen ab 2023.

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Das schiere Ausmaß der Transformation, den die Europäische Kommission in ihrer Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ fordert – Halbierung der Menge an Pestiziden bis 2030, Reduzierung des Einsatzes von Düngemitteln, Verdoppelung der ökologischen Produktion und Renaturierung einiger landwirtschaftlicher Flächen – wäre auch in weniger dringenden Zeiten bemerkenswert, schreibt die Financial Times.

Doch die Bauern in der EU stellen sich quer. Die Financial Times macht es am Beispiel des griechischen Bauern namens Takis Kazanaz deutlich. Auf einer grünen Landfläche in Nordgriechenland werden seit Jahrtausenden Rinder gezüchtet, doch nun diskutieren die Aufsichtsbehörden in Brüssel über Regeln, die dazu führen werden, dass Farmen wie die in Griechenland als Industrieanlagen behandelt werden, ähnlich wie Stahlwerke oder Chemiewerke.

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Sollte diese Richtlinie in Kraft treten, ist der Hof, auf dem der 66-Jährige und seine vier Söhne 300 Rinder und 230 Hektar Land bewirtschaften, gesetzlich verpflichtet, die Treibhausgasemissionen und die Umweltverschmutzung zu senken. Mit jenen ehrgeizigen Klimazielen, die bis 2030 erreicht werden sollen, zwingt Brüssel die Landwirtschaft dazu, „grün“ zu werden.

Kazanas bereitet längst Biogas aus Kuhdung auf und streut anstelle von chemischem Dünger selbstgemachten Mist über das Land. „Das ist es, was die EU sagt, und das ist, was ich tue“, sagt Kazanas. „Heute gibt jeder dem Vieh die Schuld an der Methanproduktion und der Umweltverschmutzung.“ Er ist einer von vielen Bauern, die es satt haben, dass das, was sie tun, als Umweltdelikt betrachtet wird.

Die EU argumentiert, der Agrarsektor benötige dringend Umweltreformen. Ein hochrangiger EU-Beamter, der sich mit Klimapolitik beschäftigt, nennt es „unser Sorgenkind“. Der Sektor ist für 11 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen des Blocks verantwortlich – ein Anteil, der genauso hoch ist wie vor 20 Jahren, beschreibt es die Financial Times.

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Für viele Landwirte ist der Widerstand gegen die bevorstehende Transformation eine Frage des Überlebens.

Tom Vandenkendelaere, ein belgischer Abgeordneter im Europäischen Parlament, sagt, der Druck auf die Landwirte werde unerträglich: „Es ist die Anzahl der Maßnahmen, die sie gleichzeitig treffen.“ Er erklärt, Bauern fühlen sich von Aktivisten verunglimpft, nur weil sie ihre Arbeit machen, sie werden beschuldigt, den Planeten zu schädigen und werden für den Fleischkonsum und den Klimawandel verantwortlich gemacht. „Sie haben das Gefühl, dass ihre gesamte Lebensweise angegriffen wird.“ Menschen, die unser tägliches Essen bereitstellen, werden als Tierquäler, Giftmischer, Bodenzerstörer und Umweltverschmutzer bezeichnet.

Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in der EU ist seit 2005 um mehr als ein Drittel geschrumpft. Während der durchschnittliche Betrieb größer geworden ist, ist das landwirtschaftliche Einkommen mit etwa 20.000 Euro pro Person konstant niedrig geblieben. Krijn Poppe, Agrarökonom in den Niederlanden, ist der Meinung, dass noch mehr Betriebe unweigerlich verschwinden werden, da viele zu klein sind, um wettbewerbsfähig zu sein.

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Franc Bogovič, ein Obstbauer und Mitglied des Europäischen Parlaments aus Slowenien, kommentiert, dass der Plan für eine 50-prozentige Reduzierung des Pestizideinsatzes bis 2030 – eines der Ziele, die in einer heiß umstrittenen Richtlinie festgelegt sind, die derzeit von den EU-Gesetzgebern verhandelt wird – einen Großteil seiner Produktion vernichten würde. „Ich bin seit vielen Jahren in diesem Sektor tätig und habe noch nie einen so großen Widerwillen gegen diese Politik empfunden.“

Besonders verärgert ist er darüber, dass die neuen Vorschriften nach einer massiven Überarbeitung der GAP zur Förderung der „grünen“ Produktion im Januar in Kraft getreten sind. Die GAP, mit der die Landwirte subventioniert werden, ist im Laufe der Jahre geschrumpft. Das Geld fließt zunehmend in Umweltprojekte und Nebenbetriebe statt in die Nahrungsmittelproduktion. „Die Landwirte haben Angst vor der Zukunft und wie es weitergehen wird. Sie werden in große Schwierigkeiten geraten, wenn sie ihre Weinberge und Obstgärten, die vor fünf Jahren durch Kredite finanziert wurde, abholzen müssen. Man braucht 20 Jahre, um diesen Kredit wieder zu erwirtschaften.“

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Trotz der Gegenreaktion hat die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, das Tempo der politischen Entscheidungsfindung seit Beginn des Ukraine-Krieges nicht verlangsamt. „Die Landwirte fragen: ‚Warum hasst Brüssel uns‘“, sagte Vandenkendelaere.

Eine Theorie ist seiner Meinung nach, dass von der Leyen die Unterstützung der Grünen in der deutschen Koalition braucht, um sich eine zweite Amtszeit zu sichern. Eine andere ist, dass sie glaubt, dass die Landwirtschaft – insbesondere die Viehzucht – den Planeten schädigt.

„Die Kommission ist davon überzeugt, dass der Übergang zu einem widerstandsfähigen und nachhaltigen Agrarsektor im Einklang mit dem europäischen Green Deal und seinen Farm-to-Fork- und Biodiversitätsstrategien von grundlegender Bedeutung für die Ernährungssicherheit ist“, sagt von der Leyens Sprecher Eric Mamer.

Brüssel habe seit Beginn des Krieges in der Ukraine einige Änderungen vorgenommen, stellt er fest. Es habe den Landwirten erlaubt, auf den 10 Prozent der Flächen, die unkultiviert bleiben müssen, um sich zu erholen, Futtermittelpflanzen anzubauen, eine Bedingung für den Erhalt von Subventionen. Außerdem wurden die Vorschriften ausgesetzt, die die Fruchtfolge vorschreiben. Aber es waren die nationalen Regierungen, die auf die Bremse getreten sind. Die Vorschläge der Europäischen Kommission können von den 27 Mitgliedstaaten geändert werden.

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