Tichys Einblick
1.000 fehlende Haftplätze

Dänische Regierung öffnet den Weg für Abschiebehaft im Kosovo

Das dänische Justizsystem ist überlastet. Nun schloss die sozialdemokratische Regierung ein Abkommen mit der Republik Kosovo, das die Überstellung straffälliger Asylbewerber nach Pristina ermöglicht. Das könnte ein erster Schritt zu Asylverfahren in Drittländern sein. Dänemark wird so immer unabhängiger von der proklamierten gemeinsamen Asylpolitik der EU.

MAGO / Ritzau Scanpix

Dänemark schreitet weiter auf seinem Weg zu größerer migrationspolitischer Autonomie innerhalb der EU voran. Der nun angekündigte Schritt verbindet zwei Αnsätze der sozialdemokratischen Regierung unter der zielstrebigen Mette Frederiksen: Einerseits will das Land die syrischen Migranten, deren Fluchtgrund durch die Beruhigung des syrischen Bürgerkriegs entfallen ist, zur freiwilligen Rückreise anhalten. Syrer ohne Schutz- und Aufenthaltsstatus müssen daher in Abschiebeeinrichtungen mit betont karger Ausstattung leben. Daneben versucht der dänische Staat, die Ex-Flüchtlinge durch Geld- und andere Unterstützungsleistungen zur Rückreise zu motivieren.

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Zum anderen hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das es erlaubt, Asylverfahren in Drittländern durchzuführen. Als dritter Baustein kommt nun die Vereinbarung mit der Republik Kosovo hinzu. Demnach sollen straffällig gewordene Asylbewerber, die nicht in ihre Heimatländer abgeschoben werden können, ihre Haftstrafe künftig im Kosovo absitzen. Dort sollen 300 Haftplätze zur Verfügung stehen, die Dänemark anmieten wird. Derzeit sitzen 348 Abschiebehäftlinge in dänischen Gefängnissen ein. Auch in Dänemark werden die Haftkapazitäten indessen in den kommenden vier Jahren erweitert, um 1.000 Plätze.

Ausgenommen von der Regelung sind verurteilte Terroristen und andere Gefangene „mit hohem Risiko“, die das Kosovo nicht aufnehmen will. Unter die letztgenannte Kategorie fallen allerdings nicht Bandenmitglieder und Vertreter der organisierten Kriminalität, wie Justizminister Nick Haekkerup gegenüber Danmarks Radio erklärte. Vorgesehen ist ein Dialog mit dem Kosovo, das die Übernahme in jedem Einzelfall aufgrund einer „konkreten Bewertung“ ablehnen kann.

44 bis 66 Prozent der Häftlinge sind nicht dänischer Herkunft

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Sogar die Reisekosten für Besuche in dem Gefängnis will die dänische Regierung übernehmen. Das bezieht sich vor allem auf Häftlinge, die Kinder haben. Das sind nach Haekkerup zehn bis 15 Prozent. Von 2015 bis 2018 hatte Norwegen Gefängnisbetten in den Niederlanden angemietet. Neben den Kosten wurden damals Menschenrechtsbelange als problematisch angeführt, wie Danmarks Radio ausführt.

Aber Nick Haekkerup ist sich sicher, dass das dänische Abkommen mit dem Kosovo auch einer Prüfung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) standhalten würde. Das Abkommen soll am Montag in Pristina unterzeichnet werden. Laut dem kosovarischen Justizministerium werden die Häftlinge in einem Gefängnis in Gjilan untergebracht werden. Das Abkommen gilt für die kommenden zehn Jahre und soll dem Kosovo 210 Millionen Euro einbringen.

Das dänische Strafvollzugsystem steht unter Druck. Die Zahl der Häftlinge ist in den letzten fünf Jahren um fast ein Fünftel gewachsen. Auch Aufseher scheinen Mangelware zu sein. Man darf fragen, welche die Gründe für diesen sprunghaften Anstieg sind – die Kriminalitätsrate gilt als niedrig im internationalen Vergleich und im Vergleich mit früheren Jahren. Doch in den Gefängnissen des Landes sitzen zwischen je nach Region 44 und 66 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund ein.

„Aushebelung europäischer Asylregeln“ oder Befreiungsschlag?

Daneben stellt sich die Frage, wie es mit den Häftlingen weitergeht, wenn sie ihre Strafe abgesessen haben und immer noch nicht abzuschieben sind. Geht es um eine „Aushebelung der europäischen Asylregeln“, wie der Deutschlandfunk meint. Haekkerup spricht lieber von einem historischen Abkommen für sein Land. Jeder kann seine Perspektive darauf haben. Offenbar geht es Dänemark – neben der Entlastung des eigenen Justizsystems – darum, den Druck auf abzuschiebende Straftäter zu erhöhen.

Laut der Tageszeitung Jyllands-Posten gibt es daneben Probleme mit der Abschiebung syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge. In 80 von 186 Fällen soll der dänische Flüchtlingsrat die Entscheidung der Einwanderungsbehörde überstimmt haben. Auch für das entschiedene Dänemark stellt sich die Rückführung von einst vielleicht berechtigten Flüchtlingen in das nun sichere Syrien schwierig dar. Die Betroffenen versuchen, mit Zähnen und Klauen – natürlich auch mit anwaltlicher Hilfe – an ihrem Aufenthalt in dem nordeuropäischen Land festzuhalten. Und auf der anderen Seite sind internationale Anwaltskanzleien immer mehr bereit, die Ansprüche der Immigranten zu unterstützen. Diese Verhältnisse lenken den Blick umso stärker auf den europäischen Grenzschutz, der gestärkt werden muss, um unberechtigte Asylanträge zu vermeiden.

Linke Gegenpositionen

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Dass es auch in Dänemark linke Gegenpositionen zu denen der Regierung gibt, zeigt sich auch an dem jüngsten Urteil des Reichsgerichts, das die Ex-Ausländerministerin Inger Støjberg zu 60 Tagen Haft verurteilte, weil sie sich 2016 gegen „Kinderehen“ einsetzte und Immigranten von ihren minderjährigen Frauen trennte. Nun stellte das spezielle Ministergericht fest, dass sie dabei gegen die Archivierungsregeln verstoßen hatte. Juristen hatten Støjberg vor ihrem direkten Zugriff auf das Thema gewarnt. Dennoch war es Støjbergs Amtszeit, in der im Grunde auch der heutige sozialdemokratische Regierungskurs durch zahlreiche Gesetzesverschärfungen vorbereitet wurde. Støjberg ist weiter von dem, was sie getan hat, überzeugt: „Ich werde mich nicht entschuldigen. Ich habe nichts Falsches getan.“

Die Sozialdemokraten erlitten inzwischen eine Schlappe in der Hauptstadt Kopenhagen, wo die ökosozialistische „Rot-Grüne Allianz“ die einfache Mehrheit gewannen, die bisher immer die Sozialdemokraten innegehabt hatten. Das ändert freilich nichts an der Stadtregierung, denn die Sozialdemokraten können sich mit den anderen, sämtlich rechts von der „Einheitsliste“ stehenden Parteien die Mehrheit erhalten.

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