Tichys Einblick
US-Präsidentschafts-Kampagne

Bidens surrealer Vorsprung und Trumps Präsenz

Media Research Center-Direktor Rich Noyes stellte fest, dass Millionen von Amerikanern der »vorurteilsbeladensten Präsidentschaftskampagnenberichterstattung der modernen Mediengeschichte« ausgesetzt sind.

imago Images/Future Image

Seit langem stellen praktisch alle nationalen Umfragen in den USA eine Kluft zwischen den beiden Hauptkandidaten fest, die sich zwischenzeitlich auf knapp zehn Prozentpunkte vergrößert hat. Ausgerechnet CNN hat nun eine für Trump günstigere Umfrage veröffentlicht. Der freute sich in einer Wahlkampfrede über seinen ›Lieblingssender‹ und ging zum direkten Angriff auf den nun offiziellen Kandidaten Biden über.

Es mutet surreal an: Ein Kandidat, der seinen Keller nur selten verlässt und von dort bald fahrige, bald wirre Ansprachen und Interviews ins Land sendet, hat die haushohe Führung inne, während sein mit allen PR-Wassern gewaschener Gegner, der zudem den Amtsbonus besitzt, hinten liegt. Freunde des Präsidenten und seiner Partei geben ohnehin nicht viel auf diese Umfragen, die sie als Mittel zum Machterwerb für die linksliberalen Eliten sehen. Newt Gingrich erzählt in einer kleinen Chronik, wie man ihn selbst gelegentlich mit selektiv veröffentlichten Zahlen in einen Schrecken versetzt hatte, der sich auflöste, sobald er die Zahlen in ihrer Gesamtheit las. Darum dürfte es hier nicht gehen, denn die Zahlen sind vermutlich so, wie sie veröffentlicht werden. Wie sie aber zustandekommen, darüber verraten sie nichts.

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Eine Umfrage für den Nachrichtensender CNN hat nun einen deutlich engeren Abstand zwischen den beiden Kandidaten gemessen. Vier Prozent, so gering war die Differenz zuletzt im April. Der aktuelle Durchschnittvorsprung Bidens, ermittelt von der Website FiveThirtyEight, liegt bei acht Prozent. Beachtlich ist die Entwicklung der neuen im Vergleich mit früheren CNN-Studien: Noch im Juni lag Biden (mit 55%) ganze 14 Prozentpunkte vor Trump (41%). Nun hat Bidens Ergebnis nachgegeben (50%), während Trump fast im gleichen Maß aufholen konnte (46%). Vier Prozentpunkte beträgt auch die Fehlertoleranz der Umfrage; die Rivalen könnten demnach also bereits gleichauf liegen. Trump ließ es sich nicht nehmen, die für ihn günstige Umfrage bei seiner Rede in Oshkosh im Bundesstaat Wisconsin zu erwähnen, zusammen mit einem Verweis darauf, dass diese Umfragen ohnehin alle verfälscht würden und also in die Irre führen.

Ähnlich war schon die CNN-Umfrage von Anfang Mai 2020 ausgefallen. Erst danach kam mit den landesweiten BLM-Protesten ein Moment ins Spiel, das der Opposition in die Hände spielte. Demokratische Amtsträger bemühten sich, die Proteste für ihre Partei zu verbuchen und taten wenig bis gar nichts, um sie in links-autonomen Hochburgen wie Seattle und Portland einzudämmen. Zwischen den beiden großen Parteien entbrannte ein Streit darum, wie man auf die Proteste und Unruhen reagieren sollte: verständnisvoll mit gebeugtem Knie und baldiger Freilassung der Festgenommenen oder mit der Härte des Gesetzes und polizeilicher Konsequenz.

Der erste Abdruck des Paars Biden/Harris?

Da die CNN-Studie vom 12. bis zum 15. August durchgeführt wurde, konnte CNN bereits nach den beiden Kandidatenpaaren fragen. Die Umfrage bildet also den ersten Abdruck der Nominierung von Kamala Harris als Vizepräsidentschaftskandidatin. Der Eindruck ist kein gewinnender. Vielleicht ist Amerika doch nicht bereit für ein derart ungleiches und unausgewogenes Paar.

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Im Kontrast mit der deutlich jüngeren, ehrgeizigen Frau fällt stärker als bisher die Altersschwäche und Unambitioniertheit Bidens auf. Als netter Basement-Onkel war er okay. Wie steht es aber mit ihm als Anwärter um das höchste Amt im Staate? Will man das Risiko eingehen, es einem Mann zu übergeben, der nicht mehr Herr seines Denkens ist? Wie oft hat sich Biden eigentlich zuletzt auf die Zunge gebissen und eine Bemerkung mit den Worten »I shouldn’t say« fallengelassen? Ein Präsidentschaftskandidat sollte die Sprache der Menschen sprechen. Der konservative Kommentator Ben Shapiro prägte nun die beißende Formulierung, dass Biden heute keine »menschliche Sprache« mehr spricht. 55 Prozent der Amerikaner glauben, dass Biden seine Amtszeit von vier Jahren nicht durchstehen wird.

Wird also eine Mehrheit der Amerikaner die Verantwortung letztlich einer kalifornischen Ex-Staatsanwältin und Senatorin überlassen, die mögliches Fehlverhalten der von ihr geleiteten Behörden stets unter den Teppich kehrte und sich damit selbst als inkompetente Vorgesetzte erwies? Angeblich hat Harris durch ihr Verhalten nicht nur Unschuldige hinter Gitter gebracht, sondern sie dort auch ungerechtfertigterweise festgehalten. Schon jetzt wird deutlich, dass das Team Biden nicht die stärkste Kandidatin ausgewählt hat, sondern die, die am besten in das aktuelle Meinungsklima zu passen schien. Sie weiß zwar leutselig und dynamisch aufzutreten, schreckte aber letztlich aus Mangel an Unterstützung vor einer eigenen Präsidentschaftskandidatur zurück. Ihre Umfragewerte waren schon vor den demokratischen Primaries deutlich zurückgegangen.

Trumps Nicht-Rallye vor »hart arbeitenden Patrioten«

In Oshkosh sollte eigentlich nur eine kleine Versammlung mit 50 Unterstützern stattfinden. »Wir nennen es einfach einen friedlichen Protest, dann können wir alles machen, was wir wollen«, rief Trump ihnen zur Begrüßung zu. Es waren anscheinend ein paar mehr geworden, als laut »den Regeln« erlaubt sind. Leise Zurückhaltung Trumps bei diesem Punkt: Natürlich wolle man sich an Regeln und Regulationen halten. Trumps inexistente Kommentierung, die doch in seinem betont zahmen Ton durchscheint, komplettiert den neugefundenen Kompromiss in Sachen Masken: Die, die sie mögen, sollen sie tragen und trotzdem Trump wählen. Die sie nicht mögen, denen wird er sie nicht gewaltsam aufschwatzen. Man könnte das bürgerlich oder freiheitlich nennen.

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Daneben ist das Wort vom »friedlichen Protest« natürlich eine Anspielung auf die Lage in vielen Großstädten des Landes, wo es in diesen Tagen teils hartnäckige Proteste angeblicher friedlicher Art gegeben hat, die häufig in Unruhen endeten, aber dennoch immer wieder begonnen werden durften. Im Gegensatz dazu begrüßt Trump seine Zuschauer in Oshkosh als »hart arbeitende Patrioten von Wisconsin«. Es ist im übrigen eine Gegenveranstaltung zum demokratischen Nominierungsparteitag, der zeitgleich mit weit weniger Live-Atmosphäre, eher schon wie ein Zoom-Call zur Mitarbeiterzählung, stattfindet und unter anderem eine gemütliche Kaminrede von Michelle Obama enthält.

Trump hätte gern, dass sein Treffen eine wirkliche »Rallye« wäre, erst dann wäre er ganz in seinem Element. So fehlt wohl etwas von dem Adrenalin, das nur große Menschenansammlungen dem Präsidenten verschaffen. Trotzdem bemüht er sich um Interaktion mit seinem Publikum, wie es die Showmanship erfordert, die charakteristisch für das politische System der Vereinigten Staaten ist. Er scheint ehrlich bewegt, wenn die versammelten Bürger »four more years« von ihm fordern.

Pelosis 3,4-Billionen-Dollar-Corona-Bill – von Amerikanern für Amerikaner

Trump geht sofort in medias res, spricht von seinem Herausforderer, der absolut keine Ahnung von dem habe, was um ihn herum an links-radikalen Umtrieben stattfindet, um dann auf die erheblichen Steuererhöhungen zu kommen, die er von einem gewählten Joe Biden erwartet. Trump spricht von vier Billionen Dollar, die sein Rivale angeblich den amerikanischen Steuerzahlern abverlangen will. Man versteht noch nicht ganz, wie diese Zahl zustande kommt. Doch der 3,4-Billionen-Dollar-Bill, den Nancy Pelosi in diesen Tagen durch den Kongress bringen will, gibt einen Vorgeschmack auf die Ausgabenwünsche der Demokraten, die ja von irgendetwas und zuletzt von irgendjemandem bezahlt werden müssen. Es handelt sich um ein sogenanntes Anreiz-Paket, das die Wirtschaft nach dem Corona-Dip anregen soll. Der republikanisch dominierte Senat lehnt ein Paket dieser Größe ab und schlägt Ausgaben von immer noch einer Billion Dollar vor.

In seinem Newsletter spricht Newt Gingrich, der republikanische Vorgänger Pelosis als Sprecher des Repräsentantenhauses, von einem potentiell gefährlichen Gesetzentwurf mit über 1.800 Seiten, der versuche, die Privatwirtschaft der Vereinigten Staaten zu nationalisieren. Letztlich würde das Gesetz den Aufstieg der amerikanischen Wirtschaft verlangsamen, indem es unter anderem zur Arbeitslosigkeit ermutigt und die Wirtschaft durch neue Regulierungen und Steuerpflichten stranguliert.

Das entspricht genau der Kommentierung Trumps in seiner Rede. Außerdem umfasse der Gesetzentwurf Geldgeschenke und Arbeitserlaubnisse an illegale Ausländer. Auch ein Punkt, am dem sich Gingrich mit Trumps Kritik an den Demokraten trifft.

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Trumps Wahlkampfrede verdiente eine gründlichere Analyse. Von Interesse sind zwei Schwerpunkte: Trump spricht zum einen über Bidens Vorgeschichte. Ein »halbes Jahrhundert« lang habe Biden Amerika bereits enttäuscht und im Stich gelassen. Und da findet er im Detail natürlich vieles: die grundlegende, sicher von keinem Prinzip erschütterte Nähe zu China – auch persönlich festgemacht an Bidens Sohn Hunter –, die Aufnahme Chinas in die Welthandelsorganisation, den Abschluss des Freihandelsabkommens NAFTA und zahlreicher weiterer internationaler Abkommen, die Trump zum Teil neu verhandelt, zum Teil für die USA beendet hat.

Zum anderen hebt der Präsident natürlich diese Errungenschaften seiner Amtszeit hervor. 84 Prozent der Verordnungen Obamas habe man rückgängig gemacht. Er selbst habe einen Krieg mit Nordkorea verhindert und Truppen aus Afghanistan, dem Irak und Syrien abgezogen. Für Trump ist das kein Isolationismus, sondern eine Bewegung hin zu einem vernünftigeren Einsatz amerikanischer Ressourcen, den er seinen Wählern vor vier Jahren versprochen hat. Trump ist kein Kriegspräsident, sondern einer, der sich vor allem für die Wirtschaft seines Landes und ihr Wachstum eingesetzt hat, bevor er in diesem Sommer auch – eher unfreiwillig – zum »Präsidenten von Recht und Ordnung« werden musste.

Die »vorurteilsbeladenste Kampagnenberichterstattung der modernen Mediengeschichte«

Laut Trump ist freilich weder Biden noch die Demokratische Partei sein Hauptgegner, das seien vielmehr die korrupten Medien. »Wir haben korrupte Medien in diesem Land«, sagte er in einem Interview in der Sendung Fox & Friends am Montag morgen. Viele der Reporter, die seine Pressekonferenzen im Weißen Haus frequentieren, vertreten laut Trump die Ansichten der radikalen Linken. Die Fragen dieser Medienvertreter verglich Trump mit einem Bombardement, in ihren Augen brenne der Hass: »Wenn ich mir einige von ihnen anschaue, dann denke ich: ›Junge, wie kannst du nur so viel Hass empfinden?‹«. Aber zugleich helfe ihm eine solche hyperkritische Berichterstattung letzten Endes: Journalisten mit Vorurteilen würden das amerikanische Volk nur wütender machen. Dagegen nehme Biden überhaupt keine Journalistenfragen entgegen. Wie auch, er sitzt ja meist im heimischen Untergeschoss vor seinem Laptop, wenn er einmal zum amerikanischen Volk spricht.

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Eine Studie des Media Research Center (MRC) belegt diese Vorwürfe Trumps auf ihre Art. Sie ergab, dass die Hauptnachrichtensendungen der drei größten Netzwerke ABC, CBS und NBC 150 Mal mehr negative Bewertungen über Trump als über Biden verbreiten. Es gab insgesamt 634 negative Statements über Trump, dagegen fand man gerade einmal vier zu Biden; dem standen 34 positive Urteile über Trump und acht über Biden gegenüber. Selbst wenn man bedenkt, dass Trump als amtierender Präsident natürlich häufiger in den Nachrichten vorkommt und stärker geprüft und kritisiert wird, ergibt sich kein besonders ausgewogenes Bild.

MRC-Direktor Rich Noyes stellte fest, dass Millionen von Amerikanern der »vorurteilsbeladensten Präsidentschaftskampagnenberichterstattung der modernen Mediengeschichte« ausgesetzt sind. Daneben wiederholt sich aber auch ein Muster aus Trumps letztem Wahlkampf, denn auch in der Sendezeit, die auf ihn verwendet wird, übertrifft er Biden um das Neunfache. Diese Dauerpräsenz, wenn auch unter negativen Vorzeichen, war schon einmal Trumps Geheimwaffe gegen den linksliberalen politmedialen Komplex seines Landes. Und vielleicht ist die CNN-Umfrage also doch ein Blick in die nahe Zukunft und nicht der Ausreißer, als der sie heute dasteht. Andere Umfragen haben den Biden-Vorsprung inzwischen auch nach der Nominierung von Kamala Harris als »stabil« dargestellt. Newt Gingrich wird ihnen wohl ohnehin nicht glauben.

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