Tichys Einblick
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Grüne lassen Koalition platzen: Schwedische Ministerpräsidentin scheitert am Haushalt

Magdalena Andersson war nur für wenige Stunden Regierungschefin. Die von ihr geschmiedete Minderheitskoalition zerbrach im Laufe eines Nachmittags. Andersson wollte flexibel mit allen Fraktionen des Reichstags zusammenarbeiten. Doch die schwedischen Grünen erwiesen sich als unberechenbar.

Die Vorsitzende der schwedischen Sozialdemokratischen Partei und neu ernannte Premierministerin Magdalena Andersson während einer Pressekonferenz nach der Haushaltsabstimmung im schwedischen Parlament am 24. November 2021

IMAGO / TT

Sie war der erste schwedische Regierungschef weiblichen Geschlechts. Gewählt wurde Magdalena Andersson am Morgen des 24. Novembers, mit einem denkbar knappen Ergebnis. 117 Abgeordnete stimmten für sie, 57 enthielten sich, doch 174 stimmten sogar gegen die Sozialdemokratin. Eine Gegenstimme mehr hätte Andersson durchfallen lassen.

Zurück trat sie am Nachmittag desselben Tages. Der Grund: Der Haushalt ihrer rot-grünen Minderheitskoalition (unter Einschluss der ex-kommunistischen Linkspartei) hatte keine Mehrheit im Reichstag gefunden, wohl aber der Entwurf der Opposition aus Christdemokraten, der (konservativen) Moderaten Sammlungspartei und den rechtskonservativen Schwedendemokraten. Es war das erste Mal, dass ein Budget unter Beteiligung der Schwedendemokraten vom schwedischen Parlament angenommen wurde.

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Andersson wollte zu diesem Zeitpunkt noch der nordischen Kultur der Minderheitsregierungen folgen und erklärte, auch mit diesem Haushaltsplan lasse sich regieren. Doch die koalierenden Grünen sahen das anders und kündigten das Regierungsbündnis nach wenigen Stunden auf. Ko-Parteivorsitzende Märta Stenevi sagte mit Blick auf die Beteiligung der Schwedendemokraten an dem Budget: »Wir müssen unseren Wählern mit Stolz in die Augen blicken.« Ihr Kollege Per Bolund assistierte mit der Bemerkung, man bedauere diese Entscheidung zutiefst.

Andersson hätte zwar gern regiert, fügte sich aber am Ende: »Für mich geht es dabei um Respekt, aber ich möchte auch nicht eine Regierung führen, deren Legitimität aus Gründen angezweifelt werden kann.« Zugleich erklärte sie, dass sie das Amt der Regierungschefin erneut anstreben will. Parlamentspräsident Andreas Norlén führte umgehend Gespräche mit allen acht im Reichstag vertretenen Parteien an.

Andersson nimmt Parallelgesellschaften ins Visier

Anfang November war Andersson zur Vorsitzenden der schwedischen Sozialdemokraten gewählt worden und hatte seither einen Schwenk ihrer Partei vorbereitet. Ähnlich wie die dänische Schwesterpartei sah auch sie die Immigration deutlich kritischer, als es früher unter Sozialdemokraten üblich war. Vor allem gegen die grassierende Drogen- und Bandenkriminalität wollte sie vorgehen. In diesem Zusammenhang hatte es immer wieder wilde Schießereien und aufsehenerregende Bombenanschläge in Schweden gegeben. Die Migrantenghettos in den Vorstädten der großen Städte Stockholm, Göteborg und Malmö gelten als Schwerpunkte dieser Verbrechensarten.

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Als Rezept gegen diese Parallelgesellschaften und die damit verbundene Kriminalität präsentierte Andersson eine bessere Integration der Ausländer. Diese sollten zunächst einmal Schwedisch lernen und müssten dann, gleich welchen Geschlechts, in Arbeit kommen. »In Schweden arbeiten Männer und Frauen, egal was Väter, Mütter, Ehepartner und Brüder denken«, sagte Andersson. Das erinnert stark an die von der dänischen Regierung benannten und bearbeiteten Problemen mit der Berufstätigkeit von Frauen. Daneben haben die Sozialdemokraten versprochen, dass Schweden bis 2014 zusätzliche 10.000 Polizisten bekommen soll. Der nächste Schritt, auch bei der Zuwanderung genauer hinzuschauen, wird in Schweden etwas defensiver vorbereitet als in Dänemark. Nicht zuletzt haben auch dänische Gesetze den Zuzug nach Schweden schon deutlich verringert.
Aftonbladet: »Grüne erzählen Mist«

Ende August hatte Anderssons Vorgänger Stefan Löfven seinen Rückzug als Partei- und Regierungschef für den Herbst angekündigt. Zuvor hatte der Reichstag dem Sozialdemokraten am 21. Juni das Misstrauen erklärt – formal aufgrund eines Streits über Mietpreisbindungen. Eingereicht hatten den Misstrauensantrag die Schwedendemokraten, unterstützt wurde er auch von der Linkspartei und sogar von konservativen Parteien, die damit allerdings eher gegen die Regierungspläne in Sachen Arbeitslosigkeit und Kriminalitätsbekämpfung protestierten.

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Andersson, die bald als Löfvens Nachfolgerin gesetzt war, bekam Koalitionsangebote auch von der bäuerlich-liberalen Zentrumspartei. Letztlich waren es wohl die Zugeständnisse an die sozialistische Linkspartei, die die Bauern-Führerin Annie Lööf gegen Anderssons Koalition aufbrachte. Lööf sprach von einem »sehr beunruhigenden Linksruck« der Sozialdemokraten. In der Vergangenheit hatte sie eine Regierungszusammenarbeit mit den Schwedendemokraten ausgeschlossen. Das gilt nicht vom Oppositionsführer Ulf Kristersson, dem Vorsitzenden der konservativen »Moderaten«, der sich sogar eine Koalition mit den Schwedendemokraten von Jimmie Åkesson vorstellen kann.

Am Donnerstag kündigte Reichstagspräsident Norlén vor der zahlreich erschienenen Presse eine zweite Chance für Andersson an. Etwas frustriert erklärte er, das Chaos des Mittwochs hätte vermieden werden können. Er hätte Andersson nie als Premierministerin vorgeschlagen, wenn er von ihrem folgenden Rücktritt gewusst hätte, schreibt Aftonbladet. Das war eine klare Rüge an die Grünen, von denen sich Norlén eine Mitteilung vorab erwartet hätte. Ein Kommentar der schwedischen Tageszeitung war gar mit den Worten überschrieben: »Miljöpartiet snackar skit«, zu deutsch etwa: »Die Grünen erzählen Mist«. Die Kolumnistin Lena Mellin glaubt, dass sich die Grünen langfristig ins eigene Fleisch schneiden. Nicht sie werden als Gewinner der Lage vom Platze gehen, sondern ihre Gegner, als erste die ausgegrenzten Schwedendemokraten.

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