Tichys Einblick
Offenbarungseid

Mitte-Studie, Teil III: Nie versiegender Quell intellektueller Ver(w)irrung

Diese faktenarme und mit vielen Eitelkeiten gestrickte 327 Seiten lange Studie ist ein großes Geschenk. Und im Ergebnis nur ein weiterer Sargnagel für die Sozialdemokratie als Auftraggeber und funktional auch als große Beichte.

TOBIAS SCHWARZ/AFP/Getty Images

Nun hat sich die Empörung über diese Diffamierungskampagne der SPD und ihre Friedrich-Ebert Stiftung schon bis zu Claus Kleber herumgesprochen, als der sich via Twitter echauffierte, dass seine kritischen Fragen an Macher der Mitte-Studie aus einem Beitrag entfernt wurden.

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Noch besser: Zuletzt hatte Sigmar Gabriel höchstpersönlich den Finger in die schwärende Wunde der SPD-Stiftung gelegt und das Brandpapier kurzerhand als „Fehlinterpretation“ betitelt. Nun gut, die SPD mag schnell nach Veröffentlichung geahnt haben, was für ein kontraproduktives Ei ihr Stiftung und Studienmacher da ins Superwahljahr geschmissen haben wie so eine Wählervertreibungshandgranate und also den Ex-Vorsitzenden Gabriel baten, sich kurzerhand via Tagesspiegel darüber zu werfen. Aber wird der diese erneute Selbstverstümmelung der Sozialdemokratie wirklich abfangen können?

Der Ex-Außenminister kommt also als Cleaner in der Not vom Seitenaus mit dem verbalen Brechmittel zu Hilfe, weil sich die SPD-Stiftung an ihrer Boshaftigkeit gegen die Mitte der Gesellschaft überfressen hat. Aber kann man so einen Mist wirklich so einfach wegwischen, wie es Gabriel jetzt nach Kleber quasi als Ausputzer für die Sozialdemokratie erledigen will, wenn er sich auf die Stinkbombe aus der Friedrich-Ebert-Stiftung schmeißt?

Agitation
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Sicher, dieses Pferd könnte man nun reiten und reiten bis es in den Flur des Willy-Brand-Hauses. Aber diese Studie ist nun mal da. Sie geht davon nicht weg. Denn fast ganz gleich, wo man mit dem ausgestreckten Finger in dieses Machwerk einstößt, finden sich immer noch mehr neue Grenzüberschreitungen auch gegenüber denen, die dieses Papier finanziert haben, wenn jährlich weit mehr als 170 Millionen Euro aus der bürgerlichen Mitte in diese sozialistische Stiftung fließen. Aber sollte man das? Mit dem Finger noch in der offenen Wunde bohren?

Man muss es sogar! Die Studienmacher um Andreas Zick und die SPD-Stiftung haben mit ihre 327 Seiten eine nie versiegende Quelle aufgemacht, wenn es darum geht, nach den Ursachen zu forschen, wie eigentlich genau sich seit 2015 diese zunehmend unüberwindbaren Gräben in der Gesellschaft aufgetan haben.

Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung
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In der Mitte-Studie finden sich Wort für Wort, Satz für Satz und Seite für Seite Belege für Verwerfungen einer bestimmten Klientel, wie man sie selten so geballt aufgeschrieben bekommen hat. Dafür müssen Historiker, aufrechte Journalisten und interessierte Laien dankbar sein. Ihnen wurde einiges nicht nur an Recherchearbeit abgenommen wenn es darum geht beispielsweise aufzuzeigen, auf welche Weise der Diffamierungsapparat gegenüber der Mitte der Gesellschaft tatsächlich arbeitet.

Dramatischer könnte man sagen, hier wurde ein Schuldeingeständnis über 327 Seiten abgeliefert. Hier wurde schriftlich fixiert, warum der demokratische Dialog und die Debatte um die wichtigen gesellschaftsrelevanten Fragen unserer Zeit so einseitig aufgekündigt wurde. Besonders beachtlich dabei die Erkenntnis: Es geschah auch aus Eitelkeit, Hochmut und Selbstüberschätzung. Denn wie anders ist es erklärbar, wenn sich eine selbsternannte Elite aufschwingt, die Mitte der Gesellschaft auf diese Weise anzugreifen?

ZDF-Journalismus
Claus Kleber muckt auf
Wenn jetzt schon in Sachen Klima die Kinder auf ihre Eltern gehetzt werden, dann mag der Damm gebrochen sein, es auch auf anderen Feldern zu versuchen. In der Studie ist da beispielsweise unter „Verbreitung von Verschwörungsmythen in der Gesellschaft“ von „Wissenschaftsfeindlichkeit und Klimawandelleugnung“ die Rede. Das muss man sich vergegenwärtigen, wenn hier ausgerechnet diese Studienmacher von „Wissenschaftsfeindlichkeit“ der anderen fabulieren. Nur eine weitere Groteske, die jetzt noch offener daliegt und jederzeit in den Debatten, die über die Zukunft entscheiden, rekapitulierbar sein wird. Ein großartiges Geschenk.

Ein paar spontan ausgewählte Beispiele mögen hier Hinweise sein auf besagtes großartiges Potenzial dieser Studie, wenn es zukünftig darum gehen wird, mit dieser spalterischen Klientel in Debatten einzusteigen:

Über Rechtspopulismus und „landläufige Vermutungen“:

„Das Einkommen spielt für die Zustimmung zum Rechtspopulismus keine so
große Rolle und weicht auch von landläufigen Vermutungen ab.“

Über böse Gewerkschaftler:

„Gewerkschaftsmitglieder (dies ist rund jede_r sechste Befragte) sind deutlich häufiger rechtspopulistisch eingestellt (30 %) als Befragte, die in keiner Gewerkschaft sind (19,5 %; strengeres Kriterium). (…) Dies spricht dafür, dass Gewerkschaftsmitglieder politisch meinungsstark sind, auch was ihre rechtspopulistischen Einstellungen betrifft.“

Über einen Generalverdacht:

„Rechtspopulistische Einstellungen können potenziell auch von Personen vertreten werden, die sich politisch selbst nicht im rechten Spektrum einordnen bzw. Parteien des rechten Spektrums wählen.“

Über böse Christen und warum Muslime nicht stattfinden:

„… ist die Tendenz zu rechtspopulistischen Einstellungen unter Christ_innen etwas weiter verbreitet als unter Konfessionslosen (44,%, 45 %, 37 %; Unterschiede zu Befragten anderer Glaubensrichtungen können nicht analysiert werden, da diese in Deutschland zu wenig verbreitet sind, entsprechend gering ist die Anzahl ihrer Gläubigen in einer repräsentativen Stichprobe).“

Über eine neue Partei im Bundestag, die vergessen hat, sich nackig zu machen:

„Das Auftreten der AfD und ihre Etablierung in den Parlamenten hat sie
in der Wahrnehmung der Bevölkerung folglich kaum als eine Partei entblößt,
die vom demokratischen Grundkonsens anderer Parteien abweicht, sondern
den Rechtspopulismus vielmehr etwas weiter zur Normalität werden lassen.“

Über Mengenlehre und „neurechte Mentalitäten“:

Darüber hinaus zeigen sich signifikante Zusammenhänge mit einer Kollektiven
Wut22 (r = ,74 ***).

Über hinter Mentalitäten versteckten Rechtsextremismus:

Über sexuelle Gewalt und Morde von Migranten, die in Wahrheit nur tief sitzende Stereotype bedienen:

„Angst machende Begriffe wie »Flüchtlingskrise« (gängiger Begriff in vielen Medien), »Flüchtlingstsunami« (Bundesinnenminister Horst Seehofer), und »Messermigrant« (AfD-Politikerin Alice Weidel) taten ihr Übriges, erst recht die Berichte über (sexualisierte) Gewalt und Morde, die nicht zuletzt auch deshalb so wirkungsvoll sind, weil sie an die uralten, tief sitzenden, in der Kulturgeschichte gepflegten Stereotype des fremden Mannes und des Orientalen mit dem Dolch hinter dem Rücken, der Frauen raubt, anknüpfen.“

Über die Aufforderung, kritische Stimmen aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen noch konsequenter zu entfernen – trifft es hier bald auch Claus Kleber?

„Wenn etwa rechtspopulistischen Ansichten in einer an sich klugen Interviewrunde eines seriösen Senders Raum gegeben wird, die Zuhörenden dann zu Recht meinen, davon ausgehen zu können, dass die Interviewpartner_innen über eine gewisse fundierte Expertise (eben nicht nur Ausdem-Bauch-raus-Meinungen) verfügen, ist es kein Wunder, wenn auch die Mitte rechtspopulistische Einstellungen langsam übernimmt (Küpper 2017b).
Irgendwann schlägt sich dies dann auch in Wahlen nieder. Es beschleicht einen
bisweilen der Eindruck, die Geister, die man zum Teil auch mutwillig gerufen hat – das gilt u. E. sicher für die Medien mit ihrer eigenen Logik, die in Teilen mit dem Populismus deckungsgleich ist und ihm damit Vorschub leistet (dazu Diehl 2017) – wird man nun nicht mehr los.“

Diese faktenarme und mit vielen Eitelkeiten gestrickte 327 Seiten lange Studie ist ein großes Geschenk. Und im Ergebnis nur ein weiterer Sargnagel für die Sozialdemokratie als Auftraggeber und funktional auch als große Beichte: Wer demnächst in die Debatte einsteigt, der findet hier einen reichen Fundus an Zitaten und Belegen. Aber wohl ganz anderes, als es sich die Studienmacher vorgestellt hatten, als sie in Berlin noch ihren vermeintlichen Coup nach der Pressekonferenz feierten. Zu früh gefreut?