Tichys Einblick
Demokratie und Recht ade

Im Windschatten von Corona: Ministerpräsident Kretschmer mit der Heckenschere an Meinungsfreiheit

Der CDU-Ministerpräsident von Sachsen fordert noch einmal eine Verschärfung der Verschärfungen zur Löschung und Bannung von oppositionellen Meinungen in den sozialen Medien.

imago

Wie viele Gegendemonstrationen gegen eine antiparlamentarische Opposition will die Regierung eigentlich noch anschieben, aufbieten, aufhetzen und quersubventionieren z.B. über das Familienministerium, flankiert von ehemaligen Leitmedien, denen man für die Zukunft mit Millionenbeihilfen so etwas wie einen semi-öffentlich-rechtlichen Status gönnen will ebenso, wie diese per Gesetz in den sozialen Medien via Nötigung noch prädestinierter abgebildet werden sollen?

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Der CDU-Ministerpräsident von Sachsen, Michael Kretschmer springt der Merkelregierung geflissentlich zur Seite und tritt gerade jedwede per Verfassung garantierten Oppositionsanstrengungen und -aufgaben ins Kontor. Er fordert noch einmal eine Verschärfung der Verschärfungen zur Löschung und Bannung von oppositionellen Meinungen in den sozialen Medien: „Die Politik darf nicht tatenlos zusehen, wie ungefiltert Hass- und Fakenews über das Internet und die sozialen Netzwerke verbreitet werden.“ Kretschmers Aufforderung an alle Machtapparate: „Wir müssen hier auf Bundesebene zügig nachsteuern.“

Der Focus nimmt die Ansage dankbar und vollkommen unkritisch auf. Arbeitsverweigerung ist das. Aber warum? Und als vermeintliche Gegenleistung wofür?

Zwischenbemerkung: Wer während der Corona-Krise und in einer Phase von Einschränkungen der Bürgerrechte auf Basis einer Pandemieabwehr und also untere erheblichem Entzug der Möglichkeit beispielsweise einer wirkmächtigen Demonstration oppositioneller Gegenwehr – wer diese Einschränkungen so schamlos ausnutzt, seine politischen Ziele ohne Debatte durchzusetzen, der will sich damit meilenweit aus dem demokratischen Kontext verabschieden.

Ministerpräsident Kretschmer fordert also – und das macht er zweifellos stellvertretend für die Bundesregierung – noch einmal eine Verschärfung des NetzDG. Fast schon unnötig, hier daran zu erinnern, in was für einer Nacht- und Nebelaktion dieses Gesetz final durch den Bundestag gelotst wurde.

Die Liste der Kungeleien und Schwiemeleien in Sachen Meinungsfreiheit mindestens in den letzten fünf Jahren ist lang, hinreichend dokumentiert und muss ja nur um die jeweils neueste ergänzt werden. Denn auch hier gilt natürlich, wenn es um elementare Bürgerrechte wie Meinungsfreiheit geht: Nichts darf vergessen werden. Die Initiatoren müssen dabei klar benannt werden, denn nur so wird es möglich sein, antidemokratisches Wirken zu belegen und abzubilden.

Kretschmer meint jetzt zum NetzDG: „Hier muss nun nachgesteuert werden.“ Besonders perfide übrigens in dem Kontext seine Nebelkerzen, die Kretschmer parallel abfeuert um die eigentliche Ungeheuerlichkeit seiner Forderungen zur Unzeit (Corona-Krise) zu verwässern.

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Der Christdemokrat will doch tatsächlich den Eindruck erwecken, als läge ihm grundsätzlich noch etwas an einer Meinungsvielfalt. Wie er das untermauern will? Indem er aktuell etwa fordert, Verständnis für Kritiker der Corona-Maßnahmen zu haben. Bei ihm liest sich das allerdings eher so, wie man Verständnis haben muss, für seltsame Marotten von Menschen mit erheblichen Einschränkungen. Die Arroganz der Macht, demokratische Rechte als lästige Behinderung der Regierungsarbeit.

Wie bigott ist das aber, wie ernstgenommen möchte eigentlich ein deutscher Ministerpräsident noch werden, der einerseits die Meinungsfreiheit im Netz in weiten Teilen abschaffen und kontrollieren will, und gleichzeitig die Chuzpe hat, sich hinzustellen und zu sagen: „Ich möchte verstehen, was die Menschen umtreibt. Das ist eine zwingende Voraussetzung dafür, dass dieses Land sich nicht weiter spaltet.“ Sagt also ausgerechnet der, der gerade die Spaltaxt ansetzt und die Einschränkungen einer Pandemie übel ausnutzt, um mit dem NetzDG ein auch unter Datenschützern aller Colour hochumstrittenes Instrument noch weiter zu verschärfen.

Wie bigott das alles ist, wird noch deutlicher, wo Kretschmer angibt, man müsse die Leute mit ihrer Kritik an den Corona-Maßnahmen ernst nehmen und dürfe sie nicht gleich in die Ecke drängen und als Gesprächspartner ausgrenzen. Denn dann, so der Ministerpräsident, könne die Zahl der Demonstranten noch steigen.

Was für eine verquere Logik ist das eigentlich? Wenn die Zahl der Demonstranten steigt, dann liegt das zunächst daran, dass bestimmte politische Maßnahmen nicht gewollt werden. Dann sind diese Maßnahmen zu überprüfen. So einfach. Und dann ggf. eben nachzubesseren bzw. zurückzunehmen. Dann sind diese Proteste nicht mehr und nicht weniger als das, was sie immer sind und immer sein werden: Ein dringender Arbeits- und Handlungsauftrag an die – nennen wir sie ruhig mal so: – Angestellten des Volkes, an die Regierenden!

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Die Anliegen der Bürger ernst zu nehmen, bedeutet also keineswegs nur, sich mit grünem Mundschutz in der Dresdner Fußgängerzone medienwirksam ablichten zu lassen, wie man gerade einem Spaßvogel mit Aluhut das Ohr leiht, sondern beispielsweise den Medien in aller Schärfe ins Gewissen zu reden, die Vielfalt der Meinungen endlich abzubilden und zur Debatte zu stellen, anstatt sich zum Büttel der Regierenden zu machen für ein paar Danke-Groschen-in-Spe.

Und niemand muss Michael Kretschmer erklären wollen, warum dieses NetzDG nicht noch verschärft werden darf. Und schon gar nicht während einer Phase der eingeschränkten Bewegungsfreiheit (Corona-Krise). Doch, er weiß es selbst ganz genau. Er weiß um die düstere Wirksamkeit des NetzDG auf die Meinungsfreiheit und um den vorauseilenden Gehorsam der Betreiber der sozialen Netzwerke, wenn es darum geht, empfindliche Strafen zu umgehen, also zu löschen, zu bannen und zu sperren, was das Zeug hält.

Fehlt nur noch einer, der auch diesen Netzbetreibern immer exakt mitteilt, was Regierungslinie ist und was also auf der Kretschmer und Co gegenüberliegenden Seite zu sperren ist.

Und auch kaum jemand widerspricht einer Netiquette-Ansage. Aber was Kretschmer hier möchte, hat mit Regeln im Umgang der Teilnehmer der sozialen Medien untereinander nichts zu tun, ihm geht es um politische Kontrolle. Um Machterhalt. Wer das in diesem ganzen Schmutz sauber auseinanderhalten kann, der versteht erst den ganzen Wahnsinn, der hier zusätzlich installiert werden soll.

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„Das Internet befördert einseitige, radikale Positionen.“, sagt der Ministerpräsident, der damit allerdings einmal mehr radikale Positionen stärkt und befördert, indem er mit einem antidemokratischen Maßnahmenkatalogen eben genau dafür sorgt und sich damit in eine Reihe stellt mit seinem bayrischen Kollegen Markus Söder, der die Erfahrungen der Regierenden mit der Pegida-Bewegung gerade dahingehend interpretiert hat, dass bei den Corona-Kritikern schnell noch härter vorgegangen werden muss.

Und im Prinzip stimmt das ja sogar. Dieser erdrutschartige Vertrauensverlust gegenüber der Politik, den Parteien und den Regierenden ist ganz real. Und die Gefahr besteht für die Mächtigen, das sich daran nicht ändert, wenn die Bürger weiter ihre Meinung äußern, wenn sie eine anhaltende Schlechtleistung der Politik weiter aufs Schärfste kritisieren dürfen.

Also muss der Knebel her in Form der Verschärfung des Netzdurchsetzungsgesetzes, die der sächsische Ministerpräsident fordert. Und er wird damit durchkommen, sollte der Protest dagegen nicht noch energischer und bedingungsloser vorgetragen werden.

Aber auch dagegen gibt es erfolgreiche Rezepte: Die Subventionierung von Gruppen, die automatisch jede Demonstration mit einer Gegendemonstration belegen. Unterstützt selbstverständlich von den Kirchen, von den Gewerkschaften, der Regierung und ihren etablierten Parteien.

Und wenn das alles nicht ausreichen sollte, dann werden einfach weitere Millionen via Familienministerium in „Demokratie leben“-Projektfinanzierung hineingepumpt, dann wird der Protest schon erfolgreich niedergeschrien und getrillert.

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