Tichys Einblick
Am Ende alle nach Deutschland?

Griechenland pocht auf Türkei-Deal: Migranten-Lager in Lesbos werden geräumt

Die konservative griechische Regierung will gegenüber der Türkei auf Rücknahme von Illegalen pochen, Auffanglager wie Lesbos sollen geräumt werden. Wo landen jene Migranten, die Erdogan im Gegenzug in die EU senden kann? Und wann sind die Lager auf Lesbos wieder voll und das Spiel beginnt erneut?

Byron Smith/Getty Images

Der europäische und noch viel mehr der deutsche Bürger wird in der Frage der Rückerlangung der Kontrolle über die Außengrenzen der EU und in der Migrationsfrage weiterhin an der Nase herumgeführt: So sollte niemand glauben, wie jetzt behauptet, die neue konservative griechische Regierung würde im EU-Sinne einen restriktiveren Kurs gegenüber illegaler Migration fahren als noch die linke Vorgängerregierung. Tatsächlich wird hier einfach nur nach deutschem Vorbild Bewährtes nachgespielt, wenn die konservative Regierung von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis den Seehofer gibt, aber real nichts anders macht als der als Gegenspieler von Angela Merkel aufgeplusterte Innenminister, der gerade wieder wie ein zu hektisch aus dem Ofen gezogenes Soufflé zusammengefallen ist: Vollmundig eine Verschärfung der Migration ankündigen, aber gemessen am tatsächlichen Maßnahmenpaket geschieht faktisch nichts.

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Gerald Knaus, der Konstrukteur des Merkel-Türkei-Deals, war zuletzt öfter mit TE im Gespräch (ein aktuelles Interview in der Print-Ausgabe für Oktober). Der viel gefragte Experte schrieb uns auf die Frage, inwieweit seine NGO an einer Erneuerung des Türkei-Deals beteiligt sei, er hätte bei einem Arbeitsgespräch in Albanien auch griechische Experten getroffen, die daran arbeiten würden, „die EU-Türkei-Einigung auf den Inseln der Ägäis nun auch tatsächlich umzusetzen, durch schnellere Verfahren und Rückführungen.“

Nach aktuell verheerenden Ausschreitungen auf Lesbos samt toter Migranten, die in einem wohl per Brandstiftung gelegtem Feuer umkamen – über das Zustandekommen wird noch zu reden sein – nach diesen Ausschreitungen also soll alles plötzlich ganz schnell gehen: Ein mit weit über 10.000 aus der Türkei illegal eingereisten Migranten überfülltes Hauptlager soll geräumt bzw. gelichtet werden. Bildlich gesprochen ist das allerdings so, als würde man erklären, man könne ein voll gelaufenes Boot leer schöpfen ohne das Leck abzudichten. Heißt konkret: Es ist wichtig, diese Gestrandeten gemäß Türkei-Deal in die Türkei zurückzuführen, aber es ist noch wichtiger, endlich die weitere illegale Ankunft zu stoppen, sonst ist es nur eine Frage der Zeit, wann wieder die nächsten 10.000 auf Lesbos angekommen sind. Und es ist ja nicht nur Lesbos, insgesamt soll es ein Vielzahl mehr an Migranten sein, die endlich nach Deutschland wollen.

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Erschreckend auch das Schneckentempo der Maßnahmen, wenn davon die Rede ist, diese 10.000 aus dem Auffanglager Moria sollen bis Ende 2020 rückgeführt werden. Wie viele weitere werden bis dahin angekommen sein? Die Durchführung ist zudem wie gehabt auf Gedeih und Verderb mit dem Willen Erdogans verknüpft, wenn es an ihm liegt, die Küsten gegenüber der griechischen Inseln ebenso wie die illegale Route über das Festland zu schützen oder eben bei jeder neuen Forderung der Türkei an die EU eine bedrohlich wirkende Anzahl von Migranten durchschlüpfen zu lassen. Eben genug, um seine Forderungen zu unterstützen. Wer würde hier auch den Nachweis führen wollen, dass die Kontrollen absichtsvoll gelockert wurden, wenn nicht einmal die EU selbst willens ist, seine Außengrenzen effektiv zu schützen?

Wie wurde bisher verfahren? Tatsächlich ist die Idee nicht neu, schon die Syriza-Regierung von Ex-Ministerpräsident Alexis Tsipras hat regelmäßig Illegale von den Inseln aufs griechische Festland geholt. Wohin es von hier aus weiterging, kann man sich vorstellen, wenn Deutschland immer wieder als Hauptziel der Migranten genannt wird.

Und gerade erst hatte das deutsche Innenministerium Griechenland wieder einmal aufgeordert, endlich mehr Flüchtlinge in die Türkei abzuschieben – anstatt sie aufs griechische Festland zu bringen. Weil von hier aus so viele bemüht sind, Griechenland Richtung Deutschland zu verlassen? Der Parlamentarische Staatssekretär Stephan Mayer (CSU)  sagte gegenüber der Funke Mediengruppe: »Es müsse klar sein, „dass wir dringend Fortschritte bei den zu geringen Rückführungen in die Türkei benötigen, um die heikle Lage in den Hotspots auf den Inseln zu verbessern“, die Situation auf den griechischen Inseln sei „sehr schwierig“«.

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Aber selbst wenn es dann wirklich einmal zu Rückführungen in die Türkei kommt, darf nicht vergessen werden, dass ein wesentliches Element dieses desaströsen Deals ist, dass für jeden Rückgeführten einer legal aus der Türkei in die EU einreisen darf. Und hier ist die negative Bilanz zudem auch noch verheerend, wenn seit März 2016 im Rahmen des Flüchtlingspakts zwischen der EU und der Türkei gerade einmal 1.904 Menschen von den griechischen Inseln in die Türkei abgeschoben wurden, dafür aber die EU offiziell in der gleichen Zeit 24.348 Syrer aus der Türkei aufgenommen hat – davon alleine Deutschland 8.896 Personen.

Angesichts dieser Problematiken mutet es weiterhin seltsam an, dass es dem EU-Mitgliedstaat Griechenland bis heute nicht gelungen ist – weil das Land in Wahrheit einfach nicht bereit dazu ist – eine effektive Asylantragsbearbeitung auf den Inseln zu installieren, die binnen Tagen den aktuellen Status der Antragsteller feststellen und diese dann zurückweisen können bzw. die griechischen Behörden überhaupt erst einmal effektiv auch jeden Ankommenden registrieren, sodass diese dann, wenn sie sich nach Deutschland durchschlagen, dazu gezwungen werden können, wieder ins Erstantragsland Griechenland abgeschoben werden zu können.

Jetzt überrascht es nicht mehr, dass es weiterhin düster aussieht, wenn Deutschland bereits in Griechenland registrierte Asylbewerber gemäß den Dublin-Richtlinien nach Griechenland zurückschicken will, sich das südliche EU-Mitgliedsland allerdings einfach weigert, diese Migranten zurückzunehmen. Tatsächlich lehnte Griechenland bisher fast alle Dublin-Abschiebungen kategorisch ab (Stand April 2019).

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Die Zahlen aus 2018 belegen das ganze Desaster: „2018 gab es zwar 7.079 Anträge, doch Griechenland akzeptierte nur sechs.“ Wir erinnern uns: Das Dublin-Abkommen zum Umgang mit Asylbewerbern in der EU sieht vor, dass Flüchtlinge ihren Asylantrag in dem EU-Land stellen müssen, in dem sie als erstes EU-Boden betreten.

Jetzt will die konservative griechische Regierung Rückführungen in die Türkei verschärfen. Also sie will es für die zehntausend auf Lesbos ausharrenden Migranten bis Ende 2020. Wer will heute wissen, was Erdogan bis dahin dazu sagt? Wenn schon Griechenland die Dublin-Vereinbarungen nicht einhält, wer will von Erdogan verlangen, den EU-Türkei-Deal penibel einzuhalten?

Aber selbst wenn wider Erwarten alles gemäß Deal läuft, dann wird wieder mindestens die gleiche Zahl von Migranten – dieses Mal ganz legal – in die EU geschickt, von denen die meisten doch wieder irgendwie nach Deutschland kommen, so lange es keinen vereinbarten Verteilschlüssel gibt, der für alle EU-Mitgliedstaaten gilt. Aber selbst wenn es auch den noch gäbe: Was schert das die nun vom illegalen in den legalen Status überführten Migranten? Wer nach Deutschland will, der kommt auch nach Deutschland. Und solange die Zuwendungen hier jene anderer EU-Mitgliedsstaaten bei weitem überschreiten, wo teilweise nur Sachleistungen getätigt werden, werden am Ende wieder die meisten in Deutschland landen. Egal, ob sie nun aus Lesbos kommen, aus Istanbul oder über das Meer mit der deutschen evangelischen Kirche aus Tripolis.

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