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Grenzüberschreitungen: Erneut Zusammenstöße an der kroatischen EU-Außengrenze

Bebildert Tagesschau.de nicht mit Material aus dem Film von Frau Vögele, sondern mit einer dpa-Aufnahme eines verängstigten südländischen Mannes mit einem Kleinkind auf dem Arm?

Screenprint: SRF

Von Tagessschau bis Spiegel berichten die Medien aktuell von so etwas wie einem journalistischen Coup, wenn es da wie aus einer Räuberpistole heißt:

„Ein Team des Schweizer Fernsehens SRF liegt seit Tagen auf der Lauer im Gebüsch. Dann der Volltreffer: Mit dem Teleobjektiv filmen die Journalisten eine brisante Szene.“

Anschließend wird eine Szene beschrieben, wo kroatische Grenzschützer Migranten an die Grenze zu Bosnien und Herzegowina fahren (Beitrag SRF hier) und sie rüde des Landes verweisen würden. Die Journalistin Nicole Vögele ist überzeugt, dass sie hier einen Pushback, also eine illegale Abschiebung, dokumentiert hat. Und die Medien schildern es, als würde es sich hier um die Entdeckung eines seltenen, eines als ausgestorben geltenden Vogels handeln: Die Wiederentdeckung einer innereuropäischen Grausamkeit? So soll man es wohl lesen.

Das Fernsehteam sprach anschließend mit den betroffenen Illegalen, die davon berichteten, dass ihre Handys zerstört und ihr Geld gestohlen wurde. Tagesschau.de bebildert die Szene nicht etwa mit Material aus besagtem Film von Frau Vögele, sondern zieht es vor, eine dpa-Aufnahme eines verängstigten südländischen Mannes mit einem Kleinkind auf dem Arm abzubilden, im Vordergrund Polizei in Vollmontur.

Soweit die Vorgeschichte. Aber um was genau geht es? Interessant hier: Angela Merkel will am Samstag die Hauptstadt des EU-Landes Kroatien besuchen, um dort Wahlkampfhilfe für den Christdemokraten Plenković zu leisten. Wie wird sie in Kroatien von der Bevölkerung empfangen werden? Wird sie in Zagreb bleiben oder steht auch ein Abstecher an die EU-Außengrenzen auf dem Programm, um sich vor Ort von der Arbeit der kroatischen Grenzer zu überzeugen. Was könnte Merkel diesen Leuten erzählen?

Kroatien ist noch kein Schengen-Teilnehmer. Um das aber sein zu können, muss das Land u.a. auch eine überzeugende EU-Außengrenzschutzsicherung anbieten. Der EU-Spitzenkandidat der europäischen Christdemokraten, der EVP-Chef Manfred Weber, forderte schon im September 2018: „Bulgarien und Kroatien sollen schnellstmöglich Teil der Schengenzone werden.“ Tatsächlich, so heißt es da weiter, „werden beide Länder seit 2010 von der Kommission als beitrittsbereit angesehen.“ Kroatien trat der EU schon 2013 bei, allerdings ohne Schengen-Beitritt, dafür gibt es bis heute kein grünes Licht der EU-Kommission.

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Also um was geht es bei den aktuellen Vorkommnissen an der Grenze  zwischen Kroatien und Bosnien und Herzegowina? Letzteres Land ist kein Mitglied der EU sondern wird bisher von der Kommission lediglich als Land mit „einer europäischen Perspektive“ betrachtet. Diese komplizierten Vorstufen und Erwartungshaltungen kennen wir hinlänglich aus der langjährigen (Nicht-)Beziehung der EU zur Türkei.

Nun ist eine wichtige Voraussetzung für den Beitritt des EU-Landes Kroatien zum Schengenraum eben jener überzeugende Schutz der EU-Außengrenze. Im Schengen-Kodex der EU heißt es dazu an prominenter Stelle auf Seite 1:

„Grenzkontrollen liegen nicht nur im Interesse des Mitgliedstaats, an dessen Außengrenzen sie erfolgen, sondern auch im Interesse sämtlicher Mitgliedstaaten, die die Grenzkontrollen an den Binnengrenzen abgeschafft haben.Grenzkontrollen sollten zur Bekämpfung der illegalen Zuwanderung und des Menschenhandels sowie zur Vorbeugung jeglicher Bedrohung der inneren Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Gesundheit und der internationalen Beziehungen der Mitgliedstaaten beitragen. (…) Die Grenzkontrollen umfassen (…) auch die Analyse des Risikos für die innere Sicherheit sowie die Analyse der Bedrohungen, die die Sicherheit der Außengrenzen beeinträchtigen können.“

Des Weiteren werden die Schengen-Staaten mit EU-Außengrenze angehalten, einreisende Personen abzuweisen schon dann, wenn diese keine ausreichenden finanziellen Mittel nachweisen können, ihren Lebensunterhalt zu bestreitet für die Dauer ihre Aufenthaltes:

„Die Feststellung ausreichender Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts kann anhand von Bargeld, Reiseschecks und Kreditkarten erfolgen, die sich im Besitz des Drittstaatsangehörigen befinden.“

Nun möchte Kroatien gerne Schengen-Teilnehmer werden, denn Schengen bezeichnet eben auch einen exklusiven Binnenraum innerhalb der EU. Entsprechend äußerte sich Andrej Plenković, der Ministerpräsident des Landes: „Wir sind sehr daran interessiert, alle technischen Kriterien zu erfüllen, um Schengen 2019 beizutreten.“

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Die kroatische EU-Außengrenze zu Bosnien-Herzegowina ist fast eintausend Kilometer lang. Zum Vergleich: die deutsch-französische Grenze ist nicht einmal halb so lang. Die Außengrenzen Kroatiens sind insgesamt sogar 2.400 Kilometer lang, hinzu kommt, dass über 1.200 Inseln im Auge behalten werden müssen. Kroatien muss also neben ein paar dutzend offiziellen Straßen- und Wege-Grenzübergängen und einer handvoll Eisenbahnübergängen tausende Kilometer Grenze mit unzähligen Möglichkeiten eines illegalen „grünen“ Grenzübertritts möglichst lückenlos überwachen.

Und an eben so einem Übertritt machte das Schweizer Fernsehen die eingangs erwähnten heimlichen Aufnahmen. Der Deutschlandfunk schreibt von „verstörende(n) Szenen“. Weiter heißt es da: „Grenzpolizisten hindern Migranten auf der Balkanroute unter anderem mit vorgehaltenen Waffen an der Weiterreise in die EU.“ Ersteres ist allerdings weltweit Aufgabe von Grenzschützern. Und es ist sicher verschärfend Aufgabe von Grenzschützern eines Landes, die dem Schengenraum beitreten wollen, die also nachweisen müssen, eben das lückenlos zu gewährleisten: Den Schutz der EU-Außengrenze.

Sicher ist es vorstellbar, dass solche Grenzschutzmaßnahmen auch in Kroatien mitunter einhergehen mit solchen unpopulären aber durchaus legalen Maßnahmen der Gewaltanwendung, wie sie geschildert werden, wenn es beispielsweise zu Abschiebungen auch aus Deutschland kommt.

Der Deutschlandfunk zitiert einen linksliberalen kroatischen EU-Kandidaten und einen Politikdozenten, die vermuten, dass die Regierung in Zagreb die Polizei absichtlich gewähren lasst, sie die Härte der Polizei nicht wirklich stört:

„Kroatien möchte dem Schengen-Raum angehören und der EU beweisen, dass es die Grenzen auch wirklich kontrolliert. Man hat nichts gegen Flüchtlinge per se, sondern will eher demonstrieren, dass man die Kontrolle über die hat, zu uns kommen. Das ist letztlich etwas, das Brüssel von uns verlangt.“

Worum es hier tatsächlich geht, wird deutlicher, wenn man sich eine Überschrift der linken Zeitschrift „Neues Deutschland“ anschaut, wenn es da heißt: „EU-Grenze in Kroatien: Kein Vorbeikommen.“ Geht es also darum, die kroatischen Grenzschützer auszutricksen, um nur irgendwie vorbei zu kommen?

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Jeder, der sich näher damit beschäftigt, kann ermessen, wie durchlässig diese langen kroatischen Grenzen sind, wenn sich beispielsweise ein Fernsehteam in eben diesem Grenzbereich tagelang verstecken kann und dann noch unbehelligt den Zurückgeschickten über die grüne Grenze hinterher eilen und diese ausführlich zu ihren Motiven befragen kann.

Genannte linke Tageszeitung zitiert Menschenrechtler, die Kroatien dahingehend kritisieren, dass „Kroatien den Migranten die Chance nehmen, einen Asylantrag in der EU zu stellen.“ Kroatien wiederum beruft sich darauf, im Einklang mit dem Schengen-Grenzkodex zu handeln, „wenn sie Ausländer, die nicht zur Einreise in die EU befugt sind, direkt an der Grenze zurückweise.“

Letztlich geht es also lediglich darum, die Grenzen noch besser zu sichern, dass es erst gar nicht dazu kommen kann, dass nicht einreiseberechtigte Personen über die grüne Grenze eindringen, um dann im Land selbst einen Asylantrag zu stellen, der dann nicht wie an der Grenze selbst im Hauruckverfahren abgelehnt werden kann.

Ein Katz-und-Maus-Spiel, an dem auch eine Reihe von NGO beteiligt sind wie beispielsweise die „Watch-Dog-Organisation Border Violence Monitoring“, die schon Ende 2018 illegale Vorgehensweisen der kroatischen Grenzer gefilmt haben will. Und man kann sich weiter vorstellen, wie attraktiv diese lange schwer zu schützende Grenze für Wirtschafts- und Sozialzuwanderer und andere Migranten sein muss, wenn ein geglückter illegaler Grenzübertritt real damit belohnt wird, dass man von da an an einem längerfristigen Asylverfahren teilnehmen kann.

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Wer also zunächst an der Grenze nur abgewiesen wird, müsste vom Landesinneren aus bereits abgeschoben werden. Aber ab wann ist man im Landesinneren? Wie weit hatten die heimlich aus dem Versteck des schweizer Fernsehteams gefilmten Migranten die Grenze bereits überschritten? Die Diskussion um eine Ausweitung der Grenzzonen mit der Möglichkeit zur unmittelbaren Abweisung ist in diesem Fall noch nicht einmal eröffnet.

1.787 Asylanträge wurden nach Angaben der UNHCR im Jahr 2017 in Kroatien von Flüchtlingen gestellt. Die meisten davon kamen aus Afghanistan, Pakistan und aus Syrien. Davon wurden rund 45% positiv beantwortet.

In Deutschland waren es im Folgejahr 185.853 Menschen, die Asyl beantragt haben.

TE fragt hierzu beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach: Wie viele der Asylantragsteller in Deutschland sind über Kroatien eingereist und wie viele davon haben in Deutschland eine Erstantrag gestellt, sind also durch Kroatien und weitere EU- oder andere Staaten gereist ohne dort um Asyl zu bitten?

Antwort erhalten wir bereits wenige Stunden nach Anfrage:

„Der Reiseweg der Antragsteller wird im Rahmen des Asylverfahrens zwar erfragt, aber statistisch nicht vollumfänglich erfasst. Daher liegen keine Zahlen zu Asylsuchenden vor, die u.a. über Kroatien nach Deutschland eingereist sind.

Ich kann Sie da eventuell nur auf die Dublin-Statistik verweisen. Diese gibt Auskunft über Asylsuchende, die vor ihrer Antragstellung in Deutschland bereits in einem anderem Mitgliedstaat registriert wurden bzw. einen Asylantrag gestellt haben. Relevant ist hier die Anzahl der Übernahmeersuchen aus Deutschland an Kroatien. Ich bitte jedoch zu beachten, dass nicht in allen Fällen ein Übernahmeersuchen gestellt wird. Außerdem können Personen auch über Kroatien eingereist sein, ohne dort vorher registriert worden zu sein.
Dublin-Statistiken für 2018 finden Sie in der Bundestagsdrucksache „Ergänzende Informationen zur Asylstatistik – Schwerpunktfragen zu Dublin-Verfahren“: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/083/1908340.pdf
Der Tabelle auf Seite 19 können Sie u.a. die Anzahl der Übernahmeersuchen aufgeschlüsselt nach Mitgliedsstaaten entnehmen.“

Das Dokument, das wir vom Bundesamt empfohlen bekommen haben, ist eine Kleine Anfrage der Linkspartei. Und hier namentlich von der Abgeordneten Ulla Jelpke. Und auf der vom BAMF empfohlenen Seite 19 heißt es da, dass die Bundesrepublik 2018 exakt 375 Rücknahmen beantragt hat, von denen auch 375 von Kroatien anerkannt wurden. Allerdings kam es bisher lediglich zu 29 Überstellungen. Kroatien wollte 19 Personen zurück nach Deutschland schicken, die Bundesrepublik hat 5 anerkannt, 2 wurden überstellt.