Tichys Einblick
Weltethosredner?

Facebook: EKD-Vorsitzender Bedford-Strohm will Kontrolle über Algorithmen

Der EKD-Vorsitzende Heinrich Bedford-Strohm sprach bei der Stiftung Weltethos über die Notwendigkeit, die sozialen Medien öffentlich-rechtlich zu reglementieren, wenn diese aus Gewinnstreben Algorithmen installieren würden, die Hass befördern. Bedford-Strohm möchte die Kontrolle über diese Algorithmen.

MICHAEL SOHN/AFP/Getty Images

Wenn es um den Dialog der Kulturen geht, taucht ein Name immer wieder auf: Hans Küng. Der 90-jährige ist immer ein Mann der Kirche gewesen, wurde allerdings von seinem eigenen „Verein“ sanktioniert, als er u.a. die Ehelosigkeit von Priestern in Frage stellte und ihm dafür seine Lehrbefugnis für die römisch-katholische Glaubenslehre entzogen wurde. Der Spiegel führte vor ein paar Jahren ein interessantes Gespräch mit dem Theologen.

Nun ist Hans Küng auch Initiator der privaten „Stiftung Weltethos“ mit Hauptsitz in Tübingen. Für Küng liegt allen Weltreligionen ein Weltethos zugrunde, den es zu definieren gilt. Der Internetauftritt der Stiftung berichtet, dass die Weltethos-Idee seit Ende der 90er Jahre „auch Eingang in internationale Gremien, Beschlüsse und Resolutionen gefunden (hat), unter anderem bei den Vereinten Nationen und beim InterAction Council.“

Jahr für Jahr lädt die Stiftung prominente Persönlichkeiten nach Tübingen ein um dort als so genannte „Weltethosredner“ zu sprechen. Letztes Jahr war das der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann der über „Zusammenhalt in Zeiten des Umbruchs“ referierte. Seine Vorgänger waren beispielsweise Tony Blair, Kofi Annan, Horst Köhler, Helmut Schmidt und Desmond Tutu.

2018 durfte sich nun Heinrich Bedford-Strohm in diese illustre Riege einreihen. Der 58-Jährige sprach über seinen Auftritt in Tübingen zuvor mit Max Bauer vom Südwestrundfunk (SWR). „Verheißung oder Verhängnis? Globale ethische Herausforderungen der Digitalisierung“ lautet der Titel seines Vortrages. Es geht also um Ethik in den digitalen Welten.

„Die Kommunikationskultur hat sich stark verändert.“, sagt Bedford-Strohm eingangs des Gespräches mit Blick auf die digitale Welt und wer wollte ihm da widersprechen oder anderes behaupten? Bedford-Strohm hat allerdings gleich etwas zu meckern, wenn er befindet: „Die Kommunikation in den sozialen Medien läuft über die Logik des Kommerzes, des Geldverdienens.“ Nun ist Bedford-Strohm in der komfortablen Lage, selbst über ein Jahresgehalt von rund 130.000 Euro zu verfügen. Das soll hier keine Neiddebatte eröffnen, aber wer sich als Kapitalismuskritiker aufstellt, dessen Grundgehalt darf offen gelegt werden, noch viel mehr, wenn dieses Gehalt vom Steuerzahler bezahlt wird.

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Bedford-Strohm will erkannt haben, dass Algorithmen so ausgelegt sind, dass Botschaften, die viele anklicken „nach oben gespült“ werden. Nun könnte man es einen vorbildlichen demokratischen Prozess nennen, wenn die Mehrheitsmeinung angemessen abgebildet wird. Für den Kirchenmann, der auch ein fleißiger Facebooker ist, stellt sich die Lage in den sozialen Medien allerdings anders da, wenn „Hassbotschaften oder Unsinn, also wirklich haarsträubender Unsinn, leider viel mehr Klicks bekommen.“, sagt ein Mann der Kirche und wir sehen viele echte Kirchenkritiker an der Stelle breit grinsen.

„Und deswegen werden diese Dinge wegen der Logik der Kommerzialisierung, werden die hochgespült und bekommen viel mehr Aufmerksamkeit.“ Aber wie originell ist das nun, wenn der gut wattierte Bedford-Strohm unliebsame wie auch immer geartete Meinungsäußerungen einmal aus dem antikapitalistischen, aus dem Blickwinkel Franz von Assisis kritisiert?

Die Leute würden über prominente Botschaften in diesen sozialen Medien denken, so Bedford-Strohm weiter, das sei, was die meisten Leuten sagen und glauben würden. Nun will der Mann der Kirche allerdings etwas ganz anderes, dass die Leute glauben sollen. „Im Windschatten dieses Gefühls kommen dann Stimmungen und Botschaften in der öffentlichen Kommunikation hoch, die wir früher in dem Maß nicht gekannt haben.“, sagt einer, der ja per Berufung Fachmann für Stimmungen und Botschaften eines ganz anderen Kalibers ist. Das ist tatsächlich kühn, das muss man sich zu äußern trauen aus der Perspektive von der Kirchenkanzel herunter.

Bauer vom SWR fragt sicherheitshalber nach, ob es sich hier nicht vielmehr um ein politisches als denn um ein ethisches Problem handeln würde, das Bedford-Strohm da als Weltethosreder verhandeln will. „Müssten wir da nicht eher in politischen Kategorien herangehen?“ Das dürfe man gar nicht gegeneinander ausspielen, bittet Bedford-Strohm. Na klar, diese traditionelle Allianz der Gutmeinenden möchte der Kirchenmann nicht aufs Spiel setzen. Die Regeln für gutes Zusammenleben hätten doch auch mit politischen Fragen zu tun.

Weltethosredner?

Ethik beziehe sich immer auch auf die Strukturen in der Gesellschaft und im Staat insgesamt. „Wenn Menschen leiden, wenn Dinge falsch laufen in unserem Zusammenleben und politische Gründe dafür im Hintergrund eine gewichtige Rolle spielen, dann muss man sich natürlich auch mit der Veränderung in der Politik beschäftigen.“ Aber als was? Als Kirche? Denn für die Menschen im Staat ist das ja wohl demokratische Selbstverständlichkeit und erste Aufgabe. Hier will die Kirche prädestinierter Ethikwächter über Staat und Gesellschaft sein.

Bauer denkt nun an eine Art „politische Ethik“ und fragt, wie man die Macht der großen Internetkonzerne brechen könne. Die Folgefrage müsste hier allerdings sein, welche Macht dann aber das Vakuum füllen sollte. Für Bedford-Strohm ist das „in der Tat eine zentrale Frage“, wenn in kürzester Zeit wenige Menschen mit genialen Ideen und unternehmerischem Geschick nicht nur reich geworden seien, sondern eine ungeheure Macht angesammelt hätten.

Nun sind oder waren Reichtum und Macht jahrhunderte lang die Insignien der Kirchen. Sind die sozialen Medien aus der Perspektive gar die Kirchen des 21. Jahrhunderts? Wenn dem so ist, dann müssten sie selbstredend Feindbild Nummer eins sein für Kirchenleute wie Bedford-Strohm.

„Wenn Facebook seine Algorithmen verändert, verändert es die Kommunikationskultur für 2,3 Milliarden Menschen.“, das müsse man sich einmal klar machen, sagt ein führender Christ, dessen Christentum weltweit zahlenmäßig in etwa genauso viele Gläubige umfasst. Man kann hier nur ahnen, was wäre, wenn Facebook nicht im kalifornischen Menlo Park seinen Hauptsitz hätte, sondern im Vatikan. Wie sehen da wohl auf kurz oder lang die Algorithmen aus?

„Wir müssen darüber nachdenken, was eigentlich passieren muss, damit auch die Internetwelt so organisiert ist, wie wir das von allen öffentlichen Gütern kennen.“ Und er meint damit eine staatliche Kontrolle oder Regulierung, wie beispielsweise bezogen auf das „Straßennetz“.

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Das Drama nach Bedford-Strohm: Die sozialen Medien die von Milliarden Menschen genutzt werden würden, seien der „öffentlichen Verantwortlichkeit“ entzogen. „Und deswegen muss man nachdenken über die Frage etwa, ob die Logik des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (…) auch im Hinblick auf das Internet eine zentrale Rolle spielen (soll) und in sofern dann auch die Algorithmen öffentlich verantwortlich gemacht werden.“ Ja, es geht um Kontrolle. Nur wie drückt man es geschickt genug aus, dass es nicht jedem sofort auffällt, der etwas gehen Kontrolle einzuwenden hat?

Hier sucht also ein staatlich bezahlter Kirchenmann einen Weg, den weltlichen Einfluss der Kirche auf das kommunikativ so überaus erfolgreiche Internet und die sozialen Medien auszudehnen. Wem bisher die Macht der Zuckerbergs dieser Welt schon zutiefst suspekt war, der sollte sich unter diesem Aspekt einmal überlegen, ob der Einfluss des Staates im Verbund mit selbsternannten Ethikwächtern der Kirche nicht einen Wechsel vom Regen in die Traufe bedeuten könnte.

„Für uns muss es darum gehen (…) erstens Wege (zu) finden, diese Internet-Welten einer demokratischen Kontrolle zu unterziehen und zweitens aber natürlich sehr deutlich (zu) machen, was der Grundkonsens ist, der unser Land, unsere Gesellschaft – ich würde sagen: die Welt insgesamt – besser gemacht hat.“

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Und weiter: „Wir müssen auch im politischen Leben dafür einstehen, das eben nicht gehetzt wird. Dass Hetzbotschaften keinen Erfolg haben. Dass auch die Parteien, die etwa den Todesfall eines Menschen dazu instrumentalisieren um ihre Hetzbotschaften los zu werden, dass die in die Grenzen gewiesen werden. Also es hat auch was zu tun mit Zivilcourage und mit einem klaren „Nein“ zu all solchen Tendenzen, die den Hass und die Düsternis ins Zentrum stellen, anstatt das ins Zentrum zu stellen, was alleine uns als Land, die Welt insgesamt voranbringt, nämlich Zuversicht.“

Sortieren wir das einmal und versuchen es auf den Punkt zu bringen: Bedford-Strohm will also die Macht über die Algorithmen der sozialen Medien zurück und die Kirchen als eine Art Ethikwachtürme ermächtigen, zu entscheiden, wer nun mit welchen Botschaften nach oben gespült werden soll in der Wahrnehmung in den sozialen Medien. Ist das eine schöne neue Welt?

Und Bedford-Strohm wiederholt es gerne im Gespräch mit dem SWR: Die sozialen Medien würden einer kommerziellen Logik folgen. Hier soll die Kapitalismus-Kritik augenscheinlich als Türöffner funktionieren. Das Geschäft der sozialen Medien würde von einer kommerziellen Logik angetrieben, sei am privaten Gewinn orientiert und „nicht an den Kriterien, die das, was wir (als) öffentlichen Diskurs ausmachen, prägen, also das Argumente ausgetauscht werden.“

Nun darf man hier als erstes die Frage stellen, wo denn jemals mehr Argumente ausgetauscht wurden in der Menschheitsgeschichte, wenn nicht in den sozialen Medien der digitalen Welt des 21. Jahrhunderts.

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Hier unterstellt Bedford-Strohm quasi den sozialen Medien mit Hass Geschäfte zu machen. Aber welches Geschäft betreibt eigentlich die Kirche? Was wäre die Kirche ohne den Teufel? Wie liest sich das, wenn Sir Yehudi Menuhin einmal über den Hass an sich äußerste: „Selbst Hass kann, wenn er in einem guten Kunstwerk behandelt wird, schön sein. Beethovens Musik ist voller Gewalt und sogar Hass, und doch wirkte sie wunderbar, weil die Gefühle subliniert sind.“

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Wenn Bedford-Strohm nun also über die Kontrolle der Algorithmen so etwas wie eine positive Manipulation ausloben möchte, ist das am Ende so wertvoll, wie ein Linksextremismus, der deshalb gut geheißen wird, weil er sich vermeintlich gegen Rechtsextremismus wendet?

Als Zwischenrufer soll hier der Literaturnobelpreisträger André Gide zu Wort kommen, der einmal zu bedenken gab: „Es ist besser für das was man ist, gehasst, als das was man nicht ist, geliebt zu werden.“

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Rechtsradikale Einstellungen hätten durch das Internet ein Forum bekommen, „was wir so in der Vergangenheit nicht gekannt haben.“, so Bedford-Strohm weiter. Aber prägt das digitale Sein tatsächlich ein reaktionäres Bewusstsein in den Netzkulturen? Da weicht Bedford-Strohm instinktsicher zurück, schließlich hätte er als Titel seiner Weltethosrede bewusst gewählt: „Zwischen Verheißung und Verhängnis.“ Nun hat sich Bedford-Strohm offensichtlich weit vom eigentlichen Selbstverständnis seiner Kirche entfernt, wenn er ihre Funktion überhöht: Nein, die evangelische Kirche ist eben keine moralische Instanz. Sie ist eine Deutungsinstanz. Sie sagt dem Menschen nicht, was er zu tun hat. Denn wenn die Kirche erkennt, was im Menschen angelegt ist, dann verurteilt sie ihn nicht dafür.

Bedford-Strohm möchte, dass seine Kirche die Digitalisierung mitgestaltet indem sie nach Gutdünken an den Algorithmen, also an der DNA der sozialen Medien experimentiert. Aber was für ein Leviathan wird da nun wieder entstehen, bestände tatsächlich einmal die reale Möglichkeit zu tun, was hier nur theoretisch durchgespielt wird, wenn sich einer wie Bedford-Strohm aufschwingt, für alle Menschen mit zu entscheiden, was nun“ gute und vernünftige Informationen“ sein sollen. Welcher ethisch etikettierte Frankenstein könnte da entstehen?

Wollen wir Heinrich Bedford-Strohm zum Abschluss noch ein Zitat zum Nachdenken mit au den Weg geben. Es stammt aus Ben Hur, einem der Filmklassiker überhaupt: „Deine Augen sind voller Hass, das ist gut. Hass hält einen Mann am Leben. Er gibt ihm Kraft.“