Tichys Einblick
Fragestunde im Bundestag Teil 1

Der zynische Seehofer: Dank an Griechenland, dem man zugleich in den Rücken fällt

Seehofer im Bundestag: „Wir können auch humanitäre Aktionen setzen, weil wir durch die Steuerung und Begrenzung eine größere Zuwanderung verhindert haben.“ Scheinbare Dämme bauen, um sie dann wieder einzureißen - so geht offenbar die Zuwanderungspolitik der Bundesregierung.

imago images / Christian Thiel

Gerade hat Horst Seehofer zugestimmt, weitere Tausende Zuwanderer aus Griechenland aufzunehmen. Griechenland will zwar keine Ex-Bewohner aus dem niedergebrannten Lager Moria nach Deutschland lassen. Aber es wird für eine griechische Regierung ihrer Bevölkerung gegenüber deutlich schwerer sein zu argumentieren, warum man Leute nicht weglässt, als für Merkel zu erklären, warum man sie unbedingt hereinlassen sollte.

In der aktuellen Befragung der Bundesregierung vor dem Bundestag muss jetzt Horst Seehofer die Politik der Bundeskanzlerin erklären und verteidigen. Von allen Seiten bläst ihm rauer Wind entgegen: Rot-rot-grün will mehr Zuwanderung, die Unionsabgeordneten schauen paralysiert auf ihre erneut zuwanderungseuphorischen Regierungsvertreter, und die AfD als Oppositionsführer im Bundestag wird ein paar empfindliche Fragen an den Bundesinnenminister richten: Klar, es geht um Moria, es geht um nicht weniger als um die Frage, ob Angela Merkel möglicherweise gerade den Pullfaktor für eine neue Massenzuwanderung installiert wie schon 2015.

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Seehofer spricht zunächst über die Verlängerung des Kurzarbeiter- und des Familiengeldes. Es gäbe eine neue Regelung für Frühchen, erfährt man ebenso, wie einen Bericht zur Entwicklung der östlichen und westlichen Bundesländer. Über Lesbos hätte man in der letzten Kabinettssitzung nicht mehr gesprochen, da es zuvor eine Einigung gegeben hätte. Es hätte keinen Beschlussbedarf mehr gegeben, „wir hatten einfach Übereinstimmung in diesen Dingen.“ Aber er stände dennoch für Fragen zu diesem Themenkomplex zur Verfügung. Tatsächlich aber wäre eine Nichtbehandlung dieses Themas auch ein Skandal gewesen. So lässt es der Bundesminister schon wie ein Bonbon aussehen – eine Frechheit dem Bürger und den Abgeordneten gegenüber. Aber weitere sollen folgen.

Der Oppositionsführer darf traditionell mit der Befragung beginnen. Wird es eine Befragung, die den Namen auch verdient oder eher eine stichwortgebende? Gottfried Curio (AfD) beginnt, spricht gleich von Brandstiftung, von Erpressung und davon, dass die Bundesregierung der griechischen Regierung in den Rücken fallen würde, weil die doch gar keinen der Ex-Moria-Bewohner aus dem Land lassen wolle, Deutschland jetzt aber bekunde, eben Menschen aus diesem Lager auf Lesbos aufnehmen zu wollen. Das wären Anreizsignale – „Stunden später brennt Samos.“

Seine Frage: Wann die Bundesregierung Abkommen mit den Herkunftsländern aushandeln wolle zur Zurücknahme von Personen, die schon in die Türkei aus ihren Heimatländern angereist seien.

Seehofer stellt zunächst richtig fest, dass Lesbos nicht zur Bundesrepublik gehöre, deshalb würde man sich sehr eng mit Griechenland abstimmen. Der griechische Ministerpräsident hätte der Bundeskanzlerin am Vorband sogar per Telefon ausdrücklich gedankt. Morgen soll es einen Kontakt geben zwischen dem griechischen Ministerpräsidenten, der Kanzlerin und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, so Seehofer. Was hier allerdings die anderen EU-Staaten zu dieser deutsch-griechischen Mauschelei samt EU-Ratspräsidentin sagen, darf mit Spannung erwartet werden – ganz unabhängig davon, ob Deutschland aktuell für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft innehat oder nicht.

Ja, es ist zynisch, wenn Seehofer sich traut, in diesem Zusammenhang den Griechen zu danken, dass sie es verhindert hätten, dass noch mehr Zuwanderer die EU-Grenzen überschritten hätten, als Erdogan diese zur Grenze schickte. Erst war es Erdogan, das stimmt, aber jetzt fällt den Griechen die deutsche Regierung einmal mehr in den Rücken und Seehofer hat die Chuzpe, hier noch so zu tun, als ziehe man gemeinsam an einem Strang.

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Gottfried Curio (AfD) hakt nach, seine Frage wurde ja nicht beantwortet. Er erinnert daran, dass die hundertfache Zahl an Menschen vor Ort versorgt werden könnte – und noch mal: wann hier endlich Verhandlungen mit den Herkunftsländern geführt werden würden. Er will wissen, ob es um humanitäre Hilfe ginge oder einfach nur „um noch mehr migrantische Einwanderung nach Deutschland.“

Seehofer antwortet:

„Vor Ihnen steht ein Bundesminister, der wie kein anderer die Begrenzung und Steuerung der Migration entschieden hat, gemeinsam mit vielen Gesetzen durch das Parlament unterstützt, mehr als jeder andere, und ich bin zur Stunde der einzige Innenminister Europas, der für die humane Antwort einen Lösungsvorschlag vorgelegt hat. Und ich glaube, darauf sollte Deutschland stolz sein.“

Weiter erinnert er daran, dass Deutschland in diesem Jahr die Grenze von 100.000 Asylbewerbern nicht überschreiten würde. Wird zu überprüfen seien. Wie es mit Einwanderung insgesamt aussieht, steht selbstredend auf einem viel größeren Bogen Papier.

Was für ein Satz gleich im Folgenden, ganz leger vom Bundesminister über jedwede Diskussion um Pullfaktoren hinweg: Weil man irgendwann irgendwo noch mehr Zuwanderung verhindert hätte, muss diese nun wieder beschleunigt werden. Die Dammbauer (die ja in Wahrheit gar keine sind) reißen aus Langeweile ihre potemkischen Dämme wieder ein:

„Wir können auch humanitäre Aktionen setzen, weil wir durch die Steuerung und Begrenzung eine größere Zuwanderung verhindert haben.“

Aber was ist hier eine „größere“? Gemessen an der ungesteuerten illegalen Massenzuwanderung von 2015? Ist das der neue Maßstab geworden? Alles darunter ist positiv zu betrachten? Es hört sich bei Seehofer tatsächlich genau so an.

„So stell ich mir Politik vor: Die beiden Seiten der Medaille „Humanität und Ordnung“ in der Realität umzusetzen. Und das gelingt uns sehr gut.“ Nein, das kann nicht ernst gemeint sein. Aber es wird hier mit ernstem Gesicht geäußert. Eine menschliche Bankrotterklärung, aber auch eine bezogen auf Anstand und Verantwortung.

Das Plenum ist höchstens halb besetzt. Ein FDP-Abgeordneter erinnert kurz daran, dass der Bundesminister für Entwicklungshilfe Gerd Müller (ebenfalls CSU) Seehofer in die Hacken gesprungen sei, als er angab, er könne Seehofers Probleme in drei Tagen lösen.

Seehofer meint dazu, er könne auch viel (Negatives) sagen über die Entwicklung der Migrationssteuerung im Ressort des Parteikollegen, „das mache ich aber jetzt nicht.“

Ja, aber warum eigentlich nicht? Auch hier Scheingefechte, die so etwas wie eine interne Debatte suggerieren sollen, wo es doch längst in den allermeisten Fragen ein Mehltau der Blockparteineinigkeit alles überdeckt.

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Am Vortag hätte man zu ermitteln versucht, wie viele Familien es überhaupt gäbe auf den fünf betroffenen griechischen Inseln. Aber es sei schon von der Alterstruktur her schwierig zu ermitteln. Aber die viel entscheidendere Frage sollte sein, warum Deutschland überhaupt glaubt, hier etwas ermitteln zu müssen über die Griechen hinweg, und warum den Griechen jedwede Form von Humanität damit praktisch abgesprochen wird. Humanität, das können nur die Deutschen, so klingt Seehofer Sätzeweise und ohne Schamesröte. Er geriert sich als Oberhumanisismus der Deutschen, als ginge es darum, Angela Merkel dieses bittersüße Krönchen noch auf der Zielgeraden der transformatorischen Massenzuwanderung abspenstig zu machen.

Der UNHCR hätte der Bundesregierung mitgeteilt, dass es etwa 400 Familien im Asylverfahren gäbe, so Seehofer mit etwas mehr als 1500 Familienangehörigen. Also von der Anzahl der Familienmitglieder her jedenfalls noch nicht in Clan-Stärke, aber ist das wirklich eine Beruhigung? Und wie viele Familiennachzugsanträge sind damit dann automatisch auf den Weg gebracht?

„Da müssen wir sofort die Integration einschalten“, so sagt Seehofer, als hätte das je funktioniert, als gäbe es da neue Geheimrezepte, als gäbe es überhaupt so einen Schalter. Der Schalter, überhaupt auf die Inseln Richtung Deutschland herzukommen, sind in Wirklichkeit doch die vergleichsweise hohen deutschen Sozialleistungen. Würde man diesen Schalter ausschalten, das Problem Massenzuwanderung wäre möglicherweise viel einfacher zu lösen. Das weiß selbstverständlich auch Seehofer. Aber er weiß eben auch um viel größere Pläne, die einer Loyalität eines Bundesministers seinen Bürgern gegenüber im Wege steht.

Sätze wir aus einer Parallelwelt: Man dürfe mit so hohe Rechten wie dem Asylrecht von Staatsseite nicht „schlampig umgehen.“ Sagt ausgerechnet ein Vertreter der Deutsche Bundesregierung, der selben übrigens, die schon 2015 regierte.

Der Innenminister erklärt auf Nschfrage, was die europäische Kommission bisher als Vorschlag zu einem gemeinsamen EU-Asylrecht angeboten hätte, sei „armselig. Einfach nur armselig.“ man darf sicher sein, es dauert nicht mehr lange, dann wird er auch das Armseelige feiern, loben und sein Zutun betonen wollen.

Hier zur Fortsetzung im Zweiten Teil

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