Tichys Einblick
Teufelskreis der Gesinnungspolitik

Die Moralisierung schadet der deutschen Klima- und Energiepolitik

Eine vernünftige, sachliche und lösungsorientierte Klima- und Energiepolitik wird durch die reflexhafte Moralisierung immer schwieriger. Es gibt nicht mehr richtige und falsche Konzepte, sondern nur noch gute und böse Akteure. Ergebnis ist eine eine unheilvolle gesellschaftliche Selbstbeschränkung. Von Rupert Pritzl und Fritz Söllner

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Die Warnung des Philosophen Hermann Lübbe vor einer zunehmenden »Neigung, auf die Herausforderungen von Gegenwartsproblemen moralisierend zu reagieren«, die dieser schon 1984 in einem Vortrag aussprach, ist heute aktueller denn je. Nicht ohne Grund wurde der auf diesem Vortrag basierende Essay 2019 wieder veröffentlicht. Denn der gesellschaftliche Diskurs in Deutschland wird in vielen Politikbereichen von einem politischen Moralismus geprägt, der eine unvoreingenommene, kritische und sachlich geführte Diskussion behindert bzw. unmöglich macht. Dies wird ganz besonders in der Klima- und Energiepolitik sichtbar, die durch hohe Emotionalisierung und Moralisierung gekennzeichnet ist. Sie beruht auf wenigen emotionalen Großentscheidungen: der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Jahr 2000; dem Ausstieg aus der Kernenergie nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011; und dem im Gefolge der »Klimahysterie« von 2019 beschlossenen Ende der Nutzung der Kohleenergie im Jahr 2020.

Wenn man – wie Hermann Lübbe – den politischen Moralismus als die Aufforderung interpretiert, »dem Verstand zu gebieten, doch endlich den Mund zu halten«, so wird schnell klar, dass sich eine moderne Gesellschaft mit einem politischen Moralismus in eine unheilvolle gesellschaftliche Selbstbeschränkung hineinmanövriert, in der Sachargumente nicht mehr zählen und eine sachliche gesellschaftliche Diskussion in vielen Bereichen nicht mehr möglich ist. Der politische Moralismus kann daher als Paradebeispiel für die schon von Max Weber kritisierte Gesinnungsethik gelten, was schon aus dem Untertitel von Lübbes Essay deutlich wird. Der politische Moralismus stellt gewissermaßen die typische Erscheinungsform der Gesinnungsethik im Bereich der Politik dar.

Die vier Aspekte des politischen Moralismus und ihre Rolle in der aktuellen Klima- und Energiepolitik

Lübbe identifiziert vier wesentliche Charakteristika des politischen Moralismus. Alle vier lassen sich unschwer in der aktuellen Klima- und Energiepolitik wiederfinden. Mehr noch, sie prägen diese Politik so stark, dass dieselbe als der Idealtyp einer moralisierenden Politik gelten kann.

Erstens gehört zum politischen Moralismus »die zivilisationskritische Praxis, die Folgelasten moderner Zivilisationen, die in etlichen Lebensbereichen inzwischen rascher als ihre Lebensvorzüge wachsen, statt als entwicklungsbegrenzende Kosten als Beweis für die geschichtsphilosophische These zu interpretieren, dass die moderne Zivilisation das Endstadium einer bis in die Moral unseres kulturellen Naturverhältnisses hinreichenden Verfallsgeschichte sei«.

Als Ursache für die Klimakrise wird in der öffentlichen Diskussion häufig die niedrige Gesinnung vieler Menschen genannt. Das Klima werde destabilisiert, weil böswillige und rücksichtslose Menschen das Klima absichtlich gefährden oder eine Gefährdung desselben zumindest in Kauf nehmen würden, um ihre egoistischen Ziele zu verfolgen – zu Lasten ihrer umweltbewussten und gutwilligen Zeitgenossen und zu Lasten künftiger Generationen.

Typisch für diese Art der Schuldzuweisung ist die wütende Anklage von Greta Thunberg: »How dare you!« Die Aussage, dass der Klimawandel »menschengemacht« sei, und die zumindest zum Teil auch zutrifft, wird weitergehend interpretiert und in dem Sinn gebraucht, dass der Klimawandel das Produkt von Vorsatz und Fahrlässigkeit, also ein Produkt absichtlichen Handelns sei. Eine solche Kausalattribution ist einfach und bequem; sie schafft ein klares Feindbild; und sie motiviert die »Klimaaktivisten« durch emotionale Appelle an die Verworfenheit der anderen und die eigene moralische Überlegenheit. Aber sie ist falsch.

Negative Zivilisationsfolgen, wie etwa die Gefährdung des Klimas, haben in der heutigen Welt »überwiegend die handlungstheoretische Charakteristik von Nebenfolgen«. Damit ist nicht gemeint, dass es sich um unwichtige oder vernachlässigbare Phänomene handelt, sondern dass dieselben nicht bewusst herbeigeführt wurden; vielmehr treten sie typischerweise als unbeabsichtigte Konsequenz der Verfolgung anderer, häufig allgemein akzeptierter Ziele auf. Die Chinesen bauen keine Kohlekraftwerke, um den Gehalt der Atmosphäre an Treibhausgasen zu erhöhen, sondern um ihre Wirtschaft verlässlich und günstig mit Energie zu versorgen und um so hunderte von Millionen von Menschen aus der Armut zu befreien und ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. Und der deutsche Autofahrer nutzt einen Diesel-PKW nicht, um Feinstaub und CO2 in die Luft zu blasen, sondern weil dieser sein Mobilitätsbedürfnis am besten befriedigt, ihm also den besten Kompromiss aus Anschaffungskosten, Unterhaltskosten, Reichweite, Fahrleistung und Komfort bietet.

Eine solche Sicht der Dinge würde vielleicht die Klimaaktivisten dazu bringen anzuerkennen, dass auch sie selbst von dem zivilisatorischen Fortschritt profitieren, der durch die Verfolgung des eigentlichen Ziels der Wirtschaftspolitik der westlichen Industrieländer, nämlich dem der Steigerung der wirtschaftlichen Wohlfahrt, erreicht wurde – und dass deshalb für die »Nebenfolgen« letztlich die gesamte Gesellschaft verantwortlich ist.

Sowohl im Sinn des gesellschaftlichen Friedens als auch der Erarbeitung von Lösungen zur Bewältigung der »Nebenfolgen« ist es wenig zielführend, mit moralischen Anklagen und mit Schuldzuweisungen zu arbeiten. Stattdessen ist es notwendig, die Komplexität der modernen, arbeitsteiligen und ausdifferenzierten Gesellschaft und die vielfältigen Interdependenzen zwischen dieser und ihrer natürlichen Umwelt anzuerkennen. Das mag zwar anstrengender und emotional weniger befriedigend sein, als die Welt in »Böse« und »Gute« einzuteilen, ist aber die Grundvoraussetzung für eine rationale Lösung des Klimaproblems und anderer komplexer Probleme.

Zweitens ist ein Kennzeichen des politischen Moralismus »die rhetorische Praxis des Umschaltens vom Argument gegen Ansichten und Absichten des Gegners auf das Argument der Bezweiflung seiner moralischen Integrität; statt der Meinung des Gegners zu widersprechen, drückt man Empörung darüber aus, dass er sich gestattet, eine solche Meinung zu haben und zu äußern«.

Wenn man die Ursache der Klimakrise in einer »klimaschädlichen« Gesinnung sieht, dann ist es mehr als naheliegend, die moralische Integrität und den guten Willen der so Gesinnten zu bezweifeln. Deshalb verdienen es deren Ansichten und Argumente nicht, angehört und diskutiert zu werden, sondern diese müssen unterdrückt und unschädlich gemacht werden, damit nicht Gutgesinnte zum Zweifeln gebracht und Unsichere auf Abwege geführt werden.

Es ist daher gängige Praxis, dass kritischen Stimmen zur Energie- und Klimapolitik nicht angehört, sondern mit Vorwürfen zum Schweigen gebracht werden sollen, die von »Totengräber der Energiewende« über »Klimawandelleugner« oder gar »Klimaleugner« (eine in letzter Zeit sehr beliebte, aber an Unsinnigkeit kaum zu überbietende Bezeichnung) bis hin zu »Klimaverbrecher« reichen. Gemeinsam ist allen diesen Totschlag»argumenten«, dass sie die moralische Gesinnung der Kritiker höchstpersönlich in Abrede stellen bzw. dieselben von vornherein grundlegend diskreditieren und so keine sachliche Auseinandersetzung zulassen. Nicht die argumentative Entgegnung in der klimapolitischen Diskussion wird beabsichtigt, sondern die Diskreditierung und moralische Entwertung der Person des Gegenübers. Für diesen ist diese Stigmatisierung meist nur schwer behebbar und bedeutet womöglich sein gesellschaftliches Aus, mit der Folge, dass er ad personam an keiner öffentlichen Diskussion mehr teilnehmen kann.

Auf diese Weise wird mittels Emotionalisierung, Moralisierung und »Personalisierung« der öffentlichen Debatte eine vernünftige und sachliche Diskussion unmöglich gemacht. Gegenstand einer solchen müsste einerseits die Notwendigkeit bzw. Sinnhaftigkeit klima- und energiepolitischer Ziele, andererseits die Auswahl der zur Erreichung dieser Ziele geeigneten Instrumente sein. Die hierbei maßgeblichen Kriterien wären die Effektivität und die Effizienz der Energie- und Klimapolitik in Bezug auf das eigentliche Ziel derselben, das doch unbestreitbar in der weltweiten Verringerung der Treibhausgasemissionen liegt. Da die aktuelle Politik aber diesen Kriterien ganz offensichtlich nicht genügt, sind deren Vertreter an einer offenen und kritischen Diskussion letztlich gar nicht interessiert.

Man könnte hier von einem Teufelskreis zwischen der Art der Politik und der Art der Politikdiskussion sprechen: Einerseits trägt eine moralisierende Debatte zu einer irrationalen Politik bei; andererseits befördern die Vertreter und Nutznießer dieser Politik die Moralisierung der öffentlichen Diskussion nach besten Kräften.
Zu einem wesentlichen Teil mitverantwortlich für die Art und Weise, wie in Deutschland über die Energie- und Klimapolitik diskutiert wird, ist die Berichterstattung in den Medien. Denn diese beschäftigt sich häufig weniger mit der Aufarbeitung und Darstellung des komplexen Sachzusammenhangs und aktueller Forschungsergebnisse, sondern konzentriert sich vor allem auf die Skandalisierung der Folgen der Erderwärmung und auf die emotionale bzw. emphatische Darstellung von Einzelschicksalen (»Emotionalisierungsstrategie«). In Deutschland sehen sich die Journalisten verpflichtet, vor allem über die Risiken des Klimawandels zu berichten und dabei die bestehenden Unsicherheiten bezüglich der Forschungsergebnisse – aus hehren Klimaschutzmotiven (»noble cause corruption«) – eher zu verschweigen. Knapp zwei Drittel der im Jahr 2014 befragten Journalisten geben an, mit ihrer Berichterstattung die Notwendigkeit ökologischer Reformen in Politik und Wirtschaft hervorheben zu wollen. Journalisten geben damit ihre investigative Funktion und ihre fachlich-unabhängige Position auf und machen sich selbst zu Sprachrohren der Politik und betreiben vor allem affirmative kritiklose Politikbeschreibung und einseitige Krisenrhetorik.

Die Klimadebatte in Deutschland ist daher weniger geprägt von fundiert recherchierten Fakten und ausgewogener Berichterstattung, als vielmehr von der politisch-wohlmeinenden Gesinnung der Journalisten und der Moralisierung der Berichterstattung. Statt investigativem Journalismus sehen wir einen (vermeintlich) wohlmeinenden »Haltungs- bzw. Gesinnungsjournalismus« mit einer eklatanten politischen Unausgewogenheit.

Drittens impliziert der politische Moralismus »die Selbstermächtigung zum Verstoß gegen die Regeln des gemeinen Rechts und des moralischen Common sense unter Berufung auf das höhere Recht der eigenen, nach ideologischen Maßgaben besseren Sache«.

Ideologien lassen sich vereinfacht durch Eindimensionalität in der Zielsetzung und Kompromisslosigkeit in den politischen Maßnahmen charakterisieren. Insofern ist die aktuelle Klimapolitik stark ideologiegeprägt, da der Klimaschutz in der gesellschaftlichen Diskussion heutzutage zur alles entscheidenden »Überlebensfrage der Menschheit« stilisiert wird und der von vielen als das höchste, wichtigste und dringlichste gesellschaftliche Ziel betrachtet wird, dem sich alle anderen Ziele, wenn sie denn in diesem Zusammenhang überhaupt noch der Erwähnung für würdig befunden werden, weit unterzuordnen haben.

Kompromisse mit anderen gesellschaftlichen Zielen müssen und dürfen bei einer Verabsolutierung des Klimazieles nicht gemacht werden. Und natürlich sind alle Mittel und Instrumente recht und billig, um dieses Ziel zu erreichen – seien es etwa auch Schulstreiks, Beeinträchtigungen der öffentlichen Ordnung oder Verstöße gegen bestehendes Recht und Gesetz. Mit dem Narrativ von dem unmittelbar bevorstehenden Weltuntergang wird gesellschaftlich Angst und Panik geschürt und die extreme Dringlichkeit der Klimakrise vor Augen geführt, damit die in dieser Ideologie für richtig erachteten klimapolitischen Maßnahmen unverzüglich – auch unter bewusster Verletzung demokratischer Prinzipien (z.B. die Einbindung des Parlaments bei Richtungsentscheidungen), gezielter Umgehung bzw. Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien (z.B. Freiheitsrechte, Eigentumsschutz) und unter Auslassung einer rationalen Güterabwägung – durchgesetzt werden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass so manche Klimademonstranten in einigen Fällen ganz offensichtlich mit stark moralbesetzter klimapolitischer Selbstjustiz die bundesrepublikanische Rechtsordnung mit Füßen treten (z.B. die Ereignisse um die Rodung des Hambacher Forst, die Klimastreiks in Berlin oder die Aktivitäten der radikalen Gruppe „Extinction Rebellion“).

»Eine solche Haltung ist (…) von einem hohen Maß an Arroganz und Selbstüberschätzung gekennzeichnet; Menschen verkennen schnell, dass ihre eigenen subjektiven Moralvorstellungen kein Allgemeingut sind. In der rechtsstaatlichen Demokratie ist es der durch Volkswahlen legitimierte Gesetzgeber, der den Auftrag zur Bestimmung und zur Konkretisierung dessen hat, was das Wohl des Gemeinwesens ist und was der Allgemeinheit am meisten nützt«. So der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier.

Das Bewusstsein für die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit und für die Notwendigkeit der Einhaltung von Recht und Gesetz ist nicht nur bei den Klimaaktivisten schwach ausgeprägt, sondern auch – erschreckenderweise – bei den Vertretern von politischen Parteien und der Regierung. So hat es Bundeskanzlerin Merkel bei dem überhasteten Atomausstieg mit dem deutschen Recht (insbesondere dem grundgesetzlich garantierten Eigentumsrecht und der Handlungsfreiheit) nicht so ganz ernst genommen, was nicht zuletzt durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2016 zu den Entschädigungszahlungen an die Energieversorgungsunternehmen deutlich geworden ist. 2020 musste das Bundesverfassungsgericht Bundesumweltministerin Svenja Schulze ermahnen, die im Jahr 2018 von der Bundesregierung beschlossenen Entschädigungsregelungen für die Stromversorger Vattenfall und RWE verfassungskonform neu zu regeln.

Der Umgang der Bundesregierung mit dem Atomausstieg scheint nur ein Symptom einer zunehmend nonchalanten Einstellung vieler Politiker zum Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zu sein. So hat sich etwa die Bundeskanzlerin 2018 dahingehend geäußert, dass die Bundesregierung Recht und Gesetz »wo immer das notwendig ist« (!) einhalten wolle – eine Äußerung, die Bände spricht. Es ist alarmierend, dass der Bruch grund- und einfachgesetzlicher Rechtspositionen durch die Bundesregierung und die Geringschätzung des Prinzips der Rechtsstaatlichkeit durch die Bundeskanzlerin nur wenig Beachtung in der Öffentlichkeit hervorgerufen hat. Im Gegenteil: Es hat der Beliebtheit von Bundeskanzlerin Merkel und ihrer Politik in weiten Teilen der Bevölkerung kaum geschadet. Das klimapolitische Ziel moralisch stets vor Augen scheint es, dass sich die politischen Vertreter nicht um die Beachtung des Rechtsstaates kümmern müssen, sondern dieser – fast schon als lästig – anzusehenden Pflicht entrückt sind.

Ganz offensichtlich hat die Strategie der moralisierenden Selbstlegitimation gut gewirkt. Eine solche ist aus zwei Gründen gerade im Fall der aktuellen Klima- und Energiepolitik nachgerade notwendig: Einerseits steigt angesichts der großen Ineffizienzen und der Ineffektivität der Klimapolitik das Erfordernis, die Klimapolitik mit moralischen Argumenten zu legitimieren, denn andere bleiben kaum noch übrig. Die von Bundeskanzlerin Angela Merkel verwendete politische Rhetorik der Alternativlosigkeit führt auch die starke moralische Fundierung bzw. Selbstlegitimation vor Augen, die keine Alternativen und keine Kompromisse und erst recht keine gesellschaftliche Diskussion mit einer rationalen Kosten-Nutzen-Abwägung zulässt.

Andererseits muss, je mehr in der politischen Praxis gegen elementare Regeln unserer Rechtstradition verstoßen wird, je mehr also der Selbstrechtfertigungsbedarf der Politik wächst, die moralische Reflexion umso intensiver werden, welche unter Berufung auf ein höherrangiges „Recht“ jene Verstöße gleichsam legitimiert. In Mitleidenschaft gezogen werden dabei allerdings Vernunft und Urteilskraft, die jeden Menschen aufgrund eigener Erfahrung und traditionell gefestigtem politischem Wirklichkeitssinn gemeinsinnfähig urteilen lässt, was erlaubt ist und was nicht. Und wenn Vernunft und Urteilskraft auf der Strecke bleiben, besteht keine Aussicht mehr auf eine Argumentation auf der Grundlage sachlicher Überlegungen und auf eine vernünftige, sachorientierte Politik.

Zur »regierungsamtlichen« Selbstlegitimation gibt es ein »zivilgesellschaftliches« Pendant: Die Regel- und Gesetzesverstöße bei der Propagierung des Klimaschutzes werden z.B. von vielen »Fridays for Future«-Anhängern durch persönliche Verzichtshandlungen und (temporär) hingenommene Verhaltensbeschränkungen gerechtfertigt: Vegetarische oder vegane Ernährung, Radfahren, freiwilliger Konsumverzicht und überhaupt: selbstgewähltes umweltfreundliches Verhalten im persönlichen Nahbereich. Es ist jedoch zu bezweifeln, ob sich auf diese Weise überhaupt ein nennenswerter Beitrag zum Klimaschutz leisten lässt.
Auch hier können wir einen sich selbst verstärkenden Prozess beobachten: Die moralisierende Selbstlegitimierung der Aktivisten befördert die der Politiker – und vice versa.

In der Folge werden demokratische Prozesse und rechtsstaatliche Prinzipien durch eine höhere Moral so zurückgedrängt bzw. außer Kraft gesetzt, dass die abstrakte Herrschaft des Rechts zunehmend durch die konkrete Herrschaft der Moral ersetzt wird. Nicht ohne Grund warnen Kritiker wie Siegfried Franke oder Hans-Jürgen Papier vor einer Aushöhlung des Rechtsstaats.

Der politische Moralismus beinhaltet viertens »das appellative Bemühen, die Verbesserung gesellschaftlicher Zustände über die Verbesserung moralischer Binnenlagen, durch pädagogische und sonstige Stimulierung guter Gesinnung zu erwarten statt von einer Verbesserung rechtlicher und ordnungspolitischer Institutionen in der Absicht, uns zu bewegen, auch aus Eigeninteresse zu tun, was das Gemeinwohl erfordert«.

Wenn die Klimakrise auf die »schlechte« oder fehlende Moral von großen Teilen der Bevölkerung zurückgeführt wird, dann muss man natürlich versuchen, diese Moral zu heben und eine »gute« Gesinnung zu bewirken. Von vielen Klimaaktivisten, aber auch von Politikern und Kirchenvertretern, hört man deshalb eindringliche Appelle, »zur Vernunft zu kommen«, »umzukehren« und »die Schöpfung zu bewahren«. Allein, diese Appelle fruchten sehr wenig – was bei einem Problem, welches aus ökonomischer Sicht durch einen globalen negativen externen Effekt verursacht wird, auch gar nicht anders zu erwarten ist. Und dies liegt nicht an der mangelnden Rationalität oder an dem bösen Willen der Adressaten dieser Appelle.

Was tut der politische Moralist aber, wenn seine Appelle nutzlos verhallen? Wenn die Menschen nicht freiwillig ihr Verhalten ändern, dann muss man sie eben mit Geboten und Verboten dazu zwingen. Wie ist dabei vorzugehen? Da die Gutgesinnten und moralisch Hochstehenden sich natürlich, per definitionem, auch gut und moralisch verhalten, stellt deren Verhalten den Maßstab dafür dar, was gutes und richtiges Verhalten ist – vollkommen unabhängig davon, ob dieses Verhalten tatsächlich die gewünschten Folgen zeitigt und welche Konsequenzen tatsächlich damit verbunden sind. Denn vom Standpunkt des politischen Moralismus überträgt sich die Qualität des Handelnden zwangsläufig auf die Qualität der Handlungen. Gutgesinnte handeln immer gut und Schlechtgesinnte handeln immer schlecht. Gutgesinnte fahren Rad oder Elektroauto, verwenden Energiesparleuchten, leben vegetarisch oder vegan und installieren Photovoltaikanlagen auf den Dächern ihrer Häuser. Allen anderen, die dies nicht freiwillig und aus besserer Einsicht tun, muss dieses Verhalten auf die eine oder andere Weise vorgeschrieben werden: Autos mit Verbrennungsmotor werden einerseits durch die massive Subventionierung der Elektromobilität, andererseits durch immer restriktivere Emissionsvorgaben und sogar Fahrverbote »ausgebremst«; Glühlampen werden verboten; es gibt Vorschläge, den Fleischkonsum durch Sondersteuern oder verpflichtende »Veggie-Days« zu reduzieren; Photovoltaikanlagen werden nicht nur stark subventioniert, sondern in Kürze den Bauherren sogar vorgeschrieben.

Auf diese Weise erreicht man ein »gutes« Verhalten auch bei den »Bösen«, erreicht also, dass diese sich so verhalten, als ob sie »gut« wären – und stimuliert so indirekt eine gute Gesinnung. Denn vielleicht sehen die so Gemaßregelten ja irgendwann ein, dass dies alles zu ihrem eigenen Besten und zu dem der ganzen Menschheit ist und ändern im Lauf der Zeit ihre Gesinnung. Angesichts solch hehrer Ziele spielen natürlich, wie wir oben gesehen haben, Petitessen wie Recht und Gesetz oder Rechtsstaatlichkeit keine große Rolle…

Und auch für eine nüchterne und sachliche Abwägung von Handlungsalternativen bleibt hier kein Raum. Kohle- und Kernenergie haben nicht jeweils Vor- und Nachteile, die es abzuwägen gilt, sondern sind Teufelswerk und müssen baldmöglichst abgeschafft werden. Photovoltaikanlagen und Windräder dürfen hinsichtlich ihrer Kosten und Nutzen nicht mit anderen Arten der Energieerzeugung verglichen werden, sondern stellen den energie- und klimapolitischen Heilsweg dar, an dem kein Zweifel erlaubt ist.

Allerdings erweisen sich viele energie- und klimapolitischen Vorhaben als reines Wunschdenken und als Illusion, wenn sie mit den harten Tatsachen der ökonomischen und naturwissenschaftlichen Realität konfrontiert werden. Nicht ohne Grund spricht der Physiker André Thess in diesem Zusammenhang von »Energiewendemärchen.« So klafft eine enorme Anspruchslücke zwischen dem politischen Versprechen eines wirksamen Klimaschutzes (und insbesondere der Klimaneutralität bis 2050) auf der einen Seite und den bisherigen Erfolgen der Klimapolitik auf der anderen Seite. Auf allen Ebenen – von den Bundesländern über den Bund bis zur EU – formulieren Politiker mittlerweile immer ambitioniertere und fast schon utopische Ziele, bei denen höchst fraglich ist, wie diese realistischer Weise jemals erfüllt werden können.

Daher bemühen sich Politiker um kleine sichtbare Schritte bzw. Fortschritte, um damit zu zeigen, es geht ja – zumindest ein wenig – in die richtige Richtung. In der aktuellen Klima- und Energiepolitik findet man zahlreiche Belege für diese politische Inszenierungsstrategie: immer mehr Personal in den einschlägigen Behörden, mehr Gesetze und Verordnungen, zusätzliche Gremien und Abstimmungsrunden (z.B. das »Klimakabinett« der Bundesregierung und diverse Klimaräte) sowie ein umfassendes jährliches Monitoringwesen und mehr Öffentlichkeitsarbeit und Kampagnen. Auch die starke Fokussierung von Politik und Öffentlichkeit auf den Stromsektor dient der politischen Selbstinszenierung und Selbstbestätigung. Denn hier erreicht der Anteil erneuerbarer Energien mittlerweile (angeblich!) fast 50%, was als vorzeigbarer Erfolg lautstark bejubelt wird und die eigenen Bemühungen zu bestätigen scheint.

Diese moralzentrierte Sichtweise blendet die hohen gesellschaftlichen Kosten und Ineffizienzen einer solchen vorwiegend symbolischen Klima- und Energiepolitik aus, die nur an Symptomen herumkuriert, und vernebelt damit auch die Sicht auf die sinnvolle Gestaltung des ordnungsrechtlichen Rahmens und die Setzung geeigneter ökonomischer Anreize.

Aber eine solche indirekte Politik über Anreize – wie sie insbesondere eine allgemeine CO2-Steuer darstellen würde – kommt für politische Moralisten ohnehin nicht in Frage. Aus zwei Gründen kann es für sie nur eine direkte Verhaltenssteuerung über Gebote und Verbote geben. Erstens würde eine Anreizpolitik ihrem dualistischen Gut-Böse-Weltbild widersprechen, da ja z.B. eine allgemeine CO2-Steuer grundsätzlich alle Menschen betreffen und insofern kein Unterschied gemacht werden würde zwischen den »Guten« und den »Bösen«. Zweitens wären dann »unmoralische« Handlungen weiterhin prinzipiell erlaubt: Man könnte weiterhin PS-starke Autos mit Verbrennungsmotor fahren, könnte weiterhin Elektrizität mit Gas- oder Kohlekraftwerken erzeugen und könnte weiterhin sein Eigenheim mit Öl beheizen. Diese sündhaften Aktivitäten wären nicht verboten, sondern würden »nur« verteuert werden. Ja mehr noch, es bestünde sogar die Gefahr, dass sich »gute« Technologien, wie z.B. die Elektromobilität oder die Photovoltaik, nicht durchsetzen, sondern sich als das erweisen würden, was sie sind: wirtschafts-, energie- und klimapolitische Irrwege.

Die moralisierende Energie- und Klimapolitik – ineffektiv und ineffizient

Das Klimaproblem lässt sich aus ökonomischer Sicht als globaler negativer externer Effekt auffassen. Jede Emission von Treibhausgasen (THGs), unter denen CO2 die größte Rolle spielt, erhöht die Konzentration dieser Gase in der Atmosphäre und trägt so zur Destabilisierung des Klimas bei. Dieser Effekt ist extern in Bezug auf das Marktsystem, weil der Emittent dafür keinen Preis bezahlen muss; er ist negativ, da die Klimadestabilisierung zu Nutzeneinbußen und Kostensteigerungen führen wird; und er ist global, da es keine Rolle spielt, wer wo wieviel emittiert, sondern die Höhe der weltweiten Gesamtemission entscheidend ist. Dieser externe Effekt kann internalisiert werden, indem die Emissionen von THGs bepreist werden (durch eine Emissionssteuer oder ein Emissionsrechtehandelssystem) und so ein ökonomischer Anreiz zu deren Vermeidung geschaffen wird. Denn ein solcher Preis führt dazu, dass Prozesse und Güter im Verhältnis ihrer Emissionsintensität verteuert werden und deshalb versucht wird, neue, klimafreundlichere und damit kostengünstigere Technologien einzuführen. Der Preis schafft einen Anreiz für Unternehmer und Konsumenten, nach den günstigsten Vermeidungsmöglichkeiten zu suchen.

Vollkommen sinnlos sind dagegen Appelle zu Verhaltensänderungen, da es für die so angesprochenen Individuen nicht rational wäre, dieselben zu befolgen. Der Nutzen emissionsverursachender Aktivitäten kommt vollständig dem Emittenten zugute, aber die dadurch verursachten Schäden betreffen die gesamte Weltbevölkerung, also nur zu einem infinitesimalen Teil ihn selbst, sodass es aus individueller Sicht keinen Anlass gibt, das Verhalten zu ändern: Eine individuelle Emissionsreduktion würde den Nutzen des betreffenden Emittenten spürbar schmälern, aber praktisch keinen Beitrag zur Klimastabilisierung leisten. Es existiert hier ein Konflikt zwischen individueller Rationalität (eine individuelle Verhaltensänderung wäre irrational) und kollektiver Rationalität (eine Einschränkung der Gesamtemissionen ist sinnvoll und notwendig), wie er für externe Effekte typisch ist. Dieser Konflikt lässt sich nicht durch Appelle, sondern nur durch eine Anpassung der Rahmenbedingungen des individuellen Handelns beseitigen, also durch die Schaffung entsprechender ökonomischer Anreize. Denn die Verursacher des externen Effektes werden nur dann alle Kosten ihrer Aktivitäten bei ihren individuellen Entscheidungen berücksichtigen, wenn sie diese auch tragen müssen.
Diese Anreize müssen auf globaler Ebene und einheitlich gesetzt werden, da die Klimapolitik nur dann effektiv und effizient ist, wenn alle Emittenten aller Branchen und Wirtschaftssektoren in allen Ländern denselben Anreizen unterliegen. Nicht zielführend ist dagegen, was in Deutschland und in der EU gerade geschieht, dass sich nämlich einzelne Länder bzw. Ländergruppen Emissionsreduktionsziele setzen.

Schaut man sich die Zahlen zu den weltweiten Treibhausgasemissionen an, so wird schnell klar, dass die EU oder gar Deutschland allein bei weitem nicht in der Lage sind, für eine spürbare Reduktion der Gesamtemissionen und damit für eine Stabilisierung des Weltklimas zu sorgen. Im Jahr 2017 betrug laut Bundesministerium für Umwelt der Anteil der EU (ohne Deutschland) an den weltweiten Treibhausgasemissionen lediglich 7,3% (Deutschland hat einen Anteil von 1,9%). Zum Vergleich dazu betrug der Anteil der USA 13,7% und der von China 27,3%. Angesichts der absoluten Zunahme an Treibhausgasemissionen in China und Indien sinkt der Anteil der EU und Deutschlands Jahr für Jahr.

Ob die EU oder Deutschland sich ambitioniertere Emissionsziele setzt und diese – im günstigsten Fall – auch erreicht, wird auf globaler Ebene also kaum ausreichen, den gegenwärtigen Trend der Erwärmung zu stoppen oder gar umzukehren. Deshalb wäre es besser, in Abwesenheit einer international koordinierten Klimaschutzpolitik knappe Ressourcen in die Adaption an den Klimawandel zu investieren (z.B. in die Verstärkung der Nordseedeiche oder den Waldumbau), anstatt diese für wirkungslose Emissionsreduktionsanstrengungen zu verschwenden. (Das Pariser Klimaschutzabkommen von 2015 stellt keine solche international koordinierte Klimaschutzpolitik dar, sondern ein unkoordiniertes Sammelsurium weitgehend unverbindlicher nationaler Aktionspläne.) Die deutsche Klimapolitik ist schon aus diesem Grund ineffektiv und damit nicht rational.

Hinzukommt, dass die Anstrengungen zur Emissionsreduktion, die Deutschland schon unternimmt und noch vorhat (abgesehen davon, dass sie so gut wie keine Auswirkungen auf das Klima haben bzw. haben werden), ineffizient sind, also höhere volkswirtschaftliche Kosten als nötig verursachen. Aus umweltökonomischer Sicht ist ein einheitlicher Preis für den Ausstoß von Treibhausgasen notwendig, der entweder direkt durch eine Emissionssteuer oder indirekt durch ein Emissionszertifikatssystem eingeführt werden könnte. Im ersten Fall würde der Steuersatz festgelegt und die Emissionsmenge würde sich gemäß den Reaktionen der Emittenten ergeben; im zweiten Fall würde die Zertifikats- bzw. Emissionsmenge bestimmt und der Zertifikatspreis würde sich durch Angebot und Nachfrage am Markt bilden (»cap and trade«). Entscheidend ist, dass in beiden Fällen einheitlich vorgegangen wird, d.h. dass alle Emittenten in gleichem Maße belastet werden. Nur so können die Treibhausgasemissionen effektiv und effizient, d.h. zu den geringstmöglichen Kosten reduziert werden. Denn auf diese Weise würden die Kosten des Klimawandels den Verursachern angerechnet, und diese hätten einen Anreiz, die Treibhausgasemissionen zu senken. Dabei würden die Emittenten ihre Emissionen umso stärker reduzieren, je niedriger ihre Reduktionskosten sind, sodass insgesamt die Emissionsreduktion zu den geringstmöglichen Kosten erfolgen würde.

Im Gegensatz dazu ist die Klimapolitik in Deutschland – nach Meinung des Sachverständigenrats und des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium – kleinteilig, ineffizient und leistet (fast) keinen Beitrag zur klimapolitisch erwünschten Verringerung der Treibhausgasemissionen. Dies gilt vor allem für das im Jahr 2000 eingeführte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das den Ausbau erneuerbarer Energien bei der Stromerzeugung fördert. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit hatte schon im Jahr 2004 darauf hingewiesen, dass die direkte Förderung erneuerbarer Energien durch das EEG innerhalb des übergreifenden EU-Emissionshandelssystem (EU-ETS) keinen Beitrag zur Verringerung der Treibhausgasemissionen erbringt, sondern nur zu einer Verlagerung in andere Länder führt. Und viele Experten fragen sich, wie wir mit regenerativen Energien und – auf absehbare Zeit – ohne ausreichende Stromspeicher die Versorgungssicherheit für den Industriestandort Deutschland in Zukunft gewährleisten können.

Der Kohleausstiegsbeschluss, die massive Förderung der Elektromobilität und das »Klimapaket 2030« sind weitere Weichenstellungen der deutschen Klimapolitik, die diese Linie fortführen. Angesichts eines solchen Vorgehens überraschen enorme Ineffizienzen bei der Reduktion von CO2-Emissionen nicht. Bei einem Vergleich der durchschnittlichen errechneten CO2-Vermeidungskosten (in Euro/t vermiedener CO2-Emissionen) kommt man je nach den getroffenen Annahmen zwar zu unterschiedlichen Aussagen, deren Grundtenor jedoch eindeutig ist: Die spezifischen CO2-Vermeidungskosten der Windenergie onshore belaufen sich demnach auf ca. 1.900 Euro und die der Photovoltaik auf ca. 1.874 Euro; für den Bereich der Elektromobilität sind die spezifischen Vermeidungskosten auf 1.100 bis 1.200 Euro/t zu veranschlagen.

Für den Kohleausstieg, dessen Gesamtkosten mindestens 100 Mrd. Euro betragen werden, lassen sich die Vermeidungskosten noch nicht genau beziffern, aber es deutet viel darauf hin, dass die Abschaltung modernen Kohlekraftwerke nicht die kostengünstigste Möglichkeit zur Reduktion von CO2-Emissionen darstellt. Wenn man diese hohen Vermeidungskosten dem derzeitigen Marktpreis im EU-ETS von ca. 40 Euro pro Tonne CO2-Emissionen gegenüberstellt, so ergibt sich ein Faktor von ca. 27 bis 48, um den die aufgeführten CO2-Vermeidungsmaßnahmen bzw. technologien teurer sind als der EU-ETS-Preis.

Es ist klar, dass wir mit diesen verschiedenen Maßnahmen bei weitem nicht die kosteneffizientesten Maßnahmen ergriffen haben und genau das Gegenteil einer volkswirtschaftlich effizienten Klimapolitik betreiben. Hinzukommt, dass diese nicht nur ineffizient, sondern größtenteils auch ineffektiv ist: So lässt sich im Fall der Stromerzeugung auf europäischer Ebene, nämlich innerhalb des übergreifenden EU-ETS, keine Vermeidungswirkung erzielen – zumindest nicht ohne weitere Maßnahmen, die ihrerseits zusätzliche Kosten verursachen würden. Es sind hier zwei Arten von Ineffektivität zu unterscheiden: Zum einen ist, wie oben erwähnt, jede nur nationale bzw. nur europäische Politik deswegen ineffektiv, weil dadurch das Klima nicht beeinflusst werden kann. Zum anderen ist die deutsche Politik außerdem deswegen ineffektiv, weil sie auf europäischer Ebene die Emissionen nicht reduziert. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Im Rahmen des »Green Deal« der EU soll die gegenwärtige, ineffektive und ineffiziente Klimapolitik weiterverfolgt und noch wesentlich intensiviert werden.

Ursächlich für diese Misere ist nicht etwa mangelndes Wissen um eine bessere Klimapolitik, sondern die bewusste Verweigerung einer rationalen Analyse des Klimaproblems und seiner möglichen Lösungen zugunsten einer emotionalen, gesinnungsbasierten und vorurteilsbehafteten Politik – mit anderen Worten: ursächlich ist der politische Moralismus. Denn, so Lübbe, »[e]s passt nicht ins Weltbild des Moralisten, dass, was er der Moral anvertraut wissen möchte, sich durch Entmoralisierung ungleich wirksamer bewerkstelligen lässt, und just dieses Faktum empört den konsequenten Moralisten mehr, als ihn die pragmatische Erledigung von Problemen je zu erfreuen vermöchte«.

Angesichts immer weiterer moralpolitischer Tabus hinsichtlich von Zielen, Instrumenten und Technologien einerseits und der zunehmenden Komplexität und Bürokratisierung wichtiger Bereiche andererseits werden die tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten der Gesellschaft immer geringer. Dadurch verbauen wir uns in zunehmendem Maße die Chance, nachhaltige Problemlösungen für die Zukunft zu entwickeln und umzusetzen.

Politischer Moralismus – und kein Ende in Sicht?

Der politische Moralismus beschränkt sich nicht auf die Energie- und Klimapolitik, sondern ist charakteristisch für die gesamte gegenwärtige Politik in Deutschland (und in anderen Ländern). Die typischen Merkmale einer moralisierenden Politik sind besonders auffällig in der Flüchtlings- und Migrationspolitik sowie – ganz aktuell – in der Corona-Politik. In beiden Fällen wird emotional argumentiert und auf der Grundlage von Gesinnung und Moral entschieden; eine rationale und vorurteilsfreie Diskussion findet nicht statt, sondern wird im Gegenteil durch Ausgrenzung und Diffamierung von Kritikern soweit als möglich unterdrückt – mit bereitwilliger Unterstützung der meisten Medien.

Natürlich ist der politische Moralismus kein Kind des 21. Jahrhunderts. Schließlich warnte Hermann Lübbe schon vor über 35 Jahren vor ihm. Damals waren es Probleme wie Waldsterben oder Nachrüstung, die mitunter sehr emotional diskutiert wurden. In der Politik haben Moral und Gesinnung schon immer eine wichtige Rolle gespielt, was insofern kein Problem sein muss, als Gesinnungsethik nicht mit Verantwortungslosigkeit identisch sein und die Gesinnung nicht blind gegenüber Konsequenzen machen muss. In der Tat dominierten Gesinnungsethik und Moral die Politik zu der Zeit, als Hermann Lübbe seinen Essay verfasste, noch nicht in dem Maße, wie dies heute der Fall ist. Vielmehr gaben die Verantwortungsethiker in den etablierten Parteien, der Regierung und in den meisten Medien den Ton an. Der gesinnungsethische Standpunkt wurde – cum grano salis – nur von einigen zivilgesellschaftlichen Gruppen und der damals neuen Partei der Grünen vertreten.

Im Lauf der Zeit haben sich aber die Verhältnisse umgekehrt und die gesinnungsethische Position hat gegenüber der verantwortungsethischen Position immer mehr an Gewicht gewonnen und diese als herrschende politische Philosophie abgelöst. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg war sicher die Einführung des Euro, die gegen den Willen der Bevölkerung und gegen die Ratschläge und ungeachtet der Warnungen praktisch aller Ökonomen durchgesetzt wurde – nur auf Grundlage einer europafreundlichen Gesinnung und reinen Wunschdenkens. Heute steht die Verantwortungsethik auf verlorenem Posten: Alle etablierten Parteien, die reichweitenstarken Medien und einflussreiche zivilgesellschaftliche Gruppen vertreten gesinnungsethische Positionen und bestärken sich gegenseitig in denselben. Angesichts dieses Kartells des politischen Moralismus kann sich die Stimme der Vernunft und der Verantwortung nicht nur nicht durchsetzen – sie kann sich nicht einmal Gehör verschaffen.

Die Gründe für den Siegeszug des politischen Moralismus wären eine ausführliche politökonomische Analyse wert. Eine solche können wir im Rahmen dieses Beitrags nicht leisten. Stattdessen wollen wir abschließend kurz überlegen, ob und unter welchen Umständen eine Rückkehr zu Vernunft und Verantwortung möglich ist.

Das Hauptproblem scheint in der Beliebtheit – oder zumindest der Akzeptanz – des moralisierenden Politikstils bei den Wählern zu liegen. Solange sich diese weiter mit Prinzipien, Gesinnung und Moral abspeisen lassen, haben die Politiker keinen Anreiz, von ihrer gesinnungsethischen Strategie abzugehen – und haben Politiker, die die Verantwortungsethik vertreten, wenig Aussichten, in Amt und Würden zu gelangen. Nur wenn die Wähler eine offene und vorurteilsfreie Diskussion verlangen; nur wenn sie Wert auf verantwortungsvolle und kritische Vernunft und Urteilskraft legen; und nur wenn sie erkennen, dass es angesichts der komplexen gesellschaftlichen Ordnungszusammenhänge mehr um die Etablierung abstrakter Regeln als um die Herbeiführung konkreter Ergebnisse gehen muss: nur dann besteht die Aussicht, dass der politische Moralismus zurückgedrängt und in der Politik wieder ein angemessenes Verhältnis zwischen Gesinnung und Verantwortung, zwischen Moral und Vernunft, zwischen Idealismus und Realpolitik hergestellt wird.
Es ist zu hoffen, dass die Wähler und Bürger zu dieser Einsicht gelangen, ohne dass es dafür notwendig ist, dass die Kosten und Probleme des politischen Moralismus noch weiter überhandnehmen, als dies jetzt schon der Fall ist.


Dr. Rupert Pritzl hat Volkswirtschaftslehre, Romanistik und Philosophie an den Universitäten Münster, Sevilla und Freiburg studiert. Seit 1997 ist er im Bayerischen Wirtschaftsministerium tätig und seit 2021 Lehrbeauftragter an der FOM Hochschule. Er gibt seine persönliche Meinung wieder.

Fritz Söllner ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Finanzwissenschaft, an der Technischen Universität Ilmenau. Er war an der Universität Bayreuth als Privatdozent tätig und hat sich als John F. Kennedy Fellow an der Harvard University in Cambridge/USA aufgehalten. Seine Forschungsschwerpunkte sind Migrationspolitik, Umweltökonomie und die Geschichte des ökonomischen Denkens. 2019 ist von ihm im Springer-Verlag das Buch „System statt Chaos – Ein Plädoyer für eine rationale Migrationspolitik“ erschienen, 2021 im gleichen Verlag das Buch „Die Geschichte des ökonomischen Denkens“.