Tichys Einblick
Dogmatismus statt Aufklärung

Corona und das verspielte Vertrauen in die Wissenschaft

Seit zwei Jahren hört man viele Phrasen wie „Experten empfehlen …“ oder „der Wissenschaft zufolge sollten wir …“, und was dann folgt, klingt meist vollkommen unsinnig. Solange der Trend zum Autoritarismus nicht gebrochen wird, gibt es wenig Hoffnung für eine neue und echte Wissenschaftskultur in Deutschland. Von Carl Lang

imago Images/MiS

Ich bin ein wissenschaftlich orientierter Rationalist. Seit zwei Jahren höre ich viele Phrasen wie „Experten empfehlen …“ oder „der Wissenschaft zufolge sollten wir …“, und was dann folgt, klingt meist vollkommen unsinnig. Wo liegen die Fehler bei dieser Wissenschaftsrhetorik? Warum misstrauen Menschen der Wissenschaftselite, wie berechtigt ist ihre Skepsis, und wie könnte man das verspielte Vertrauen wiederherstellen?

David Hume schreibt sinngemäß: „Du kannst (ohne einen Zwischenschritt) aus einem Ist kein Soll ableiten.“ Trotzdem tun Menschen das unentwegt. Zum Beispiel sagt ein Virologe: „Manchen Experimenten zufolge reduzieren Masken in Innenräumen die Übertragung des Corona-Virus.“ Das ist eine wissenschaftliche Aussage, die den Ist-Zustand der Welt beschreibt. Dann springt der Virologe auf eine nichtwissenschaftliche Soll-Aussage: „Deshalb sollten wir Maskenpflichten in Innenräumen verhängen“.

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Ein anderer Virologe könnte sagen: „Manchen Experimenten zufolge reduzieren Masken in Innenräumen die Übertragung des Corona-Virus.“ Und dann könnte er fortfahren: „Es macht keinen Sinn, die Übertragung durch besondere Maßnahmen zu reduzieren, denn die Pandemie ist erst vorbei, wenn der Virus endemisch geworden ist. Maskenpflichten wären auch in Innenräumen weder hilfreich noch angemessen.“ Beide Virologen würden nur als Wissenschaftler reden, wenn sie die experimentellen Ergebnisse vorstellen. Ihre persönlichen Wertungen und Einschätzungen haben streng genommen nichts mit Wissenschaft zu tun.

Wissenschaftsphilosophisch betrachtet kann man der Wissenschaft also niemals zu irgendeinem Soll „folgen“, weil die Wissenschaft dort nicht hinführt. Sie beschreibt immer nur den Ist-Zustand der Welt. Wer wirklich wissenschaftlich denken will, der unterscheidet zwischen wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Aussagen, anstatt so zu tun, als sei jede Aussage eines Wissenschaftlers automatisch wissenschaftlich.

Welche Wissenschaftsdisziplin ist die richtige?

Das Ist-Soll-Problem hängt eng mit dem Wissenschaftsdisziplinproblem zusammen. Virologen und Epidemiologen haben mitentschieden, welches Gewerbe öffnen, wer seine Familie besuchen, wer ungehindert atmen und wer in die Schule gehen darf. Viele dieser Entscheidungen haben sie willkürlich getroffen, ohne einen positiven Effekt, geschweige denn eine wohlüberlegte Kosten-Nutzen-Rechnung vorweisen zu können. Selbst, wo eine medizinische Begründung aber vorhanden war, fehlten ihnen die relevanten fachlichen Qualifikationen.

Was sind bestimmte Grundrechte wert und unter welchen Umständen sollte man sie einschränken? Hier sollten Juristen mitreden. Welche Wirtschaftsschäden (zum Beispiel durch die Schließung oder Regulierung touristischer und gastronomischer Einrichtungen) sind verkraftbar und welche Folgen werden diese Wirtschaftsschädigungen langfristig haben? Hier sollten Ökonomen mitreden. Sollte man die Schulen schließen und auf Fernschulung umstellen? Hier sollten Pädagogen mitreden. Welches Maß an gesellschaftlicher Spaltung und welcher Verlust an demokratischer Kultur wird irreversibel sein? Hier sollten Historiker, Soziologen und Politologen mitreden. Welche psychischen Schäden werden die ständige Panikmache, die Masken und die Isolation bei verschiedenen Bevölkerungsgruppen anrichten? Hier sollten Psychologen mitreden. Wie soll man den Lebensinhaltsverlust gegen einen eventuellen Lebenszeitgewinn abwägen? Hier sollten die Philosophen mitreden.

Die meisten Fragen sind so komplex, dass man sich nur interdisziplinär einer Antwort annähern kann und immer viel Ungewissheit bleiben wird. Mediziner sind Spezialisten für ein kleines Fachgebiet. Es gibt keine Rechtfertigung dafür, dass Leute wie Christian Drosten und Anthony Fauci wie das Orakel von Delphi aufgetreten sind und sich als Experten für Alles aufgespielt haben. Ein solches Verhalten muss zu einem Vertrauensverlust in die Wissenschaft und in die Institutionen führen.

Dogmatismus versus wissenschaftliche Methode

Dank der Wissenschaft können wir tief in den Weltraum blicken, Teilchenbeschleuniger bauen, global miteinander kommunizieren und viele Krankheiten heilen. Wie ist dieser Wissenschaftserfolg zu erklären und wieso haben wir fast all dieses Wissen in den letzten paar Jahrhunderten erworben, wohingegen es in den Jahrtausenden zuvor kaum Fortschritt gab?

Was die Wissenschaft so mächtig macht, ist ihre Methode! Eigentlich könnte man sogar sagen: Wissenschaft ist nichts weiter als eine Methode. Zu dieser Methode gehören Strukturen, die dem Wissenserwerb dienen (zum Beispiel Universitäten), und Anreize (Status und Geld), um wissenschaftliche Entdeckungen zu belohnen. Entdeckungen werden möglichst vielen anderen Wissenschaftlern mitgeteilt (zum Beispiel  durch wissenschaftliche Fachzeitschriften und Konferenzen), und Wissenschaftler werden aufgefordert, die Erkenntnisse anderer zu überprüfen, zu verfeinern und zu widerlegen (zum Beispiel durch Peer Review, durch Replikationen von Studien und so weiter).

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Die wissenschaftliche Methode ist dialektisch: Auf eine These folgt eine Gegenthese. Nur durch diesen ständigen Widerspruch lassen sich die Stärken und Schwächen beider Thesen abwägen. Der Dogmatismus des Mittelalters machte Wissenserwerb nahezu unmöglich. Erst nach der Aufklärung begannen Gelehrte damit, sich gegenseitig in Frage zu stellen und eine systematische Fehlersuche zu entwickeln. Freies Denken, freies Forschen und freier Widerspruch sind die Bedingung für Wissenserwerb.

Hat die wissenschaftliche Methode während der Pandemie funktioniert, wie sie sollte? In gewissem Umfang schon. Hendrik Streeck war manchmal anderer Meinung als Christian Drosten. Manchen Studien zufolge waren Lockdowns effektiv, anderen zufolge ineffektiv, und wieder anderen zufolge sogar kontraproduktiv. Wir wissen heute mehr über das Corona-Virus als im Frühjahr 2020.

Dennoch: Man konnte und man kann viel Status, viel Macht und viel Berühmtheit erlangen, wenn man im Sinne der Regierung und der Medien als Warner auftritt und Bedrohungen heraufbeschwört (man denke an Wissenschaftler wie Viola Priesemann oder Neil Ferguson). Es wurde und es wird klar kommuniziert, dass konträres Denken zu einer Ausgrenzung und Stigmatisierung führen wird. Bei manchen Themen – zum Beispiel bei der Effektivität und Sicherheit von Impfungen – ist dieser Dogmatismus besonders ausgeprägt. Gegen Joe Rogan – den erfolgreichsten Podcaster der Welt – wurde eine massive Kampagne geführt, weil er neben zeitgeisttreuen Wissenschaftlern wie dem CNN-Mediziner Sanjay Gupta auch Skeptiker wie Robert Malone interviewte. Es gilt also als inakzeptabel, überhaupt mit beiden Seiten zu reden. Firmen wie Google zensieren systematisch Inhalte (wie die Labor-Ursprungstheorie des Virus) und Personen (beispielsweise den Virologen Sucharit Bhakdi), die nicht mit den gerade geltenden Dogmen von WHO, CDC, RKI und dergleichen übereinstimmen.

Zudem wird nun der Grundstein dafür gelegt, die wissenschaftliche Methode dauerhaft außer Kraft zu setzen. An den medizinischen Fakultäten in Deutschland darf aufgrund der einrichtungsbezogenen Impfpflicht kein ungeimpfter Forscher mehr forschen und kein ungeimpfter Lehrender mehr lehren. Vor allem darf aber kein ungeimpfter Medizinstudent mehr studieren! Selbstverständlich gibt es hier kein ernstzunehmendes Fremdschutzargument. Sinn dieser Maßnahme ist – wie manchmal auch offen zugestanden wird – einfach nur, potenziell Andersdenkende aus dem medizinischen Betrieb auszuschließen. Selbst, wenn die Forschung also bisher bei der Entwicklung von Impfstoffen funktioniert haben sollte (was angesichts der vielen nicht erfüllten Versprechen der Pharmaindustrie wohl kaum der Fall war), setzt man im Augenblick den Grundstein für das Versagen zukünftiger Forschung, denn gründliche Forschung braucht kritische Forscher.

Man tat während der letzten zwei Jahre so, als sei Wissenschaft eine von „seriösen“ Wissenschaftlern anerkannte Faktensammlung, obwohl sie eigentlich eine Wahrheitsfindungsmethode ist, die auf dem ständigen Widerspruch und der unentwegten Fehlersuche aufbaut. Nun sorgt man dafür, dass durch den Ausschluss kritischer Personen aus den entsprechenden Disziplinen von vorneherein ein Konsens der „Experten“ garantiert wird. Dieser Konsens ist dann aber genau so viel wert, wie der dogmatisch verordnete geozentrische Expertenkonsens im Mittelalter. Die Gleichschaltung des Wissenschaftsbetriebs wird die Wissenschaftsskepsis im Volk berechtigterweise nur erhöhen.

Wer zu oft vor dem Wolf warnt, dem glaubt man nicht mehr

Die Medizin hat viel an Glaubwürdigkeit verloren, weil man den Warnungen von „Experten“ nicht mehr trauen kann, wenn sie immer und vor allem warnen, aber niemals Entwarnung geben.

Nehmen wir einen Experten für Verkehrs-Sicherheit. Dieser Experte sagt: „Fliegen ist sehr sicher, Bahnfahren auch. Autofahren ist gefährlicher, wobei es auf das Auto ankommt. Beim Fahrradfahren ist zwar das Unfallrisiko hoch, dafür ist die Bewegung aber gut für das Herz-Kreislauf-System. Am gefährlichsten ist das Motorradfahren.“ Das klingt wie eine vernünftige Darstellung. Sofern der Experte noch Statistiken zitiert und seine Einschätzung genauer begründet, würde ich ihm vertrauen.

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Ein anderer Experte für Verkehrs-Sicherheit sagt: „Fliegen ist gefährlich! Bei Flugzeugabstürzen sterben immer wieder viele Menschen. Bahnfahren ist ebenfalls sehr gefährlich – denken sie an Eschede. Autofahren ist extrem gefährlich. Jedes Jahr sterben Tausende in Autounfällen. Fahrradfahren oder Motorradfahren ist ebenfalls extrem gefährlich. Deutschland sollte in allen Verkehrsmitteln eine Helmpflicht und eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 Km/h einführen. Auch Fußgänger sollten Helme tragen. Das Einzige, was aber wirklich schützt, ist ein totaler Verzicht auf Mobilität!“ Diesem „Experten“ werde ich nicht vertrauen. Man kann auch nicht sagen, dass dieser Experte die Öffentlichkeit aufklärt. Er setzt Risiken nicht zueinander ins Verhältnis und er macht keine Kosten-Nutzen-Rechnung. Er sagt einfach nur, dass alles super gefährlich ist und man sein Leben am besten in immerwährender Todesangst verbringen sollte.

Manche Experten (zum Beispiel John Ioannidis und Hendrik Streeck) haben wie der erste Experte geklungen. Aber die meisten Mediziner und die meisten medizinischen Einrichtungen sind wie der zweite Experte aufgetreten. Dadurch hat das Vertrauen in alle Experten verständlicherweise bei vielen Menschen abgenommen.

Antiwissenschaftliche „Wissenschaftsempfehlungen“

Manche Aussagen, die von sogenannten Experten getroffen und von ihren Kollegen selten richtiggestellt wurden, sind nicht nur falsch – sie stehen vielmehr in direktem Widerspruch zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Alle wissenschaftlichen Studien belegen, dass der Sars-CoV-2 Virus sich praktisch gar nicht im Freien und praktisch gar nicht über das Berühren von Flächen überträgt. Auf diese Studienlage hat man durch Maskenpflichten im Freien und das Aufstellen von Desinfektionsspendern reagiert, und zwar ohne hörbaren Widerspruch seitens der Experten.

Ich habe viele Leute noch vor dem Impfstoff gefragt, für wie viel höher sie das Risiko von Über-70-Jährigen im Vergleich zu Unter-20-Jährigen halten und Antworten wie „vielleicht drei Mal so hoch“, „vielleicht zehn Mal so hoch“ oder „sehr viel höher – vielleicht hundert Mal so hoch?“ bekommen. Laut den Daten des „Center for Disease Control“ lautet die korrekte Antwort: 4.500 Mal so hoch! Das bedeutet: Wenn 45.000 Schüler gleichzeitig Covid bekommen, dann ist das für das Gesundheitssystem so belastend, wie wenn sich 10 Leute im Altersheim anstecken. Die Grippe ist und war für Kinder und Jugendliche immer gefährlicher als Covid. Die meisten Mainstream-Wissenschaftler haben aber niemals versucht, die Öffentlichkeit über diese Zahlenverhältnisse aufzuklären und Eltern, Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen ihre vollkommen unbegründeten Sorgen zu nehmen. Vielmehr haben sie eine politisch motivierte antiwissenschaftliche Desinformationskampagne betrieben.

Wenn die Medizin Vertrauen zurückgewinnen will, dann müssten sich Wissenschaftler klar gegen politischen Aktionismus ohne jede wissenschaftliche Grundlage wenden und eine ehrliche Aufklärungsarbeit betreiben, anstatt „pflichtgemäß“ jede unsinnige Maßnahme abzunicken und unwissenschaftliche Ängste zu schüren.

Antiwissenschaftliches Desinteresse an Daten

Bei der eben beschriebenen antiwissenschaftlichen Desinformation sind die Fakten bekannt, sie werden aber bewusst ignoriert. Ein anderes Problem lag darin, dass die Elite die Fakten gar nicht herausfinden wollte und sich wissenschaftlich desinteressiert zeigte. Man hat Gerichtsmediziner angewiesen, keine Obduktionen vorzunehmen, weil man gar nicht wissen wollte, wer an und wer mit Covid stirbt, welche Komorbiditäten es gibt, wer gefährdet ist und wie man die Behandlungsmethoden optimieren könnte.

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Man hat für zig Millionen eine Covid-App programmieren lassen, die keine wissenschaftlich verwertbaren Daten erhebt. Gerade mit dieser App hätte man auch bei völliger Anonymität der Nutzer herausfinden können, wo sich Menschen typischerweise anstecken. In Schulen, in Hotels, in Restaurants, in Nachtclubs? Unsere Regierung wollte das nicht wissen.

Man hätte durch genügend Föderalismus die Effektivität von Maßnahmen überprüfen können. In den USA gab es Regionen, die einen fanatischen Zwangsmaßnahmenkatalog durchgesetzt haben (beispielsweise New York), genauso wie Regionen, in denen es nahezu keine Zwangsmaßnahmen gab (beispielsweise Iowa). Wenn man diese Staaten miteinander vergleicht, dann scheinen diese Zwangsmaßnahmen nahezu wirkungslos gewesen zu sein. Ein paar Beispiele (die Toten sind natürlich immer proportional zur Gesamtbevölkerung): Alaska belegt Platz 6 auf der Freiheitsskala, es gab also kaum Einschränkungen. Gleichzeitig hatte es die siebtwenigsten Toten! Utah folgt auf Platz 7 der freiesten Staaten und hatte die drittwenigsten Toten. New York hatte einen endlosen Total-Lockdown und belegt trotzdem Platz 42 bei den Todeszahlen, also eines der schlechtesten Ergebnisse in den ganzen USA – viel schlechter als das ebenfalls recht urbane und freie Florida mit seinen vielen Alten, oder das freie Alaska mit den langen Wintern. Wenn man alle amerikanischen Bundesländer vergleicht, dann sieht es so aus, als ob die Maßnahmenstrenge weder genützt noch geschadet hat. Zwangsmaßnahmen sind und waren einfach wirkungslos.

In Europa sieht es ähnlich aus. Zwei Jahre nach dem Ausbruch der Pandemie hat Schweden als das freiste europäische Land die neuntwenigsten Toten. Es gibt ganze 19 europäische Länder, die mehr Tote hatten, und nur 8 europäische Länder, die noch weniger Tote hatten.

In Deutschland können wir Ähnliches erahnen. Bayern hatte immer die strengsten Maßnahmen und meistens die vollsten Krankenhäuser – scheinbar haben die Freiheitseinschränkungen also nicht viel gebracht. Aber viel können wir in Deutschland leider nicht aus Vergleichen lernen, weil man hier zentralistisch vorgegangen ist und alle gezwungen hat, dasselbe zu tun, damit es keine Kontrollgruppe gibt. Niemand war daran interessiert, in der echten Welt Zahlen zu erheben und etwas aus ihnen zu lernen. Der bekannteste Modellversuch war wahrscheinlich Boris Palmers Vorgehen in Tübingen, aber auch der wurde trotz positiver vorläufiger Ergebnisse sofort wieder verboten, weil man auf die kollektivistische Gleichschaltung aller Gemeinden pochte.

Eine elitäre Wissenschaftsrhetorik, die von so viel wissenschaftlichem Desinteresse begleitet wird, kann natürlich niemanden überzeugen.

Erfolgreicher Wissenschaftsschrott – am Beispiel einer „Nature“-Studie

„Nature“, das wahrscheinlich renommierteste Wissenschaftsmagazin der Welt, veröffentlichte 2020 eine Studie von Flaxman et al. mit dem Titel „Estimating the effects of non-pharmaceutical interventions on COVID-19 in Europe“. Diese Studie ist wahrscheinlich die meistzitierte Corona-Studie der Welt. Ihre Ergebnisse wurden in zahllosen Zeitungen veröffentlicht und in über 1.000 anderen wissenschaftlichen Studien zitiert.

Evaluierung ohne Effekt
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Es handelt sich selbstverständlich – wie bei den meisten Schrott-Studien – um Computerhochrechnungen. Bei solchen Studien können Wissenschaftler beliebige Prämissen in ihr Computermodell einspeisen und somit mehr oder weniger beliebige Ergebnisse erzielen. Flaxman et al. behaupten, dass Lockdowns mit Hausarrest das einzig wirklich effektive Mittel gegen das Corona-Virus sind und dass diese Maßnahmen in Europa drei Millionen Leben gerettet haben. Mit welchen Tricks kommen Flaxman et al. zu solch absurden Ergebnissen?

Sie gehen in ihrer Studie einfach davon aus, dass die letzte ergriffene Maßnahme allesentscheidend war. In einigen Ländern (wie Italien) gingen die Zahlen runter, nachdem ein Lockdown mit Hausarrest verhängt wurde, also geht die Studie davon aus, dass der komplette Rückgang nur durch diesen Hausarrest zu erklären ist. Schon vorher hatte Italien Großveranstaltungen verboten, das hatte laut der Studie aber keinen Effekt, weil die Zahlen trotzdem weiter gestiegen sind. In Schweden gab es nie einen richtigen Lockdown, man hat dort aber als letzte Maßnahme vor dem Rückgang der Zahlen Großveranstaltungen verboten. Also ist der Rückgang laut Flaxman et al. in Schweden dann doch ausschließlich durch das Verbot von Großveranstaltungen zu erklären. Was in Italien also angeblich gar keinen Effekt hatte, soll in Schweden alles erklären können.

Noch schwerwiegender ist, dass diese Studie nur staatlich verordnete Zwangsmaßnahmen als Erklärung in Betracht zieht. Es gibt also im Denken von Flaxman et al. keine freiwilligen Verhaltensänderungen und Vorsichtsmaßnahmen, obwohl diese freiwilligen Maßnahmen laut methodisch besserer Studien am ehesten einen Unterschied gemacht haben.

Und natürlich gibt es laut Flaxman et al. keine Saisonalität. Der wahre Grund, warum die Zahlen in Europa Anfang 2020 überall zurückgegangen sind (ungeachtet der unterschiedlichen Maßnahmen) ist natürlich der einsetzende Sommer. In der Logik dieser Studie ist nicht erklärbar, wieso die Grippewelle in Deutschland im Frühjahr seit eh und je abflaut, obwohl der Staat seinen Bürgern überhaupt nichts verboten hat.

Was können wir aus so einer Studie lernen? Über das Corona-Virus gar nichts! Die Studie ist vollgepackt mit Widersprüchen, falschen Prämissen und beliebigen Hochrechnungen. Wir können aber lernen, dass man es mit dieser Wissenschaftsqualität in die renommierteste Fachzeitschrift der Welt schafft und dass man von anderen Wissenschaftlern und der Presse massenhaft zitiert wird. Wir können lernen, dass Studien von solch unterirdischer Qualität einen großen Einfluss auf die Politik ausüben können und der Peer-Review-Prozess nicht unfehlbar ist. Wir können lernen, dass es sich in einer Massenhysterie für Wissenschaftler auszahlen kann, hysterische Zahlen zu generieren.

Wir können außerdem lernen, dass nicht jede Methode gleich gut ist. Man kann mit Computerhochrechnungen alles beweisen, sofern sie auf fragwürdigen oder in diesem Fall offensichtlich falschen und widersprüchlichen Prämissen basieren. Es gab dagegen auch 2020 schon Vergleichsstudien, die auf echten Daten beruhten, zum Beispiel von Yinon Weiss, der nicht in „Nature“, sondern auf seinem Blog und in Zeitungen veröffentlichen musste und dessen Zahlen man zwar nicht anzweifeln konnte, den man aber trotzdem zensieren wollte. Solche Studien betrachten nicht auf der Basis erfundener Prämissen eine hypothetische Welt. Stattdessen schauen sie sich echte Zahlen von echten Ländern oder Bundesländern in der echten Vergangenheit an. So stellen sie fest, dass Lockdowns jeder Art keinen oder nahezu keinen messbaren Effekt hatten.

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Niemand kann von Wissenschaftlern verlangen, dass sie oder ihre Studien perfekt sind. Wissenschaft ist eine Wahrheitsfindungsmethode, zu der auch Fehler und Richtigstellungen gehören. Man kann aber verlangen, dass eine Studie, die mit Widersprüchen und falschen Prämissen durchsetzt ist, nicht in der renommiertesten Fachzeitschrift der Welt veröffentlicht wird. Man kann verlangen, dass so eine Studie von der Wissenschaft, den Medien und der Politik mit etwas Skepsis gelesen wird. Man kann erwarten, dass sich ein Magazin wie „Nature“ und die Wissenschaftler dahinter für so eine Studie entschuldigen und eine Richtigstellung drucken, nachdem die Falschheit der Ergebnisse offensichtlich geworden ist. All das ist niemals geschehen. Eher können wir davon ausgehen, dass Flaxman et al. bei der nächsten Pandemie sofort als Experten im Fernsehen auftreten werden, weil sie sich in der letzten Pandemie so verdient gemacht haben.

Wissenschaftler können nicht unentwegt so einen Schrott publizieren, den Schrott ihrer Kollegen unkritisch akzeptieren und sich dann darüber beschweren, dass Menschen der Wissenschaft nicht mehr vertrauen.

Fazit

Es gibt nur wenige Menschen, die nicht an die wissenschaftliche Methode glauben. Skeptiker und Querdenker kritisieren die Wissenschaft typischerweise nicht für wissenschaftliches, sondern für unwissenschaftliches Vorgehen.

Die Medien, die Politik und die Wissenschaft sollten das Ziel verfolgen, das leichtfertig verspielte Vertrauen zurückzugewinnen. Leider sieht es aber so aus, als ob unsere Eliten nicht auf Vertrauen und Freiwilligkeit, sondern einfach auf autoritären Zwang setzen. Sie wollen lediglich, dass das Volk darauf vertraut, dass die Politik jeden bürgerlichen Ungehorsam garantiert durch Bußgelder, Beugungshaft, Berufsverbote, Studienverbote, Betretungsverbote, Reiseverbote und dergleichen bestrafen wird. Solange der Trend zum Autoritarismus nicht gebrochen wird, gibt es wenig Hoffnung für eine neue und echte Wissenschaftskultur in Deutschland.


Carl Lang betätigt sich nach einem Studium der Literaturwissenschaft, Linguistik und Philosophie als Essayist und Liedtexter. Er fühlt sich keinem politischen Lager zugehörig und interessiert sich besonders für Moralphilosophie und Religionskritik.

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