Tichys Einblick
Brandmauern statt Selbstbewusstsein

Die CDU demonstriert bei Maaßen ihre Schwäche

Stärke würde die CDU beweisen, wenn sie den Fall Maaßen zum Anlass nähme, sich auf ihre Tugenden, auf die Verteidigung von Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit zu besinnen und nicht nur Maaßen, sondern auch diese oder jenen aus ihren eigenen Reihen an dieser Elle zu messen. Von Konrad Adam

IMAGO / Jacob Schröter
Seitdem die CDU beschlossen hat, sich von Hans-Georg Maaßen so oder so zu trennen, nimmt sich die deutsche Medienphalanx der Sache an – auf die bekannte, schiefe, unredliche Art und Weise. Anders als von der Tagesschau behauptet, musste Maaßen ja nicht gehen. Er hat auch keine Ausschreitungen in Zweifel gezogen, sondern lediglich bestritten, dass es für die von Frau Merkel und anderen behaupteten Hetzjagden auf Ausländer belastbare, also gerichtsverwertbare Beweise gibt. Und damit hatte er ganz offensichtlich recht. Er steht damit auch keineswegs allein, Michael Kretschmer, der sächsische Ministerpräsident, hat das genauso bezweifelt wie Maaßen. Die Neue Zürcher Zeitung, weniger hysterisch als die deutsche Einheitspresse, sprach im Hinblick auf diesen schlecht inszenierten Skandal von einem Affentheater und nahm das Ganze nicht mehr ernst. So viel zur Vorgeschichte.

Aber die Sache geht weiter. Nun hat Maaßen – und das wird ihm vor allem angekreidet – die von der herrschenden Allianz betriebene Sprachregelung als Ausdruck einer fortschrittlichen, einer rot-grünen Rassenlehre bezeichnet. Ob diese Wortwahl richtig, passend oder nützlich war, darüber können und werden die Ansichten auseinandergehen. Wer sie zum Anlass für ein Parteiausschlussverfahren nehmen will, sollte aber zunächst einmal die Frage beantworten, wie anders als einen modernen, einen Gegen-Rassismus man es denn nennen soll, wenn das Etikett alter weißer Mann genügt, um einem alten weißen Mann, zum Beispiel mir, das Wort zu verbieten? Wenn eine Biologin ausgeladen, gecancelt wird, weil sie an die Tatsache erinnert, dass es nur zwei Geschlechter gibt, ein männliches und ein weibliches, und alles andere Mischformen, aber keine dritten, vierten oder fünften Geschlechter sind? Wenn eine Parteifreundin ins Amt einer Integrationsbeauftragten befördert wird, die Deutsche – nicht irgendeinen oder irgendwelche, sondern alle Deutschen – als ‚Kartoffeln‘ bezeichnet? Und so weiter, die Reihe ist damit ja noch lange nicht zu Ende.

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Und dann, natürlich, Maaßens nicht näher definierte Nähe zur AfD. Wenn man seine eigenen, ziemlich robusten Worte dazu nicht gelten lassen will, sollte man doch zur Kenntnis nehmen, dass es nicht eine, sondern (mindestens!) zwei Parteien dieses Namens gibt; jeder Parteitag hat das bisher bewiesen, und dieser Riss wird eher noch tiefer werden als verschwinden. Es gibt eine vergleichsweise kleine, aber lautstarke Ost-AfD mit ihrem vulgären Heiland Höcke an der Spitze, und eine der Zahl nach größere, ihrem Gewicht nach aber schwächere West-AfD unter wechselndem Vorsitz. Wenn Merz und seine CDU glauben, gegen die AfD eine Brandmauer errichten zu müssen, sollten sie doch genauer hinsehen und sagen, gegen welche, gegen was und gegen wen. Vor allem aber sollten sie darauf bestehen, selbst darüber zu entscheiden, wo diese Mauer stehen soll, statt sich ihre Lage, ihre Höhe und ihr Aussehen von der politischen Konkurrenz, der Ampel-Koalition also, vorschreiben zu lassen. Denn damit werden sie von Treibern zu Getriebenen, und solche Leute wählt man nicht.

Brandmauern sind, wie alle Mauern, ein Zeichen von Schwäche, nicht von Entschlossenheit, von Mut und Stärke: Daran werden auch Merz und seine CDU nichts ändern. Die Erinnerung an den antifaschistischen Schutzwall, mit dem die DDR sich, glücklicherweise erfolglos, gegen den Westen hatte abgrenzen wollen, sollte genügen, um das in Deutschland plausibel zu machen. Stärke würde die CDU beweisen, wenn sie den Fall Maaßen zum Anlass nähme, sich auf ihre Tugenden, auf die Verteidigung von Meinungsfreiheit und Rechtsstaatlichkeit zu besinnen und nicht nur Maaßen, sondern auch diese oder jenen aus ihren eigenen Reihen an dieser Elle zu messen. Auch da würde sie fündig werden, auch das würde sich lohnen. Sie sollte sich an Jefferson erinnern, der meinte, dass eine Partei auch falsche und gefährliche Ansichten ertragen müsse, so lange sie sich stark genug fühlt, mit ihnen fertig zu werden. Fühlt sich die CDU zu schwach dazu?


Dr. Konrad Adam ist Journalist, Publizist und ehemaliger Politiker der AfD. Er war Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Chefkorrespondent und Kolumnist der Tageszeitung Die Welt in Berlin.


Dazu: Aus Anlass des Ultimatums der CDU gegen Hans-Georg Maaßen wird auch die Behauptung von vermeintlichen „Hetzjagden“ gegen Zuwanderer in Chemnitz 2018 wieder aufgewärmt. TE hatte damals die Frau gefunden, welche die irreführend verwendeten Video-Aufnahmen gemacht hat.

Der Tagesspiegel wiederbelebte wie auch andere Medien in der jüngsten Causa Merz-Maaßen eine alte Legende, die damals zu lautstarker Empörung gegen Maaßen und zu Forderungen nach seiner Entlassung als Verfassungsschutzpräsident führte: „In einem Interview mit der Bild-Zeitung bestritt Maaßen trotz eindeutiger Videoaufnahmen, dass es im sächsischen Chemnitz zu ‚Hetzjagden‘ gegen Menschen mit Migrationshintergrund gekommen sei.“

Nun waren diese vermeintlich eindeutigen Aufnahmen aber eben gerade nicht eindeutig. TE hat damals die Frau gefunden, die die immer wieder irreführend verwendeten Aufnahmen gemacht hatte, und gegenüber TE eidesstattlich versicherte, dass die von Merkel ungeprüft kolportierte Behauptung von „Hetzjagden“ in Chemnitz nicht stimmte. So berichtete TE nach ausführlichen Recherchen am 16. November 2018:

Am 27. August 2018 kommentierte Regierungssprecher Steffen Seibert Ereignisse in Chemnitz am Vortag mit den folgenden Worten: „Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel erklärte am Folgetag in einem Interview: „Wir haben Videoaufnahmen darüber, dass es Hetzjagden gab, dass es Zusammenrottungen gab, dass es Hass auf der Straße gab, und das hat mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun.“ Dabei stützte sie sich auf ein 19-sekündiges Video, das eine Gruppe namens „Antifa Zeckenbiss“ an sich gebracht, veröffentlicht und dazu fälschlich behauptet hatte: So habe ein rechter Mob Hetzjagden auf Migranten veranstaltet.

Die öffentlich-rechtlichen Medien von Tagesschau bis Heute-Journal wiederholten die Sequenz in Endlosschleife. In anderen Medien war von einem »Menschenjagd-Video«, »Hass-Video« oder »Hetzjagd-Video« die Rede. Weltweit gerät Chemnitz in die Schlagzeilen: Sämtliche Medien bis hin zur New York Times berichteten.

Doch der Chefredakteur der Chemnitzer Regionalzeitung Freie Presse erklärte schließlich am 30.08., warum man den Begriff „Hetzjagd“ nicht verwende: „Es gab aus der Demonstration heraus Angriffe auf Migranten, Linke und Polizisten. So wurde Menschen über kurze Distanz nachgestellt. Insofern wäre der Begriff ‚Jagdszene‘ noch gerechtfertigt. Eine ‚Hetzjagd‘, in dem Sinne, dass Menschen andere Menschen über längere Zeit und Distanz vor sich hertreiben, haben wir aber nicht beobachtet. Wir kennen auch kein Video, das solch eine Szene dokumentiert.“

Dennoch war die Empörung gewaltig, als Maaßen gegenüber der Bild-Zeitung am 07.09.2018 erklärte, dass dem Verfassungsschutz „keine belastbaren Informationen“ über Hetzjagden in Chemnitz vorlägen. Nach seiner „vorsichtigen Bewertung“ sprächen „gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken“.