Tichys Einblick
Neue Wortwahl des Bundespräsidenten

Die Lage muss katastrophal sein – der Bundespräsident entdeckt „die Deutschen“ wieder

Die politische Lage ist ernst, und deshalb wandte sich der Bundespräsident am 28. Oktober mit einer Grundsatzrede an das Volk, konkret: „die lieben Landsleute“, „die Menschen in Deutschland“, seine „widerstandskräftigen Bürger“ und – ein Novum – „die Deutschen“. Was bedeutet diese Wortwahl (neudeutsch: Wording)?

IMAGO/photothek
Der Begriff „Deutsche“ wurde schon in den letzten Jahren der Regierungszeit Merkel aus dem aktuellen politischen Wortschatz gestrichen. Diese Menschengruppe kam in Partei- und Wahlprogrammen außer bei der AfD nicht mehr vor, ebenso wenig in Koalitionsverträgen und Regierungserklärungen. Für die GRÜNEN sind „die Deutschen“ ein Unwort. Und nun stellt der Bundespräsident fünfmal mit Formulierungen wie „wir als Deutsche“ oder „wir Deutsche“ öffentlich fest, dass das Staatsvolk der Bundesrepublik Deutschland nicht – wie es oft heißt – „die Menschen in Deutschland“ sind, sondern „die Deutschen“.

„Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts in der Welt“, erklärte Reichskanzler Bismarck 1888 im Reichstag angesichts russischer Drohungen und fügte hinzu: „Diese Gottesfurcht ist es schon, die uns den Frieden lieben und pflegen lässt.“
Auf diese – sprichwörtliche – Furchtlosigkeit der Deutschen spielt Steinmeier an, wenn er (fünfmal) auf Deutschlands „widerstandskräftige Bürger“ verweist. Und die Bürger-innen? Sie sind hier natürlich mitgemeint, aber den Luxus des Genderns erlaubt sich Steinmeier in seiner Rede nur gelegentlich, wenn er sich – gewissermaßen als erweiterte Anrede – an die „Bürgerinnen und Bürger“ wendet oder „jeden und jede“. Ansonsten gilt die kommunikative Regel: „Im Ernstfall besser nicht gendern!“, weil das die Aufmerksamkeit der Zuhörer ablenkt und läppisch wirkt.

Steinmeier benutzt deshalb das (sprachübliche) generische Maskulinum, um sich an Männer und Frauen zu wenden: „Diese Zeit, sie fordert jeden Einzelnen“; „Niemandem, der bei Sinnen ist, fehlt der Wille [zum Verhandeln] – aber die Wahrheit ist: Im Angesicht des Bösen reicht guter Wille nicht aus“; „Kein Staat in Europa kann so viel für seine Bürger tun wie unser Land“. (Hervorhebung des Autors)

Fazit: Sprachlich setzt sich der Bundespräsident mit dieser Rede vom Bundeskanzler ab: Beide wollen ein politisches WIR, aber während Scholz offen lässt, wen dieses Wir konkret meint, nennt Steinmeier es beim Namen: „die Deutschen“ – zumindest für den Ernstfall.

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