Tichys Einblick
Deutsche Medien in Aufruhr

Linke Medienschelte tut nicht weh – aber tief beleidigt sind dennoch viele

Es wäre einem Wunder gleichgekommen, linke Zeitgeist-Autoren kämen spät, aber dennoch zu der richtigen Einsicht, dass die Medien eine ziemlich üble Rolle in dem grundsätzlichen Kampf um Freiheit und Werte spielen, der seit vielen Jahren in der westlichen Welt geführt wird.

IMAGO/Jürgen Heinrich, Future Image

Die Populär-Wissenschaftler Richard David Precht und Harald Welzer sind smart und wecken zu Recht manche Bewunderung. Bei manchen auch als mäkelnder Neid formuliert. Denn die beiden Links-Intellektuellen greifen ein aktuelles und hochbrisantes Thema auf, das die Bürger wirklich bewegt und stoßen mit ihrer heftigen Kritik an quasi gleichgeschalteten Medien in wenigen Tagen an die Spitze der Sachbuch-Bestsellerlisten.

Dabei ist aber ein Gutteil ihrer Medienkritik seit vielen Jahren bekannt; Autoren wie Norbert Bolz, Henryk Broder, Jens Peter Paul, Ulrike Stockmann, Vera Lengsfeld oder Eric Gujer sowie viele Autoren hier bei Tichys Einblick haben immer wieder die gefährlichen Entwicklungen in den Medien beschrieben.

Der tendenziöse Haltungsjournalismus, die Nähe der Journalisten zur Politik, der Wandel der Journalisten vom Informations-Dienstleister zum politischen Akteur, die üble Moralisierung der Politik, die Dämonisierung von unbequemen Standpunkten, die mediale Durchsetzung bestimmter Sichtweisen und Narrative, die grobe Missachtung und Ausgrenzung der Meinung großer Bevölkerungsteile wurden oft analysiert und angeprangert. Auch Precht und Welzer beschreiben korrekt die Mechanismen sensationsgieriger Medien, Verflechtungen von Politik und Journalismus, die gefährliche Boulevardisierung und Personalisierung der politischen Berichterstattung.

Eine kleine Nestbeschmutzung

Precht und Welzer gelingt mit ihrem Buch „Die vierte Gewalt – Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“, was bisher kaum einem gelang: die deutschen Medien in ziemlichen Aufruhr zu versetzen. Tief empört reagierten manche der kritisierten Leitmedien auf die Streitschrift der „Medienclowns“ (Die Welt). Genüsslich verwiesen sie auf zahlreiche Fehler und Widersprüche, gewagte Thesen und schiefe Darstellungen im Buch.

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Der große Zorn erklärt sich vor allem mit dem bislang hohen Renommee, das die beiden Autoren genossen und das sie zu einem großen Teil eben jenen zu verdanken haben, die sie jetzt aufs Korn nehmen. Da maßen sich also Medienprofis, Fleisch aus eigenem Fleisch der linken Intellektuellen-Szene, an, ihr Nest zu beschmutzen.

Dabei scheitern die Erfolgsautoren bei dem Anspruch, die fragwürdige Rolle der „vierten Gewalt“ in unserer Demokratie und die Miseren einer herrschenden „Mediokratie“ zu analysieren. Es geht verdächtig viel um den Ukraine-Krieg oder die „Repräsentationslücken in Politik und Medien“ und – noch verdächtiger – relativ wenig um Migration, Diversität, Political Correctness oder „Cancel Culture“.

„Psycho-soziale Prozesse“ statt Kulturkampf

Der historische Hintergrund – der tiefe kulturelle Wandel im Westen und der (oft erfolgreiche Kampf) der Linken gegen Marktwirtschaft, Denkfreiheit und andere traditionelle Werte wie Familie und Nation – wird weitgehend ignoriert. Für Precht und Welzer sind die Triebkräfte der demokratie-gefährdenden Entwicklung vor allem Twitter & Co, der Kampf um Aufmerksamkeit, Auflage und Quote, die Eitelkeit der Journalisten, ihre Nähe zur Politik und ominöse „psycho-soziale Prozesse“.

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Erfreulicherweise aber haben die erfolgsverwöhnten Buchautoren, die noch nie einen solchen medialen Gegenwind zu spüren bekommen haben, eher unabsichtlich die Büchse der Pandora geöffnet. Das tiefe Unbehagen in der Bevölkerung an den Medien und dem Meinungsklima im Land – deutlich ablesbar in Umfragen – ist plötzlich Thema in den Mainstream-Medien. Wenngleich es natürlich eine recht verengte Debatte bleibt, denn die linke Medienschelte sucht besonders gerne im Profitstreben, den sozialen Ungerechtigkeiten und bei egoistischen Eliten die Ursachen für die Fehlentwicklungen.

Precht und Welzer haben ganz besonders darauf geachtet, nicht wirklich die Hand zu beißen, die diese beiden intellektuellen Fernseh-Promis füttert; kaum ein böses Wort fällt über die stolzen und mächtigen Fahnenträger des pädagogischen Haltungsjournalismus, die öffentlich-rechtlichen Sender.

Beleidigungen statt Analysen

Ganz besonders viel Wert legen die Autoren natürlich auf die Abgrenzung nach „rechts“, sie distanzieren sich deutlich von der Medienkritik der „Rechten“ und Pegida („Lügenpresse“). Die heftige, grundsätzliche Kritik an den Mainstream-Medien von liberaler und konservativer Seite blenden Precht und Welzer fast völlig aus. Wo immer es geht, werden Ross und Reiter nicht wirklich benannt, sehr gerne wird auf die gruppendynamischen Prozesse in Politik und Medien verwiesen. Dafür aber werden einige Journalisten schwer beleidigt.

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Krass deutlich wurde dies in der TV-Runde von Markus Lanz, als es zum Duell zwischen zwei in der Streitschrift besonders heftig kritisierten Journalisten, Robin Alexander (Die Welt) und Melanie Amann (Der Spiegel) sowie den Buchautoren kam. Alexander und Amann konnten überzeugend auf die formale Vielfalt der Meinungen in ihren Medien verweisen.

Den durchaus richtigen Verweis des Kaffeehaus-Philosophen Precht, dass es auch um Gewichtungen und Ausgewogenheit der Sichtweisen geht, konnte Amman erfolgreich kontern. Diese Kritik entspringe nur dem „Bauchgefühl“ der Autoren, keine medienwissenschaftliche Studie stütze die These der Unausgewogenheit. Was stimmt, denn auch in den Medien-Instituten des Landes wird der tendenziöse Haltungsjournalismus in Ehren gehalten, kritische Untersuchungen gibt es kaum. Höchstens, wenn es um den Nachweis geht, die Medien seien dafür verantwortlich, dass Flüchtlinge immer wieder in Verbindung mit Kriminalität gebracht werden.

Precht und Welzer haben wenig Ahnung vom Journalismus

Auch war der seriöse Journalist Robin Alexander keineswegs ein Beispiel dafür, wie Journalisten zu Aktivisten werden. Es ist bezeichnend, dass Precht und Welzer ihn herauspickten, anstatt die unzähligen Aktivisten in den öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsendern. Die journalistisch fachfremden Bestseller-Autoren verwechselten bei dem Vorwurf an Alexander eine, heute in Twitter-Zeiten üblichen, „Ist-Zeit-Berichterstattung“ (das bedeutet eine zuweilen minütlich aktualisierte Berichterstattung) mit einem politisch agierenden Journalismus.

Bei Lanz diskutierten sichtlich aufgewühlt vier tief beleidigte Medien-Promis: Alexander und Amann konnten ziemlich reinen Gewissens behaupten, sie und ihre Medien, seien weder von oben noch freiwillig gleichgeschaltet, sie arbeiteten gemäß den höchsten journalistischen Standards, inklusive Selbstkritik und einem pluralistischen Anspruch. Precht und Welzer wiederum monierten ebenfalls zu Recht, es laufe völlig schief mit den Medien und die Menschen verlören das Vertrauen in eine angeblich objektive Berichterstattung.

Alle vier sagten durchaus die Wahrheit, sie lieferten nämlich eine adäquate Beschreibung der Realität aus einem bestimmten Blickwinkel heraus. Zum einen sind Welt und Spiegel tatsächlich Medien, die noch manche Qualitäten haben. Schon die Einbeziehung von Medien wie die Süddeutsche Zeitung, der Tagesspiegel oder die Frankfurter Rundschau, insbesondere aber die öffentlich-rechtlichen Sender würden bezüglich Meinungsvielfalt und objektiver Berichterstattung ein deutlich düstereres Bild der deutschen Medien ergeben.

Feigenblatt-Journalismus

Hier dominiert vor allem ein Feigenblatt-Journalismus: unliebsame Sichtweisen, Texte oder Personen erscheinen höchstens, um formal den Ansprüchen eines ehrenwerten, sauberen Journalismus gerecht zu werden. Stattdessen dominiert massiv ein Haltungs- und Gesinnungsjournalismus, der auch im nachrichtlichen Teil ziemlich radikal ausgrenzt, was ideologisch nicht genehm scheint.

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Das Buch und vor allem die anschließende Mediendebatte belegen, dass eine Medienkritik, die handzahm versucht, Fehlentwicklungen und Missstände aufzuzeigen, scheitern muss. Schließlich darf man nicht den Fehler machen, den deutschen Medien jegliche Qualität und jedes Niveau zu bestreiten. Hier verweisen Precht und Welzer völlig zu Recht darauf, dass es in vielen Medien auch hervorragende Journalisten gibt, die ihr Handwerk verstehen, die ganz sicher nicht von außen gelenkt werden.

Es ist eine unzulässige Verkürzung zu sagen, die deutschen Medien würden streng stromlinienförmig und homogen berichten. Dennoch befindet sich der Qualitätsjournalismus wegen gravierender Fehlentwicklungen in einer tiefen Krise: Vor allem die Dominanz von Political Correctness und Cancel Culture, die weitgehende Marginalisierung und Ausgrenzung vor allem konservativer und liberaler Positionen, verengt bekanntermaßen in gefährlichem Maße den öffentlichen Meinungskorridor.

Die Buchautoren stellen die berechtigte und wichtige Frage, warum eine Selbstangleichung in der journalistischen Arbeit zu beobachten ist. Sie finden allerdings keine wirklich befriedigende Antwort. Precht und Welzer sehen die Medien als treibende Kraft, die mit ihrer gewachsenen gesellschaftlichen Macht bestimmte Sichtweisen und Narrative in der Gesellschaft durchsetzen; dabei bleibt unklar, ob es sich um eigene Meinungen handelt oder um Sichtweisen der Regierung. Auf diesen Widerspruch verwies auch Robin Alexander. Dabei ist die Erklärung einfach, es gibt eben beide Phänomene.

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Der rote Faden der einseitigen Berichterstattung aber ist, dass es in der Regel um die Durchsetzung von linken und grünen, globalistischen und woken Positionen geht, um die Befürwortung von Quoten und Gender-Politik. Die Autoren, die sich auch in dem Buch als Vertreter klar linker, anti-amerikanischer Positionen erweisen, blenden die historische Situation – verkürzt formuliert: den anhaltenden Kulturkampf im Westen und die tiefe Krise der westlichen Demokratien – weitgehend aus.

Precht und Welzer beschäftigen sich damit ernsthaft lediglich beim komplexen Thema des Ukraine-Krieges. Hier war vor allem im Frühjahr Precht angeeckt, hatte er doch schon zu Beginn des russischen Angriffskrieges mehr oder minder zur Kapitulation der Ukraine aufgefordert, nur so könnten zehntausende Menschenleben gerettet werden.

Gekränkte TV-Promis schreiben wütend ein Buch

In dem Buch wird ausführlich geschildert, wie skeptische Sichtweisen über Waffenlieferungen in die Ukraine und die Autoren solcher Texte diskreditiert, verleumdet und marginalisiert wurden. Offenbar waren die beiden Lieblinge der Medien bass erstaunt, dass sie mit ihrer regierungskritischen Sichtweise plötzlich nicht mehr so gefragt waren wie sonst. Aus dieser Kränkung heraus entstand wohl dieses etwas großspurige Buch. Die beiden linken, erkennbar russland-freundlichen Autoren, die selbst die russischen Kriegsverbrechen im Ukraine-Krieg zu relativieren suchen, spürten persönlich, dass es in Deutschland inzwischen schmerzhafte Denk- und Argumentations-Gebote gibt, deren Verletzung oft Ausgrenzungen, Diskreditierungen und Stigmatisierungen („Rechte“) zur Folge haben.

Das mag auch erklären, warum die Autoren bei den gleichfalls hochbrisanten Themen Islam, Migration und Flüchtlinge dieses Phänomen der Begrenzung von Meinungsfreiheit kaum erwähnen. Stattdessen wird nur beklagt, dass die Betroffenen – beispielsweise Fluchthelfer und Flüchtlinge – zu wenig zu Wort gekommen seien.

Linke Kritik an den Medien will nicht wirklich weh tun – und tatsächlich aufgreifen, was die Menschen zutiefst aufwühlt. Aber Precht und Welzer berühren empfindliche Seiten einer Gesellschaft, die vorgibt, eine grundsätzlich intakte Medienlandschaft zu haben. Dem ist aber nicht so.

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