Tichys Einblick
Fragen der Wähler an Martin Schulz

Wahlarena: Arme, brave SPD!

Am Montagabend aus der jüngsten ARD-Wahlarena mit Merkel-Herausforderer Martin Schulz wurde eher ein Kaffeekränzchen mit ein wenig Schattenboxen. Eigentlich ein „Remake“ der Sendung vor Wochenfrist mit Merkel.

Screenprint: ARD/Wahlarena

Im alten Rom war eine Arena eine Kampfstätte. Die medial zur Bundestagswahl 2017 fast inflationär inszeniert und mit wachsendem Gähn-Faktor ausgestattete Wahlarena war so etwas nicht. Hier floss gottlob kein Blut, aber ganz so blutleer hätten sie denn doch nicht sein müssen. So wurde am Montagabend aus der jüngsten ARD-Wahlarena mit Merkel-Herausforderer Martin Schulz eher ein Kaffeekränzchen mit ein wenig Schattenboxen. Eigentlich ein „Remake“ der Sendung vor Wochenfrist mit Merkel.

Nun gut, die WDR-Journalistin Sonia Seymour Mikich und NDR-Chefredakteur Andreas Cichowicz hielten sich als Moderatoren sehr zurück. Sie gaben nur die Worterteiler. So ziemlich jeder Schülersprecher wird als Diskussionsleiter einer Klassensprecherversammlung mehr Leben in die Bude bringen. Aber vielleicht hatten Mikich und Cichowicz doch im Hinterkopf, dass es manche ihrer Kollegen zuletzt im missionarischen Eifer etwas übertrieben hatten. Ein bisschen mehr Dampf hätten die beiden freilich schon machen dürfen in einer Wahlarena, vor allem, wenn der „Kandidat“ sich entweder ins sehr Allgemeine oder ins rein Kasuistische verflüchtigte.

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Wie vor Wochenfrist bei der Wahlarena mit Merkel gaben erneut 150 Bürgerinnen und Bürger – gefühlt zwischen 18 und 80 Jahre alt – die Kulisse ab. Zwanzig von ihnen kamen in den exakt 75 Minuten Sendezeit zu Wort. Macht pro Frage und Antwort statistisch knappe vier Minuten aus. Das ist nicht viel, vor allem wenn die Fragesteller zum Teil weit ausholten. Da konnte einem der Kandidat bisweilen sogar leidtun. Aber das ist ja das Tödlichste in der Politik, sagt man, wenn man mit einem Kandidaten Mitleid hat.

Sattelfest oder gar souverän wirkte der Herausforderer selten. Sonst hätte er zwar nicht zu viele, aber doch ein paar knackige Zahlen eingebracht. Aber mit den Zahlen hat er es wohl nicht, allenfalls mal mit der Aussage, dass er als Kanzler für eine zwanzigprozentige Gehaltserhöhung für Pflegekräfte sorgen werde. Das ist ehrenwert, kommt gut an, weil es um die „Würde des Alters“ geht, aber so etwas liegt außerhalb der rechtlichen Befugnisse eines Kanzlers – auch einer Kanzlerin.

"Ich liebe Sie"
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Apropos Zahlen: Mit ein paar Allerweltszahlen im Milliardenbereich wusste Schulz denn doch aufzuwarten. Zum Beispiel dass wir in die Förderung des ÖPNV „Hunderte von Milliarden“ stecken müssen. Oder dass mit ihm als Kanzler eine Erhöhung des Etats für Verteidigung auf die mit der NATO vereinbarten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht zu machen sei. Er, Schulz, wolle das Geld, 25 bis 30 Milliarden Aufstockung bedeuteten die zwei vorgegebenen Prozent, in Kitas, für Bildung und den ÖPNV ausgeben. Da war ihm denn der Applaus aller 150 gewiss.

So richtig ins Schwanken geriet Martin Schulz mit dem Versuch eines Spagats zwischen Schuldenabbau und Investitionen. Was und wie er Schulden zu tilgen gedenkt, blieb unklar. Außer eben durch niedrige Zinsen und mittels Investitionen in Wachstumsbranchen. Zumindest hier hätten die Moderatoren nachfragen können – in einer Wahlarena – , ob denn das ein Mehr an Schulden bedeute.

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Vage blieb Schulz bei der Frage einer Teilnehmerin zur Mietpreisbremse und zur Wohnungsbauförderung. Ebenso bei der Frage nach Waffenexporten; hier wusste Schulz wohl seinen SPD-Genossen Sigmar Gabriel im Nacken, der als Wirtschaftsminister damit recht großzügig umgegangen war. Deshalb flüchtete sich Schulz – das hat er ja „drauf“ als ehemaliger EU-Politiker – ins Europäische: „Hier reicht es nicht, wenn Deutschland vorbildlich ist, sondern hier brauchen wir eine europäische Lösung.“

Besonders bemüht war Schulz, auf Augenhöhe den persönlichen Draht zu den Fragestellern der Wahlarena zu finden. Einem Fragesteller aus Malente beschied er, dass Malente in Schleswig-Holstein liege und eine Sporthochschule habe. Eine umweltbewusste ÖPNV-nutzende Fragestellerin aus Köln beeindruckte er umwerfend damit, dass er ein paar Kölner Stadtteile nennen konnte.

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Nachvollziehbar und offenbar nicht inszeniert sentimental wurde Martin Schulz, als eine sechsfache Mutter aus dem Erzgebirge das Thema Mindestrente zur Sprache brachte. Hier schien er sich spontan – und das sagte er – an seine eigene Mutter, die fünf Kinder großzog, zu erinnern. Aber er fing sich nach wenigen Sekunden, um – wieder ganz Sprechblase – zu erklären in der Wahlarena: Ich bin gegen diese Generationenungerechtigkeit.

Das Thema Flüchtlinge, Schutzsuchende, Zugewanderte, Asylbewerber umging man weitestgehend, auch das Thema Kriminalität. Ob das an der Regie oder an den Fragestellern lag, weiß man nicht. Ein bayerischer Mittelständler beklagte, dass von zehn jungen Flüchtlingen, denen er Arbeit angeboten hatte, nur einer blieb. Weil ihm dieses Beispiel, das es übrigens zu Tausenden gibt, nicht sonderlich schmeckte, war Schulz hier schnell wieder ganz Generalist: Integration setze dreierlei voraus: Sprache, Arbeit, Freunde.

Schon vergessen?
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Seine größten politischen Gegner, vor allem seine Hauptgegnerin, nannte Schulz wiederholt. Dass Schäuble an diesem Tag 75 Jahre alt wurde, wusste er zu erwähnen. „Frau Merkel“ kam immer wieder vor, einmal verpackt in den Vorwurf, dass sie sich keinem zweiten Duell stellen wollte. Ob Schulz sich das wirklich hätte wünschen sollen und es dem Wahlvolk zuzumuten gewesen wäre? Es wäre ja doch wieder nur ein Duell nach der Art geworden: „Kieselsteinchenwerfen aufeinander aus einem Kilometer Entfernung“. Gähnend wie in dieser Wahlarena.

Angriffslustiger wurde Schulz nur gelegentlich. Aber es kam nicht schlagend rüber: etwa dass er das Wirken von DITIB kritisch sieht; dass er für die VW-Besitzer die Möglichkeit einer Musterfeststellungsklage haben möchte. „Mitgenommen“ hat er – weil ihm dazu nur das eigene häusliche Beispiel einfiel – das Thema „Lebensmittelverschwendung“.

Niedriglöhner und Selbstbediener
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Alles in allem: Der Kandidat hat das Beste gegeben, was er zur Verfügung hatte. In einem Arbeitszeugnis würde stehen: „Er hat sich im Rahmen seiner Möglichkeiten bemüht.“ Was diese Formulierung heißt, weiß jeder Personalchef. Im Zwischenmenschlichen konnte Schulz ein wenig punkten: er ging nah an die Zuschauer heran, er hörte sich persönliche Beispiele, die eher ein hochspezialisierter Rentenberater hätte reflektieren können, geduldig an, und er wusste sogar nach gut einer Stunde noch den Namen des ersten Fragestellers.

Vom unbedingten Willen zum Wahlsieg und von Attacke in der Wahlarena aber war wenig zu spüren. Uns so wird die Republik in die Ära Merkel IV hinüberschlummern. Auch dank einer braven SPD!