Tichys Einblick
ARD-Themenwoche "Wie leben"

»Ökozid« – so stellt sich die ARD die Dritte Welt vor

Deutschland wird in einer Fernsehproduktion auf die Anklagebank gesetzt wegen seines Anteils von 2,3 Prozent am CO2-Ausstoß. Die Funktionäre der ARD stellen Menschen aus Afrika und Asien dar wie in einem Spendenaufruf aus den 60ern: Tumbe Farbige, die von Weißen gerettet werden müssen.

Screenprint:ARD/"Ökozid"
Das Gute zuerst: Die Menschen haben die verderbenbringende Coronapandemie überlebt, sind auch im Jahr 2034 noch gut ernährt, kommen weder um vor Hitze, noch erfrieren sie. Die Klimakatastrophe muss vorbei gegangen sein. Wir sehen keine aus Angst vor Tod und Teufel halb wahnsinnig gewordenen Menschen, niemand schwitzt sich angesichts der dramatisch angestiegenen Temperaturen zu Tode.

Stattdessen sitzen sie im Jahr 2034 in einem offenbar gut gekühlten fiktiven Gerichtssaal, der wie die Lagerhalle einer Altkleidersammelstelle aussieht. Wasser fließt noch aus dem Automaten ökokorrekt in Glasbecher. Das Szenario dieses ARD-Films: »Es ist das Jahr 2034. Die Folgen der Klimakatastrophe sind dramatisch. Dürre und Hochwasser vernichten die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen.« Wer war‘s?

Die gute Menschin erkennt man gleich: Bleich, hohlwangig, magersüchtig, locker lamentierend den Satz auf den Lippen: »Länder wie Bangladesch haben Jahrzehnte dafür gekämpft, die Industrienationen für die Schäden des Klimawandels in Haft zu nehmen. Vergeblich.« Sie wird von einer Kollegin mit einer Sehhilfe so groß wie eine Taucherbrille unterstützt.

Beide vertreten in der Filmhandlung 31 Länder des globalen Südens. Die verklagen Deutschland auf Schadensersatz, weil dessen Bewohner zu warme Wohnungen hatten, zu viel mit SUVs ihre Kinder in die Kindergärten gefahren haben, zu wenig Fahrrad gefahren und auf 1,4 Prozent der Straßen noch schneller als 100 km/h gefahren sind. Sie bestanden zu lange auf einer sicheren Stromversorgung, schalteten zu spät ihre Kraftwerke ab und sprengten zu spät eines ihrer letzten Kernkraftwerke in die Luft.

Für die Darstellung der Folgen greift der Film ins Tagesschau-Archiv: einstürzende Eisberge, aufwühlende Stürme, abgedeckte Dächer, arme Menschen in Not sollen die Klimakatastrophe belegen. Die Filmemacher scheuen sich nicht, das Wort »Ökozid« zu formulieren und sich damit am Begriff des »Genozids«, des Völkermords also, zu vergreifen.

Die ideologisch tadellosen Filmemacher können sich die Vertreter der »Südländer« offenbar nicht anders als tumbe Toren vorstellen und zeichnen sie entsprechend, wie wenn der Entwicklungshilfeminister bei einem Besuch in Afrika Bantustämme seiner Frau vorstellen will. Oder umgekehrt. Kein schwarzer Intellektueller, kein schwarzer Wissenschaftler, kein schwarzer Anwalt taucht im Film auf. Stattdessen verteidigt die bleiche »Anwältin« die armen Dritt-Welt-Länder-Leute, als ob die nicht selbst reden könnten. Es fällt den Verantwortlichinnen in dem gesamten ARD-Laden nicht auf, wie rassistisch, kolonialistisch und was der aktuellen Propaganda-Begriffe mehr sind, das in Wahrheit ist.

Auftritt eines Umweltaktivisten aus Bangladesch, der als Zeuge für die Untaten Deutschlands vom Verlust von Haus, Hof und Vieh berichtet; gesagt wird nicht, ob er mit dem Fahrrad oder dem Flugzeug angereist ist. Als dürres Männlein bedient er jedes Klischee ebenso wie der Auftritt eines Bauern, der auch im Gerichtssaal als gerade aus dem Kuhstall kommend gezeichnet wird und vom Drama auf seinem Hof berichtet, weil er wohl nicht rechtzeitig auf Bio umgestellt hat.

Merkel steht als Scheusal vor Gericht.

Es wirkt alles ein bisschen wie »Ehen vor Gericht«: »Nein, hast Du nicht!« – »Hast Du doch!« Aufstehen, Hinsetzen, Rausgehen, Reinkommen, lange bedröppelt gucken – viel mehr Darstellungsmöglichkeiten stehen nicht zur Verfügung. Fast so entsetzlich langweilig wie ein Fussballspiel der »Mannschaft«.

Hollywood hat es doch vorgemacht, wie es so schön New York in Eis & Schnee untergehen lassen kann. Wie wärs mal mit Berlin, das in Sturmfluten dahinsinkt? Aus süddeutscher Sicht eine reizvolle Idee.

»Der folgende Film basiert auf der Auswertung von Originaldokumenten und wissenschaftlichen Erkenntnissen«, steht am Anfang – ähnlich wahrheitsheischend wie Märchenerzähler zu Beginn betonen, eine wahre Geschichte erzählen zu wollen, die sich genauso zugetragen habe. Den Anteil von 2,3 Prozent, den Deutschland der weltweiten CO2-Produktion zugerechnet wird, stilisieren die Autoren zum anklagenden Satz: »Deutschland zählt zu den höchsten CO2-Emittenten weltweit.«

Erdbeobachtungssatelliten messen mit größer werdender Genauigkeit seit 30 Jahren die Veränderungen der Meeresspiegel. Sie kommen bisher auf einen rechnerischen Mittelwert von 3,3 Millimeter pro Jahr, um den die gewaltigen 1332 Milliarden Kubikkilometer Wassermassen in den Weltmeeren ansteigen sollen.
Im Film wird dagegen gesagt: Man ginge von einer Erhöhung der Meeresspiegel von 18 bis 59 Zentimeter bis 2100 aus. Da muss sich der Anstieg noch ein wenig beeilen.
Hanebüchen: Die ARD fungiert als verlängerter Propagandaarm von Umwelt-NGOs wie der »Deutschen Umwelthilfe e.V.«. Am Drehbuch schrieb der Chef des umstrittenen Abmahnvereines, Jürgen Resch (»Ich war nachgerade enthusiastisch«) mit.

Hinter dem stehen internationale NGOs wie »Client Earth«, die das Umweltrecht als lohnendes Geschäftsfeld erkannt haben, Klagen mitfinanzieren und dabei kräftig mit verdienen wollen.

Der Drehbuchautor lässt sogar Resch als Filmfigur auftreten. Ja, tatsächlich jener Resch mit seiner abgebrochenen Verwaltungslehre, der als Vielflieger sogar auf verpönten Kurzstrecken zu befremdlichem Ruhm gelangte. Dieser Film-Resch weiß sogar besser als Autoingenieure, dass die deutsche Autoindustrie kein einziges konkurrenzfähiges Brennstoffzellenfahrzeug gebaut habe.

Die ersten Brennstoffzellenautos allerdings fuhren bereits vor 30 Jahren, BMW stellte ebenfalls fertig entwickelte Wasserstoffautos vor. Dass es technische und wirtschaftliche Gründe geben kann, eine Entwicklung einzustellen, kommt der ARD nicht in den Sinn.

Die Südländer-Anwältin mit der Taucherbrille setzt noch eins drauf und bekundet, dass ab 2008 die deutsche Autoindustrie einen Innovationsrückstand von 10 Jahren gegenüber China hätte. Autos made in China hatten damals noch erhebliche Konstruktions- und Fertigungsprobleme, fielen durch Crashtests, sind heute indessen deutlich besser geworden. Wie sie drauf kommt, sagt sie nicht, holt stattdessen die alten Platitüden von kurzfristigen Renditen der Industrie hervor.

Ihre Kollegin: »Der Verzicht auf Effizienzvorschriften führte die deutschen Hersteller in eine Sackgasse.« Effizienz kann man hingegen schlecht vorschreiben, das verdeutlicht schon die ARD. Es gibt hingegen technische Grenzen; das Bestreben, Energie wie Benzin oder Diesel so optimal wie möglich auszunutzen, ist Grundzug jeder Ingenieurstätigtkeit.

Irgendwann werden Arbeitsplätze aufgerechnet, deretwegen angeblich der Braunkohleabbau so lange aufrecht erhalten werden musste. »40 000 in der Kohleindustrie gegenüber 400 000 Arbeitsplätze bei den Erneuerbaren. Wie war das zu rechtfertigen?«, so eine Anwältin. Nicht erwähnt sie, dass davon die meisten wieder entlassen wurden, nachdem auf sämtlichen Höhenzügen Deutschlands Windräder standen, und der Bedarf gedeckt war, die terrorisierte Bevölkerung auch vor Gericht gezogen war – in Deutschland.

Zu den Bösen gehörten laut Film auch die Energiekonzerne: »Gewinne in Milliardenhöhe, das Klima blieb auf der Strecke.« Davon können die Kommunen vor allem in NRW nur träumen, die Schwimmbäder schließen und den Nahverkehr kürzen mussten, weil RWE & Co immer weniger Rendite und Dividende in die Gemeindekassen spülten.

Zudem bestimmt die »öffentliche Hand«, was dort geschieht. Die Energiekonzerne haben übrigens recht schnell begriffen, wie der neue Wind weht und woher die Gelder kommen, aus dem Staatssäckel nämlich als Ausgleich für das Abschalten ihrer Kraftwerke. Den Aktionären ist es gleichgültig, ob die Dividende aus verkauftem Strom oder aus staatlichen Zuschüssen bezahlt wird. Deutschlands höchste Strompreise in Europa sprechen eine deutliche Sprache.

Dieses einfältige Gerichtsdrama soll Highlight in einer Themenwoche der ARD »WIELEBEN« sein, in der es »auch um existenzielle Fragen« gehe.

Die Programmmmacherinnen in den öffentlich-rechtlichen Anstalten haben sich Gedanken gemacht, wie sie leben wollen und haben dazu eine Soziologin befragt, die an der »Lebenszufriedenheitsforschung«, nunja, arbeitet. Herausgekommen sei eine grundsätzliche Zufriedenheit, allerdings die Umwelt, das gehe laut Umfragen gar nicht.

Zusätzlich sind Reporter mit dem Expeditionsschiff »Polarstern« CO2-speiend in die empfindliche Arktis für ein paar nette Bilder geschippert; in einem weiteren Film lassen zwei WDR-Mitarbeiterinnen die Jubelarie »Ich bin Greta« auf die Zuschauer los.

Was die ARD in der Themenwoche beansprucht, klingt wie aus dem Sprüchehandbuch für Sozialpädagogen und Kindergärtnerinnen: »Strukturen überdenken, aus Erlebtem zu lernen und neue Ansätze zu wagen, Konsequenzen zu ziehen und Weichen zu stellen.«

Ja, tatsächlich: Strukturen der ARD müssen dringend überdacht werden, aus dem Programm »Erlebtes« müssen neue Ansätze gewagt und Konsequenzen gezogen werden. Weichen gestellt: Weg mit dem öffentlich-rechtlichen Propaganda-Apparat. Möglicherweise stehen Gniffke & Co 2034 vor Gericht und sehen sich Fragen ausgesetzt: Warum habt ihr zugelassen, dass …

Nicht gesagt wird übrigens, wieviel CO2 diese Produktion gekostet hat. Auf fast jedem Joghurtbecher steht mittlerweile, wie umweltfreundlich die Produktion war. Von den enormen Energiemengen, die diese Produktion gekostet hat, erfahren wir nichts ebensowenig, wieviele Kilometer für die Dreharbeiten und wieviel davon mit dem Lastenfahrrad zurückgelegt wurden.
Dagegen finden es die Schauspieler angebracht, auf Bildern ihrer Reisen in die weite Welt zu posieren, zum Beispiel wie Friedrike Becht, die die bleiche Anwältin gibt. Sie dürfen, was anderen untersagt werden soll: Reisen. Das leben genießen. In der ARD stellt sich der neue Adel vor.

Die Zuschauer haben darüber ihr Urteil gesprochen: Trotz der massiven Werbekampagne sind die Quoten enttäuschend. Nur 3,11 Millionen Menschen sahen sich ab 20:15 Uhr „Ökozid“ an, der Marktanteil lag bei enttäuschenden 9,9 Prozent. Der Film erreichte damit sogar weniger Zuschauer als Kai Pflaume am Vorabend: „Wer weiß denn sowas?“ sahen sich dort 3,52 Millionen Menschen an, das sorgte für viel bessere 16,6 Prozent. Und während die Quizshow auch bei den 14- bis 49-Jährigen tolle 10,6 Prozent holte, waren für „Ökozid“ lediglich 7,4 Prozent drin, meldet der Mediendienst DWDL.