Tichys Einblick
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Maybrit Illner: Was ging 2017 verloren? Alles!

Siggi versucht‘s als Jahresendpopulist, ZDF-Chef Frey sieht mit dem Zweiten ziemlich schlecht, nur Stoibers Edmund ist ganz der Alte.

Screenprint: ZDF/maybrit illner

Wer, glauben Sie, steht für die Erkenntnis, dass über das Flüchtlingsthema nicht ergebnisoffen diskutiert wurde? Dass wir „das“ womöglich nicht schaffen könnten? Dass es zwar keine Obergrenze für Asyl gibt, was aber auch niemals ernsthaft Thema war (weil wir von sicheren Drittländern umgeben sind), sondern reiner Popanz, oder Ablenkung? Wer steht dafür, dass wir zu viel Moral vor uns hertragen, aber vergessen, andere Europäer „mitzunehmen“ auf unserem Wege?

Nein, nicht Stoibers Ede, der hat das immer und immer wieder geäußert, von seinem Horst wohl gehört, aber leider nicht verstanden. Es war Siggi, der Falsche – das Attribut müssen wir nun zu seinen Titeln hinzufügen –, der sich schneller häutet, als eine Schlange in der arabischen Wüste.

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Staunend wie vor einem Naturfilm über besagte Schlangen nahmen wir zur Kenntnis, dass „die AfD schon früher im Parlament gesessen“ habe, „bei der CDU/CSU“ – also nix Nazi. „Wir“, also er und die seinen, „sind der Globalisierung und ihrer Ideologie hinterhergelaufen“, was ein Fehler gewesen sei (hören wir nicht das gleiche von Donald Trump?). Wir vernehmen, dass die Städte ihre Wohnungen privatisierten und nun Wohnungsnot im unteren Preissegment herrscht (wobei die meisten Städte SPD-OBs verzeichnen!). Selbst die rote Maybrit war so baff, dass sie schnell noch mal das „Pack“ zur Sprache brachte. Da war der Siggi missverstanden worden, „Pack“ sei ausschließlich, wer Asylheime angreift.

All das, und noch viel mehr, sprach der Jahresendpopulist Sigmar Gabriel von der Partei mit dem verschlagenen Maas, der sprachauffälligen Nahles, dem bösartigen Stegner und dem schlichten Schulz. Und im Zeitalter von High Definition TV können wir bezeugen: Der Mann ist dabei nicht einmal rot geworden! Wohlmeinende und sicherlich einige ehemalige SPD-Wähler werden nun vermuten, der Siggi habe dazugelernt, was mit Blick auf seine Biographie allerdings eher unwahrscheinlich sein dürfte. Vielleicht hat er neue Berater eingekauft, die ihm auch eine neue Theorie über den Wahlerfolg der AfD „im Package“, wie man heute sagt, mitlieferten. Denn nicht die „Flüchtlinge“ seien der Grund, die AfDler kämen schlicht mit der Postmoderne nicht klar. Richtig ist, dass Siggi sich bereits in der Post-Schulz-Ära befindet. Nur einmal erwähnte er seinen Vorsitzenden, als Ede die „Vereinigten Staaten von Europa 2025“ geißelte. Das sei nur „eine Vision“, und seine Ansicht über solche scheint Siggi da eher mit dem verstorbenen Altkanzler Schmidt zu teilen (wer Visionen hat, soll zum Arzt!).

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Bei Stoibers Ede war interessant, dass er den Siggi duzte, zu Beginn mit einigen „Ja gut, äh“ Verständnis für „die äh … schwierige Lage der SPD nach dem schlechtesten … äh… Wahlergebnis aller Zeiten“ aufbrachte, und am Ende in bekannter Frische und ohne „äh“ zur Hochform über Flüchtlinge und EU auflief. „Die Ordnung ist zerbröselt“, rief er aus, und die Volksparteien müssten für alle da sein, nicht nur für die Ego-Gesellschaft. Noch immer steht er unter Schock, von dem, was seine CSU-Landräte und -Bürgermeister über die Zustände im Land berichten.

Serdar Somuncu trat zwar für „Die Partei“ im Wahlkampf an, ist in Wahrheit aber wohl eher ein tief enttäuschter Sozialdemokrat, der Ex-Parteichef Siggi vor sich her und vielleicht auch in manche der neuen Töne hineintrieb. Leider kam Serdar von seinem Erdogan nicht los, dem man gefälligst nicht in den Allerwertesten kriechen solle. Menschlich saß er Ede am nächsten, und wäre nicht ständig darauf verwiesen worden, dass Serdar Kabarettist sei, man hätte es nicht gemerkt. Erwähnt sei noch die Anwesenheit der US-Journalistin Melinda Crane. Sie war wohl wegen Trump geladen, der aber so gut wie nicht vorkam.

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Leider hat unser Land keine Filmemacher von Rang, sonst wäre Peter Frey die Idealbesetzung für das, was er ist: Staatsfunk, Abteilung Zwo. „Der Stand der Flüchtlingskrise ist gar nicht so schlecht“, urteilte der ZDF-Chefredakteur, der wohl zu viel eigenes Frühstücksfernsehen verköstigt. Von den täglich 700 „Einzelfällen“ (insgesamt waren Flüchtlinge und Asylbewerber im ersten Halbjahr 2017 laut Bundeskriminalamt in 133.800 Fällen von Straftaten verdächtig) schafft es kaum einer in sein ZDF-Programm, wahrscheinlich wegen fehlender überregionaler Bedeutung. Na gut, man habe „die Willkommensbilder gezeigt“, aber dann doch schnell „die richtigen Fragen gestellt“. Auch sonst sieht Peter mit dem Zweiten etwas schlecht: „Ein Stück Antisemitismus“ will er immerhin erkannt haben. Schulz wäre mit Frey als Berater wohl bei 12% gelandet, denn der ZDF-Mann ist sicher, Schulz hätte auf „mehr Europa“ im Wahlkampf setzen müssen.

Siggi und Peter erinnerten ein bisschen an Günter Schabowski, der über Reformen der SED, DDR-Wirtschaft und -Gesellschaft schabowskierte, als eigentlich bereits die Grenze gefallen war. Nun gehört auch für Frey die AfD zu „den Kräften, die gefehlt haben im Parlament“, obwohl sein Sender die Partei vom Kinderfernsehen bis zum Mitternachts-Lanz rund um die Uhr verteufelt. Vielleicht liegt der scheinbare Sinneswandel an der vorweihnachtlichen Stimmung, die unsere Genossen in Staat und Funk ergriffen hat. Und ein Teil der Wahrheit stimmt ja auch: Für diese Herrschaften war 2017 wieder ein gutes Jahr!