Tichys Einblick
"Regierung verzweifelt gesucht"

maybrit illner: Tag der dicken Brocken

Illner macht 2018 da weiter, wo sie im letzten Jahr aufgehört hatte: Viele Stühle, eine Meinung (und ein kleines Korrektiv). Die TV-Runde leistete am „Tag der dicken Brocken“ ganze Arbeit: Tore auf! Steuern rauf! Die GroKo kann kommen ...

Screenprint: ZDF/Maybrit Illner

Jetzt regen wir uns mal nicht gleich über all den Unsinn, der bei Illner verzapft wurde, auf, sondern sehen die ganze Angelegenheit zunächst unter dem Aspekt, dass solche Sendungen einen ganz guten Überblick geben über die Frage: Wo stehen wir heute in unserer Buntesrepublik Deutschland?

Kurz zusammengefasst: Die CDU, vertreten durch den Politkennern bekannten Michael Fuchs, steht zu Merkel. Als Wirtschaftspolitiker der CDU war er lange für seine Gegnerschaft zu ihr bekannt. Im neuen Bundestag ist er nicht mehr vertreten. Gesine Schwan (ja, kein Witz) steht wie ihre Partei im Regen, dafür haben die Grünen – heutiger Gast Robert Habeck – wieder mächtig Oberwasser. Die andere Opposition, FDP, Linke und AfD erklärte Illner durch Nicht-Einladung für obsolet.

Das Saalpublikum war Illner anscheinend freundlicherweise vom „Think Tank“ „Progressives Zentrum“ gestellt, das der Sendung außerdem noch eine seiner „Projektmanagerinnen“ aus dem „Programmbereich Zukunft der Demokratie“ mit dem Namen Sophie Pornschlegel vorbeischickte.

Damit wir die SPD nicht immer völlig falsch verstehen (Genossin Gesine ist halt manchmal etwas seltsam), war der Spiegel-„Journalist des Jahres“, Markus Feldenkirchen geladen, der den Unglücksraben Schulz während des Wahlkampfs begleiten durfte, und anschließend das ganze Elend zu Papier brachte. Seither gilt er wohl als Insider des sozialdemokratischen Vakuums.

Wie es anders wäre
maybrit illner: Mit richtigen Journalisten könnten Talkshows Spaß machen
Vielleicht, um den Eindruck einer rein linkspopulistischen Veralberung auf Staatskosten zu vermeiden, diente der für Sachlichkeit und Faktenreichtum bekannte Welt-Journalist Robin Alexander bei Illner als Feigenblatt. Alexander ist die personifizierte Grenze, hinter der der journalistische Outlaw beginnt. Gleichwohl wollen wir mit Preisträger Feldenkirchen beginnen, weil der sich so bezeichnend versprochen hat. Die SPD, hob der Spiegel-Mann, der immer ein wenig unterzuckert wirkt, an, müsse „mit guter Laune und einem gewissen Euphemismus … äh, Optimismus“ aus den Verhandlungen kommen, um die Basis von einer neuen GroKo zu überzeugen.

Herr Fuchs von der CDU hatte einen guten Moment, als er von einem SPD-Mann aus seiner Heimat berichtete, der ausgerechnet ihm aufgetragen habe, in der Sendung vor dem Familiennachzug zu warnen, weil man jetzt schon genug Probleme habe. Aber dann verfiel er schnell wieder in Merkel-Huldigungen wie „International zieht Merkel besser als alle anderen“. Nun, in Russland, den USA oder China wohl eher nicht.

Robin Alexander demaskierte das GroKo-Getue und die kindische Berichterstattung darüber, indem er zunächst darauf hinwies, dass nicht die GroKo Schuld am Wahldebakel gewesen sei, sondern die Hilflosigkeit des Staates angesichts der Flüchtlingssituation. Außerdem würden solche Koalitionsvereinbarungen überschätzt. „Flüchtlinge, Grenzöffnung, Atomausstieg oder Bundeswehrabschaffung standen nie in irgendeiner Koalitionsvereinbarung.“

Griff in die Kasse
Bei maybrit illner: Jamaika, die Xste – wer guckt am Ende in die Röhre?
Robert Habeck jammerte, dass Jamaika nicht geklappt hat (trotz einem halben Dutzend mal bei Illner), jetzt „bestenfalls ein Drittel der guten Sachen“ gerettet werden könnten, und stellte zu den andauernden Regierungsgesprächen ganz volkstümlich fest: „Irgendwann ist ja auch mal gut!“ Beifall beim Progressiven Klatschzentrum, das immer dann in Erscheinung trat, wenn Habeck oder – wir kommen noch drauf – Frau Pornschlegel etwas sagten. Dazu muss man wissen, dass dieser „Think Tank“ (Slogan „Wir denken weiter“) ein Verein im Verflechtungsdickicht von Bertelsmann-Stiftung bis Familienministerium und irgendwo auch George Soros ist. Im Freundeskreis (Circle of Friends) finden sich dann laut Website tiefgängige „Think“ Tanker wie Katrin Göring-Eckardt, Cem Özdemir, Thomas Oppermann und Hubertus Heil.

Vielleicht war Sophie Pornschlegel auch geladen, weil das ZDF in letzter Zeit mit seinem Tochtersender KiKA so durchschlagenden Erfolg hatte, und nun auch das Abendprogramm für Teens und Twens attraktiver gestalten will. Die junge Dame (gilt das schon als Beleidigung?) vertrat jedenfalls die Sicht der Jungen und der Junggebliebenen. „Nur 15% sind unter 30“, beklagte sie, „deshalb wird zu wenig für Digitalisierung und Europa getan.“ Satzungsgemäß verortete sie die AfD im „antidemokratischen Raum“ und wies besorgt darauf hin, dass „Macron auch nur eine begrenzte Zeit da“ sei, um die „wichtigsten Sachen“ voranzubringen.

Dann mussten alle bei Illner über das Soziale (Gerechtigkeit!) sprechen, und Robin Alexander merkte an, dass wir derzeit doch eine soziale Regierung hätten. Wichtiger sei die „Kulturelle Unzufriedenheit“: Komme ich im eigenen Land kulturell noch klar? Für Gesine gehört das eine zum anderen, und Feldenkirchen fände es toll, wenn in der neuen Regierung die SPD für Gerechtigkeit und CDU für Sicherheit stünden. Ihre Kernkompetenzen. Genau! Nahles für Gerechtigkeit und de Maizière für die Sicherheit. Besser geht’s nicht!

Merkel macht für Mehrheit alles
Sondierer sondieren: Gabriel organisiert Familiennachzug
Sophie Pornschlegel ist das alles hier bei Illner „zu kleinteilig, zu uninteressant“ mit Spitzensteuersatzeinstieg und so. Aber Fairness ist gut. (Beifall von den Kids on the Block.) Genossin Gesine tat kund, dass die Nazis damals vom Mittelstand gewählt worden seien, was so nicht ganz richtig ist, aber CDU-Mann Fuchs kam, vielleicht inspiriert, auf die Aussage, dass es vor Merkel 5 Millionen Arbeitslose gab, heute 2,2 (was auch nicht ganz redlich ist.). Um keine Nazi-Anspielung während der Sendung zu unterschlagen, sei noch Feldenkirchens Antwort auf Alexander Dobrindts Forderung nach einer „bürgerlichen Revolution“ gegen die 68er erwähnt, wo er irgendwie eine „präfaschistische Dimension“ unterbrachte. Das können wir nicht beurteilen, weil wir weder Marcuse noch den Ex-Nazi Habermas gelesen haben.

Ansonsten gab Feldenkirchen überraschend dem Kollegen Alexander recht, dass auch andere Meinungen als die der Alt-68er möglich sein müssten.

Am Thema „Flüchtlingsnachzug“ zeigte sich dann hammerhart, dass das linke Establishment seinen Kurs unbeirrt fortzusetzen gedenkt, bis dass eine Wahl uns scheide. Der Spiegelmann fand den Nachzug „unter Sicherheitsaspekten zwingend erforderlich“, Genossin Gesine will zudem nicht nur Facharbeiter reinlassen, sondern irgendwie alle, und sie ist überzeugt, die „Menschen (Wir!) können eine Menge aushalten, wenn sie (Wieder Wir!) wüssten: so (toll, großartig, paradiesisch Anmerkung des Autors) sieht das in 50 Jahren aus.“ Interessant wäre hier eine Ferndiagnose wie im Falle Donald Trump.

Der Grüne Habeck sagte uns, wie die atmende Obergrenze verkauft worden wäre – nämlich als „Richtlinie“. Und natürlich sei der Nachzug „zwingend“, und ja, die Integration sei eine Herausforderung „mit allen Kränkungen“.

Alexander flüchtete sich ins Formale. Erklärte, dass das Nachzugsgesetz erst 2015 „erfunden“ wurde, dann ausgesetzt bis März 2017, und nun, im Januar keiner wüsste, wie es weitergeht.

Schließlich sangen alle das Europa-Lied. Voraussetzung für Alles! (Gesine) – Unser Patriotismus muss größer sein als Deutschland! (Habeck) – Europa, die nächste Vision der SPD seit Willy Brandt. (Feldenkirchen) – Da bin ich auf der Seite der Kanzlerin! (Fuchs). Aber was bedeutet das jetzt? Mehr Europa? Nur weil Europa – alles gut?

Am Ende gab uns Herr Fuchs noch ein Rätsel mit auf den Weg: Nach dem Krieg zählte Europa 500 Millionen Menschen, die Welt 2,5 Milliarden. Heute zählt die Welt 7 Milliarden, und Europa immer noch 500 Millionen. Was er uns damit sagen will? Keinen Schimmer. Oder vermehrt Macron die Europäer? Wäre das gut?