Tichys Einblick
Schwere Tage stehen bevor

Bei Hart aber Fair: Steht „Wladimir der Große“ mit dem Rücken zur Wand?

Bei Hart aber Fair sind es dieselben Leute, die Putin vor Kurzem noch belächelten, die jetzt auf harte Kante machen. Ihre Naivität gestehen sie freilich nicht ein.

Screenshot ARD: Hart aber Fair

Es ist die dritte Sendung in Folge zum Ukraine-Konflikt: „Hart aber Fair“ talkt der Entwicklung in Osteuropa hinterher. Schon vor zwei Wochen begann die Kanonade der leeren Floskeln gegen Putin, die sich am Montag vor einer Woche fortsetzte. Mittlerweile gibt es echte Kanonen. Doch der Schütze ist Putin mit seiner Armee – und die schießt mit Bomben, nicht mit Worten. „Fragen und nach Antworten suchen“ will Plasberg am Montagabend. Dazu hat er sich mit SPD-Außenpolitiker Michael Roth, dem ehemaligen ARD-Journalisten Udo Lielischkes, der Osteuropaexpertin Sabine Fischer, dem Publizisten Gabor Steingart und dem ehemaligen NATO-General Hans-Lothar Domröse zusammengefunden.

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Letzterer liefert zu Beginn eine nüchterne, taktische Analyse des Krieges in der Ukraine. Die Russen erwarte ein Guerillakrieg wie in Afghanistan. „Was für die Taliban die Berge waren, sind für die Ukrainer die Städte“, meint Domröse, der 2014 als General des Heeres aus dem Dienst ausschied. Wie viele sei er überrascht, wie zäh sich der russische Vormarsch in der Ukraine gestalte. Den russischen Soldaten fehlten Angriffsschwung und Koordination. Darum habe Putin jetzt das „große Besteck“ ausgepackt und drohe mit Nuklearwaffen. Das könnten auch kleine Waffen sein, mit denen man ein Dorf oder eine Stadt vollständig vernichten könne.

Die Osteuropa- und Russlandexpertin Sabine Fischer bewertet im Anschluss die russisch-ukrainischen Friedensgespräche. „Es ist ganz klar, dass Russland völlig überrascht worden ist vom ukrainischen Widerstand.“ In Moskau habe niemand mit der Standhaftigkeit der Ukraine gerechnet. Das unterstreicht auch der ehemalige ARD-Korrespondent in Moskau, Udo Lielischkes. Der ist sich sicher, dass Putin noch lange nicht fertig ist. Letzte Woche hatte er Putin noch mit einer Python verglichen, die ihr Opfer langsam erdrossle. Ein versuchter, schneller Genickbruch ist dem russischen Machthaber eine Woche später jedoch nicht geglückt.

Lielischkes kann sich deswegen aber nicht vorstellen, dass Putin einlenken wird. „Jetzt beginnt eine sehr hässliche Phase“ des Konfliktes, meint er. Putin schrecke „nicht davor zurück, den Widerstand zu brechen, indem er eine Stadt dem Erdboden gleich macht“. Dies habe Putin in vergangenen Konflikten bereits bewiesen, zuletzt in Syrien. Putin wolle als „Wladimir der Große“ in die Geschichte eingehen und die ostslawischen Völker vereinigen, konstatiert Lielischkes. Putin sei krank – der ehemalige Journalist beharrt auf seinen Ausführungen vom letzten Mal, in denen er die Zurechnungsfähigkeit des Präsidenten in Frage gestellt hatte.

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Michael Roth ist nach einer einwöchigen Pause erneut zu Gast im Studio. Am 14. Februar hatte er an selbiger Stelle noch erzählt, es wäre „zynisch“, Putin ernst zu nehmen. Doch die Realität hat ihn überholt. „Wir erleben derzeit die endgültige politische und moralische Bankrotterklärung Putins“, tönt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses. Putin habe auch die Wehrhaftigkeit der Ukraine und die Entschlossenheit des Westens unterschätzt – Entschlossenheit und Wehrhaftigkeit, von der bei ihm selbst vor zwei Wochen noch nichts zu spüren war, als er sich an gleicher Stelle gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aussprach. Doch jetzt will Roth nicht „über Schuld, sondern über Verantwortung reden“ – und sich so aus der Affäre stehlen. Plasberg lässt ihn. Die Zustimmung zum Krieg sei in Russland sehr gering, meint der Politiker. „Wenn die allermeisten Russinnen und Russen auch ein Herz haben, dann rächt sich jetzt das, was Putin erzählt hat.“ Den Krieg gegen ein von Moskau beschworenes „Brudervolk“ in der Ukraine würden deswegen wenige verstehen. „Gegen Schwestern und Brüder führt man nicht einen solchen Krieg.“

Auch die Menschen im Westen, die Putin lange Zeit die Stange gehalten hätten, schwiegen oder haben ihre Meinung geändert, sagt Roth. Osteuropaexpertin Sabine Fischer erklärt, es seien vor allem junge Menschen in Russland, die sich eher über soziale Medien als über das russische Staatsfernsehen informierten. Das sind etwa 30 Prozent der Bevölkerung, sagt sie. Die Zahl der Kritiker in Russland wachse, je blutiger der Krieg wird. Schon jetzt habe es in vielen Städten Friedensdemonstrationen gegeben, trotz zahlreicher Verhaftungen.

„Es gibt kein Zugeständnis, das Putin reicht“

Der Publizist Gabor Steingart kritisiert die Sanktionen des Westens als zu lasch. „Die einzig tragfeste Beziehung, die wir ökonomisch mit Russland haben, sind unsere Energiebeziehungen.“ Und die seien nicht berührt worden, im Gegenteil. SWIFT sei für Russland auch nicht gekappt worden. „Das heißt, wenn die Ukraine sagt: Ihr tut mehr mit den Lippen als mit den Händen – dann hat sie recht.“ Auch 100 Milliarden für die Bundeswehr würden der Ukraine „ja nicht mehr zugute kommen“. Udo Lielischkes widerspricht, verweist auf den Absturz von Rubel und russischen Unternehmen. Steingart entgegnet: Das sind Börsenkurse, das sei nicht relevant. Das Kerngeschäft von beispielsweise Gazprom und Rosneft sei „nicht berührt worden“. Vielleicht ist das auch gut so, denn sonst würden hier im Studio die Lichter ausgehen.

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Steingarts Morningbriefing machte am Freitag, mitten während des russischen Überfalls, mit einem langen Text über die Irrwege des Westens auf. Lang und breit wurde da etwa über die NATO-Osterweiterung philosophiert, während Russlands Panzer rollten – das brachte ihm heftige Kritik ein. Jetzt muss er das wohl durch rhetorische Aufrüstung wettmachen. „Wenn Udo recht hat“, rekurriert Steingart auf seinen Kollegen Lielisckes, und Putin einer sei, „der im Adolf-Hitler-Style sehr sehr weit gehen würde“, müsse man ganz anders reagieren. Er halte Putin jedoch immer noch für einen Strategen. „Wir beenden dann auch die Küchenpsychologie und Ferndiagnose“, setzt Plasberg einen Strich unter den Diskussionsabschnitt.

Nicht jedoch, bevor Steingart lange von seinem Besuch bei Putin 2013 erzählen kann: Ganz begeistert berichtet der ehemalige „Handelsblatt“-Chefredakteur, Putin habe ihn seine Texte sogar ganz frei verwerten lassen. Das sei er aus Deutschland gar nicht gewohnt. Etwas wirre Ausführungen des Mannes mit der verdunkelten Brille und dem wohl dadurch beschränkten Blick auf Realitäten.

Das geht weiter, als Plasberg fragt, wie man aus der Eskalationsspirale komme. Steingart meint, es wäre eigentlich „einfach“ – man könne Putin Donezk und Luhansk zugestehen und die Ukraine zum neutralen Pufferstaat machen. „Das wäre mein Vorschlag.“ Der Opportunismus reicht also nicht einmal bis zum Ende der Talkshow. Steingart lächelt selbstzufrieden, während Diskussionspartner mit einem „ach, Herr Steingart!“ ihr Unverständnis ausdrücken.

Dem ukrainischen Botschafter Melnyk gefallen Steingarts Ausführungen, die Ukraine einfach bezahlen zu lassen, natürlich nicht. Er ist der Diskussion zugeschaltet. „Ich glaube, dass diese Diskussion falsch ist. Wenn ein Verbrecher seinem Opfer ein Messer an den Hals hält, würden Sie doch auch nicht fragen: Was könnten Sie tun, damit dieser Verbrecher sein Gesicht wahrt?“ Dieser Ansatz sei nicht zielführend: „Es gibt kein Zugeständnis, das Putin reicht“, konstatiert der Botschafter, der sich entschlossen gibt. „Ich kann Ihnen sagen, dass die Ukrainer weiterhin bereit sind, für ihre Freiheit, ihre Werte und ihre Heimat zu kämpfen.“ Er beklagt einen brutalen russischen Krieg mit „vielen zivilen Opfern“.

Der ukrainische Botschafter appelliert: „Man darf uns nicht abschreiben!“ Melnyks Ansage: Wir sind immer noch da! „Dieses Russland ist ein Koloss auf tönernden Füßen. Herr Putin hat sein Stalingrad-Gefühl schon erlebt.“

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