Tichys Einblick
Wie hoch pokert Putin noch?

Bei Hart aber Fair: Wie viele Atombomben ist ein Panzer wert?

Wie viele Atombomben ist ein Panzer wert? Das ist die zentrale Frage der dieswöchigen Sendung von Hart aber Fair. Eskaliert Russland, wenn Deutschland Panzer schickt, scheitert Putin an der Mobilmachung?

Screenprint ARD / Hart aber Fair

Nach drei Wochen steht wieder der Ukrainekrrieg im Zentrum einer Ausgabe von Hart aber Fair. Diesmal geht es um Putin, ob er in der Mobilisierung seiner Reservisten Schwäche zeigt, und um Schützenpanzer, die einen Atomkrieg auslösen könnten. Denn zum wiederholten Male droht Putin mit dem Einsatz seines nuklearen Arsenals, wenn die territoriale Integrität seines Landes bedroht sei. Daher auch der Titel der Sendung: „Alles auf eine Karte: Wie hoch pokert Putin noch“.

Ein direkter Einsatz Putins, mit dem er pokert, sind die jungen Männer seines Landes. Er hat eine Teilmobilisierung ausgerufen. 300.000 Mann sollen so ausgehoben werden – eine Strategie, die auf eine Verlängerung des Krieges abzielt, sagt Claudia Major. Sie ist Militärexpertin und leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik.

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Die Reservisten müssten eingezogen, ausgerüstet und ausgebildet werden. Ein Unterfangen, so Major, für das Russland nicht mehr vorbereitet wäre. Vor dem Frühjahr sei nicht mit den neuen Truppen in relevanter Anzahl zu rechnen. Es ist kein Zug, mit dem die jetzige Offensive der Ukraine aufgehalten wird, sondern eine Vorbereitung auf eine Frühjahrsoffensive: einen Gegen-Gegenangriff. Doch die grundlegenden Probleme der russischen Armee, schlechte Motivation, schlechte Führung und schlechte Ausrüstung würden damit nicht behoben.
Doch die Teilmobilisierung zeigte vor allem eines: Dass Putin nicht verhandeln, sondern den Krieg verlängern will in der Hoffnung, dass seine Armee den längeren Atem hat als ein an wirtschaftlichen Problemen erstickendes Europa.
Die Mobilisierung politisiert die Bevölkerung – gegen Putin

Die Probleme der Strategie wrüden schon sichtbar: Es rege sich massiver Widerstand in der bisher stummen Bevölkerung. Die Ausmaße seien noch nicht zu überblicken, aber bisher wären Straßenproteste in Moskau und St. Petersburg bekannt, Brandanschläge auf Rathäuser oder Militärbüros und ein Anschlag auf einen Rekrutierungsoffizier.

Denn die Mobilisierung politisiere die bisher gezielt depolitisierte Gesellschaft, so Udo Lielischkies, Journalist und früher Leiter des ARD-Studios Moskau.Wolfgang Ischinger, ehemaliger Diplomat und bis 2022 Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, ergänzt, dass Putin mit der Mobilisierung seine politische Mission mit dem Ukrainekrieg verknüpft habe. Das mache für ihn den Ukrainekrieg und seinen Ausgang noch viel wichtiger, als er es schon war.

Einen Akt der Verzweiflung sieht darin Kevin Kühnert. Denn auch der Generalsekretär der SPD ist Teil dieser Diskussion. Doch man dürfe Putin nicht zu sehr unter Druck setzen, denn die russische Armee habe bisher im Einsatz ihrer Mittel gespart und könne noch viel mehr Ressourcen einsetzen. Welche Ressourcen er meint, konkretisiert Kühnert nicht. Das russische Nuklearwaffenarsenal war aber mindestens impliziert.

An den Einsatz dieser Waffen glaubt zumindest eine nicht: Serap Güler. Die CDU-Politikerin denkt, dass seine größte Waffe nicht die Atomwaffe selbst ist: Sondern die immer wiederholte Drohung damit, mit der er Furcht und Spaltung verursache. Ohne sie einsetzen zu müssen, denn das ginge nur einmal.

Panzer werden nicht geliefert: Grund auch der SPD unbekannt

Wie also reagieren auf die Mobilisierung? Eine Möglichkeit wäre eine Intensivierung der Waffenlieferungen an die Ukraine. Konkret Leopard-Schützenpanzer. Manch einer mag hier stutzig werden, ist der Leopard nicht ein Kampfpanzer, für den Kampf Panzer gegen Panzer; während ein Schützenpanzer mehr ein gepanzerter und bewaffneter Truppentransporter ist?

Das stimmt schon, aber mit solchen Details nimmt man es bei Hart aber Fair nicht so genau. Panzerhaubitze 2000 und Leopard seien eigentlich auch ganz ähnlich, meint Plasberg. „Haben nicht beide Ketten und ein dickes Rohr?“, fragt er Kühnert.

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Es ist natürlich eine geplante Provokation des Generalsekretärs, den Plasberg festzunageln versucht: Warum verhindert die SPD Lieferungen von Leopard-Panzern, erlaubt aber Lieferungen von Haubitzen? Kühnert ist beleidigt. „Wir diskutieren im Parteivorstand nicht über militärstrategische Fragen“, so seine patzige Antwort. „Es ist nicht Aufgabe eines Parteivorstands oder Parteivertreters, Waffenkategorien öffentlich zu diskutieren.“

Offensichtlich sieht Kühnert auch nicht seine Aufgabe darin, die Politik seines Kanzlers verständlich zu machen; denn auf mehr als die üblichen Plattitüden, man wolle keine Alleingänge hinlegen, bekommt man von ihm nicht zu hören. Es sind die üblichen Ausreden deutscher Politiker, die die Verantwortung für ihr Nicht-Handeln in einer Krise ins Ausland verlagern wollen.

Plasberg gibt das Festnageln eines patzigen Kühnerts bald auf; Lielischkies wird den Vorgang unwidersprochen als ein „Festnageln eines Puddings an die Wand“ bezeichnen.

„Festnageln eines Puddings an die Wand“

Doch der Grund, warum die SPD die Lieferung der dringend erbetenen Leopard-Panzer verhindert, wird zumindest impliziert. Denn die Militärexpertin Major klärt die Runde dann doch über die unterschiedlichen Waffenartenn auf. Deutschland hat Haubitzen geliefert, damit werden feindliche Stellungen sturmreif geschossen. Doch der Sturm muss entweder durch Kampf- und Schützenpanzer erfolgen. Oder aber die Soldaten rücken – wie jetzt die Ukrainer – in PKW und Minibussen an die Front vor, was hohe Verluste mit sich bringt. Ein Liefern von Haubitzen stärke die Ukrainische Fähigkeit, weitere russische Angriffe abzuwehren, sei aber im Angriff nicht alleine ausreichend.

Kühnert verweist an die USA, die doch auch keine Panzer lieferten. Das mag sein, doch ist die SPD neuerdings an Weisungen aus Washington gebunden? Washington selbst hat jedenfalls keine Probleme mit Panzerlieferungen, ließ erst kürzlich die Botschafterin via Twitter verbreiten.

Kühnert zieht sich auf die SPD-Maximalposition zurück: Man wisse nicht, was Putin vollends zu irrationalem Handeln bringen würde – auch hier schwingt die Bedrohung durch Atomwaffen mit. Das mag sein, doch auch Kevin Kühnert konnte nicht erklären, warum die Grenze zum russischen Einsatz nuklearer Waffen zwischen der Lieferung von Haubitzen und Panzern verlaufen solle.

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Ischinger hält an anderer Stelle dagegen. Denn für ihn sind es die annexionen der besetzten Gebiete, die Putin als Vorwand für nukleare Schläge nutzen könnte – so er es wollte. Denn sind sie erst Teil des russischen Territoriums, kann er zu ihrer Verteidigung auch formaljuristisch korrekt Atomwaffen einsetzen.

Besonders gerne stichelt gegen den beleidigten Kühnert die CDU-Politikerin Serap Güler. Sie habe schon wieder vergessen, dass die Bundesregierung unter einer Kanzlerin Merkel einen Überfall auf die Ukraine schon 2014 tolerierte.

Es gibt einen kurzen Exkurs zum Thema Sanktionen in der Sendung, die Redaktion hat tatsächlich einen Sanktionsforscher gefunden. Erdal Yalcin lehrt an der Universität Konstanz und klärt über die Wirkung und Nichtwirkung der Sanktionen auf. Das grundlegende Problem wäre, die Wirtschaft schrumpft, ob es den Bürgern wirtschaftlich schlechter geht, ist ihm egal, solange er eine unzufriedene Bevölkerung unterdrücken kann. Auch der Iran wird seit mehr als 40 Jahren immer wieder mit Sanktionen belegt, doch der Staat sieht sich erst jetzt mit einer kritischen Masse von Demonstranten konfrontiert. Kurz gibt man sich in der Runde dem Wunschtraum hin, Putin könnte gestürzt werden. Doch wer soll ihn ersetzen? Hier offenbart sich wieder die nüchterne Blick Majors: Wer soll Putin ersetzen? Die anderen Oligarchen folgen seiner politischen Linie, es wäre ein neues Gesicht zu alter Politik. Und eine Revolution als solche würde an den mangelndnen gesellschaftlichen Strukturen scheitern.

Zu guter letzt: Bisher war die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen, auch Deserteure, eigentlich immer Konsens. Wer diesen in Frage zu stellen wagte, war schnell ein allgemeiner Ausländerfeind.. Doch nun tun sich viele schwer damit. Kühnert will sie hereinlassen und verspricht eine Sicherheitsüberprüfung für jeden von ihnen. Lielischkes ist dagegen. Ein Einwand, der immer mitschwingt, ist es, dass die Männer nun fliehen, weil sie persönlich kämpfen sollen, und nicht, weil sie die Politik des Krieges falsch finden. In der Demokratie ist es einfach, zum Widerstand in Autokratien aufzurufen. Am Ende will Güler nun auch Verantwortung abwälzen: Man dürfe hier keine Alleingänge machen.