Tichys Einblick
US-Virologe zugeschaltet

Fauci bei Maischberger zu Corona: „Ich glaube, dass wir über den Höhepunkt hinweg sind“

Die Talkshow „Maischberger“ ist wie ein Flohmarkt – zwischen vielem Trödel gibt es echt Wertvolles zu finden: US-Präsidenten-Berater Anthony Fauci, der die Corona-Politik Chinas kritisiert, oder Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, der weitere Preissteigerungen für Lebensmittel andeutet.

Screenprint: ARD / Maischberger

Wenn Frank Ulrich Montgomery recht hat, dann wäre er für einen Zweitjob als Prophet oder gar als Auserwählter geeignet. Moderatorin Sandra Maischberger spricht ihn auf einen Widerspruch an: Obwohl die Politik-Maßnahmen wie die Maskenpflicht im Supermarkt oder die diversen G-Beschränkungen für Ungeimpfte zurückgenommen hat, sinken die Infektionszahlen und die Zahl der Todesfälle. Wie sich das erklären lasse, will Maischberger wissen.

Montgomerys Erklärung ist spektakulär: Weil er und andere vor „Freedom Day Gesäusel“ gewarnt hätten, gingen heute die Infektionszahlen zurück … Das muss man erstmal sacken lassen: Weniger Menschen infizieren sich heute; weniger Infizierte erkranken heute schwer oder sterben sogar – und das alles, weil Frank Ulrich Montgomery einst vor „Freedom Day Gesäusel“ gewarnt hat. Eine solche Wirkkraft erreichte zuletzt Jesus von Nazareth bei Lazarus.

Nur hat Montgomery eben nicht immer recht. „Die No-Covid-Strategie ist gescheitert“, sagt er. Heute. Bei Maischberger. Nachdem dort gerade Bilder gelaufen sind aus Shanghai, wo die No-Covid-Strategie Praxis ist. Nach diesen Bildern einer Geisterstadt, deren Menschen in ihre Wohnungen eingesperrt werden, lässt sich nur schwer wohlfeil drüber schwätzen, dass diese Strategie im Sinne des Wohls oder der Gesundheit der Menschen sei.

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Also sagt Montgomery heute, dass Lockdowns nicht sinnvoll seien – wenn man stattdessen impfe. Auf sein Zitat von der „Tyrannei der Ungeimpften“ spricht Maischberger ihn an – doch er geht drüber weg. Auf seine Forderung, Ungeimpften das Fahren in Fernzügen verbieten zu wollen, spricht die Moderatorin ihn gnädigerweise nicht an. Dass die Infektionszahlen trotz Ungeimpften in Zügen runter gehen, da hakt sie aber nicht noch einmal nach. Montgomery hat ja schon seine Rolle als Fernheiler dargestellt. Mit der Prophetenkarriere wird es wohl trotzdem nichts, sodass der Weltärztechef den Deutschen als Talkshow-Gast erhalten bleibt.

Viel spannender als der Lobbyist in eigener Sache, ist allerdings Anthony Fauci. Der hat so unterschiedliche Präsidenten wie Ronald Reagan, Bill Clinton oder Barack Obama in Gesundheitsfragen beraten – und ist auch jetzt Berater Joe Bidens. Seine Präsenz bei Maischberger hat im Vorfeld für Nervosität gesorgt. Vor der Sendung trendete „#Fauci“ bei Twitter, wobei seine Hater in den Kommentaren in der Überzahl waren. Sie halten ihm vor, dass er offensichtlich unbegründet früh die Theorie ausgeschlossen hat, wonach das Corona-Virus in einem Labor in Wuhan mutierte.

Darauf spricht Maischberger den zugeschalteten Fauci überhaupt nicht an. Ohnehin gewährt sie dem Mann, der bereits seinen siebten US-Präsidenten berät, keine zehn Minuten. Über ihre Prioriäten muss die Redaktion dringend mal nachdenken. Zumal Fauci wirklich Spannendes sagt: Auf die Maskenpflicht angesprochen, erklärt er, jeder Einzelne müsse sein eigenes Risikos sehen. Er als 81 Jahre alter Mensch würde eher vorsichtig agieren, weswegen er jüngst ein offizielles Treffen nicht besucht habe.

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Als Berater von Donald Trump hat Fauci gelernt, auch in schwierigen Situationen Diplomat zu bleiben. Auf Karl Lauterbachs Vision von der „absoluten Killervariante“ reagiert er höflich: Ausschließen lasse sich grundsätzlich nichts, der Trend sei aber eher, dass die Infektionszahlen insgesamt hochgingen, dafür die Erkrankungen harmloser verliefen. Das liege daran, dass die Immunisierung stark zugenommen habe, auch durch Impfungen. Fauci erwartet vom weiteren Verlauf der Pandemie: „Ich glaube, dass wir über den Höhepunkt hinweg sind.“ Weitere Lockdowns im Westen hält er ebenfalls für unwahrscheinlich: „I doubt it.“

Spannend ist auch der Auftritt des Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne). Auf die Frage nach der weiteren Preisentwicklung für Lebensmittel sagt er: „Ich befürchte, ich habe keine guten Nachrichten.“ Warum er bei zu erwartenden Preissteigerungen für den Umweltschutz reservierte Flächen nicht freigebe, will Maischberger wissen. Weil das Getreide auf solch wertvollen Fläche nicht „im Tank“ oder in der Tiernahrung landen solle. Da steht die Nachfrage im Raum: Warum Özdemir die Flächen nicht freigeben kann, unter der Bedingung, dass sie für menschliche Nahrung genutzt werden? Doch diese Frage stellt Maischberger nicht mehr – der Wagen rollt weiter.

ARD Abendprogramm
Maischberger läuft mit neuem Format zweimal die Woche
Darin liegt das Problem der „Maischberger“-Show. Sie hat richtig gute Momente, aber auf die muss der Zuschauer warten. Dazwischen muss er vieles ertragen, was dieses Niveau nicht erreicht. So bewirbt die ARD die Sendung im Vorfeld mit den zu erwartenden Aussagen von Fauci und Özdemir. Alle scheinen zu wissen, dass das die Themen sind, die Zuschauer um 22.50 Uhr sehen wollen. Doch auf Özdemir müssen sie bis kurz vor halb zwölf warten, auf Fauci bis kurz vor Mitternacht.

Stattdessen beginnt die Sendung mit dem Journalisten-Tisch. An dem sitzt Theo Koll vom ZDF, eine blonde Journalisten von der NZZ und ein rothaariger Kolumnist vom Spiegel. Ob es richtig war, dass Friedrich Merz nach Kiew gereist war, will Maischberger wissen, und wie das zu bewerten sei, was Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im ZDF gesagt hat. Das wollten schon zwei Tage vorher bei der Erstausstrahlung keine drei Millionen Menschen sehen. Jetzt wird es trotzdem nochmal durchgenudelt. So ist Maischberger über lange Strecken für die Tagesthemen das, was Red für The Masked Singer ist: eine Zweitverwertung für Hardcore-Fans.

Noch abgegriffener ist die Frage, ob es gut ist, dass Elon Musk Twitter kauft. Maischberger stellt sie um 23.32 Uhr. Noch bevor Fauci drankommt. Der rothaarige Kolumnist ist dagegen. Das ist verständlich. Die Deutungshoheit über das Thema Internet in Deutschland ist sein Geschäftsmodell. Ein Musk wäre ein nicht zu schlagender Hirsch auf seiner Weide. Musk sei gegen Filtermechanismen im Netz, argumentiert der Kolumnist. Seine Frisur mag noch Punk sein, aber seine Haltung ist längst ARD.

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Und weil das Paket noch nicht voll genug ist, macht Maischberger noch ein Schleifchen dran: Wie der Rücktritt des Kurzzeit-CSU-Generals Stephan Mayer zu bewerten sei. Immerhin. Spannend ist, was Koll zu sagen hat: Dass Mayer Probleme damit habe, sich zu beherrschen, sei bekannt gewesen. Und es werfe ein Licht auf die (fehlende) Fähigkeit des CSU-Parteichefs Markus Söder, Personal auszuwählen. Die blonde NZZ-Journalistin befürwortet den Rücktritt, sagt aber, dass sie zu wenige Belege zu dem Fall habe, sodass sie inhaltlich eigentlich nichts sagen könne. Aber sie ist nunmal im Studio, also muss sie auch zu Wort kommen. Zwei Minuten lang, allein zu der Frage, zu der sie sich inhaltlich nicht äußern will.

Maischberger läuft künftig zweimal die Woche. Die erste Show am Dienstag hatte knapp 1,5 Millionen Zuschauer. Das ist schlechter als Lanz, aber um ein Drittel besser als die Carolin-Kebekus-Show, die donnerstags zur gleichen Sendezeit in der ARD läuft. Das ist also okay, hat aber Luft nach oben. Die kann Maischberger nutzen, wenn sie ihre Stärken ausspielt: gut vorbereitete, intensive und ruhige Gespräche mit interessanten Gästen, die was zu sagen haben. Wenn Hauptstadtjournalisten mehr Zeit bekommen als Berater von amerikanischen Präsidenten, verschenkt Maischberger ihr Potenzial.

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