Tichys Einblick
Merkwürdiger Cocktail

dunja hayali: Mixed Pickles

Die Themen der Sendung: "Linke Gewalt: Hysterie oder berechtigte Sorge? Obdachlos trotz Arbeit – versagt unsere Wohnungspolitik? Social influencer – Youtube und die neuen Megastars"

Screenprint:ZDF/dunja hayali

Na gut, wenn Marietta Slomka vor Dunja Hayali kommt, dann ist man schon auf Betriebstemperatur. Hayali war ja auch mal Nachrichtenfrau. Nun zahlt die Horror-Vorstellung, dass es irgendwann auch mal einen Slomka-Talk geben könnte, glasklar für Hayali ein. Und noch etwas stimmt milde: Die Moderatorin, Tochter irakischer Christen aus Mossul, war jüngst bei „Inas Nacht“ zu Gast. Kennen Sie das? Diese patente Proll-Ina, die ihre Gäste immer zum Saufen verführt, ist ein Glücksfall für das deutsche Fernsehen. Ihre Talks wollen nicht mehr sein, als nettes Gequatsche in der Kneipe mit finaler Gesangseinlage. Und Ina schaffte es tatsächlich, Hayali ein paar sympathische Seiten – man sprach über Haustiere – abzugewinnen und diese auch noch in die Wohnzimmer zu transportieren.

Nun also Hayali nach Slomka. „Eine Stunde, drei Themen“, kündigt die Moderatorin uns und ihren Gästen im Studio an. Wenn sie so unverbindlich in die Kamera schaut – sie könnte auch die Tochter von Frank Elstner sein. Vielleicht wäre eine Gameshow ihr Ding? Egal, nun macht sie halt Polittalk. Und es beginnt – na klar – mit linker Gewalt in Hamburg. Zuvor ein paar Minuten lang Reportage.

„Wir tauchen ein in die Welt der Gipfelgegner“, erklärt die Off-Stimme wie Hans Hass, bevor er sich rückwärts vom Schlauchboot in die Fluten fallen ließ. Die Hayali-Crew startet in einem Merchandising-Shop für linke Demo-Kultur namens „Fire & Flames.“ Dann kommt der Verfassungsschutz zu Wort, der erklärt, linke Gewalt hätte sich nicht nur verdoppelt, auch die Qualität der Gewalt hätte sich radikalisiert bis hin zu schwerer Körperverletzung. Linker Protest sei gesellschaftlich akzeptiert, rechter nicht. Hat man ein Auge zugedrückt?

Zu Gast in dieser ersten Gesprächsrunde: Bodo Ramelow, Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, der unvermeidbare und immer leicht übererregte Extremismusexperte Olaf Sundermeyer, und Markus Söder, Minister Bayern. Ja, man kann Söder sympathisch finden, man muss ihm nur die richtigen Gäste zur Seite setzen.

Ramelow
Linkspartei fordert: Versammlungsfreiheit einschränken
Sundermeyer erklärt Ramelow gleich mal, dass ein wichtiger Bestandteil des schwarzen Blocks Mitglieder seiner Fraktion wären. Die Partei Die Linke hätte ein internes Problem mit linker Gewalt. Schweres Geschütz! Und vor allem, was ist mit Sundermeyer los, der ja mit seinem Narben und der Vollglatze immer auch etwas so wirkt, als wäre er ein Gewaltkonvertit. Marcus Söder verteidigt die Kanzlerin, die hätte keine Verantwortung für Linksextremismus. Nein, Präventionsprogramme von Frau Schwesig wären doch beim Linksextremismus bewusst heruntergefahren worden, weiß Söder. Wahlkampf halt. Jedenfalls ist das noch höflich ausgedrückt, denn steht das Ministerium nicht unter Verdacht, Linksextreme subventioniert zu haben?

Ramelow, seit Sundermeyers Ansage nun bei Hayali so was wie der Anführer linker Fraktions-Schlägertruppen wird von Anfang an in die Vereidigungsrolle gedrängt. Aber dann dreht Hayali das Ding und wirft etwas völlig Kurioses ein: Die linke Szene – auch in der Roten Flora – hätte sich in letzter Zeit zur bürgerlichen Seite geöffnet. Ja, so kann man es natürlich auch betrachten, wenn das Kanzleramt eine Rote Flora 2.0 sein möchte. Die linksradikale Szene reicht weit hinein bis in die Büros von Abgeordneten, bestätigt wieder Sundermeyer.

Neuer Einspieler: Es gibt mehr rechte als linke Straftaten. Allerdings seien rechte Straftaten öfter Propagandadelikte. Dafür sind die Tötungsdelikte Rechter quantitativ höher. Rechte Gewalt richtet sich gegen so genannte schwache Opfergruppen. Linke Gewalt richtet sich gegen Mächtige, erinnert Sundermeyer. Gut, da mag was dran sein. Nun wird das so ein einfacher Polizist im Einsatz anders sehen, das weiß auch Söder. Söder erinnert an den Anwalt der Roten Flora, der Gewalt OK fand, aber doch bitte nicht bei ihm im Viertel. Wir beschäftigen uns zu wenig mit internationaler linker Gewalt.

Um die EZB ging es wenigen – vielleicht nur den Griechen und Italienern
Blockupy 18. März 2015 – ein schwarzer Tag für die politische Kultur
Nachdem man nun knapp 30 Minuten etwas zerknirscht die Linke Gewalt betrachtet hat, kommt das Thüringer Neonazikonzert mit sechstausend Gästen und Hitlergruß als Einspieler. „Ich stand auf der Liste von Böhnhardt und Mundlos“, erklärt Ramelow. Was für eine Trumpfkarte! „Meine Frau muss sich heute auf der Straße dreimal umdrehen.“ Mit tausend Polizisten hätte man es aber hinbekommen. Die Bilder seien alle Straftatbestände mit Hitlergruß. Nun ist alles klar. Rechte, das sind die mit dem Hitlergruß und Linke sind die, die sich für die Ärmsten einsetzen, aber in Hamburg etwas über die Stränge geschlagen sind. Allerdings wissen wir spätestens seit diesem schamvoll versenkten „Netz-gegen-Rechts“ und einer Million anderer Bemühungen, wie es funktioniert, Kritik am Amoklauf der Roten Flora aus Vorpommern zu radikalisieren, während man linke Gruppierungen mit 100 Millionen Euro via Familienministerium querfinanziert.

Söder sagt was Lustiges: Grenzkontrollen wären sinnvoll, damit man die Gewaltströme rechtzeitig stoppen kann. Nein, er meint nicht die offenen Grenzen für Asylbewerber, er meint linksradikalen Demotourismus. Bodo Ramelow war Wochen zuvor in der Roten Flora. Da kam ihm alles sehr friedlich vor. Gab es Streuselkuchen? Oder bei dem schönen Wetter eine Eisbombe? Söder findet aber Hausbesetzungen seien quasi die Einstiegdroge für linksextremistische Gewalt. Als Fazit kann man sagen: Die Hitlergrüße auf diesem abstoßenden, aber ansonsten wohl weitestgehend friedlichen Nazikonzert werden bei Hayali der linken Gewalt in Hamburg gegenübergestellt. Wie dankbar muss die linke Rechtfertigungsmaschine gewesen sein, dass Nazis auf Konzerte gehen. Man hätte es ansonsten diskret fördern müssen, wenn es nicht von alleine passiert wäre.

Und schon ist das Thema beendet und man beschäftigt sich mit Obdachlosigkeit. Dunja Hayali war unter der Brücke bei einem der 330.000 ohne Wohnung. Thomas Schulz ist ein unsichtbarer Obdachloser. Keine Wohnung, aber noch jeden Morgen zur Arbeit. Er ist 56 Jahre alt. Er verdient jetzt in der Großbäckerei Steinecke 9,75 Euro die Stunde. Eigentlich ein gut gewähltes Einzelschicksal. Den Thomas S. ist näher dran an der heimeligen Bürgerlichkeit, als Leute, die mit Wodkaflasche unter Brücken schlafen. Das macht dem Michel Angst. Die Schwelle zum Nichts scheint für Millionen Deutsche näher gerückt als noch vor zehn Jahren. Im Obdachlosenheim gibt es pro Tag zehn bis zwanzig Abweisungen. Die Abgewiesenen müssen dann auf der Straße schlafen.

Hamburger Menetekel
„Rechts ist die Hölle – links ist der Himmel – in der Mitte ist nichts“
Die Leiterin der Notunterkunft Berlin im Gespräch. Ihre Unterkunft ist die zweitgrößte in Berlin mit 32 Plätzen. Nur 32? Man will es kaum glauben. Die Mittel fehlen, Ehrenamtliche müssen helfen. Es gibt nur zwei halbe Planstellen. Boris Palmer blieb übrigens im Unwetter stecken, also muss Ramelow bleiben („Herr Ramelow hat sich freundlicherweise bereit erklärt…“) und die linke Position halten, die Palmer längst ad Acta gelegt hat, während Katja Suding von der FDP wohl irgendwie die Gegenposition einnehmen soll. Aber wie soll das gehen? Da gegenzuhalten und etwas gegen Obdachlose zu sagen, wäre ein politischer Supergau. Also sind die Beiträge erwartbar. Man muss mehr tun, Sozialwohnungen bauen. Von einer Millionen neuer oder baldiger wohnungssuchender Asylbewerber und Asylanten allerdings spricht hier niemand. Dafür redet die Runde einem Wohnungsnotstand für Deutsche das Wort. Bei 330.000 Obdachlosen mag das stimmen, aber wer weiß es so genau? Wer hat den Überblick? Ramelow? Immer muss das Fallbeispiel herhalten, um das große Ganze zu erklären. Und wenn das nicht fruchtet, wird eine Studie beauftragt. Was nun aber von Studien zu halten ist, wissen wir hier genauer als andere. Wir haben bei TE eine Reihe dieser Studien genau angeschaut und eine eklatante Fehlerhaftigkeit entdeckt, die wenig Hoffnung auf Antworten gibt, aber oft genug aus dem selben Steuergeldertopf im Familienministerium finanziert wird.

Fazit hier also: Wir müssen mehr Wohnungen bauen. Ist das nun schon das neue Beschäftigungsprogramm für arbeitslose junge Asylbewerber? Man darf gespannt sein, wann sich ein prominenter Politiker diesen genialen Einfall zu Eigen macht. Das wäre dann auch ein schöner Grundstein für die Legenden von Morgen: In ein paar Jahrzehnten, wenn auch diese Milliardenschweren Integrationsbemühungen gescheitert sind und man sagen kann: Damals haben wir Euch die Wohnungen gebaut und heute werden wir so behandelt! Sie kennen das von der ersten Generation der Gastarbeiter, die man nachträglich zum Kraftwerk des deutschen Wirtschaftswunders machen will.

Thema drei ist frei von sozialen Verwerfungen. Es geht um prominente Youtuber. Den so genannten Social Influencern, die von großen Unternehmen heiß umworben werden. Offensichtlich ein neuer Geschäftszweig: Videos bloggen für Millionen Fans. Ulla Kock am Brink trifft für Hayali einen der Protagonisten, einen „Artist“. Was für eine Themenzusammenstellung, denkt man in diesem Moment. Von der Relativierung linker Gewalt über Obdachlosigkeit hin zu einem Internetphänomen von offensichtlich unbedarften Jugendlichen. Ulla K.a.B. findet das alles nicht besonders authentisch. „Verlogener Mist“, sagt Ulla. Und der Zuschauer mag sich fragen, warum ausgerechnet eine ausgemusterte Showmasterin nun Kompetenz haben sollte, die Kultur von 12-jährigen zu beurteilen. Aber nun fehlt nicht nur Boris Palmer, sondern auch der wirkliche Experte, der ebenfalls im Unwetter verschollen ist. Ulla K.a.B möchte auch Youtube machen, aber ohne Merchandising und für Frauen über 50. Wie schön, dass die Sendung nun vorbei ist. Was für ein merkwürdiger Mixed-Pickles-Talk.