Tichys Einblick
„Duell der Meinungsmacher" bei Servus TV

Das Lockdown- und Impf-Desaster: Von fünf Journalisten hält nur eine zur Obrigkeit

Bei "Links.Rechts.Mitte" saßen sich nicht zwei gegen zwei gegenüber, sondern vier gegen eine. Und die eine, war die Unterstützern der Regierenden. Eine in deutschen Talk-Sendungen seltene Konstellation.

Screenprint Servus TV / Links.Rechts.Mitte

Der österreichische Privatsender Servus TV ist in Deutschland in erster Linie mit seinem Talk im Hangar-7 und dessen Moderator Michael Fleischhacker am Donnerstagabend bekannt. Sein weiteres Talkformat am Sonntagabend ist seit Mitte Februar
„Links. Rechts. Mitte – Duell der Meinungsmacher”. Das beschreibt der Sender so:

Als „jeweils zwei Publizisten verschiedener politischer Richtungen” hatte Moderator Christoph Kotanko (früher Chefredakteur der Tageszeitung Kurier) für die eine Richtung zwei Frauen zu Gast: Isabelle Daniel, stv. Chefredakteurin von Österreich und Miriam Hollstein, Chefreporterin Politik der Funke-Zentralredaktion in Berlin. Als die andere Richtung waren eingeladen: Christian Nusser, Chefredakteur der Tageszeitung Heute und Roland Tichy.

Nein, ich schreibe keine Besprechung der Sendung, die in gewohnt österreichisch gepflegter Atmosphäre verlief, wie das auch regelmäßig beim Talk im Hangar-7 der Fall ist, was der dort in der Sache oft sehr kontroversen Debatte keinen Abbruch tut. Aber Links.Rechts.Mitte hat ja auch erst angefangen.

Gegen eine Impfpass-Pflicht waren alle fünf Journalisten. Das entspricht den treuherzigen Versprechen der Herrschenden in Deutschland und Österreich. Den historischen Satz, der sich aufdrängt, sprach keiner der Fünf aus: Niemand hat vor, eine Mauer zu bauen. Dass der Impfpass-Zwang aber durch die Hintertür kommt, klang bei allen an, sogar bei Frau Hollstein, der einzig Obrikeitstreuen in der Runde. Nusser wusste von Ländern, die jetzt schon mit Impfbescheinigung, und nur mit ihr, allen Reisenden offenstehen wie Gastronomie und Hotellerie dort auch.

Dass Roland Tichy das Versagen der Obrigkeit einen demokratischen Skandal nennt, überrascht keinen TE-Leser – und blieb bei Links.Rechts.Mitte unkommentiert. Auch seiner Beschreibung der Situation als großen Popanz widerspricht niemand. Da werde von Impfverweigerern gefaselt, während die vielen Impfwilligen an keine Impfung kommen können. Frau Hollstein sagt: „Ich glaube man muss die Menschen ermutigen, sich impfen zu lassen, anstatt sie zu zwingen.” Ablenkungsmanöver, aber die meisten Medien und Journalisten machen mit. Tichy: Könnten sich alle impfen lassen, die wollen, hätten wir die berühmte Herdenimmunität schnell erreicht.

Tichy zählt auf, was alles als Diskriminierung verboten ist – von der Abweisung von unerwünschten Mietern angefangen. Die anderen scheinen die direkte oder indirekte Imfpflicht hinnehmen zu wollen.

Frau Hollstein weicht allem aus, was peinlicherweise nicht zu ihrem ungetrübten Merkel-Heiligenbild passt. Dass die EU den Impfstoffeinkauf übernommen habe, sei richtig. Es hätte der „europäischen Idee” schwer geschadet, wenn Deutschland, Frankreich und andere sich selbst mit Impfstoffen versorgt hätten. Kaum hat sie das gesagt, beklagt sie, dass sich die EU dieser Aufgabe nicht gewachsen zeigte.

Es ist also wichtiger, dass der „Richtige” das Falsche tut als die „Falschen” das Richtige? Tichys Hinweis auf den unsäglichen Spruch von Schäuble zu vermeidbaren Coronatoten will Hollstein – mimisch klar sichtbar – nicht hören: Den Preis muss man zahlen, wenn man Europa stärken will.

Die Vorstellung, dass alles schon dadurch besser werde, wenn es die EU macht, sitzt tief, offensichtlich denkt darüber niemand nach. Kein Wunder, ist es doch nur die Fortsetzung des Klischees von der Überlegenheit des großen Nationalstaates über die „Kleinstaaterei“: die EU als noch größerer Nationalstaat. Von der Überlegenheit dezentraler Lösungen haben so ziemlich alle noch nichts gehört.

In dieser Zeit reden und schreiben nicht wenige davon, was Corona „uns” lehren könnte. An Dezentralität denkt da kaum jemand. Dabei ist diese Idee gerade im digitalen Zeitalter so naheliegend wie nichts sonst.

Die Lockdown-Gläubigkeit bröckelt, auch wenn Frau Hollstein noch von Umfragen spricht, die große Zustimmung für Merkel ergäben. Sie hätte bei der Merkel-Getreuen Anne Will reinschauen können, die davon sprach „dass die Zustimmungswerte für Angela Merkel und ihre Corona-Maßnahmen regelrecht abstürzen”. Hollstein könnte auch aufgefallen sein, was Bild und Welt seit längerem zu Merkel schreiben.

Christian Nusser sagt nüchtern, niemand kann ein Jahr lang Angst haben. Selbst Frau Hollstein meint, ein harter Lockdown ginge nur kurze Zeit. Eine Sicht, die alle teilen.

Isabelle Daniel macht den selbstkritisch nachdenklichen Punkt, der eine eigene Sendung wert wäre: Medien und Journalisten ließen sich viel zu sehr von der Hektik im Internet jagen. Recherchieren und Hintergrund wäre oft die angemessene Reakton. Dem „Virologen-Quartett”, in dem vier Politiker auftreten, würde sie in der Reihenfolge unterschiedliche Expertenmeinungen, Diskussion darüber und dann politische Entscheidungen vorziehen. Und beim Geld für Impfstoff hätte die EU nicht sparen dürfen, spätestens angesichts der täglichen Riesensummen, die der Lockdown kostet.

Eine persönliche Beobachtung zum Schluss: Die Politik- und Medienlandschaft in Österreich und Deutschland ist nicht radikal anders, aber die Unterschiede sind qualitativ nennenswert mit Blick in die Zukunft, vor allem die nach dem Lockdown. Bei Links.Rechts.Mitte saßen zwar zwei Richtungen, aber nicht sich gegenüber und nicht zwei gegen zwei, sondern vier gegen eine.

Frau Hollstein repräsentiert den Zeitgeist-Journalisten, der sich nicht wie früher als geborene Kontrolle der Politik, in erster Linie der dort Herrschenden versteht, sondern als Stimme derselben, als Teil der Classe Politique. Die anderen Vier vertreten ihre von einander verschiedenen Meinungen, die aber eines gemeinsam haben, sie bilden ihre Meinungen selbst und nicht entlang der Leitplanken der Obrigkeit.

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