Tichys Einblick
Wendehals in freier Wildbahn

Söder inszeniert sich als Corona-Liberaler – und wird von Illner gegrillt

Markus Söder übertrifft sich bei Illner selbst: Er ist plötzlich Corona-Liberaler und inszeniert sich so, als wäre er das schon immer gewesen. Doch Illner geht gnadenlos gegen den Abweichler vor. Eine Blamage.

Screenshot ZDF: Maybrit Illner

Wir wollen mit einem dringenden Aufruf beginnen: Haben Sie Markus Söder gesehen? Der bayerische Ministerpräsident ist seit gestern spurlos verschwunden. Das mag manchen gar nicht aufgefallen sein: Immerhin saß er gestern Abend scheinbar noch live bei Maybrit Illner im Studio. Doch hierbei kann es sich nicht um den echten Markus Söder gehandelt haben.

Wer war der Mann, der vor dem Hintergrund des Schlosses Neuschwanstein an diesem Abend ins Studio zugeschaltet war? Jedenfalls nicht König Markus. Das erkennt der geschulte Beobachter an fast allem, was der Mann am Abend sagt. Los geht es damit, dass er direkt zu Beginn der Sendung „keine Hysterie“ fordert. Das soll derjenige sein, der einst fragwürdige Corona-Todeszahlen mit dem Bildnis von abstürzenden Flugzeugen verbreitete? Wohl kaum.

Als Illner diesen Mann darauf anspricht, dass ein Gericht die 2G-Regel in Bayern gekippt habe, sagt der, dass das in Niedersachsen auch passiert sei – daran habe der Bund schuld, der die Regelung erarbeitet habe. Und: „Wir waren da von Anfang an skeptisch.“ Donnerwetter – davon hören viele wohl gerade zum ersten Mal. Haben Sie das gehört? Markus Söder war „von Anfang an skeptisch“, was 2G angeht. Man müsse jetzt Rücksicht auf die Menschen nehmen, fährt er fort. „Viele Menschen im bürgerlichen Lager sind einfach verunsichert.“ Man dürfe nicht ideologisch diskutieren, wer „der Freiere“ und „der Strengere“ sei, sagt ausgerechnet Lockdown-Paladin und „Team Vorsicht“-CEO. Wie ausgewechselt, der Mann.

Vielleicht ist das ZDF von Querdenkern unterlaufen, die den Ministerpräsidenten heimlich durch einen gesteuerten Klon ausgetauscht haben – wir wissen es nicht. Dazu passen würde aber auch die Anmoderation von Maybrit Illner. „Omikron kann einfach jeden treffen“, stellt diese zu Beginn der Sendung fest. Vielleicht könnte es „bei aller Sorge“ auch „Grund zur Hoffnung“ geben.

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Spaß beiseite: Die Omikron-Realität scheint auch bei denen durchzusickern, die sonst eisern die Coronalinie halten. Das zeigen Einspieler: Selbst im 85 Prozent durchgeimpften Bremen breitet sich Omikron spielend leicht aus. Christian Drosten fordert, die Tür für das Virus „zu öffnen“.

Doch die optimistischen Töne werden direkt relativiert. Als erster aus der Runde kommt Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie an der München Klinik Schwabing, zu Wort. Man wisse bisher noch zu wenig über Omikron. Die Krankheitsschwere wird als leichter eingeschätzt, dennoch sei die Variante sehr viel infektiöser. „Es ist nicht auszuschließen, dass wir nach Omikron weitere Varianten haben.“ Er „mahne deswegen zur Vorsicht“. Sein Kollege Jonas Schmidt-Chanasit sieht das anders: Laut dem Virologen aus Hamburg befänden wir uns in der „Endphase der Pandemie“. Nach der aktuellen Welle müsse man Bilanz ziehen, dann könne man sehen, ob man in die endemische Phase kommt, meint er.

Franziska Giffey meint derweil, dass die Coronapolitik an die neue Situation angepasst werden müsse. Konzentration von Kontaktnachverfolgung auf die Punkte, wo es wichtig ist, und Schutz der kritischen Infrastruktur. Auch sie gibt scheinbar den Kurs vor: vorsichtig weg von Übervorsicht und Generalmaßnahmen.

Dann wendet sich Illner dem vorletzten Gast zu – Markus Söder (angeblich). Sie will ihre erste Frage vorbereiten, meint sie: Und stellt dann einen Zusammenschnitt vor, in dem die opportunistischen Kurswechsel Söders brillant aneinander gereiht und vorgeführt werden. „Markus Söder ist Frontmann im ‚Team Vorsicht‘ – dann wechselt er die Seite.“ Und das immer und immer wieder. „Sie sind schon ganz schön hin- und hergesprungen in der letzten Zeit, oder?“ fragt Illner den Ministerpräsidenten ganz schön süffisant. Der guckt alles andere als begeistert in die Kamera und schweigt einen Moment. „Schön, dass Sie sich so viel Mühe geben, vermeintliche Widersprüche aufzuzeigen“, giftet er zurück. Er folge dem Rat der Experten, meint er. Auf Omikron könne man „nicht nur“ mit Einsperren reagieren.

Daraufhin holt sie die „Spiegel“-Meinungschefin und Söder-Biographin Anna Clauß in die Runde. „Markus Söder will ja immer an der Spitze der Bewegung marschieren“, meint sie. Er wolle jetzt „schnell den Notausgang“ suchen: „Ich hab mich ja schon gewundert, als ich ausgerechnet das Wort ‚Augenmaß‘ aus Herrn Söders Mund gehört habe“ – eigentlich kenne sie das von Armin Laschet, stichelt sie. Mit der neuen Virusmutation „mutiere“ auch „die Strategie von einem wie Markus Söder, der ohnehin als ein politisches Chamäleon bekannt ist“. „Immer der Erste sein zu wollen – das mag ein Motiv sein“, stellt Illner dazu fest – „Angesichts der jüngsten Umfragen der Bayern“. Illner und Clauß grillen Söder im Tandem – sie sprechen über ihn, als wäre er gar nicht da.

„Frau Clauß hat jetzt, wie so oft, eine reine politische Betrachtung von der Seitenlinie gemacht“, reagiert der kühl, als Illner ihm wieder das Wort erteilt. „Niemand hat die Weisheit gepachtet“, heißt es dann plötzlich von dem Mann, der Söder sein soll. „Wir müssen angemessen reagieren“ – „Wir können nicht auf Verdacht zusperren.“ Man solle nicht ideologisch „oder gar persönlich motiviert“ handeln. Der Mann hat Glück, dass es keine Zuschauer im Studio gibt – sonst hätte man wahrscheinlich Gelächter gehört.

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Franziska Giffey und Illner kommen anschließend ins Gespräch. Illner fragt, fast ungläubig, ob man jetzt aufgrund der Lage nicht sogar „pragmatisch“ sein müsse. Und Giffey räumt Pragmatismus ein: Bei dieser großen Fallzahl könnten nicht mehr alle Kontakte nachverfolgt werden können. Sei das „gefährlich“ und „fatalistisch“ oder „genau der richtige Weg“ und „verantwortbar“, fragt Illner den Virologen Schmidt-Canasit. Es sei genau richtig, was Berlin mache, meint dieser. „Effektiv wäre es natürlich, wenn wir uns alle zuhause einsperren – aber das macht eben diese massiven Schäden, die wir eben nicht mehr verkraften können.“

Sei das „mit dem Virus leben?“, fragt Illner. Schmidt-Canasit relativiert: „Dieser Satz von Henrik Streeck wurde von Anfang an falsch verstanden.“ Mit dem Satz wollte dieser nur einen pragmatischen Umgang erreichen, meint er. Dass Streeck für diese Haltung damals angefeindet wurde, die jetzt durchsickert, stellt er trotzdem fest. Von dem Team-Gerede in der Pandemie halte er nichts – für ihn gäbe es nur „Team Deutschland“. Da lacht Franziska Giffey, während sie eigentlich zustimmen will.

Journalistin Clauß stellt fest, dass Politiker „für viele Bürger der Sündenbock“ seien. „Und es stimmt ja auch – dieser Deal, den wir eigentlich alle abgeschlossen haben, lautete doch: Lässt du dich impfen, bekommst du dein normales Leben zurück. Und jetzt merken wir alle: Wir haben nicht unser normales Leben zurückbekommen.“ Die Impfung schütze doch, reagiert Bürgermeisterin Giffey. „Man ist trotzdem nicht zu 100 Prozent geschützt“, hält Clauß dagegen. „Ein Kollege von mir ist geboostert und lag jetzt richtig fies flach“ mit Corona, meint sie. „Natürlich gibt es da großen Frust und großes Unverständnis.“ „Wir haben doch mit Impfung und Maßnahmen Tausende Leben gerettet“, sagt Giffey daraufhin. „Das muss man doch auch mal sehen!“

Plötzlich stellt die Runde fest, dass in Deutschland Testknappheit herrscht – während andere Länder um uns herum ohne Probleme testen würden. In einem hochindustrialisierten Land dürfe die „Ressource PCR-Test“ eigentlich nicht knapp werden, meint Infektologe Wendtner. „Eh wir das klären“, will Illner über etwas sprechen, was ihr anscheinend Sorgen bereitet: „Rote Warn-App leuchtet eigentlich ständig“, meint sie. „Woher weiß man dann, wem man mit oder ohne Maske begegnet ist?“ Planlos geht der Alarm los: An das Konzept Pragmatismus können sich einige doch noch nicht so recht gewöhnen.

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Hoffentlich kommt nächste Woche Karl Lauterbach, um wieder einen behüteten Kurs vorzugeben. Apropos Lauterbach: Um den geht es anschließend auch. Ein „Aufreger dieser Tage“ sei das, was übers vergangene Wochenende im Gesundheitsministerium vorgegangen sei: Plötzlich und ohne Ankündigung wurde der Genesenenstatus durch die nun allein zuständigen Behörden, in diesem Fall das RKI, empfindlich verkürzt und bestimmte Impfstatuse für ungenügend erklärt. Brisant: Söder und Giffey erklären beide, dass dieser Schritt sie „überrascht“ habe. Lauterbach hatte noch Stunden vor der heimlichen Änderung vor dem Bundesrat beteuert, dass die Länder über einen solchen Schritt informiert werden würden. Damit dürfte der Gesundheitsminister in diesem Fall endgültig der Lüge überführt worden sein.

Wirklich schockiert ist jedoch niemand – es wäre auch kaum glaubwürdig, wenn beispielsweise ausgerechnet ein Söder plötzlich den ausufernden Maßnahmenstaat kritisieren würde. Der nennt das deswegen auch nur „ein wenig unglücklich und wenig nachvollziehbar“. Schmidt-Canasit kritisiert vorsichtig: „Es hätte kommunikativ besser gelöst werden können“ – der Beschluss sei „sehr schnell“ gefasst worden. Infektologe Wendtner meint, er könne dem RKI-Beschluss in der Sache folgen: Er fuße darauf, dass ein „Delta-Infizierter“ drei Monate nach der Infektion sich mit der Omikron-Variante anstecken könne.

Bevor die bemerkenswerte Sendung vorbei ist, kommt noch der Impfpflicht-Apell: Die Runde soll sagen, wo sie steht. Giffey, Wendtner und Söder geben sich linientreu: „Dass wir sie brauchen, steht glaube ich außer Frage“, meint Letzterer. Damit ist die Sendung beendet. Doch letztens war Markus Söder doch erst wieder von seiner Position, dass er für die Impfpflicht ist, abgewichen und meldete Zweifel an. Damit beweist er den Wendehals-Vorwurf noch einmal eindrücklich. Vielleicht ist es doch der echte Söder …

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