Tichys Einblick
Nicht einsatzbereit

Bei Illner: Muss Europa sich selbst verteidigen?

Trumps elefantöses Auftreten beim NATO-Gipfel ist das eine. Dass die Europäer nur reden, aber nie liefern, ist das andere.

Screenprint: ZDF/maybri illner

Es ist wirklich Zeit, dass die Will-, Illner-, Maischberger-, Plasberg- und sonstigen Talkrunden in die mehr bzw. eher weniger verdiente Sommerpause starten. Die brisanten Themen liegen zwar auf der Straße, aber irgendwie haben sich diese Quasselrunden mit ihren zweibeinigen Wanderpokalen erschöpft. Bei Illner war es soeben nicht anders, als sie sich für sechs Wochen bis Ende August in den Urlaub verabschiedete. Eigentlich bestens platziert zwischen NATO-Gipfel in Brüssel und Trump-Putin-Gipfeltreffen in Helsinki surfte die von Illner dazu einbestellte Fünferrunde schön an der Oberfläche dahin. Da halfen auch der Moderatorin gespielte Provokationen wenig, etwa die Behauptung, Trump gebe mit seiner 2-Prozent-Politik den „Schuldeneintreiber“ sowie den „Schutzgelderpresser“, außerdem betreibe der US-Präsident eine Politik der „Abrissbirne“.

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Ursula von der Leyen, Bundesministerin der Verteidigung, versuchte sich trotz solcher suggestiver Steilvorlagen diplomatisch aus der Affäre zu ziehen. Das jüngste NATO-Gipfeltreffen sei eine „Sternstunde der NATO“ gewesen, meinte sie, weil man sich nicht von Trumps Twitterei und auch nicht von seiner Drohung, ein „eigenes Ding zu machen“, habe einschüchtern lassen. Sie fand es gut, dass man mit Trump habe „von Angesicht zu Angesicht“ reden können. Trumps polternde Erinnerung an das 2014 (der US-Präsident hieß noch Obama) unter dem Eindruck der russischen Einfälle auf die Krim und in die Ukraine geltende und bis 2024 einzulösende Ziel, dass die NATO-Staaten 2,0 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung ausgeben sollen, scheint Deutschlands Verteidigungsministerin ansonsten durchaus zu gefallen. Zumal der Bundesetat derzeit nur 1,24 Prozent BIP-Anteil für Verteidigung vorsieht und die GroKo bis 2021 gerade eben 1,5 Prozent ins Visier genommen hat, während es in den USA 3,5 Prozent sind. Wie würde sie in die Annalen deutscher Verteidigungsminister eingehen, wenn von der Leyen plötzlich fast eine Verdoppelung ihres Etats einheimsen könnte! Aber gemach! Ob die zwei Prozent wirklich für Militärisches ausgegeben würden, steht auf einem anderen Blatt, denn von der Leyen will einen Dreiklang von „Verteidigung – Entwicklungshilfe – Diplomatie“. Grundsätzlich aber bewegte sich von der Leyen auf der Ebene, die die graue CDU-Eminenz soeben vorgegeben hatte: Wolfgang Schäuble. Dieser hatte – viel deutlicher als Merkel – Verständnis für die Position von Trump geäußert. „Der US-Präsident hat eine andere Form von Kommunikation, die ist mir fremd, und sie gefällt mir auch nicht. Doch in der Frage der militärischen Verteilungslasten hat er nicht ganz unrecht“, sagte er. Und: „Ich bin kein großer Fan von Trump, aber diese kritische Position kann ich verstehen.“

Oskar Lafontaine gab in dieser ZDF-Runde – wie immer – den Welterklärer, Putinversteher und Moralisten. Statt zwei Prozent Anteil am Bruttoinlandsprodukt will der Ex-SPD-Vorsitzende nur 0,7 BIP-Prozente für militärische Zwecke haben, für die Entwicklungshilfe möchte er 2,0 Prozent. Überhaupt hält er die US-Politik für „krank, irre und terroristisch“; sie führe nur Rohstoffkriege, sei verantwortlich für das Entstehen des Islamischen Staates, und die NATO habe mit der Ostverschiebung um eintausend Kilometer russische Sicherheitsbedürfnisse tangiert. Zudem sei Deutschland immer noch nicht souverän. Willy Brandts Friedenspolitik habe im übrigen mehr erreicht als amerikanische Hochrüstung. Über die Lafontaine‘sche Gedächtnislücke, dass Gorbatschow „Glasnost“ und „Perestroika“ inszenieren musste, weil Ronald Reagan die Sowjetunion mit Rüstung in die Knie gezwungen hatte, schweigen wir einmal großzügig. Ebenso darüber, dass es kein Land der Welt gibt, das derzeit so massiv hochrüstet wie Putins Russland. Das hinderte Lafontaine nicht daran zu behaupten, dass die derzeit größte Gefahr von den USA ausgehe.

Zwei weitere Teilnehmer der Runde trugen zur Debatte kaum Wesentliches bei: weder die Friedens- und Konfliktforscherin Nicole Deitelhoff noch der ehemalige US-Generalleutnant Frederick Ben Hodges, der von 2014 bis 2017 Kommandeur des US-Heeres in Europa war. Deitelhoff urteilte, Trump habe in Brüssel eine krachende Niederlage erlitten, weil er die 2 Prozent nicht habe durchsetzen können. Der General, hier nicht ganz diplomatisch, meinte, man müsse Druck auf Russland ausüben.

Am eindeutigsten gab sich in der Runde Wolfgang Ischinger, von 2001 bis 2006 Botschafter in Washington und von 2006 bis 2008 in London. Seit 2008 leitet er die Münchener Sicherheitskonferenz. Er kam 17 Minuten zu spät in die Runde, weshalb er wohl nicht alles unterbringen konnte, was unterzubringen gewesen wäre. Jedenfalls unterstrich er die Notwendigkeit, am 2-Prozent-Ziel festzuhalten. Denn, so Ischinger, zu internationalen Einsätzen auch unter Beteiligung der Bundeswehr: „Wenn wir die Probleme nicht vor Ort lösen, kommen sie zu uns.“ Darüber hinaus brauche Deutschland zumindest bis zu einer nuklearen Abrüstung den nuklearen Schutz der USA; Europa sei eben nicht ohne militärische Dimension zu haben.

Auch außenpolitisch ist Zeitenwende
Westliche Allianz am Ende
Hätte man Ischinger mehr Redezeit gegeben, wäre vielleicht noch ein wenig mehr rübergekommen. Aber dann kamen die unvermeidlichen Einspieler der Illner-Regie. Schnell eine Schaltung nach Moskau und die Frage, was denn Putin zum NATO-Gipfel gesagt habe? Bislang nichts! Dann noch ein Tweet des irrlichternden Ex- und Kurzzeit-Außenministers Sigmar Gabriel. Er will von den USA Geld zurück, weil die USA mit ihren Militäreinsätzen im Nahen Osten ein Flüchtlingsproblem ausgelöst hätten, das Deutschland nun viel koste. Ja, so einfach ist es mit dem Anti-Amerikanismus, der im vulgärpazifistischen und postheroischen Deutschland immer gut ankommt.

Um 23.13 Uhr, zwei Minuten vor Ende der Sendung, gab es dann urplötzlich einen Lagebericht zum Zustande der Bundeswehr. Wir haben bei TE oft darüber berichtet. Siehe zum Beispiel https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/minister-fuer-abruestung-von-der-leyen/  oder https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/bundeswehr-und-europaeische-nato-partner-demnaechst-ziemlich-fluegellahm/ oder https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/gute-nacht-bundeswehr/

Ursula von der Leyen wird dankbar gewesen sein, dass all dies nicht mehr zur Sprache kommen konnte. Immerhin hat sich an der äußerst eingeschränkten Einsatzfähigkeit der Bundeswehr nichts geändert, im Gegenteil: Es ist alles immer noch schlimmer geworden. Die Verteidigungsministerin kommt denn an dieser Stelle nur noch ganz kurz zu Wort, um die Europäische Verteidigungs-Union (EVU) zu beschwören. Ja, das wäre das eigentliche Thema der Sendung gewesen, um das meilenweit herumgeredet wurde! Kein Wort zum NATO-Mitglied Türkei! Kein Wort zum EU-Wunschprojekt „Pesco“ (Permanent Structured Cooperation), an der 25 der 28 EU-Staaten teilnehmen wollen! Kein Wort zu den Folgen des Brexits für die Verteidigungspolitik der EU-Staaten nach dem Ausscheren der schlagkräftigsten Armee Europas!

Fazit: Die mehr oder weniger einmütige Empörung der Runde über Trumps elefantöses Auftreten beim NATO-Gipfel war das eine. Dass die Europäer aber wieder mal nur reden, reden, reden, jedoch nicht liefern, ist das andere. Ministerin von der Leyens Mantras sind hierfür symptomatisch: „Wir müssen …. Wir müssen … Wir müssen.“ Und: „Wir arbeiten an der Trendwende.“ Sagt eine, die seit 55 Monaten Verteidigungsministerin ist.