Tichys Einblick
Berliner Libyen-Konferenz

Bei Anne Will: Berlin – Der Mittelpunkt der Welt

Nach Klima, Migration und Energie löst Berlin nun auch den Libyenkonflikt. Aufschwung, wohin das Auge schaut: Deutschland jüngster Industriezweig – Schwerter zu Pflugscharen.

Screenprint: ARD/Anne Will

Heiko Maas platzte vor Stolz bei Anne Will, wie ein Partyveranstalter, der alle A-Promis aufzählt, die zu einem Event gekommen waren. Und in der Tat, das war eine Veranstaltung heute! Zwei Libyer – ein Ministerpräsident und ein Feldmarschall, die sich gegenseitig nicht anerkennen – wurden mit ihrer bis an die Zähne bewaffneten Entourage so weit wie möglich auseinander einquartiert. Wladimir Putin brachte seine vermummten Spezialsicherheitskräfte mit, Erdogan ließ sich von enthusiasmierten Anhängern die Hände küssen. Macron war da, Ägyptens Staatschef al-Sisi, sogar Ursula von der Leyen. Und 4.600 deutsche Polizisten regelten den Verkehr. Das Staatsfernsehen überschlug sich mit Lob für die Kanzlerin, die nun auch in Libyen Schwerter zu Pflugscharen werden lässt.

Vielleicht war es auch ein Trostpreis, dass sich Heiko direkt im Anschluss an die große Konferenz, bei deren Berichterstattung er neben so viel Prominenz etwas untergegangen war, bei Anne Will selbst feiern durfte. Immerhin hatte Maas sogar den passenden Namen für die Sause gefunden: „Der Berliner Prozess“ – und es ist wahrlich nicht abzustreiten, auch dieser Prozess hatte viel von Kafka.

Immer auf der falschen Seite
Jedenfalls wurde am Ende ein Papier unterzeichnet, das Angela Merkel so zusammenfasste: „Wir können feststellen, …öhm… dass… äh… alle einig sind.“ Jetzt wollen „alle das Waffenembargo für Libyen respektieren“, das sie 2011 schon einmal beschlossen hatten. Ehrlich. Sie wollen es auf jeden Fall. Wenn es sich ausgeht. Oder wie Heiko es stilsicher für kommende Schulbücher formulierte: „Heute haben wir den Schlüssel gefunden, der muss jetzt nur noch ins Schloss und umgedreht werden.“ Obwohl die Sache im Grunde bereits geritzt ist, müssen wir den Leser über die libysche Gemengelage informieren, damit er die Großartigkeit Maasscher Diplomatie auch angemessen würdigen kann.

In der Hauptstadt Tripolis, und nur dort, herrscht Libyens Premierminister Fayez Sarraj, der von der UN als solcher anerkannt wurde. Vielleicht, weil er von Beruf Architekt ist. Den Rest des Landes beherrscht im Wesentlichen Feldmarschall (so Heiko) Khalifa Haftar, der sich gerade anschickt, auch Tripolis zu übernehmen, was eigentlich kein großes Problem darstellen würde, wenn es nicht noch ein paar Mitspieler gäbe. Da ist zum einen Tayyip Erdogan, der Sarraj ein paar befreundete arabische Mordbanden zur Unterstützung rüberschickte und sogar reguläre türkische Truppen ankündigte. Vorsichtshalber ließ er Sarraj in seiner Mausfalle aber noch schnell weitreichende Gas- und Erdölkonzessionen für die Türkei unterschreiben. Politisch und finanziell greift Katar Sarraj unter die Arme.

Der Feldmarschall nennt wiederum Putin, Ägyptens al-Sisi, Jordanien und Saudi-Arabien seine Freunde. Angeblich sind 1.000 Russen im Land und Saudi Arabien schickt Sarraj laufend hunderte chinesische Drohnen auf den Hals. Nicht unwichtig ist zudem, dass Donald Trump kürzlich äußerte, der Feldmarschall spiele eine „bedeutende Rolle“.

Heiko Maas blamiert Deutschland
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Die EU spricht wie immer mit einer Stimme, auf die aber wie immer keiner hört. Die EU solle mit Soldaten das Waffenembargo kontrollieren, forderte der sogenannte Außenbeauftragte der EU Josep Borrell, den wohl kaum jemand außerhalb Spaniens kennt. Realiter unterstützt Italien aus kolonialer Verbundenheit und gegen Bohrlizenzen Sarraj, Frankreich den General Haftar. Dem Rest der EU dürfte Libyen herzlich egal sein. Außer natürlich Deutschland, dessen Friedenspolitik in seiner Kompromisslosigkeit weltweit gefürchtet ist.

Freiherr Christoph Marschall von Bieberstein, der unter anderem beim „Tagesspiegel“ bürgerliche Brötchen verdienen muss, ist bekannt als kalter Krieger und moniert hauptsächlich Putins Einsatz in Libyen. Und er gratuliert der Bundesregierung zu „ihrem Erfolg auf dem Papier“.

Auch der Politikwissenschaftler Wolfram Lacher von der Stiftung Wissenschaft und Politik wäre „deutlich vorsichtiger“ bei der Beurteilung der Berliner Ergebnisse. Warum sollten sich die ausländischen Kämpfer zurückziehen? Die Türken und Russen sind doch gerade erst rein, weil der Westen Platz gemacht hat. Die Emirate sind für eine Offensive aus Tripolis und haben grünes Licht aus Washington und Frankreich. Ja, aber die Milizen werden jetzt entwaffnet, glaubt allen Ernstes Heiko Maas, weil er das nämlich schriftlich hat. Vielleicht schaut er sich den Schriftsatz besser noch mal genauer an.

Sevim Dağdelen von der Linkspartei darf ihre zwei Thesen verbreiten. Nämlich, dass Sarraj Muslimbruder sei und von Muslimbrüdern unterstützt wird, und dass „die Ölkonzerne“ an allem schuld seien (Kapitalismus!). Was jedoch als Unsinn zurückgewiesen wurde. Unwidersprochen blieb hingegen ihre Einwurf, dass das Libyen-Desaster von Amis und NATO verursacht wurde, wie Hillary Clintons Emails belegten.

Merkels Niederlage
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Hanan Salah von Human Rights Watch ist eine tapfere junge Frau, die anders als Maas ohne Leibwächter überall hingeht, wo wirklich keiner hin will. Sie schildert die humanitären Zustände in Libyen, beschreibt, dass Islamisten auf beiden Seiten kämpfen und würde die ganzen Verbrecher und Menschenrechtsverletzer am liebsten im Gefängnis sehen. Besonders liegen ihr die Flüchtlingslager am Herzen, die von der libyschen Regierung, Schleppern und Milizen als Geschäftsmodell gesehen würden. Sodann beklagt sie, dass die EU-Mission „Sofia“ die libyschen Milizen ausbilde, die dann Flüchtlingsboote beschießen und die Aufgebrachten zurück in ihre Camps bringen.

Das nutzt Anne Will, um einen Film aus den Lagern einzuspielen, die offensichtlich gegen Geld Filmteams zulassen. Wer den zum überwältigenden Teil schwarzen Insassen weis gemacht hat, Libyen sei ein sicheres Transitland ins gelobte Europa, kam nicht zur Sprache.

Heiko Maas, der nach eigenem Bekenntnis wegen Ausschwitz in die Politik gegangen ist, hat die „Detention Center“ (Maas) höchstpersönlich besucht und sofort von Sarraj gefordert, die Center zu schließen, wobei er vielleicht nicht wusste, das Sarraj ja nur Tripolis kontrolliert. Aber, so Maas, „darüber werden wir reden müssen“, wenn in Libyen erst mal Ordnung eingekehrt ist. Wir müssen eben nur noch schnell aus Papier Realität machen.

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