Tichys Einblick
ARD-Dokumentation

Ein gäriger Haufen namens AfD

In einer ARD-Dokumentation berichten ehemalige Mitglieder über ihre Parteizugehörigkeit und ihren Austritt. Die Perspektiven schildern eine Partei im permanenten Wandlungsprozess. Möglicherweise hat die Partei die Chance verpasst, ihren moderaten Kern zu halten. Von Fabian Kramer.

Screenshot / YouTube
Als die AfD 2013 als Anti-Euro-Partei an den Start ging und von einer Professoren-Klientel ins Leben gerufen wurde, konnte niemand ihre heutige Rolle als gewichtiger politischer Player absehen. Mehr als zehn Jahre später steht die Partei in den Umfragen so gut da, wie noch nie in ihrer Geschichte. Wie keine Partei zuvor erlebte die AfD Brüche, Turbulenzen und einen stetigen Veränderungsprozess. Immer wieder gingen während dieser Zeit Menschen aus der AfD.

In der ARD-Dokumentation „Wir waren in der AfD – Aussteiger berichten“ kommen unterschiedliche ehemalige Mitglieder zu Wort und berichten über ihre Zeit. Auch wenn der von der ARD gewählte plakative Titel eine undifferenzierte Story vermuten lässt, kommt der Film einigermaßen sachlich daher. Große Stärke ist es, dass der Film reflektierten Personen eine Bühne gibt. Die Doku taugt somit nicht zum Antifa-Propagandawerk. Die Akteure schildern eine Partei, die sich in zunehmendem Maße von extremen Kräften dominieren lassen hat. In der heutigen AfD sehen sie ihre politischen Werte nicht mehr vertreten. Nach einem schmerzhaften Prozess sind alle aus der AfD ausgetreten.

Am Anfang stand der Wunsch nach Veränderung

Die AfD steht seit ihrer Gründungszeit wie keine andere deutsche Partei für den Wunsch der Menschen nach Veränderung. Schon das im Namen enthaltene „Alternative“ zeugt vom Drang der Partei zum Wandel in Deutschland. Auch für die ehemaligen Mitglieder der AfD stand als Anfangsmotivation der Wunsch, politisch etwas in die richtige Richtung bewegen zu können. Alexander Leschik konnte sich in seiner Jugendzeit nur schwer mit den linken Fantasien manch einer seiner Altersgenossen anfreunden. „Westdeutsche Jugendliche haben keine Ahnung vom Kommunismus“, erklärt er, als er von einer Erfahrung mit einem Juso-Stammtisches berichtet. Er hingegen wisse aufgrund seiner aus Polen kommenden Eltern, welche Armut der Kommunismus bedeuten würde, sagt Leschik. „Ich wollte dieses Land aufrechterhalten“, sagt er zu seinen Motivationsgründen für die AfD.

Er teilt damit eine ähnliche Sichtweise wie die anderen Personen des Films. Auch der italienischstämmige Marco Schild kann mit der Verachtung der Deutschen fürs eigene Vaterland als Jugendlicher nichts anfangen. „Ich habe Verachtung für diese Schwäche empfunden“, gibt er zu. Auch möchte er mit seinem Eintritt in die Alternative für Deutschland die deutsche Kultur im Land bewahren. Der ehemalige Parteivorsitzende der AfD, Jörg Meuthen, ist als Jugendlicher genauso politisch geprägt. Er provoziert seine linken Altersgenossen und seine Lehrer gerne damit, dass er in der Schule den Bayernkurier liest.

Der Eintritt in die AfD scheint für viele eine Art Provokation gegen einen vorherrschenden linken gesellschaftlichen Mainstream gewesen zu sein. Endlich gab es eine politische Kraft, die ein klares Bekenntnis zum Patriotismus abgab. Die Ostdeutsche Franziska Schreiber erwartet sich vom AfD-Beitritt ebenfalls einen positiven Wandel. Sie beschreibt die Anfangszeit als sehr positiv. Besonders das Kennenlernen der späteren Vorsitzenden Frauke Petry hinterließ einen bleibenden Eindruck. „Ich war begeistert von Frauke Petry“, berichtet sie vom ersten Kontakt mit dieser. Für alle Akteure ist die Anfangszeit der Partei eine schöne Erinnerung. Endlich sei man unter Gleichgesinnten gewesen. Doch im Laufe der Zeit dreht sich die Einstellung zur AfD. Immer mehr lassen negative Erlebnisse die schönen Eindrücke der Anfangszeit verblassen.

Innerparteiliche Konflikte

Die AfD steht wie keine zweite Partei dafür, dass es in ihr zu innerparteilichen Konflikten kommt. Alexander Gauland nannte sie deshalb mal scherzhaft einen „gärigen Haufen“. Die Personen im Film machen in ihrer Zeit in der AfD auch ihre Erfahrungen mit den anhaltenden innerparteilichen Konflikten. Das türkischstämmige Ex-Mitglied Andre Yorulmaz beschreibt es so: „Wir waren von Anfang an eine gemischte, unsortierte Gruppe von Unzufriedenen.“

Den ersten großen Knall in der AfD gab es 2015 auf dem Essener Parteitag. Frauke Petry drängte in einem spektakulären Machtkampf Parteigründer Bernd Lucke aus der AfD. Den Sieg erreichte Petry dadurch, dass sie den radikaleren Teil im Osten mobilisierte und zum Partner machte. Andre Yorulmaz berichtet im Film von organisierten Bussen aus dem Osten, die von Petry zum Parteitag gekarrt wurden. Petry-Vertraute Schreiber sieht es so: “Bernd Lucke wollte die Partei alleine beherrschen.” Petry habe dies verhindert und damit dem Wunsch vieler Mitglieder entsprochen, die Lucke für zu dominant hielten. An diesem für die Partei so schicksalhaften Tag endete die biedere Professoren-Partei und ein neuer radikalerer Sound zog ein. Jörg Meuthen schildert seine Eindrücke vom Parteitag folgendermaßen: „Mir fiel das erste Mal Pöbel in den Reihen der AfD auf.“ Trotzdem entschied sich der Professor dazu, Vorsitzender der AfD zu werden.

Er und Frauke Petry waren nach Essen mit einem neuen starken Mann in der AfD konfrontiert: Björn Höcke. Petry und Meuthen arrangieren sich zunächst mit Höcke und seinen Leuten. So zumindest die Darstellung der Dokumentation. Markus Pretzell, Ehemann von Petry, wirft der Dokumentation dabei Recherchefehler vor. Wie er auf Twitter erklärte: „Meine Frau hat Björn Höcke nicht für den Bundesvorstand vorgeschlagen. Das Gegenteil ist richtig. Ihm war vorher sehr deutlich gesagt worden, dass eine Kandidatur mit allen Mitteln bekämpft werden würde.“ Ein Bündnis, so Pretzell, habe nie bestanden. Auch eine Kooperation zwischen Petry und Höcke streitet er ab. Am Ende ihrer Zeit in der AfD scheitern sowohl Petry als auch Meuten an Höcke.

Der persönliche Bruch mit der „Höcke-AfD“

Auch nach dem Essener Parteitag geht es personaltechnisch turbulent weiter in der AfD. Frauke Petry wirft nach der Bundestagswahl ihr Handtuch als Parteichefin. Sie beklagt eine zunehmende Radikalisierung innerhalb der AfD. Der moderate Flügel in der AfD verliert in der Folge zusehends an Einfluss. Alexander Leschik sieht das Ende seiner Mitgliedschaft gekommen. „Der moderate Flügel hatte verloren“, äußert er dazu. Aus seiner Sicht haben Höcke und sein Flügel Schuld an der Entwicklung. „Höcke und der Flügel haben die Partei nach rechts gerückt“, erklärt er. Damit konnte er sich nicht mehr weiter anfreunden und verließ die Partei.

Für Jörg Meuthen spielt Höcke ebenfalls die zentrale Rolle für seinen Austritt. Allerdings konnte er sich zunächst mit Höcke arrangieren. „Höcke war im persönlichen Umgang sehr sympathisch“, schildert Meuthen ein Treffen mit dem Thüringer AfD-Chef. Gegen Ende seiner Zeit in der AfD bereut er es hingegen, dass er Höcke in der Partei gelassen hat. „Das letzte halbe Jahr war ich unter Qualen Chef“, meint Meuthen zu seiner Restzeit in der AfD. Für Franziska Schreiber werden am Ende auch die radikaleren Aussagen von Höcke zu viel. Sie verlässt die Partei, nachdem Höcke in ihrem sächsischen Landesverband seine umstrittene Dresdner Rede hält, auf der er eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad fordert. Doch auch hier unterstellt Pretzell der Dokumentation schlampige Recherche: „Dass sie selbst zunächst sehr flügelnah agierte, hat sie offenbar auch zwischenzeitlich vergessen.“ Wie man es dreht und wendet, die Personalie Björn Höcke hat die AfD viele moderate Mitglieder gekostet und ihr inhaltliches Profil verändert.

Als Fazit lässt sich sagen, dass die Doku sehenswert ist, weil sie ein breites Spektrum an Perspektiven ehemaliger Mitglieder aufbietet und diese differenziert ihre Zeit in der AfD Revue passieren lässt. Sie bietet ein Bild des Wandlungsprozesses in einer Partei, sie ermöglicht es dem Zuseher, einen Einblick in die bewegte Geschichte der Partei anhand der persönlichen Schicksale zu nehmen. Zu kritisieren ist, dass kein aktueller hochrangiger AfD-Funktionär in dem Film zu den geäußerten Eindrücken und Sichtweisen befragt wird. Die Partei wird ausschließlich in der Retrospektive gezeigt und kann sich nicht zu ihrer heutigen Lage positionieren und erklären.

Die Protagonisten der Dokumentation, die namensgebenden Aussteiger – sie bieten ein schönes Narrativ, unter dem aber schnell die realen Geschehnisse vergessen werden. Die Vertrauenswürdigkeit von ARD-Recherchen in Bezug auf die AfD ist vom politisch getriebenen Wunschergebnis eingetrübt. Alles in allem ist sicher, dass die Zukunft der Partei weiterhin ein turbulenter Wandlungsprozess bleibt. Der gärige Haufen wird weiterhin für viel Gesprächsstoff sorgen.

 

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