Tichys Einblick
Achtung Glosse!

Die Graichens: Von „Qualitätsmedien” erfahren Sie es erst viel später

Die Bemühungen TEs, den tadellosen Ruf des ehrbaren Klimaschützers und Menschenfreundes Patrick Graichen auf den wahren Kern zurückzuführen, trägt nach Monaten Früchte. Plötzlich sind Filz und Korruption im Wirtschaftsministerium ein Thema. Frühere Verschwörungstheorien sind jetzt Common Sense.

IMAGO / Jürgen Heinrich

„Qualitätsmedien” haben schon lange gewarnt. Nun ist er da, der Rechtsruck. Nicht nur politisch, sondern auch medial. Honorige politische Vertreter, die uns alle vor der „Klimakatastrophe” schützen wollen, stehen nun im Zwielicht. „Klimaschutz” als Bereicherung, als Geschäft für Friends&Family.

Dabei hatte Robert Habeck doch nur ein Herz für Familien gezeigt. Genauer gesagt: für eine Familie. TE-Leser wissen sehr genau, wer gemeint ist. Spiegel-Leser wissen bekanntlich weniger. Ihnen wurde erst am 22. April eröffnet, dass es doch tatsächlich familiäre Verbindungen im Bundesministerium für Wirtschaft und Klima gibt. Und dass ausgerechnet Robert Habecks Mentor und Ex-Agora-Direktor Patrick Graichen dabei mittendrin steckt. Das Wirtschaftsministerium als Versorgungseinrichtung für eine Familie; also immer zuerst für sich selbst wirtschaften.

Diese Bomben-Meldung haben dann Bild und Focus übernommen. Vetternwirtschaft und Filz beim grünen Robert? Man bleibt fassungslos zurück. Was kommt als nächstes? Zitronenfalter ohne Zitronengeschmack? Die FDP eine Umfallerpartei? Hitler ein Antisemit?

Gut, der letzte Gag ist von der Titanic geklaut. Aber so ist das bei ehrlichem Journalisten: Ehre, wem Ehre gebührt. Das haben wir damals, im Januar 2022, als wir zuerst die Story von der gemeinsam wirtschaftenden Graichen-Verwandtschaft brachten (online und im Heft), auch getan. Dass es neben Patrick Graichen, Verena Graichen und Michael Kellner auch noch einen Jakob Graichen gab, war neu. Deshalb gab es auch eine Erwähnung der taz, die das so dargestellt hat. Bei einer großen Familie übersieht man schnell ein Mitglied, bitte das nicht als Abwertung zu verstehen.

Erwähnungen anderer Medien sind nicht nur eine Ehrensache. Jedes „laut taz“ ist auch ein „wenn die Bockmist erzählen, hier, die waren es“. Die taz hat offenbar Recht behalten, dass Jakob Graichen das vierte Mitglied des Graichen-Kellner-Clans ist, jedenfalls hat sie diese Äußerung nie zurücknehmen müssen. Dass die verwandtschaftlichen Beziehungen im BMWK nur ein kleiner Ausschnitt der ganzen Geschichte ist, bleibt dagegen bis heute verborgen. Denn wer viel Family hat, hat auch viele Friends.

Nun ja, fast: nachdem hier bei TE neuerlich der Klüngel und die historischen Verstrickungen sowie die Finanzierung von ClimateWorks Foundation und European Climate Foundation schon Anfang 2022 ausgebreitet wurden, hatte die Welt nur wenig später einen ähnlichen Themenschwerpunkt. Auch das, mit Sicherheit, reiner Zufall. Aber wenigstens tut dort jetzt keiner so, als handele es sich um eine TOP-Meldung.

Es ist ein Stück weit wie bei Corona und der Berlin-Wahl. Vermeintliche Verschwörungsbehauptungen oder Vorwürfe gegen die Regierung entpuppen sich nach Monaten als wahr. Zuerst sind es feindliche Desinformationskampagnen oder rechtspopulistische Propaganda. Wochen später ist es Common Sense. Bei solchen Wenden ist nicht nur der größte Gesundheitsminister aller Zeiten leuchtendes Vorbild, sondern eine ganze Reihe von Medien. Jetzt steht plötzlich Patrick Graichen im Zentrum, der bei uns seit seiner Berufung ins BMWK Dauergast ist. Wie bei der Berlin-Wahl: steter Tropfen höhlt den Stein.

Man sollte sich nicht selbst loben. Aber olle Kamellen muss man als das benennen, was sie sind: olle Kamellen. Etablierte Journalisten werden im Brustton der Überzeugung von sich abstreiten, TE zu lesen. TE ist so ein bisschen wie das einstige Seite-1-Girl von der Bild. Alle schauen drauf, aber niemand gibt es zu.

Es könnte allerdings auch noch ein anderes Motiv geben. Denn während man abstreitet, auf die Eva der deutschen Redaktionsstuben zu blicken, sieht das bei der taz anders aus. Die großen Medienhäuser dürften also die Posse um die schrecklich nette Familie schon früher gekannt haben. Womöglich wärmen sie diese jetzt auf, nachdem die Heizungssache mit Habeck nicht so rund läuft und man versucht, die Schuldigen für die baldige Enteignung zu finden. TE soll es recht sein: Desinformationsauftrag erfüllt, Kampagne geht weiter. Mal ganz rechtspopulistisch formuliert.

Bedauerlich bleibt einzig das Tempo des nachrückenden, trägen Massenstroms. Mit der Geschwindigkeit, mit der sich die Kenntnisse über altbekannte Verbindungen ausweiten, dürfte dann in etwa einem Jahr ein Auge auf die Netzwerke der Agora und ihrer Mit-Agoras fallen. Vielleicht ein Artikel über den Rückbau der Gasnetzwerke, den die Agora schon lange plante; oder das angekündigte Verbrenner-Aus durch den damaligen Staatssekretär Flasbarth im Jahr 2016; oder über die Staatssekretäre, die im Rat der Agora saßen.

Zu dem Zeitpunkt dürfte TE neuerlich voraus sein. Spiegel-Leser wissen mehr? TE-Leser wissen es früher. Versprochen.

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