Tichys Einblick
Alltagsglosse aus Berlin

Es ist Zeit, Jens Spahn ein lautes „Danke“ hinterher zu rufen

Jens Spahn schenkt mir 14 Euro, damit ich meine Gesundheit ruinieren kann. Danke, lieber Herr Minister, vielen Dank für Ihre Güte. Und all den vielen Beteiligten für ihre unermüdlichen Mühen.

Berechtigungsschein für die Abholung kostenloser Schutzmasken in Apotheken

imago images / Future Image

Kürzlich habe ich einen Brief erhalten mit einem denkwürdigen Schreiben: Bundesadler und ein seltsames Muster, wie man es vom Personalausweis kennt – mit hübschem Wasserzeichen teuer veredelt.

Es sind ein „Berechtigungsschein 1“ und ein  „Berechtigungsschein 2“, jedes dieser wertvoll anmutenden Dokumente berechtigt mich zum Bezug von „6 Schutzmasken mit hoher Schutzwirkung in einer Apotheke“. Die Eigenbeteiligung beträgt 2 Euro. Je Berechtigungsschein.

Solche FFP2-Masken gibt es im Internet für 1,50 Euro das Stück. Nach Abzug der Eigenbeteiligung also ein Wert von 14 Euro.

Danke, Jens Spahn.

Ich nehme an, er kommt sich großzügig vor.

Nun will ich ja nicht undankbar sein; allerdings: Mein monatlicher Krankenkassenbeitrag liegt bei 550 Euro. Das relativiert die Dankbarkeit.

Und jetzt stelle ich mir vor, welchen langen Weg diese 14 Euro bis zu mir zurückgelegt haben. Am Anfang stand vermutlich eine Sitzung der Leitungsebene im Bundesgesundheitsministerium. Ich sehe Jens Spahn vor mir, wie er überlegt: Wie kauft man Wählerstimmen, seit der Mafia-Trick „den linken Schuh gibt’s vor der Wahl, den rechten nach der Wahl“ nicht mehr so funktioniert?

Lange grübeln Abteilungsleiter, beamtete und parlamentarische Staatssekretäre. Bis ein unbekannter Held ruft: „Ich hab’s. Masken! Verschenken wir Masken!“

Und der Minister klatscht sich vor Begeisterung auf die Schenkel. Jeden Tag eine gute Idee!

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Allerdings, in Berlin mahlen die Mühlen langsam. Der Vorschlag wird mit den zuständigen Leitern der zuständigen Spiegelreferate im Finanz-, Wirtschafts-, Forschung- und Sozialministerium verhandelt. Spiegelreferate sind Abteilungen in Ministerien, die genau beobachten, also „spiegeln“, was die jeweils anderen Ministerien so treiben. Diesen Spiegelreferaten wird der Vorschlag per Ministerschreiben unterbreitet. Die SPD-geführten Ministerien leiten ihrerseits den Vorschlag an das Spiegel-Kanzleramt im Finanzministerium weiter; das Spiegel-Kanzleramt wurde einst von SPD-Chef Sigmar Gabriel erfunden, um die Arbeit der SPD-Ministerien gegen das Kanzleramt zu koordinieren, das seinerseits Spiegelreferate für die Beobachtung aller Ministerien führt.

Zu diesem Zeitpunkt werden durch die zuständigen Referate „Bund-Länder-Beziehungen“ auch die Vertretungen der Bundesländer beim Bund informiert. Von den jeweiligen Gesundheitsreferenten der 16 Vertretungen wird der Vorschlag an die Staatskanzleien und Ministerien in den Landeshauptstädten weitergeleitet. Es kommt zu gemeinsamen Verhandlungen der A-Länder (Ministerpräsidenten der SPD), der B-Länder (CDU-Chefs) und zu bilateralen mit Baden-Württemberg, das bekanntlich einen grünen Ministerpräsidenten hat. Die SPD-Länder dringen auf eine Absenkung der Eigenbeteiligung, was die Vertreter des Bundesfinanzministeriums nach Rücksprache mit dem zuständigen Staatssekretär zurückweisen. In Mecklenburg-Vorpommern wird ein interministerieller Arbeitskreis gegründet mit dem Ziel, eine Beteiligung von Gazprom zu erwirken, um für sozial schwache Bürger eine weitere Absenkung der Eigenbeteiligung herbeizuführen.

Eine Staatssekretärsrunde auf Bund-Länder-Ebene führt eine „Bereinigungssitzung“ durch, die aber fast gescheitert wäre, weil Bundesgesundheitsminister Jens Spahn nicht teilnehmen konnte. Er hatte einen nicht verschiebbaren Termin zwecks notarieller Beurkundung eines Immobiliengeschäfts in Berlin.

Bis zu diesem Zeitpunkt ist noch nichts geschehen, aber schätzungsweise 1.000 Spitzenbeamte rotieren eifrig im Dauereinsatz.

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Jens Spahn macht Druck. Und wie. Obwohl noch kein abschließender Kabinettsbeschluss vorliegt und vorerst nur auf Staatssekretärsebene eine Kabinettsvorlage erstellt wird, kommt jetzt die Konsultation der Spitzenverbände der Krankenkassen, Ärzte- und Apothekerverbände. Schließlich geht es um die komplexe Frage der Abrechnung von jeweils 2 Euro Eigenbeteiligung, weswegen die Kassenärztliche Bundesvereinigung und diverse Apothekenabrechnungszentren sowie mit der Logistik vertraute Dienstleister einbezogen werden müssen.

Ein Arbeitskreis (Geheimhaltungsstufe „VS-Vertraulich“) nimmt Kontakt mit der Bundesdruckerei auf, um sicherzustellen, dass die notwendigen Dokumente fälschungssicher hergestellt werden. Zu diesem Zeitpunkt sind schätzungsweise 2.000 Spitzenbeamte und Spitzenfunktionäre der Verbände involviert.

Da sich die Leiter der diversen Ministerialreferate auf Bundes- und Länderebene nicht einigen können, wird eine Ministerrunde eingelegt, an der allerdings Jens Spahn nicht teilnehmen kann. Er ist mit der Vorbereitung auf den CDU-Parteitag ausgelastet. Diese Nicht-Teilnahme führt zu Verärgerung bei den Vertretern der A-Länder. Es wird aufmerksam registriert, dass der Vertreter Bayerns sich mit einer kritischen Bemerkung auf die Seite der SPD-Länder schlägt, was als sicherer Hinweis dahingehend interpretiert wird, dass Markus Söder sich doch die Entscheidung einer möglichen Kanzlerkandidatur offenhalten will. Entsprechende Vermerke („Verschlusssache – dem Minister nur persönlich vorlegen“)  werden auf den Weg gebracht.

Kanzleramtsminister Helge Braun leitet eine weitere „Maskenzuteilungsbereinigungssitzung“, da die Ministerpräsidentin Manuela Schwesig darauf besteht, dass nur Masken aus Produktionsstätten begünstigt werden sollen, die in den Neuen Bundesländern liegen und mit russischem Erdgas beheizt werden. Der Ostbeauftrage der Bundesregierung nimmt an der Sitzung teil und informiert, dass in den Neuen Ländern nur handgestrickte Masken mit Ventil hergestellt werden. Hinsichtlich der Brennstoffe für die Heizung liegen ihm keine Informationen vor, allerdings sollen erneuerbare Energien bevorzugt werden. Das Außenministerium wird informiert, um über die Botschaft in Peking einen Lieferauftrag zu vergeben. Der Vertreter des Außenministeriums erklärt sich dazu bereit – aber nur unter der Bedingung, dass Reichsbürger, QAnon-Anhänger und Querdenker von der Zuteilung ausgeschlossen sind.

Ein Schnellgutachten des Justizministeriums erklärt dies für wünschenswert, aber das Bundesinnenministerium teilt mit, dass der Bundesverfassungsschutz leider derzeit mit der Vorbereitung der Beobachtung einer alternativen Partei ausgelastet sei. Zum Ausgleich dafür wird in angemessener Frist auch das Sicherheitskabinett mit der Frage befasst, allerdings erst, wenn die ganze Sache längst erledigt ist. Kurz bevor der Lieferauftrag erteilt wird, remonstriert das bislang noch nicht beteiligte Entwicklungshilfeministerium. Es besteht darauf, dass auch Lieferanten aus dem Senegal zu berücksichtigen seien. Zur Lösung der schwierigen Abrechnungsprobleme zwischen Krankenkassen, Apotheken und Bürgern wird die Beratungsfirma McKinsey beauftragt. Eine Ausschreibung erfolgt nicht, aber nur diese mit ministerialen Aufträgen erfahrene Beratungsfirma ist in der Lage, die notwendige Beratungsdienstleitung von 17.000 Frau-Tagen kurzfristig zu erbringen.

Da das Entwicklungshilfeministerium von einem CSU-Minister geführt wird, dringt das Vorhaben auch an das Ohr der CSU-Frauenpolitikerin und Digitalstaatsekretärin Dorothee Bär. Sie legt Wert auf eine Formulierung im gemeinsamen Abschlussprotokoll der Bund-Länder-Masken-Kommission, dass Trägerinnen von rosa Latex-Oberteilen bei der Belieferung nicht benachteiligt werden dürfen. Eine entsprechender Redenentwurf für Bär wird zugesagt als Ausgleich dafür, dass ihr Vorschlag nicht angenommen wird. Bär zeigt sich zufrieden, legt aber Wert darauf, dass die Formulierung „Verschlusssache – dem Minister nur persönlich vorlegen“ in „Minister*in“ umgewandelt wird. Das findet Berücksichtigung. Ein Beamter*in des Finanzministeriums wird derweil mit Schnappatmung in die Charité eingeliefert.

Jens Spahn unterstützt den Vorschlag von Bär ausdrücklich mit einem Handy-Anruf auf dem Weg zum Notar für ein weiteres Immobiliengeschäft, muss aber wegen der notwendigen Unterschriftsleistung kurzfristig abbrechen.

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Helge Braun rettet die Lage, indem er übermittelt, dass es der Kanzlerin jetzt reiche. Sie wolle auch eine Maske für ihren angekündigten Besuch in der Bundespressekonferenz. Da könne sie sich ohne nicht blicken lassen. Das angebotene Latex-Oberteil von Dorothee Bär lehnt sie ab, was dahingehend gedeutet wird, dass Merkel Söders Anspruch auf eine Kanzlerkandidatur nicht unterstützt. Über die Vermerke informieren wir Sie später.

An dieser Stelle danke ich Jens Spahn, dass er diesen ganz alltäglichen Berliner Bürokratiewahn in Gang gesetzt hat, nur um mir 14 Euro zu sparen, und das zwischen Notar-Terminen und CDU-Parteitag.

Allerdings: Gemäß Vorgaben des Arbeitsschutzes dürfen solche Masken maximal 75 Minuten getragen werden. Davor ist ein ärztliches Attest einzuholen, weil bei Atembeschwerden schwerste Komplikationen zu erwarten seien. Ich verzichte altersbedingt daher auf das Tragen der Spahn-Maske.

Ich bin jedoch bereit, sie sozial Schwächeren bei Abholung jederzeit auszuhändigen. Einen entsprechenden Vermerk habe ich an die Bund-Länderkommission auf den Weg gebracht und Dorothee Bär mit rosa Schleifchen aus Latex speziell informiert.

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