Tichys Einblick
Der Crash kommt

Von schwarzen Schwänen und Fabelwesen made in China

Auf die Frage, wohin man sein Geld vor einem Euro-Crash in Sicherheit bringen soll, ist keine Antwort möglich, ohne die Stabilität der anderen großen Währungsräume zu betrachten. Betrachten wir China

Die Verschuldungspolitik hat fast alle weltwirtschaftlichen Spieler in eine Schieflage gebracht – aber wie heißt es so schön? Unter den Blinden ist der Einäugige König. Deshalb empfehle ich regelmäßig, das liquide Vermögen außerhalb des Euroraums in kurzlaufende Anleihen bester Bonität zu parken: US-Dollar, Canada-Dollar, Schweizer Franken, Britische Pfund, Norwegische Krone, Australische, Singapur- und Neuseeländische Dollar. China fehlt auf dieser Liste, und das ist mehr als auffällig.

Dafür gibt es gute Gründe. In Europa können wir beobachten, wie der Nullzins schlechte Firmen am Leben erhält, auf diese Weise den Unternehmenssektor zombifiziert und gewaltige volkswirtschaftliche Ressourcen in die falschen Verwendungen steuert. Der Zins wirkt als indirekte Subvention. Indirekt ist das Stichwort. Denn die chinesische Wirtschaftslenkung, die unter dem nicht mehr ganz neuen starken Mann Xi immer mehr wieder die Züge einer Planwirtschaft annimmt, spart sich den Umweg über die Geldpolitik.

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In China fließen die Subventionen und die fehlgeleiteten Investitionsmittel direkt auf Basis staatlicher Planung in einen immer mehr hypertrophierenden Bau- und Infrastruktursektor. Zugleich werden staatliche Unternehmen der Schwerindustrie aus dem 19. Jahrhundert durch Multi-Milliarden-Kredite am Leben erhalten, die in schöner Regelmäßigkeit von den ebenfalls staatlichen Banken abgeschrieben werden. China ist ein großes, um nicht zu sagen riesiges Land. Es hat unendlich viel Platz für die Brücken ins Nirgendwo, die der sprichwörtliche Ausdruck einer von der Planwirtschaft beseelten Bauwut sind. China hat mehr als 7000 Milliarden Euro in Vermögenswerte gesteckt, die wahrscheinlich niemals genutzt werden. Straßen und Eisenbahnen in dünn bis gar nicht besiedelten Außenprovinzen des Reiches, Geisterstädte, die Menschen damit beschäftigen, das Licht in den Wohn- und Bürotürmen an- und auszuschalten, damit sie belebt aussehen, Kapazitäten in der Schwerindustrie, die nur durch Exportsubventionen lebensfähig sind und deshalb eine wesentliche Ursache des mit den USA entbrannten Handelskrieges darstellen.

Dazu kommen enorme Außenstände im Schattenbankensystem des Landes. Durch das gigantische keynesianisch inspirierte staatliche Nachfrageprogramm hält sich der chinesische Staat zugute, die Folgen der Finanzkrise von China ferngehalten, ja sogar die Weltwirtschaft gerettet zu haben. Dieses Programm hat auch gewaltige private Folgeinvestitionen nach sich gezogen, deren Initiatoren von den falschen Marktsignalen dieser schuldenfinanzierten Flut schlechter Investitionen getäuscht wurden. Sie stehen nicht weniger im Feuer. Es zeigt sich, dass die Marktteilnehmer auch in China durch die Verzerrung der Preisinformation als Folge der staatlichen Interventionspolitik Fehlentscheidungen treffen, die sie bei der unvermeidlichen Korrektur dann teuer zu stehen kommen werden.

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Hier endet die Geschichte aber nicht, denn China ist nicht nur einer der wichtigsten Handelspartner Europas und insbesondere der deutschen Exportindustrie, es ist auch das Epizentrum einer geopolitischen Auseinandersetzung im pazifischen Raum. Der Wiederaufstieg Chinas als dominierende Macht in Asien gehört zu den signifikantesten geopolitischen Entwicklungen der vergangenen 40 Jahre. Das stellt den Westen, hier vertreten durch die pazifische Vormacht USA und die pazifischen Anrainerstaaten von Japan bis Australien, vor drei Herausforderungen beziehungsweise Fragen:

1. Das chinesische Modell: Ist es eine Alternative zum westlich liberalen Modell oder verkörpert es das liberale Modell sogar stärker als der Westen in seiner heutigen Verfassung? 2. Die geopolitische Rivalität: Die Geschichte zeigt, dass der ökonomische Aufstieg von Großmächten in der Mehrzahl der Fälle zum Krieg geführt hat. Ist der Planet zu klein für China und die USA? Laufen die beiden Supermächte des 21. Jahrhunderts wie einst Athen und Sparta in die »Falle des Thukydides«, den historisch fast unvermeidlichen Konflikt zwischen dem Platzhalter und dem aufsteigenden Herausforderer auf der geopolitischen Bühne? 3. Stabilität und Nationalismus: Wie groß ist das Risiko systemischer Instabilität in China? Besteht die Gefahr, dass die daraus entfesselten sozialen Kräfte in äußere Konflikte gesteuert werden?

Das chinesische Modell

Das chinesische Modell ist eine hybride Konstruktion, die den Versuch unternimmt, die Herrschaft einer Partei dadurch zu festigen, dass sie klar definierte und identifizierte, nach den Vorstellungen der Partei auch kontrollierbare Elemente des Kapitalismus einbaut und sich als Werkzeug nutzbar macht. Dabei bedient sich die Partei aus drei Quellen:

1. Die kommunistische Ein-Parteien-Herrschaft angereichert mit stalinistischen Elementen des Personenkults und der Ein-Mann Herrschaft ist die erste Quelle. Speziell den Personenkult hat Präsident Xi definitiv wiederbelebt. Die Ein-Parteien-Herrschaft ist die Staatsraison, der die Partei alles andere instrumentell unterordnet. Der Wunsch des chinesischen Volkes nach Ruhe, Ordnung und Kontinuität als Ergebnis der Wirren der Revolution, des großen Sprungs nach vorn und der Kulturrevolution kommt diesem Ideal entgegen.

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Dies wird aktuell kombiniert beziehungsweise abgesichert durch ein System der Totalüberwachung. Unter anderem setzt das Regime dies technisch mit dem sogenannten sozialen Scoring um (Wohlverhaltens-Punkte), bei dem jeder Bürger auf Basis seiner Angepasstheit oder Renitenz ein Rating bekommt, welches unter anderem darüber entscheidet, ob er ein Flug- oder Zugticket, ein Hotelzimmer oder eine Reise buchen kann oder nicht. Frühere Versuche mit demokratischen Elementen auf lokaler Ebene scheinen sich in der Ära Xi nicht weiterentwickelt zu haben.

2. Die zweite Quelle ist eine hyperkapitalistische, oligarchisch strukturierte Wirtschaftsordnung mit staatlichen Elementen auf mehreren Kanälen: staatliche Schwerindustrie, Aufnahme von Unternehmern in die Partei, Vertreter der Partei in den Unternehmen, starke Elemente der Korruption insbesondere in der Bauindustrie mit Enteignungen von Inhabern kleiner Immobilien sowie Bauern et cetera. Dabei steht die Führung der Partei in einem Spannungsfeld: Sie muss die Kräfte des Marktes entfesseln, um Wachstum zu erzeugen, aber ihr Kontrollzwang verführt sie dazu, immer direkter und nicht einmal regelgebunden in die Unternehmen hineinzuregieren. Diese Entwicklung wird die Wachstumskräfte sehr schnell erlahmen lassen, wenn echte unternehmerische Innovation erforderlich ist. Das war bisher in der Situation einer Aufholjagd nicht notwendig, weil die chinesische Führung bewährte westlich-kapitalistische Erfolgsrezepte kopieren konnte. Jetzt ist dieser Weg ausgetreten und es droht ein japanisches Szenario.

3. Die dritte Quelle ist der Konfuzianismus mit seinem Fokus auf staatliche Ordnung, soziale Gliederung und einem quasi-religiösem Anspruch an den Staatsbürger auf Konformität und Gehorsam. Hier liegt ein Risiko für das System, da den Bürgern klar ist, dass das konfuzianische System eines von Geben und Nehmen ist. Schlechte Politik führt zum Verlust des »Mandats des Himmels«. Die chinesische Geschichte hält dafür genügend Beispiele bereit.

Das Modell stößt gegenwärtig ökonomisch an Grenzen, die von mehreren dysfunktionalen wirtschaftspolitischen Elementen bestimmt werden.

– Das Land leistet sich zwei Hauptursachen der Ineffizienz und Fehlallokation: Die im Baubereich verbreitete Korruption zieht gewaltige Mittel an und investiert diese in Verwendungen, die ineffizient und suboptimal sind. Das Ergebnis sind gigantische Investitionsruinen, die durch staatlichen Kredit am Leben erhalten werden. Der ineffiziente Staatssektor saugt ebenfalls Investitionsmittel auf, die sich aus dem Staatshaushalt und aus dem Bankensystem speisen, das unter der Kontrolle des Staates und der Zentralbank steht.

– Ein nicht gerade kleiner Teil der Bildungselite bleibt an den Top-Universitäten in den USA und in den wirtschaftlichen Ökosystemen, die sie umgeben (zum Beispiel das Silicon Valley). China hat noch nicht bewiesen, dass es jenseits der Kopie westlicher Erfolgsmodelle und Technologien wirklich in der Breite innovativ sein kann. Das Land erleidet einen permanenten Brain-Drain in Richtung USA.

– Reiche Chinesen bringen einen substantiellen Teil ihres Vermögens außer Landes, weil sie die fehlende Rechtsstaatlichkeit in China fürchten. Eine der Hauptexportadern für den Kapitalexport war in den letzten Jahren dabei die Kryptowährung Bitcoin. Dies wird verstärkt durch in der Außenwirkung völlig arbiträre, willkürliche Verhaftungen von Top-Unternehmern.

– Das Schattenbankensystem ist in hohem Maße ineffizient und von unseriösen Unternehmen durchzogen, mit dem Ergebnis, dass es wahrscheinlich um mehrere Billionen US-Dollar überschuldet ist und seinen Liquiditätsbedarf aus der Neuanlage von Geldern deckt. Man nennt ein solches Konstrukt gemeinhin Schneeballsystem.

Politische Erstarrung
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Nicht wenige Analysten und Kapitalmarktteilnehmer fürchten aus der Kombination dieser Elemente eine Korrektur, die stark genug ist, Auswirkungen auf Europa, insbesondere Deutschland, zu haben. Die akkumulierten Ungleichgewichte stellen das »chinesische Modell der Zombifizierung« dar. Die Möglichkeiten der Partei, dieses Ungleichgewicht unter der Decke zu halten, schwindet.
Die geopolitische Rivalität

China hat vier große geopolitische Initiativen gestartet:

1. Die Modernisierung der Streitkräfte inklusive der Fähigkeit zum Krieg im Cyberspace und im Weltraum. 2. Aggressive Landnahme im südchinesischen Meer mit einem systematischen Ausbau von Korallenatollen zu Militärbasen. 3. Die Road-and-Belt-Initiative zur Wiederbelebung der Seidenstraße, einen ambitionierten Versuch, den Amerikanern die Kontrolle der wichtigsten globalen Handelsrouten zu entwinden. 4. Eine neokoloniale Politik der Rohstoffsicherung in Afrika. Hier tut sich China deutlich leichter als Europa aufgrund seiner Akzeptanz von höchst fragwürdigen Regimen. Dennoch dürfte sich auch ein Großteil der dort getätigten Investitionen für China als Fass ohne Boden erweisen, als Fehlinvestition mit der Neigung, immer mehr gutes Geld dem schlechten hinterher zu saugen.

Die Reaktion der USA auf diese Politik ist auch im Übergang von Obama zu Trump konsistenter und kontinuierlicher, als dies von außen den Anschein hat. Bush und Obama betrieben eine Politik der Einkreisung, die durch Chinas aggressives Auftreten im Südchinesischen Meer begünstigt wurde. Der größte Baustein dabei war die Konvertierung Myanmars von einem chinesischen Verbündeten zu einem Partner der USA. Trump setzt genau diese Politik in Nordkorea fort. Sein Deal: Bestandsgarantie und Überlebensgarantie, Anerkennung und Hilfe gegen Wohlverhalten, im zweiten Schritt sogar ein Bündnis gegen China. Das ist für Kim Jong-un attraktiv, weil Nordkorea die chinesische Umklammerung hasst. Steve Bannon, der ehemalige Berater Donald Trumps, prognostiziert einen Krieg der USA gegen China in wenigen Jahren. Trump hat sich zwar von ihm getrennt, aber nicht von vielen seiner Ideen.

Der US-Präsident ergänzt die Politik der Einkreisung durch zwei weitere Elemente: Handelskrieg und Zinserhöhung. Ersteres untergräbt die wirtschaftliche Entwicklung Chinas und bringt die planwirtschaftlichen Dysfunktionalitäten schneller an die Oberfläche. Letzteres beschleunigt die Kapitalflucht und bringt die Asset-Blasen in China zum Platzen. Beides ist für die kommunistische Partei, die bisher nur eine quasi geschlossene Volkswirtschaft managen musste, eine enorme Herausforderung.

Stabilität und Nationalismus

Die Kommunistische Partei Chinas hat in der Vergangenheit Kräfte der sozialen Unruhe immer wieder in nationalistische Ausbrüche gesteuert und so nach innen entschärft. Diese Politik wurde immer wieder vor allem gegen Japan eingesetzt, wenn es um territoriale Ansprüche ging. Das Problem: Ein Monster, das man füttert, kann ausbrechen. Das stabilisierende Element der Energieableitung nach außen wird dann zum destabilisierenden Element des äußeren Konfliktes mit Mächten, die China – noch – militärisch gewachsen sind. Dazu gehört sogar Japan. Verselbständigt sich dieses Element, könnte sich die chinesische Führung in einer Wirtschaftskrise gezwungen sehen, die Spannung innerhalb des Landes in Form eines regional begrenzten Waffenganges abzubauen. Das Problem: Die USA würden es nicht bei einem regionalen Waffengang belassen, weil sie die Infragestellung ihrer pazifischen Hegemonie unter keinen Umständen hinnehmen können. Hier liegt ein massives geopolitisches Risiko begraben, das nicht tot ist, sondern nur scheintot.

Der Crash kommt
Was bedeutet das für Europa?

– Die Aufmerksamkeit der USA wird sich weiterhin in Richtung Pazifik verschieben. War dies bisher wirtschaftlich getrieben, so dürfte es künftig militärisch motiviert sein. Die Road-and-Belt-Initiative greift die Interessen der USA an und ist daher mit einer hohen Wahrscheinlichkeit des Scheiterns belegt. Sie ist eine weitere gewaltige Zombie-Investition der chinesischen Planwirtschaft.

– Das chinesische Modell kommt aus den gleichen Gründen an seine Grenzen wie das europäische: zu viel Staat und zu wenig Markt.

– Eine chinesische Krise hat hohes Potential, Deutschland und die Eurozone wirtschaftlich zu kontaminieren. Sie ist einer der möglichen Zünder einer europäischen Wirtschafts- und Währungskrise. Der chinesische und der europäische Zombie sind siamesische Zwillinge.

Was bedeutet das für den risikobewussten Anleger?

China ist kein sicherer Hafen auf der Flucht vor dem kollabierenden Euro. Im Gegenteil: Die anstehende Rezession in China und der dann unvermeidlich folgende Einbruch der Nachfrage nach deutschen Exportgütern wird die strukturellen Schwächen des deutschen und europäischen Modells noch schneller und schonungsloser offenlegen, als es ohnehin schon durch die inneren Spannungen unseres Finanzsystems passieren wird. Unternehmen mit einem übergewichteten China-Geschäft sind in dem resultierenden Portfolio nicht mehr aufstrebend, sondern von einem starken Rückgang bedroht. Das sind keine guten Nachrichten für die Automobilindustrie und den Maschinenbau.

China ist die Quelle einer möglichen militärischen Eskalation im pazifischen Raum, wenn innere Spannungen nach außen abgeleitet werden. US-Rüstungsunternehmen sind in diesem Szenario ein Kauf. Der Rohstoffhunger Chinas wird zumindest in einer vorübergehenden Anpassungskrise, die simultan mit der in Europa stattfinden dürfte, massiv zurückgehen. Rohstoffe sind in diesem Szenario einer globalen Depression ein klarer Verkauf. Das gilt auch und insbesondere für Öl. Es gilt aber auch für die Lithium-Bonanza, weil die kommende Krise den automobilen E-Wahn als Megazombie bloßstellen wird.

Der Handelskrieg mit den USA wird eskalieren, weil China versuchen wird, seiner Rezession mit einer Exportoffensive Herr zu werden. Dieses Unterfangen ist zwar zum Scheitern verurteilt, aber das hat die Politik noch nie von ihren fixen Ideen abgehalten, nicht im Westen und auch nicht in China. Logistik und Schiffe sind damit ebenfalls ein Verkauf. Es kann sein, dass die Kommunistische Partei Chinas dann statt auf Xi wieder auf Deng setzt, sprich dem Zentralismus abschwört und stattdessen auf die bewährte Dezentralität baut. Dann käme China schnell wieder auf die Füße, was eine gute Nachricht wäre.


Dieser Beitrag von Dr. Markus Krall ist ein Kapitel aus dem neuen Buch von Florian Homm, an dem er mitgearbeitet hat:

Florian Homm, Der Crash ist da. Was Sie jetzt tun müssen! Anlagen, Immobilien, Ersparnisse, Arbeit. FinanzBuch Verlag, 336 Seiten, 18,99 €.

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