Tichys Einblick
Zensur auf dem Vormarsch

Heute noch Meinungsfreiheit – morgen bereits „Hassrede“?

„Man kann die verschiedenen staatlichen Bemühungen im Kampf gegen ‚Hass und Hetze‘ gar nicht kritisch genug begleiten. Wer die Grenzen des Sagbaren diskutieren will, muss das ‚Unsägliche‘ erst einmal aussprechen und zur Debatte stellen dürfen.“ (Ralf Schuler – in seinem Vorwort zu „Zensiert“)

Würden Sie lieber beleidigt werden oder auf Ihr Recht auf Redefreiheit verzichten? Beide Aussichten sind nicht allzu prickelnd. Die Mehrheit würde sich aber vermutlich für die Redefreiheit entscheiden – würde man meinen. Aktuell lässt sich aber die gegenteilige Entwicklung beobachten: In den letzten Jahren wurden zahlreiche Gesetze zur sogenannte Hassrede im europäischen Raum erlassen, Nutzer der sozialen Medien melden immer häufiger Kommentare oder Beiträge, durch die sie sich persönlich angegriffen fühlen und bewirken somit die Markierung, Sperrung oder gar Zensur dieser Beiträge.

Wenn man sich in der Öffentlichkeit durch Reden, Schilder oder gar Gespräche angegriffen fühlt, ruft man dann einfach die Polizei – der Trend scheint weg von der Diskussion und hin zur Zensur zu gehen. In seinem neuen Buch „Zensiert – wie europäische ,Hassrede‘-Gesetze die Meinungsfreiheit bedrohen“ beschreibt der Leiter der Menschenrechtsorganisation „ADF international“ und Rechtsanwalt Paul Coleman, wie die Redefreiheit im europäischen Raum immer mehr eingeschränkt wird. Anhand zahlreicher Beispiele zeigt Coleman die Auswirkungen dieser Gesetze zur sogenannten Hassrede, die einen sprachlos machen, aber zugleich aufhorchen lassen.

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Über eine Zensur, die es gar nicht gibt
So verlor die Britin Maya Forstater beispielsweise ihren Arbeitsplatz, nachdem sie getwittert hatte „Männer können keine Frauen werden“. Auch die Klage gegen die Entlassung verlor sie vor dem Gericht. Ein anderer nicht weniger schockierender Fall betrifft die österreichische Politikerin Susanne Winter. Sie meinte, dass Mohammed im heutigen System als „Kinderschänder“ angesehen werden würde, da seine jüngste Ehefrau Aischa sechs Jahre alt war. Daraufhin wurde Winter wegen „Herabwürdigung religiöser Lehren“ zu drei Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt und musste eine Geldstrafe von 24.000 Euro bezahlen.

Obwohl die teils juristisch gefärbte Sprache nicht immer leicht zu verstehen ist, wird das Buch nie langweilig. Im Gegenteil – die vielen Fallbeispiele machen es lebendig und spannend. Es wirkt fast schon wie ein Kriminalroman – nur, dass es eben um echte Fälle geht.

Neben Festnahmen und Verurteilungen bringt Coleman auch Beispiele für „Hassrede“-Gesetze. In Deutschland gilt seit 2017 das sogenannte „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“. Neuartig an dem Gesetz sei, so Coleman, dass nicht derjenige, der andere beleidigt, bestraft wird, sondern Plattformen, die „Hassrede“ ein Podium bieten. Wenn also Facebook, Twitter und Co die Kommentare, die von Nutzern gemeldet werden, nicht überprüft und dementsprechend markiert oder sperrt, müssen die Internetriesen bis zu fünf Millionen Euro Strafe zahlen. Dadurch, dass letztlich die sozialen Medien die Bürger zensieren, macht der deutsche Staat sich frei von Vorwürfen – obwohl er genau diese Zensur erzwingt. Jede Person mit einem gesunden Menschenverstand sollte das nicht nur aufhorchen – sondern auch aktiv werden lassen.

Dafür bringt Coleman zum Schluss auch Vorschläge, weil er sich sicher ist, dass Europa immer mehr in die Richtung von kompletten Überwachungsstaaten marschiert – wenn die Bürger nicht demonstrieren. Polen kann hier ein Vorbild sein: Polnische Bürgerrechtsbewegungen initiierten eine Kampagne zur Abschaffung des berüchtigten Paragrafen 212 des Strafgesetzbuches, der diffamierende Bemerkungen unter Strafe stellte.

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Obwohl Coleman die beunruhigenden Entwicklungen anhand vieler Beispiele aufzeigt, schürt der Menschenrechtler doch keine Panik, sondern bleibt stets sachlich und geht auch auf die Argumente der Befürworter der „Hassrede“-Gesetze ein. Ein allseits beliebtes Argument sei, dass „Hassrede“ zu Gewalt führe. Jedoch argumentiert Coleman sauber, dass es bisher weder Beweise gibt, dass „Hassrede“ zur Gewalt führt, noch Beweise, dass Gesetze, die gegen Aufstachelung und Beleidigung vorgehen, Gewalt unterdrücken.

Auch wenn die Sorgen der Befürworter solcher Gesetze ihre Berechtigung haben, sind Colemans Ausführungen, dass die nicht klar definierten „Hassrede“-Gesetze schlicht gegen juristische Prinzipien verstoßen, weitaus überzeugender. Bereits das „Schadensvermeidungsprinzip“ macht diese Schwäche der „Hassrede“-Gesetze deutlich: Es besagt, dass die Bürger tun können, was sie wollen, solange kein tatsächlicher Schaden für andere Bürger entsteht.

Die derzeitige Entwicklung erschließt sich allerdings, wenn Coleman die Entstehung der Gesetze nachzeichnet. Und auch hier sollte man hellhörig werden – denn die „Hassrede“-Gesetze wurden erstmals unter dem Dach der Vereinten Nationen diskutiert – die lautesten Befürworter dort waren die kommunistischen Staaten, deren Regimes später allesamt zusammenbrachen.

Mit seinem hervorragend recherchierten und gut durchstrukturierten Buch hat Paul Coleman „die Architektur hinter den bewusst weichen ,Hassredegesetzen‘ sichtbar gemacht“, wie ein zufriedener Leser auf Amazon sehr treffend bemerkt hat. Hoffentlich wird den Bürgern Europas die riskante Situation, die sie auch selbst heraufbeschwören, rechtzeitig bewusst. Denn wie Coleman selbst sagt: „Ohne Redefreiheit kann es keine echte Diskussion unter den Bürgern geben, und ohne Diskussion gibt es keine Demokratie.“


Die Besprechung von Veronika Wetzel erschien zuerst unter dem Titel „Zensur auf dem Vormarsch“ in Die Tagespost. Katholische Wochenzeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur, der wir für die freundliche Genehmigung zur Übernahme danken.


Paul Coleman, Zensiert: Wie europäische „Hassrede“-Gesetze die Meinungsfreiheit bedrohen. Mit einem Vorwort von Ralf Schuler. Fontis Verlag, 288 Seiten, 18,- €.

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